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Mirko Bonné sucht die Ursprünge der Dichtung
Es soll Leser geben, die sich nur auf das Phantasiereich eines literarischen Textes einlassen, darüber hinaus wollen sie nichts wissen vom Autor oder von der Genese eines Werks. Solche Leser stellte sich einmal eine Richtung der Literaturwissenschaft als die idealen vor. Die textimmanente Interpretation ist längst überholt. Ob ihre Anhänger in Reinform je existierten, ist fraglich. Gewiss aber gibt es solche Leser, zu denen auch der Schriftsteller Mirko Bonné zählt, die sich beflügeln lassen von literarischen Orten und Geschichten. In seinem neuen Buch folgt er den Spuren ihm am Herzen liegender Dichter wie John Keats und Walt Whitman. Und weil Bonné selbst Dichter ist, werden ihm die Ortsbegehungen wiederum zum Born eigener Lyrik. Dazu gesellen sich Reiseeindrücke, und es entsteht eine Mischgattung aus Reportage, lyrischem Ton und Erzählung, die ihresgleichen sucht.
Zuweilen könnte man die Texte auch für Poetikvorlesungen halten, haben sie doch in den letzten Jahren eine Sonderform ausgeprägt, die selbst wieder Erzählung ist, etwa bei Hugo Loetscher oder Monika Maron. Dem Leser Bonnés wird aber schnell klar, dass er hier etwas Eigenständiges vor sich hat. Der Eindruck schlägt gleich im ersten Text der Sammlung durch, der "Die Helianloggia" heißt. Selten hat man so die Verzauberung durch Lyrik nachempfunden wie in Bonnés Jugenderinnerung an eine Reise nach Mühlau am Inn - jenen Ort, an dem Trakls Gedicht "Helian" entstand. Der Reisende will herausfinden, was es bedeutet, "zu wandern / An den gelben Mauern des Sommers hin", und wo man solche Verse schreibt. Er trifft auf Gleichgesinnte, ein holländisches Paar: "So gingen wir vier Sommertage lang durch die Bilder und Aufzeichnungen von Trakls Tirol." Es entsteht ein Gespräch über den Zusammenhang von Physiognomie und Dichtung, der gerade beim Gedanken an die verstörenden Gesichtsausdrücke Trakls auf einigen Fotografien verführerisch scheint, womöglich aber doch in die Irre geht.
Wie lohnend es hingegen sein kann, hinter der Dichtung die sie hervorbringenden Menschen zu suchen, zeigen Bonnés assoziative Annäherungen immer wieder. Oft gelingen ihm dabei glänzende Beobachtungen und Aperçus, etwa wenn er in Keats nicht nur den großen Liebenden, sondern auch den großen Liegenden entdeckt, weil dieser einige seiner besten Gedichte, schwer von Tuberkulose gezeichnet, auf dem Sterbebett ersann.
Die Geschichten der Rezeption, die Bonné hier erzählt, sind untrennbar verbunden mit der Geschichte seiner eigenen Produktivität. Aus Leseerfahrung wird Lebenserfahrung, aus dichterischem Pilgertum neues Gedicht. Dazu gehört auch die Bereitschaft, laut "ich" zu sagen und an das eigene Werk zu glauben, wie Mirko Bonné es etwa in einem "unmöglichen Brief" an den verstorbenen Sänger Jeff Buckley tut. Auf Anhieb könnte dies für manche etwas anmaßend wirken. Bei Bonné aber ist dies durchaus angemessen.
JAN WIELE
Mirko Bonné: "Ausflug mit dem Zerberus". Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2010. 280 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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