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Bernhard Kegel über die wissenschaftliche und populäre Sicht auf Dinosaurier
Kein Mensch hat je einen Dinosaurier gesehen. Dieser Satz wird nicht widerlegt durch etliche Dinosaurier als Werbefigur oder Kuscheltier, als Sympathieträger im Zeichentrickfilm oder Bedrohung im Actionkino. René Magritte schrieb auf sein berühmtes Pfeifengemälde, dies sei keine Pfeife, und genauso gilt für all die Urzeitriesen: Dies sind keine Dinosaurier - sondern Bilder von ihnen. Auch wer Skelette in Naturkundemuseen wie den Stegosaurus "Sophie" in London, den Tyrannosaurus Rex "Sue" in Chicago oder dessen Artgenossen "Tristan Otto" in Berlin betrachtet, bekommt etwa durch deren Körperhaltung bereits die jeweiligen Sichtweisen der Forscher und Ausstellungsmacher vermittelt. Wie sich die populäre und die wissenschaftliche Sicht auf Dinosaurier vom neunzehnten Jahrhundert bis heute entwickelt hat, erzählt Bernhard Kegel in seinem Buch.
Der analytische Doppelanspruch durchzieht das Buch. Es müsse darin "um beides gehen, um Naturwissenschaft und um Kultur, denn die Dinos waren nicht nur spektakuläre Lebewesen", so Kegel, "sie waren und sind auch Teil der Populärkultur". Kegel lässt sich Zeit zum Erzählen und Erklären, und gern begleitet man ihn durch die Geschichte der Dinosaurierforschung und der Dinosaurierfaszination.
Wissenschaftsgeschichte schildert er handfest über biographische Skizzen zu Forschern und ihren Rivalitäten. Die erste wissenschaftliche Beschreibung eines Dinosauriers wurde 1824 von dem Oxford-Professor William Buckland veröffentlicht, der sich zudem das Ziel setzte, "jede einzelne Tierart zu kosten, derer er habhaft werden konnte". Als fragwürdige Figur tritt Richard Owen auf, der 1842 den Namen "Dinosaurier" einführte, sich aber bei Erkenntnissen des Arztes Gideon Mantell bediente, weshalb dieser ihm "unwürdige Piraterie und Undankbarkeit" vorwarf. Und der Konflikt zwischen den Amerikanern Edward Drinker Cope und Othniel Charles Marsh steigerte sich in den "Knochenkriegen" des späten neunzehnten Jahrhunderts bis zur Verwüstung von Fundstellen, "damit die dort noch lagernden Fossilien nicht in die Hände des Konkurrenten fallen konnten".
Um das Verhältnis von wissenschaftlicher Erkenntnis und populärer Vermittlung nachzuzeichnen, befasst sich Kegel mit Bildern, Büchern, Filmen und Skulpturen. Bei den frühen Darstellungen von Dinosauriern mussten Künstler anhand weniger Knochen das komplette Tier erahnen und griffen auf etablierte Motive wie Drachen zurück. Charles R. Knight, der einflussreiche Dinosaurierbilder schuf, arbeitete dabei auch mit Forschern des American Museum of Natural History in New York zusammen. Diese Tradition setzte sich dann bei Steven Spielbergs Film "Jurassic Park" (1993) fort, der laut Kegel die Chance bot, das "neue dynamische Bild der Dinosaurier in die ganz große Öffentlichkeit zu tragen".
Doch noch einmal zurück zum Anfang: Kein Mensch hat je einen Dinosaurier gesehen? Der Satz lässt sich nach der Lektüre des Buchs leicht widerlegen. Wer statt eines popkulturellen oder wissenschaftlichen Bildes lieber mit eigenen Augen einen lebenden Dinosaurier sehen möchte, muss nur aus dem Fenster schauen. "Vögel sind Dinosaurier", betont Kegel. Solche Einsichten der Forschung führen auch zu neuen Wortfindungen, damit klar wird, wovon wir reden, wenn wir von Dinosauriern reden. Die "klassischen" Dinosaurier sind nun "non-avian dinosaurs", also "Nicht-Vogel-Dinosaurier", wobei Kegel gesteht, den ungelenken deutschen Begriff "nur unter Qualen" auszuhalten.
Die Dinosaurierforschung hat sich globalisiert. Die wichtigsten Entdeckungen der jüngeren Zeit stammen aus China. Dort bestätigte sich, dass bestimmten Dinosauriern wirklich Federn wuchsen. Verbanden Dinosaurier zuvor den Reiz gigantischer Kraft und Größe einerseits und das Morbide des Aussterbens andererseits, so werden sie als gefiederte Vorfahren der Vögel zu bloßen "Übergangswesen", vermutet Kegel. "Vielleicht ist es diese Entzauberung, die es für manche Menschen so schwer macht, dem neuerlichen Gestaltwandel vieler Dinosaurier zu folgen." Sein Buch setzt der vermeintlichen Entzauberung allerdings den wissenschaftlichen Gewinn entgegen und zeigt, dass ein besseres Verständnis der Dinosaurier und ihrer Welt den Sinn für die Geschichte des Lebens auf diesem Planeten schärft.
THORSTEN GRÄBE
Bernhard Kegel:
"Ausgestorben, um zu
bleiben". Dinosaurier und ihre Nachfahren.
DuMont Verlag, Köln 2018. 270 S., Abb., geb., 22,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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