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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Eine etwas zu sehr auf die Binnenperspektive der handelnden Politiker fixierte Geschichte der Überwindung der Teilung Deutschlands.
Die deutsche Einheit entstand aus vielen Impulsen. Umstritten ist, ob eher die massenweise Flucht, die Proteste oder die grundsätzliche Sehnsucht nach westlichem Lebensstil den Zusammenbruch der DDR förderten. Einigkeit besteht darüber, dass die Reformen von Michael Gorbatschow entscheidende Spielräume schufen. Zahlreiche Historikerinnen und Historiker rekonstruierten bereits die Protest- und Diplomatiegeschichte.
Der Diplomatiehistoriker Franz-Josef Meiers legt nun ein weiteres Werk vor, das die Frage beantworten will, wie und warum die Teilung friedlich überwunden wurde. Dabei bietet er einen breiten quellengestützten Überblick über die Deutschlandpolitik der Bundesregierung und der SED-Spitze seit 1949, wobei sein Schwerpunkt auf den 1970/80er Jahren liegt. Der Buchtitel ist allerdings etwas irreführend: Es behandelt nicht die Außenpolitik im geteilten Deutschland, sondern die Diplomatie zwischen den deutschen Teilstaaten und deren Annäherung.
Das Buch ist eine Diplomatiegeschichte im alten Stil. Das Handeln weniger Politiker, insbesondere von Honecker, Schmidt und Breschnew, dann auch von Kohl und Gorbatschow, steht im Vordergrund. Gesellschaftliche Kräfte, wie Protestbewegungen und Oppositionsparteien, Wirtschaft, Kultur oder Medien, bleiben außen vor, obgleich auch sie die Politik und Annäherung beeinflussten. Lediglich am Ende berücksichtigt Meiers den Umgang der SED mit der Massenausreise und die Proteste im Herbst 1989.
Meiers ereignisgeschichtlicher Überblick ist mit zahllosen Zitaten gespickt und beruht ganz auf den Aussagen der Politiker. Gerade bei den Archivquellen liest sich das sehr anschaulich. Außen vor bleiben die durchaus vielfältigen kontroversen Deutungen der bisherigen Forschung zum Thema. Problematisch sind mitunter die vielen Zitate aus Memoiren, die kaum eingeordnet werden. Das gilt besonders für die Zeit um 1989, wo etwa Aussagen aus den Erinnerungen von Krenz, Kohl, Strauß und Genscher unkritisch übernommen werden.
Meiers' Buch zeigt, wie schwierig die Annäherung war und wie unterschiedlich die Motive. Seit Mitte der 1960er Jahre suchte Walter Ulbricht vorsichtig Kontakte zur Bundesrepublik, ebenso auch Kanzler Kurt Kiesinger. Ulbricht habe gehofft, dadurch den Sozialismus in Westdeutschland zu stärken, Kiesinger das Zusammenleben der Deutschen. Zur Frage, inwieweit bereits die große Koalition die Ostpolitik einleitete oder blockierte, positioniert sich Meiers nicht.
Als Reaktion auf Brandts Ostpolitik kündigte Ulbricht intern an, "eine neue Westpolitik zu machen, die sich gewaschen hat. Wir werden ihn zum Schwitzen bringen." Ulbricht hoffte, "die fortschrittlichen Kräfte in Westdeutschland zu aktivieren und bei ihnen einzudringen". Der Kreml verlangte jedoch Zurückhaltung und beharrte darauf, die völkerrechtliche Anerkennung der DDR zum Ausgangspunkt zu machen. Ulbricht hielt dennoch an seiner Kontaktoffensive fest, obgleich Breschnew ihn laut Überlieferung warnte, "ohne uns gibt es keine DDR". Auch nach dem Moskauer Vertrag bremste Breschnew Ulbricht aus und stimmte schließlich seiner Entlassung zu. Sein Nachfolger Erich Honecker versprach mehr Distanz zur Bundesrepublik.
Tatsächlich stoppte Moskau auch Honecker bei seiner Annäherung an die Bundesrepublik. Breschnew tadelte schon in den 1970er Jahren die wachsende Verschuldung der DDR im Westen, ebenso die Zunahme des Besuchsverkehrs. Im Krisenjahr 1979 sicherte Honecker der Moskauer Führung deshalb erneut zu, "das Entwicklungstempo der Beziehungen zur BRD zu verlangsamen". Auch Breschnews Nachfolger Tschernenko verlangte von Honecker mehr Härte gegenüber der Bundesrepublik und den Verzicht auf den von Honecker ersehnten Bonn-Besuch. Noch Gorbatschow verweigerte Honecker 1986 die Reise, da sich die Bundesrepublik "wie ein Lakai der USA" verhalte. Auch wenn dies grundsätzlich bekannt ist, verdeutlicht Meiers, wie unselbständig die Deutschlandpolitik der SED-Führung war.
Das galt umso mehr für die Sicherheitspolitik, insbesondere die Auf- und Abrüstung von Atomraketen. Hier stehen die Bundesregierung und ihr Umgang mit den beiden Supermächten im Vordergrund des Buches. Die US-Regierung blieb vor allem gegenüber Genschers Annäherung an die Sowjetunion misstrauisch. Dynamik brachte Gorbatschow in die Deutschlandpolitik. Ausführlich rekonstruiert Meiers die zögerliche Bonner Annäherung an Gorbatschow, die bereits Hermann Wentker minutiös analysierte. Ebenso deutlich wird, wie Honecker sich gegen diese Annäherung wehrte.
Kohl ging erst nach der Grenzöffnung in Ungarn in die deutschlandpolitische Offensive. Am 8. November betonte er, weitere Kredite erst nach grundlegenden politischen und wirtschaftlichen Reformen zu gewähren. Ebenso unterstrich Kohl immer wieder, dass die Ostdeutschen "in ihrer eigenen Heimat" bleiben sollten. Sein 10-Punkte-Programm zur Erreichung der deutschen Einheit löste bei Gorbatschow große Verärgerung aus, der auf die Zweitstaatlichkeit setzte. Auch den EG-Partnern ging dies zu weit.
Sehr detailliert wird der Verzicht auf Gewalt gegen die Proteste 1989 geschildert, der vor allem Krenz zugeschrieben wird. "Also hoch mit den Schlagbäumen", wird Honeckers Nachfolger für den 9. November zitiert, freilich aus seinen Memoiren. Die neue SED-Führung betonte, die Beziehungen zur Bundesrepublik "auf eine neue Stufe heben" zu wollen. Kohl agierte nun mit klaren Forderungen. Kurz vor Weihnachten forderte er für einen Sechs-Milliarden-Kredit für die DDR erfolgreich die Freilassung politischer Gefangener, das Ende der Visumpflicht und des Zwangsumtausches. In den Verhandlungen um die deutsche Einheit 1990, auch in den 2+4-Gesprächen, spielte selbst die gewählte DDR-Regierung keine Rolle mehr. Sie segnete nur ab, was die Bundesregierung mit Washington und Moskau auslotete.
Das Buch hinterlässt somit einen zwiespältigen Eindruck. Der große quellengestützte Überblick beeindruckt. Aber durch die Binnenperspektive auf die Aussagen weniger Politiker fehlt eine Einordnung von deren Handeln. Gerade bei einem so gut erforschten Thema wie der Deutschlandpolitik und dem politischen Weg zur deutschen Einheit ist das eigentümlich. Wenn etwa die Angebote von Kohl, Genscher und US-Außenminister Baker zitiert werden, "den Wirkungsbereich der NATO nicht auszudehnen", so hätte ein Blick in Mary Sarottes Studie hierzu gezeigt, dass dies nicht als verbindliches Angebot fixiert wurde, sondern nur kurz im Februar 1990 insbesondere von Genscher mündlich aufgebracht wurde. Immerhin rechtfertigt Putin mit diesen Zitaten seinen Krieg in der Ukraine. Und auch in Deutschland bleibt die Architektur der Einheit sicher noch lange ein umstrittenes, vielstimmiges Thema. FRANK BÖSCH
Franz-Josef Meiers: Außen- und Sicherheitspolitik im geteilten Deutschland: Eine Verflechtungsgeschichte
BeBra Wissenschaft Verlag, Berlin 2023, 720 S., 36,- Euro.
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