»Außer mir« - ein ambivalenter, undurchdringlicher Zustand, dessen Facetten bei »einem unserer besten Lyriker« (Peter von Becker) vollständig in seinen Assoziationen ausgeleuchtet, durchgespielt, neu kombiniert werden. Wenn es ein »Außer mir« gibt, muss auch ein »Außer dir« existieren: Spannt sich im Dazwischen der Raum, in dem Liebe möglich wird (»bis du wiederkommst bleib ich/vernarrt und lern dein alphabet«) - oder sich verfehlt (»wenn du mit mir fertig bist und/mich aus deinem leben trittst/dich längst mit einem andern triffst«)? Und wann ist, Mann oder Frau, »Außer sich«? Im Beklagen des »tagwerks« »im zerbrechlichsein ein trost/für den anfang der nacht«. Wie fühlt es sich an, »bei mir ohne mich« zu sein? »wenn der tod sich wie das leben/benimmt könnte ich mich selbst/abschaffen ...« »Außer mir« erspürt, in der hymnischen Feier der Sinne wie der psalmenhaften Verzweiflung über schwarze Bodenlosigkeit, subjektive Situationen wie objektive Gegebenheiten. Albert Ostermaiers neue Gedichte verbinden in gelassener Radikalität die Pole von Vorwärtsstürmen und Haltsuche bis in die Wortzwischenräume, sie pendeln genau dosiert zwischen Atemlosigkeit und reflexivem Herbeizitieren der dichterischen Tradition. Sie spüren im Gefühl die Abstraktion auf, platzieren neben expressiven Bildern meditative Betrachtungen, kurz: Sie handeln vom Höchsten und vom Tiefsten, Mittellagen existieren nicht, in immer neuen Bildern.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.11.2014Am Steuer des Sportwagens Lyrik
Die neuen Gedichte von Albert Ostermaier strotzen nur so vor PS. Doch wie steht es um die Verankerung dieser Lyrik in der Gegenwart? Denn Originalität allein kann ja auch schnell zur Masche werden.
Wenn sich der Rang eines Künstlers daran bemisst, ob er sich in einer unverwechselbaren Sprache einem elementaren Thema widmet, dann hat der Dramatiker und Lyriker Albert Ostermaier längst den Olymp deutschsprachiger Autoren erklommen. In atemberaubender Produktivität lotet er in seinen mehr als ein Dutzend Gedichtbänden die Gefühlswelt des zwischen Verzweiflung und Selbstbehauptung schwankenden Subjekts aus. Seit seinem 1988 erschienenen Debüt "Verweigerung der Himmelsrichtung", aus dem noch so spröde politische Interventionen wie "mogadischu irgendwann im februar" herausragten, schreibt Ostermaier konsequent über Liebe und Sexualität. Ohne sich zu verzärteln, siedelt er seine Gedichte gezielt zwischen "hard core und softporn" an, wobei Ostermaier den ersten der beiden Pole programmatisch zum "heartcore" (1989) und damit das Herz zum Gefühls- und Poesiezentrum gleichermaßen ernannt hat.
Ostermaiers neuer Gedichtband "Außer mir" schließt nahtlos an seine vorherigen Arbeiten an. Von seinen insgesamt acht Kapiteln unterwerfen sich fünf bedingungslos der Tyrannei der Intimität und steigen in die dunklen Niederungen des Subjekts hinab und schildern abschließend verschiedene Trennungsszenarien.
Die Auslotung des Emotionalen, aus der selbst die minnetauglichen Heldenlieder seiner punktgenau zur diesjährigen Weltmeisterschaft erschienenen Fußballoden nicht herausfielen, ist bei Ostermaier seit "umWaelZTOn" (1989) von einer Erkenntnis durchdrungen: dass jede Erfahrung medial vermittelt ist, dass sich kein Ausdruck großer Gefühle mehr von jenen Sprachschablonen lossagen kann, welche durch Filme, Romane oder Dramen in das kollektive Gedächtnis wie in das subjektive Empfinden eingedrungen sind. Ostermaier hat daraufhin die Not zur Tugend gemacht und arbeitet die eingängigen Zitate der Liebesklassiker in seine Gedichte ein.
Seine Montagetechnik zeigt sich bereits am ersten Gedicht des neuen Bandes, das die eindringlichen Liebesdialoge von Louis Malles "Les Amants" einspielt. Gerade weil die Zeilen inzwischen Patina angesetzt haben, eignen sie sich, um sie wie verblichenes Silber zu neuem Glanz aufzupolieren. Ostermaiers Liebeslyrik trägt insofern die Züge einer Popästhetik, als sie den Originalitätsgestus vermeintlich genialer Autorschaft ausschlägt und die angebliche Grenze zwischen Unterhaltungs- und ernsthafter Literatur längst überbrückt hat. Sie bezieht ihr Material ebenso von Shakespeare und Schiller wie von Grönemeyer oder Richard Fleischers Kino-Dystopie "Soylent Green".
Im vierten und fünften Kapitel von "Außer mir" allerdings wächst sich die Reinszenierung bekannter Vorlagen zu Rollengedichten aus, in denen Ostermaier erst dem Personal von Tennessee Williams' "Die Katze auf dem heißen Blechdach", dann den Figuren von Shakespeares "Kaufmann von Venedig" Verse in Herz und Bewusstsein implantiert. Da die Gedichte den Figuren keine neuen Facetten abgewinnen, hinken sie den Originalen bildungsbeflissen hinterher. Hingegen leiden jene Texte, die Ostermaier im siebten Kapitel versammelt, an einer Art Phantomschmerz. Es handelt sich um Arbeiten, die er im Dialog mit Fotografien von Christopher Thomas bereits 2012 in einem aufwendig gestalteten Bildband publiziert hat. Jetzt aber fehlen den Gedichten spürbar Thomas' merkwürdig lichtscheue Fotografien, auf denen sich ein menschenverlassenes, vom Tourismus reingewaschenes Venedig am frühen Morgen aus dem von der Langzeitbelichtung glattgestrichenen Lagunengewässer zu erheben scheint.
Wenn Ostermaier in "Außer mir" überzeugt, dann als Liebeslyriker. Als solcher hat er seine Techniken inzwischen bis zur Perfektion verfeinert. Seine Gedichte setzen ein, indem sie die poetische Energie eines bekannten Denkmusters, Sprichwortes oder Bildes mit Hilfe einer minimalen Veränderung freisetzen. Charakteristische Eröffnungsverse lauten etwa: "totgesagte lieben länger" oder "je tiefer man sich in die grube / gräbt desto stiller wird es". Goethes "es schlug mein Herz" wird "verdreht" - so der Titel des Gedichts - zum konfrontativen Herz- und Faustschlaghybrid: "mein herz schlägt / dir ins gesicht".
Aus solchen Ver(s)drehungen, die Ostermaier mit seinem Gedichtband "Herz Vers Sagen" (1995) zum Markenzeichen gemacht hat, entfaltet sich der Fortgang des Gedichts. Obwohl in "verdreht" der folgende Vers behauptet "mich kannst du vergessen / meine liebe vergisst du / nicht" und somit die Liebe gegenüber dem Subjekt ausspielt, bildet dennoch das "ich" das Gravitationszentrum des Gedichts. Im "gesicht" des zweiten Verses mag es noch verborgen liegen, im "mich" wird es bereits in die Aussage des sprechenden Subjekts überführt, um anschließend zur klangliche Elementareinheit zu avancieren: "denn mein herz / hat nen stich / wie ich und sticht / bevor es bricht und dir / das letzte mal ganz und / gar mit haut und haar / aus dem herzen spricht."
Aus den phonetischen Einheiten entsteht der Ego-Sound nicht nur dieser Verse. Denn Ostermaier hat nicht nur eine Vorliebe für die Arbeit mit dem Klang, sondern inszeniert bevorzugt Dialoge zwischen einem von Liebe entflammten Subjekt und einem mal angeschmachteten, mal beschenkten, mal erniedrigten, mal bedrohlichen "Du". Fluchtpunkt dieser Liebeslyrik ist die Hoffnung, in der höchsten Intensität gemeinsamen Fühlens den anderen und sich selbst zu finden. Der Titel des Bandes "Außer mir" gibt vor, die Intensität lasse sich bis zum Exzess steigern. Da er zudem mit der Überschrift des ersten Kapitels, auch "Außer mir", korrespondiert, suggeriert er, eine Verschmelzung im Exzentrischen sei möglich.
Pathos und Dringlichkeit bestimmen die Gedichte. Auf filigrane Sprachakrobatik, grüblerische Sprachskepsis kommt es nicht an. Rauh, hart, Schlag auf Schlag, zielt Ostermaiers Lyrik auf das Ganze. Bei ihm ist die Liebe noch Duell, und es zählen noch die alten Revolverheldenstereotypen: "dein magazin des glücks / war schnell leer dein herz / entsichert und alles verschossen".
Entsichert ist auch die Sprache. Konsequente Kleinschreibung, Verzicht auf Satzzeichen, starke Rhythmisierung, harter Zeilenbruch, das Anschmiegen des Schriftlichen an die gesprochene Sprache sollen die Lektüre in einen Flow überleiten. Mögen die einzelnen Versatzstücke der Verse montiert sein, am Ende sollen sie überwältigen: "pur und ungeschnitten / raw und uncut fuck / direkt in dein hirn hinein". Der ideale Ostermaier-Satz jagt mit den PS eines Sportwagens durch die Zeilen; das Bedeutungsverdeck seiner Wörter offen, trägt er seinen Anglizismus lässig wie eine Ray-Ban-Sonnenbrille. Für distinktionsbewusste Intensitätsanbeter ist Ostermaier mit dieser Poetik zum Liebling ihrer Herzen geworden. Deren Sprache inszeniert er wie kein Zweiter.
Warum selbst bei Ostermaiers Liebeslyrik ein Unbehagen bleibt, liegt weder am viel gescholtenen Rückgriff auf (männliche) Klischees noch an der angeblichen Oberflächlichkeit seiner Dichtung. Vielmehr arbeitet Ostermaier mit der Vorstellung, Poesie befähige zum Ausdruck von Empfindungen, die außerhalb des Gedichts unsagbar blieben. Und er führt die romantische Liebe als Heilmittel gegen die Krise des modernen Subjekts ins Feld. Das entspricht der Lyrik-, Liebes- und Sprachauffassung, wie sie der junge Goethe mit poetischem Furor evozierte und Hegel sie in seiner "Ästhetik" philosophisch untermauerte. Diese Positionen mögen heute noch populär sein, in den vergangenen zweihundert Jahren sind dennoch gut begründete Zweifel an ihnen aufgekommen.
Albert Ostermaier ignoriert diese Kritik. Er gibt sich einerseits postmodern, bleibt andererseits aber in der Zeit um 1800 hängen. Ob es nicht möglich wäre, diesen Spagat aufzulösen, um mit beiden Beinen im Jetzt zu stehen, bleibt auch nach seinem jüngsten Gedichtband offen.
CHRISTIAN METZ
Albert Ostermaier: "Außer mir". Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 198 S., geb., 21,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die neuen Gedichte von Albert Ostermaier strotzen nur so vor PS. Doch wie steht es um die Verankerung dieser Lyrik in der Gegenwart? Denn Originalität allein kann ja auch schnell zur Masche werden.
Wenn sich der Rang eines Künstlers daran bemisst, ob er sich in einer unverwechselbaren Sprache einem elementaren Thema widmet, dann hat der Dramatiker und Lyriker Albert Ostermaier längst den Olymp deutschsprachiger Autoren erklommen. In atemberaubender Produktivität lotet er in seinen mehr als ein Dutzend Gedichtbänden die Gefühlswelt des zwischen Verzweiflung und Selbstbehauptung schwankenden Subjekts aus. Seit seinem 1988 erschienenen Debüt "Verweigerung der Himmelsrichtung", aus dem noch so spröde politische Interventionen wie "mogadischu irgendwann im februar" herausragten, schreibt Ostermaier konsequent über Liebe und Sexualität. Ohne sich zu verzärteln, siedelt er seine Gedichte gezielt zwischen "hard core und softporn" an, wobei Ostermaier den ersten der beiden Pole programmatisch zum "heartcore" (1989) und damit das Herz zum Gefühls- und Poesiezentrum gleichermaßen ernannt hat.
Ostermaiers neuer Gedichtband "Außer mir" schließt nahtlos an seine vorherigen Arbeiten an. Von seinen insgesamt acht Kapiteln unterwerfen sich fünf bedingungslos der Tyrannei der Intimität und steigen in die dunklen Niederungen des Subjekts hinab und schildern abschließend verschiedene Trennungsszenarien.
Die Auslotung des Emotionalen, aus der selbst die minnetauglichen Heldenlieder seiner punktgenau zur diesjährigen Weltmeisterschaft erschienenen Fußballoden nicht herausfielen, ist bei Ostermaier seit "umWaelZTOn" (1989) von einer Erkenntnis durchdrungen: dass jede Erfahrung medial vermittelt ist, dass sich kein Ausdruck großer Gefühle mehr von jenen Sprachschablonen lossagen kann, welche durch Filme, Romane oder Dramen in das kollektive Gedächtnis wie in das subjektive Empfinden eingedrungen sind. Ostermaier hat daraufhin die Not zur Tugend gemacht und arbeitet die eingängigen Zitate der Liebesklassiker in seine Gedichte ein.
Seine Montagetechnik zeigt sich bereits am ersten Gedicht des neuen Bandes, das die eindringlichen Liebesdialoge von Louis Malles "Les Amants" einspielt. Gerade weil die Zeilen inzwischen Patina angesetzt haben, eignen sie sich, um sie wie verblichenes Silber zu neuem Glanz aufzupolieren. Ostermaiers Liebeslyrik trägt insofern die Züge einer Popästhetik, als sie den Originalitätsgestus vermeintlich genialer Autorschaft ausschlägt und die angebliche Grenze zwischen Unterhaltungs- und ernsthafter Literatur längst überbrückt hat. Sie bezieht ihr Material ebenso von Shakespeare und Schiller wie von Grönemeyer oder Richard Fleischers Kino-Dystopie "Soylent Green".
Im vierten und fünften Kapitel von "Außer mir" allerdings wächst sich die Reinszenierung bekannter Vorlagen zu Rollengedichten aus, in denen Ostermaier erst dem Personal von Tennessee Williams' "Die Katze auf dem heißen Blechdach", dann den Figuren von Shakespeares "Kaufmann von Venedig" Verse in Herz und Bewusstsein implantiert. Da die Gedichte den Figuren keine neuen Facetten abgewinnen, hinken sie den Originalen bildungsbeflissen hinterher. Hingegen leiden jene Texte, die Ostermaier im siebten Kapitel versammelt, an einer Art Phantomschmerz. Es handelt sich um Arbeiten, die er im Dialog mit Fotografien von Christopher Thomas bereits 2012 in einem aufwendig gestalteten Bildband publiziert hat. Jetzt aber fehlen den Gedichten spürbar Thomas' merkwürdig lichtscheue Fotografien, auf denen sich ein menschenverlassenes, vom Tourismus reingewaschenes Venedig am frühen Morgen aus dem von der Langzeitbelichtung glattgestrichenen Lagunengewässer zu erheben scheint.
Wenn Ostermaier in "Außer mir" überzeugt, dann als Liebeslyriker. Als solcher hat er seine Techniken inzwischen bis zur Perfektion verfeinert. Seine Gedichte setzen ein, indem sie die poetische Energie eines bekannten Denkmusters, Sprichwortes oder Bildes mit Hilfe einer minimalen Veränderung freisetzen. Charakteristische Eröffnungsverse lauten etwa: "totgesagte lieben länger" oder "je tiefer man sich in die grube / gräbt desto stiller wird es". Goethes "es schlug mein Herz" wird "verdreht" - so der Titel des Gedichts - zum konfrontativen Herz- und Faustschlaghybrid: "mein herz schlägt / dir ins gesicht".
Aus solchen Ver(s)drehungen, die Ostermaier mit seinem Gedichtband "Herz Vers Sagen" (1995) zum Markenzeichen gemacht hat, entfaltet sich der Fortgang des Gedichts. Obwohl in "verdreht" der folgende Vers behauptet "mich kannst du vergessen / meine liebe vergisst du / nicht" und somit die Liebe gegenüber dem Subjekt ausspielt, bildet dennoch das "ich" das Gravitationszentrum des Gedichts. Im "gesicht" des zweiten Verses mag es noch verborgen liegen, im "mich" wird es bereits in die Aussage des sprechenden Subjekts überführt, um anschließend zur klangliche Elementareinheit zu avancieren: "denn mein herz / hat nen stich / wie ich und sticht / bevor es bricht und dir / das letzte mal ganz und / gar mit haut und haar / aus dem herzen spricht."
Aus den phonetischen Einheiten entsteht der Ego-Sound nicht nur dieser Verse. Denn Ostermaier hat nicht nur eine Vorliebe für die Arbeit mit dem Klang, sondern inszeniert bevorzugt Dialoge zwischen einem von Liebe entflammten Subjekt und einem mal angeschmachteten, mal beschenkten, mal erniedrigten, mal bedrohlichen "Du". Fluchtpunkt dieser Liebeslyrik ist die Hoffnung, in der höchsten Intensität gemeinsamen Fühlens den anderen und sich selbst zu finden. Der Titel des Bandes "Außer mir" gibt vor, die Intensität lasse sich bis zum Exzess steigern. Da er zudem mit der Überschrift des ersten Kapitels, auch "Außer mir", korrespondiert, suggeriert er, eine Verschmelzung im Exzentrischen sei möglich.
Pathos und Dringlichkeit bestimmen die Gedichte. Auf filigrane Sprachakrobatik, grüblerische Sprachskepsis kommt es nicht an. Rauh, hart, Schlag auf Schlag, zielt Ostermaiers Lyrik auf das Ganze. Bei ihm ist die Liebe noch Duell, und es zählen noch die alten Revolverheldenstereotypen: "dein magazin des glücks / war schnell leer dein herz / entsichert und alles verschossen".
Entsichert ist auch die Sprache. Konsequente Kleinschreibung, Verzicht auf Satzzeichen, starke Rhythmisierung, harter Zeilenbruch, das Anschmiegen des Schriftlichen an die gesprochene Sprache sollen die Lektüre in einen Flow überleiten. Mögen die einzelnen Versatzstücke der Verse montiert sein, am Ende sollen sie überwältigen: "pur und ungeschnitten / raw und uncut fuck / direkt in dein hirn hinein". Der ideale Ostermaier-Satz jagt mit den PS eines Sportwagens durch die Zeilen; das Bedeutungsverdeck seiner Wörter offen, trägt er seinen Anglizismus lässig wie eine Ray-Ban-Sonnenbrille. Für distinktionsbewusste Intensitätsanbeter ist Ostermaier mit dieser Poetik zum Liebling ihrer Herzen geworden. Deren Sprache inszeniert er wie kein Zweiter.
Warum selbst bei Ostermaiers Liebeslyrik ein Unbehagen bleibt, liegt weder am viel gescholtenen Rückgriff auf (männliche) Klischees noch an der angeblichen Oberflächlichkeit seiner Dichtung. Vielmehr arbeitet Ostermaier mit der Vorstellung, Poesie befähige zum Ausdruck von Empfindungen, die außerhalb des Gedichts unsagbar blieben. Und er führt die romantische Liebe als Heilmittel gegen die Krise des modernen Subjekts ins Feld. Das entspricht der Lyrik-, Liebes- und Sprachauffassung, wie sie der junge Goethe mit poetischem Furor evozierte und Hegel sie in seiner "Ästhetik" philosophisch untermauerte. Diese Positionen mögen heute noch populär sein, in den vergangenen zweihundert Jahren sind dennoch gut begründete Zweifel an ihnen aufgekommen.
Albert Ostermaier ignoriert diese Kritik. Er gibt sich einerseits postmodern, bleibt andererseits aber in der Zeit um 1800 hängen. Ob es nicht möglich wäre, diesen Spagat aufzulösen, um mit beiden Beinen im Jetzt zu stehen, bleibt auch nach seinem jüngsten Gedichtband offen.
CHRISTIAN METZ
Albert Ostermaier: "Außer mir". Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 198 S., geb., 21,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Christian Metz freut sich über Albert Ostermaiers neuen Gedichtband "Außer mir", der ihm einmal mehr das ganze Talent des Lyrikers und Dramatikers beispielhaft vor Augen führt. Der Kritiker liest gebannt und ergriffen die Verse Ostermaiers, die sich erneut durch außergewöhnliche Intimität und Emotionalität auszeichnen und das gegen die Verzweiflung kämpfende Subjekt poetisch porträtieren. Hingerissen zeigt sich Metz auch von der Montagetechnik des Dichters, der popästhetische Versatzstücke ebenso einzubinden weiß Anlehnungen an Tennessee Williams, Shakespeare oder Goethe, aus dessen "es schlug mein Herz" bei Ostermaier "mein herz schlägt / dir ins gesicht" wird. Während die lyrischen Stücke, die Ostermaier bereits vor zwei Jahren mit den Fotografien Christopher Thomas' veröffentlichte, hier - ohne das Bildmaterial - leider nur halb so überzeugend wirken, bedenkt der Rezensent die Liebeslyrik des Dichters mit viel Lob: Hier wird "poetische Energie" freigesetzt, so Metz, der sich gern von den nahezu "exzessiv", intensiv und radikal liebestrunkenen Stücken mitreißen lässt, Ostermaier für die Zukunft allerdings wünscht, ein wenig mehr im "Jetzt" anzukommen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Pathos und Dringlichkeit bestimmen die Gedichte. Auf filigrane Sprachakrobatik, grüblerische Sprachskepsis kommt es nicht an. Rauh, hart, Schlag auf Schlag, zielt Ostermaiers Lyrik auf das Ganze.« Christian Metz Frankfurter Allgemeine Zeitung 20141115