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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Jenseits der Erwartungen: Janko Polic Kamovs kroatischer Romanklassiker "Austrocknen"
Am Rande Europas, zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, entsteht in Kroatien ein Roman von einem großen Unbekannten der Weltliteratur, Janko Polic Kamov. Der Kroate war zwanzig Jahre alt, als er 1906 seinen einzigen Roman begann, den er drei Jahre später vollendete. Noch keine vierundzwanzig Jahre alt, erkrankte Kamov 1910 in Barcelona, wurde dort in ein Armenhospital eingeliefert, starb und fand seine letzte Ruhe anonym in einem Massengrab. Ein großes literarisches Talent verschwand sang- und klanglos von der Bildfläche.
"Austrocknen" erschien erstmals 1956 im Rahmen einer vierbändigen Werkausgabe in seiner Heimat, und fast weitere siebzig Jahre hat es gebraucht, bis dieser avantgardistische Roman nun in deutscher Übertragung vorliegt - ein hohes Verdienst des Guggolz-Verlags und seiner Übersetzerin Brigitte Döbert. Diese hat eine Mammutarbeit gemeistert. In einem Aufsatz in "Literarisches Übersetzen" merkt sie an: "Janko Polic Kamov findet Metaphern, die dem Erwartungshorizont total zuwiderlaufen. Er entwickelt eine Logik, die sich gegen geläufige Schlussfolgerungen wendet. Er baut sperrige, ungenießbare Sätze mit möglichst viel Ekelpotenzial, die er seinen Zeitgenossen ins Gesicht spuckt."
Zu Lebzeiten Kamovs erschienen zwei Bände Gedichte und zwei Bände Dramen. Der Dichter war ein enfant terrible seiner Zeit, er war Rebell und Anarchist, er war Avantgardist, Existenzialist, Futurist, Surrealist; man nannte ihn den "Ritter des schwarzen Schimpfworts", den Dichter des Ekels und des Asphalts. Wie heißt es in seinem Roman? "Es lebe die Gosse."
Kamov erzählt, reflektiert, lästert über das Leben eines jungen Mannes, Arsen Toplak, der sich verzweifelt durch die Welt schlägt, der beim Schreiben immer wieder scheitert und seine Umgebung impertinent provoziert. Ebenso wie der Autor selbst, der seinen Protagonisten eng an die eigene Biographie angelehnt hat. Gleich der erste Satz des Romans ist ein eindrucksstarker Auftakt: "In einem grünlich gespülten Fläschchen schickte Arsen seinem Arzt Speichel zur Analyse. Er hatte sich einen Lungenkatarrh eingehandelt und hustete jeden Tag Dutzende gelber Schleimbrocken ab. Arsen verglich sie mit Korallen oder Schwämmen, ihrer Struktur wegen. Und die Farbe brachte er mit Kanarienvögeln oder Polenta in Verbindung. Er maß all dem keine besondere Bedeutung bei und hatte sich schon mit dem Gedanken abgefunden, dass es ein chronischer Katarrh war, den auch die Frühlingssonne nicht austrocknen würde."
Der Romantitel im kroatischen Original bedeutet "ausgetrocknetes Schlammloch", "trockengelegter Sumpf". Aber es war kein Katarrh, sondern Tuberkulose, an der Arsen - ebenso wie der Autor - litt. Kamov wurde 1886 als dreizehntes von vierzehn Kindern in eine begüterte Kaufmannsfamilie in Susak, einer Siedlung nahe Rijeka, geboren. Zwei seiner Geschwister starben ebenfalls an Tuberkulose, acht verloren insgesamt zu seinen Lebzeiten ihr Leben, ebenso die Eltern. Kamovs und Arsens Blick auf die Welt ist von Toden umstellt, ist verschattet und düster.
Arsen sucht in der Exaltation einen Ausweg oder auch eine Zuflucht: "Ich bin eine Art Ungeziefer. Sauberkeit bringt mich um. Im Gestank geboren, im Gestank gelebt, frische Luft wäre mein Tod (. . .). Vor ihm stand wie gedruckt: Unzucht, Sauereien, Ächtung und Leid: alles Formen von Scham und Entzücken!!! (. . .) Bazillus in der Lunge, Umsturz in den Gedanken, Absurdität in den Gefühlen, Perversität im Geschlechtlichen . . . Ich bin körperlich ein Melancholiker, intellektuell ein Lump und psychologisch ein Spekulant."
Arsen flieht die Enge Kroatiens, er reist mehrfach nach Italien, vor allem nach Rom, wo er bittersten Hunger und Armut erleidet, kehrt immer wieder zurück in die kroatische Provinz, dort hat er Freunde, leben eine seiner Schwestern und ein Bruder, der ihn finanziell über Wasser hält. Die Familie ist Hort der Geborgenheit, und gleichzeitig wirft Arsen zum Beispiel seiner Mutter vor, dass sie nie einen Ehebruch begangen, sich nie aus den Fesseln der Ehe gelöst habe. Für sich selbst bekennt er: "Wie oft habe ich mir gewünscht, ich wäre ein uneheliches Kind, wäre illegitim von Geburt an! Meine Legitimität quält mich, sie ist einfach scheußlich! Wäre doch meine Herkunft unklar, wäre ich doch völlig ungebunden, wäre meine Vergangenheit so schwarz wie meine Seele. Schwarz wie die Seele . . . Dann wäre ich in diesem Land frei . . . So aber packt mich der unbändige Wunsch abzuhauen, weit weg, in andere Länder, zu andren Völkern, zu Menschen, die nicht wissen, woher ich komme, wer ich bin, was ich bin."
Kamov schickt seinen Antihelden kreuz und quer durch alle Niederlagen des Lebens, am besten lässt sich diese Existenz durch totalen Suff und hemmungslose Hurerei ertragen. Dabei entwickelt der Autor eine faszinierende Wortgewalt. Alles ist drastisch und auch derb. Ganz versteckt sind leise, poetische Töne zu vernehmen, so wie alles bei Kamov voller Gegensätze und Widersprüche verläuft. Als Jugendlicher gehörte er - wie auch Arsen im Roman - einem anarchistischen Zirkel an, wollte das von den Ungarn beherrschte Kroatien durch Bomben in die Luft jagen, sich selbst gab er einen alttestamentarischen Zusatznamen, Kamov, benannt nach dem Sohn Noahs, Cham, der den Vater volltrunken und nackt gesehen hatte, ihn nicht bedeckte und deshalb vom Vater später verstoßen wurde. Einst war Kamov tiefgläubiger Katholik, dann konvertierte er zum Atheismus, blieb aber, wie der Schriftsteller Miljenko Jergovic in seinem vorzüglichen Nachwort schreibt, "ein atheistischer Bibelfan". Wenig passt bei Kamov zusammen, mit Urgewalt bricht er mit "Austrocknen" alle Konventionen des Romans, und das vor James Joyce und Italo Svevo, deren Werke später erschienen, obwohl Kamov gern mit diesen Schriftstellern verglichen wird. Das ist vielleicht ein verspäteter Versuch, die so lange anhaltende Ignoranz gegenüber diesem phänomenalen Vorboten der Avantgarde aufzupolieren.
Janko Polic Kamov hat das nicht nötig. Sein Roman überzeugt durch die ungezügelte Sprengkraft seiner Sprache und die Bildkraft seiner Metaphern. Im Übrigen teilt er den Lesern mit: "Mein Leben ist überhaupt nicht gerade verlaufen, sondern voller Brüche und Aufs und Abs." Gewissheit gibt es bei Kamov nicht, wer sich auf ihn einlässt, begibt sich in ein phantastisches, herausforderndes Leseabenteuer. LERKE VON SAALFELD
Janko Polic Kamov: "Austrocknen". Roman.
Aus dem Kroatischen von Brigitte Döbert. Nachwort von Miljenko Jergovic. Guggolz Verlag, Berlin 2024.
482 S., geb., 28,- Euro.
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