Studienarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Geschichte Europas - Mittelalter, Frühe Neuzeit, Note: 2,3, Freie Universität Berlin, Veranstaltung: Autobiographisches Schreiben im 17. Jahrhundert, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Individuen der Frühen Neuzeit waren – auch im Vergleich zu heutigen Verhältnissen – sehr stark eingebunden in eine Art Kollektiv, welches sich durchaus identitätsstiftend auf das Leben und Handeln der einzelnen sozialen Akteure auswirkte, wobei dieses Kollektiv keineswegs als ein einheitliches verstanden werden darf. Vielmehr haben wir es hier mit einem überaus vielschichtigen und partikularen System zu tun, welches selbst mannigfachen Einflüssen unterworfen war und das selbst aus mehreren, parallel existierenden kleineren Sozialverbänden bestand. Dieses soziale Netzwerk setzte sich zusammen aus der Familie im engeren Sinne, einer eventuell vorhandenen Hausgemeinschaft (also Angestellte, Bedienstete etc.), und dem weiteren sozialen Umfeld wie Nachbarn, Dorf- oder Bürgergemeinschaft, Freunden, Zünften, Berufsvereinigungen und anderen Gemeinschaften. Innerhalb dieses sozialen Kontextes gewann Solidarität, oder auch „Geselligkeit“ eine gleichsam existenzielle Bedeutung. Der Verlust eines solchen Netzwerkes kam einer gesellschaftlichen Marginalisierung gleich, einem sozialen und wirtschaftlichen an-den-Rand-gedrängt-werden, das u.U. im totalen Ruin enden konnte, wie an Augustin Güntzers Autobiographie mehr als deutlich wird. Grundlage dieser frühneuzeitlichen Lebensform war dabei die Ehre, also das symbolische Kapital, welches mitunter sogar wichtiger als das materielle Kapital sein konnte – ja, die finanzielle Situation eines Menschen hing teilweise sogar von ihr ab. Bestimmender Maßstab war die Ehrenhaftigkeit des Handelns, oft zwar nur implizit, aber unehrenhaftes oder ehrenwidriges Agieren hatte in der Regel Sanktionen zur Folge und zwar auf sozialer Ebene. Ehre kann also durchaus als Mittel zur Herstellung von Solidarität und damit auch zur sozialen Absicherung gesehen werden, wie im weiteren Verlauf noch zu sehen sein wird. Darüber hinaus spielte im 17. Jahrhundert die Konfessionalität bei diesen Netzwerken eine große Rolle, wie Güntzers Autobiographie mehr als deutlich zeigt. Anhand des „Kleinen Biechlin vom meinem gantzen Leben“ lässt sich die Vielschichtigkeit der Sozialverbände in der FNZ und die Faktoren, denen sie unterworfen waren, gut erkennen. Im Laufe dieser Arbeit soll also genauer untersucht werden, wie diese komplexen Sozialverbände der Frühen Neuzeit aufgebaut waren, welche Einflüsse auf sie einwirkten und welche Konsequenzen sich für die jeweiligen Individuen daraus ergaben. (...)