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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Berit Glanz hat mit ihrem Roman "Automaton" das Gegenmodell einer literarischen Dystopie geschrieben.
Beta hieß die Protagonisten aus Berit Glanz' Debütroman "Pixeltänzer" aus dem Jahr 2019, der die gegenwärtige Start-up-Welt mit der Kunstszene der Weimarer Republik verbindet und unter anderem für den Aspekte-Literaturpreis nominiert war. Tiff - ähnlich wie die Bezeichnung des digitalen Bildformats - lautet nun der Name der Hauptfigur aus "Automaton", dem jüngsten Roman der 1982 geborenen Glanz, der in den vergangenen Jahren als Autorin, Literaturwissenschaftlerin an der Universität Greifswald und Redakteurin des Onlinefeuilletons "54books" einige Aufmerksamkeit zuteilgeworden ist.
Schon dieses zwischen Analogem und Digitalem aufgespannte Portfolio mag als Hinweis darauf dienen, dass ein naheliegender Schluss aus den Figurennamen ein verkürzter, weil allzu einseitiger sein könnte - dass nämlich die technische Sphäre nicht nur die Lebenswelt der Figuren, sondern gleichsam deren Körper durchdrungen habe und dies eben, wie es Vertreter der Kritik der instrumentellen Vernunft oder der Postmoderne wie etwa der französische Philosoph Paul Virilio beschworen, mit ausschließlich unheilvoller Perspektive. Ähnlich scheint es um die Funktion der Kapitelüberschriften in "Automaton" bestellt: Obgleich sie zum einen lateinische Bezeichnungen aus Flora und Fauna tragen, zum anderen Begriffe aus Baumkunde und Holzfällerhandwerk, wird hier zwar eine vermeintlich heile, ursprüngliche Gegenwelt benannt, aber nicht, um die andere Seite (jene des technischen Fortschritts) als vollends dem Untergang geweiht zu begreifen.
Versehrt durch ihre Arbeit als Content-Cleanerin ist die alleinerziehende Tiff allerdings sehr wohl. Nachdem sie in ihrem Job über Wochen hinweg im Akkord verstörende Bilder prüfen und aus dem Netz hat entfernen müssen, leidet sie an einer Angststörung, die ihr die alltäglichsten Verrichtungen - den Einkauf, den Weg zum Kindergarten, überhaupt das Verlassen der Wohnung - zu kaum zu bewältigenden Herausforderungen hat werden lassen. Was den Nutzern nicht zugemutet werden sollte, hat sich in Tiffs Psyche schmerzhaft eingeschrieben. Ein Auffangnetz findet sie in der Nachbarschaft: durch den zwar nur sporadisch anwesenden, aber sie regelmäßig auch finanziell unterstützenden Mikael und durch eine ältere Mieterin, die als Ersatz-Oma beherzt einspringt, wenn der Besuch eines Kindergartenfestes Tiff vor Angst lähmt. Solidarität in der analogen Sphäre, Destruktivität im digitalen Raum? Ja, aber eben auch in dieser Hinsicht gilt: Ganz so pauschal verhält es sich, jedenfalls bei Glanz, nicht.
Auch im zweiten, in den Vereinigten Staaten angesiedelten Handlungsstrang des Romans schildert Berit Glanz prekäre Arbeitsverhältnisse, in denen Arbeitende miserablen Strukturen oder der Willkür von Leitungsfiguren ausgesetzt sind. Stella, die Protagonistin dieser Episoden, musste sich früher in einer Fischfabrik und auf einer Hanfplantage verdingen und dabei erleben, dass es mit dem Zusammenhalt unter Beschäftigten nicht weit her war, sondern man sich durchaus auch gegenseitig um den hart verdienten Lohn brachte, vom gemeinsamen Aufbegehren gegen die Erwerbsbedingungen ganz zu schweigen. Stella betreibt nun, womöglich als Reaktion auf das Erlebte, eine Suppenküche für Bedürftige.
Verbunden werden die beiden Handlungsstränge des Romans durch einen neuen Klick-Job, den Tiff annehmen muss, ebenfalls zu Niedriglohn, wenngleich weniger zermürbend als die Tätigkeit als Content-Cleanerin, sowie durch einen kriminalistischen Dreh, den Glanz ihrem Roman gibt. Während Tiff, angeblich für die Entwicklung einer Sicherheits-KI, in der Regel ereignisarme Aufnahmen von Überwachungskameras auswerten muss, meint sie auf ein Verbrechen, mindestens aber Unglück zu stoßen: Ein obdachloser Mann, den sie immer wieder in den Überwachungsvideos sieht, verschwindet, sein Hund bleibt offenkundig verstört zurück. Die Verbindung zur Suppenküche und zum zweiten Handlungsstrang mag an dieser Stelle auf der Hand liegen.
Unterstützt von den Billiglohn-Kollegen der KI-Firma, die in aller Welt sitzen und unter denen sich über die Chatfunktion eine Art freundschaftliches Miteinander entwickelt hat, macht sich Tiff auf die Suche nach dem Verschwundenen. In dieser digitalen Gemeinschaft Gleichgesinnter - und gleich Benachteiligter - setzt sich die junge Frau erstaunlich angstfrei und ohne zu zaudern, über die harschen Reglementierungen des Auftraggebers hinweg, etwa was das Teilen von Inhalten angeht. Eine Schwarmaktion für die gute Sache, in der technisches und menschliches Potential zusammenkommen.
Und so lässt sich "Automaton" lesen als ein Widerspruch gegen einen in der Technikkritik verbreiteten Fatalismus, wie er sich in der Kontraproduktivitätsthese niedergeschlagen hat, der zufolge technische und ethische Kompetenz zwangsläufig auseinanderfallen. Auch aus einer allzu einseitigen und voraussehbaren Dystopie-Dramaturgie bricht Berit Glanz damit aus. Angesichts dieses Muts zum Optimismus mag man darüber hinwegsehen, dass "Automaton" sprachlich kaum zu überraschen vermag. WIEBKE POROMBKA.
Berit Glanz: "Automaton". Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2022.
288 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Berit Glanz hat mit ihrem Roman "Automaton" das Gegenmodell einer literarischen Dystopie geschrieben.
Beta hieß die Protagonisten aus Berit Glanz' Debütroman "Pixeltänzer" aus dem Jahr 2019, der die gegenwärtige Start-up-Welt mit der Kunstszene der Weimarer Republik verbindet und unter anderem für den Aspekte-Literaturpreis nominiert war. Tiff - ähnlich wie die Bezeichnung des digitalen Bildformats - lautet nun der Name der Hauptfigur aus "Automaton", dem jüngsten Roman der 1982 geborenen Glanz, der in den vergangenen Jahren als Autorin, Literaturwissenschaftlerin an der Universität Greifswald und Redakteurin des Onlinefeuilletons "54books" einige Aufmerksamkeit zuteilgeworden ist.
Schon dieses zwischen Analogem und Digitalem aufgespannte Portfolio mag als Hinweis darauf dienen, dass ein naheliegender Schluss aus den Figurennamen ein verkürzter, weil allzu einseitiger sein könnte - dass nämlich die technische Sphäre nicht nur die Lebenswelt der Figuren, sondern gleichsam deren Körper durchdrungen habe und dies eben, wie es Vertreter der Kritik der instrumentellen Vernunft oder der Postmoderne wie etwa der französische Philosoph Paul Virilio beschworen, mit ausschließlich unheilvoller Perspektive. Ähnlich scheint es um die Funktion der Kapitelüberschriften in "Automaton" bestellt: Obgleich sie zum einen lateinische Bezeichnungen aus Flora und Fauna tragen, zum anderen Begriffe aus Baumkunde und Holzfällerhandwerk, wird hier zwar eine vermeintlich heile, ursprüngliche Gegenwelt benannt, aber nicht, um die andere Seite (jene des technischen Fortschritts) als vollends dem Untergang geweiht zu begreifen.
Versehrt durch ihre Arbeit als Content-Cleanerin ist die alleinerziehende Tiff allerdings sehr wohl. Nachdem sie in ihrem Job über Wochen hinweg im Akkord verstörende Bilder prüfen und aus dem Netz hat entfernen müssen, leidet sie an einer Angststörung, die ihr die alltäglichsten Verrichtungen - den Einkauf, den Weg zum Kindergarten, überhaupt das Verlassen der Wohnung - zu kaum zu bewältigenden Herausforderungen hat werden lassen. Was den Nutzern nicht zugemutet werden sollte, hat sich in Tiffs Psyche schmerzhaft eingeschrieben. Ein Auffangnetz findet sie in der Nachbarschaft: durch den zwar nur sporadisch anwesenden, aber sie regelmäßig auch finanziell unterstützenden Mikael und durch eine ältere Mieterin, die als Ersatz-Oma beherzt einspringt, wenn der Besuch eines Kindergartenfestes Tiff vor Angst lähmt. Solidarität in der analogen Sphäre, Destruktivität im digitalen Raum? Ja, aber eben auch in dieser Hinsicht gilt: Ganz so pauschal verhält es sich, jedenfalls bei Glanz, nicht.
Auch im zweiten, in den Vereinigten Staaten angesiedelten Handlungsstrang des Romans schildert Berit Glanz prekäre Arbeitsverhältnisse, in denen Arbeitende miserablen Strukturen oder der Willkür von Leitungsfiguren ausgesetzt sind. Stella, die Protagonistin dieser Episoden, musste sich früher in einer Fischfabrik und auf einer Hanfplantage verdingen und dabei erleben, dass es mit dem Zusammenhalt unter Beschäftigten nicht weit her war, sondern man sich durchaus auch gegenseitig um den hart verdienten Lohn brachte, vom gemeinsamen Aufbegehren gegen die Erwerbsbedingungen ganz zu schweigen. Stella betreibt nun, womöglich als Reaktion auf das Erlebte, eine Suppenküche für Bedürftige.
Verbunden werden die beiden Handlungsstränge des Romans durch einen neuen Klick-Job, den Tiff annehmen muss, ebenfalls zu Niedriglohn, wenngleich weniger zermürbend als die Tätigkeit als Content-Cleanerin, sowie durch einen kriminalistischen Dreh, den Glanz ihrem Roman gibt. Während Tiff, angeblich für die Entwicklung einer Sicherheits-KI, in der Regel ereignisarme Aufnahmen von Überwachungskameras auswerten muss, meint sie auf ein Verbrechen, mindestens aber Unglück zu stoßen: Ein obdachloser Mann, den sie immer wieder in den Überwachungsvideos sieht, verschwindet, sein Hund bleibt offenkundig verstört zurück. Die Verbindung zur Suppenküche und zum zweiten Handlungsstrang mag an dieser Stelle auf der Hand liegen.
Unterstützt von den Billiglohn-Kollegen der KI-Firma, die in aller Welt sitzen und unter denen sich über die Chatfunktion eine Art freundschaftliches Miteinander entwickelt hat, macht sich Tiff auf die Suche nach dem Verschwundenen. In dieser digitalen Gemeinschaft Gleichgesinnter - und gleich Benachteiligter - setzt sich die junge Frau erstaunlich angstfrei und ohne zu zaudern, über die harschen Reglementierungen des Auftraggebers hinweg, etwa was das Teilen von Inhalten angeht. Eine Schwarmaktion für die gute Sache, in der technisches und menschliches Potential zusammenkommen.
Und so lässt sich "Automaton" lesen als ein Widerspruch gegen einen in der Technikkritik verbreiteten Fatalismus, wie er sich in der Kontraproduktivitätsthese niedergeschlagen hat, der zufolge technische und ethische Kompetenz zwangsläufig auseinanderfallen. Auch aus einer allzu einseitigen und voraussehbaren Dystopie-Dramaturgie bricht Berit Glanz damit aus. Angesichts dieses Muts zum Optimismus mag man darüber hinwegsehen, dass "Automaton" sprachlich kaum zu überraschen vermag. WIEBKE POROMBKA.
Berit Glanz: "Automaton". Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2022.
288 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main