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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
"Backlash", ein Buch über die "neue Gewalt" gegen Frauen, überzeugt in der Analyse mehr als bei den Lösungen
Sei es im Privaten, in den sozialen Medien oder in der Politik: Die Gesellschaft erlebt laut Susanne Kaiser, Journalistin und Autorin, eine Gegenbewegung zum Aufstieg der Frauen. "Feministischer Fortschritt und männliche Gewalt wachsen gemeinsam", schreibt Schneider in ihrem Buch "Backlash. Die neue Gewalt gegen Frauen". Das gilt laut Schneider für Gesellschaften - in besonders fortschrittlichen Ländern wie Skandinavien ist die Gewalt gegen Frauen laut Kriminalstatistik besonders hoch - und für Individuen: Vor allem Frauen, die erfolgreich und sichtbar sind, werden im Netz von Hass überschwemmt oder von ihren Männern misshandelt. Schneider nennt das "feministisches Paradox".
Sie findet dafür eindrucksvolle Beispiele. Etwa die Frau eines Richters, eigentlich selbst erfolgreiche Juristin, derzeit aber vor allem Mandantin einer Anwältin für Familienrecht. Sie will wieder Vollzeit arbeiten, er will das nicht, hat nicht nur mehrere Sicherheitsschlösser an der Haustür angebracht, damit sie gegen seinen Willen nicht gehen kann, sondern sie auch schon gewürgt. Oder ein Tiktok-Trend: Junge Männer posten Videos, in denen sie zu romantischer Musik und Kerzenschein darüber phantasieren, wie sie Frauen beim Date ermorden: am Strand unter Wasser drücken, beim Go-Kart überfahren, mit Bowlingkugeln oder Hanteln erschlagen. Dafür gibt es Millionen Likes. Das Gleiche gilt für Andrew Tate, eine Art frauenhassender Life-Coach, der jungen Männern im Internet erklärt, wie sie mit Frauen umzugehen haben: "Boom ins Gesicht und sie am Nacken packen. Halt's Maul, Schlampe."
"Neu" ist die Gewalt gegen Frauen laut Schneider nicht wegen Internetphänomenen wie Tate. Sondern weil sie sich in Gesellschaften abspielt, die so gleichberechtigt sind wie nie zuvor. Und weil sie teils durch Männer ausgeübt wird, die sich öffentlich als Feministen und Frauenförderer feiern lassen, wie etwa Harvey Weinstein. Für Schneider ist klar, dass diese Gewalt nicht nur anders ist, sondern auch zunimmt, Qualität und Quantität "neu" sind. Schneider schreibt: "Während Gewalt in unserer Gesellschaft insgesamt abnimmt, nimmt die Gewalt gegen Frauen kontinuierlich zu." Die Gefahr für Frauen, in der Partnerschaft Gewalt zu erleben, werde immer größer. Es wachse mitnichten nur die Anzeigebereitschaft, sondern auch das Dunkelfeld.
Tatsächlich nimmt die häusliche Gewalt laut Kriminalstatistik seit Jahren zu, während die Zahl anderer Straftaten zurückgeht. Es gibt aber keine systematischen Dunkelfeldstudien. Auszuschließen, dass die steigenden Zahlen nicht an einer höheren Anzeigebereitschaft liegt, ist deshalb schwierig. Schneider versucht es und nennt verschiedene Hinweise. So hat sich etwa die Zahl der dokumentierten Verletzungen in der Gewaltschutzambulanz der Charité zwischen 2014 und 2018 verdoppelt. Frauen können dort vertraulich ihre Verletzungen dokumentieren lassen, ohne Anzeige erstatten zu müssen. Andere Hinweise wirken arg spekulativ. Dass in Schweden nicht nur die Anzeigebereitschaft bei Partnerschaftsgewalt größer ist, sondern auch das Dunkelfeld, sieht die Autorin etwa durch die Wahlergebnisse der politischen Rechten bestätigt.
Schneider will deutlich machen, dass es sich nicht um individuelle oder psychologische Phänomene handelt. Sie betont die gesellschaftliche und politische Dimension des Backlash, der Erfolg und Sichtbarkeit von Frauen mit Gewalt rückgängig zu machen versucht. Die Bezüge zur Politik gelingen ihr manchmal gut, etwa wenn sie den AfD-Politiker Björn Höcke mit dem Satz zitiert, "Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken", oder darauf verweist, dass ein oberster Richter in den USA angekündigt hat, sich nach der Abtreibung auch mit dem Thema Verhütung in der Ehe zu befassen. An den politischen Stellen des Buchs entfernt sie sich aber auch teils von ihrem Thema, etwa wenn sie den Begriff des Gaslighting erst auf sexualisierte Gewalt bezieht (Frauen werden ihre Erfahrungen abgesprochen, es wird ihnen eingeredet, sich das Erlebte nur einzubilden), dann auf Politik (die Bush-Regierung fälschte vermeintliche Beweise für Massenvernichtungswaffen im Irak).
Auch der Lösungsansatz, den Schneider präsentiert, ist ambivalent. Identitätspolitik, gendergerechte Sprache und feministische Außenpolitik machten Frauen einerseits sichtbar, markierten sie andererseits aber auch als "anders", argumentiert Schneider. Sie könnten deshalb nur Übergangslösungen sein auf dem Weg zu einer Gesellschaft ohne Geschlechtskategorien. Schneider selbst hat sich schon von diesen Kategorien entfernt. Deshalb schreibt sie Sätze wie: "Was sexualisierte Gewalt bewirkt, ist, weibliche Personen zu Frauen zu machen." Solche Formulierungen dürften auch wohlwollende Leserinnen und Leser irritieren. Das ist schade. Denn "Backlash" macht auf ein wichtiges Thema aufmerksam, über das man weniger hört und liest, als seiner Bedeutung angemessen wäre. LEONIE FEUERBACH
Susanne Kaiser: Backlash. Die neue Gewalt gegen Frauen.
Tropen Verlag, Stuttgart 2023. 224 S., 22,- Euro.
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