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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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In freien Versen: Joseph Zoderers poetische Wälder
Was braucht ein Dichter im Alter? Wir stellen uns vor, dass er seine gesammelten Werke hinter sich hat und von Zeit zu Zeit das Zimmer betritt, worin er sie schrieb. Welcher Dichter? Und was will das Zimmer von ihm? Wir denken an den Südtiroler Joseph Zoderer, der neben erfolgreichen Romanen auch Gedichtbände veröffentlichte. Jetzt kommen die Gedichte des Alters. Sie heißen so einfach wie überraschend "Bäume im Zimmer". Von ihnen heißt es etwa: "Meine Bäume im Zimmer / erzählen von der Zärtlichkeit des Windes."
Fragen wir nicht, wie viele Bäume ins Zimmer passen, und nicht nach der Herkunft des zärtlichen Windes. Des Dichters Phantasie macht alles möglich. Sie kann auch die Zahl der Zimmer vermehren. "Mehrmals am Tag / gehe ich / von Zimmer zu Zimmer / pflege meine Bäume wie Pferde / messe ihr heilloses Wachsen / und tröste sie / dass sie nie ein Wald werden."
Zoderer ist ein Baumpfleger mit Zweifeln. Doch wenn er daran zweifelt, dass seine Bäume ein Wald Joseph werden, hat er die Verbindung von Bäumen und Wald schon aufgerufen. In älterer Zeit nannte man Sammlungen von Schriften und Poesien gern "Silvae"(Wälder): "Ich erkenne sie alle wieder / die übriggebliebenen Bäume / in meinem Zimmer."
Nennen wir Zoderers lyrische Sammlung nach Gryphius' Vorbild ruhig "Poetische Wälder". Mögen es viele Bäume oder wenige sein, der Dichter ist um die Füllung seiner poetischen Räume nie verlegen. Ebenso wenig um die poetische Ökonomie. Der Altmeister gibt den Kleinmeister der lyrischen Technik. Er kommt mit wenig aus. Die Gedichte bleiben ohne Titel und sind ausnahmslos kurz. Sie ähneln Haikus und Tankas, doch kein Gedicht benutzt traditionelle Silbenregeln, es sind freie Verse.
Zoderer ist kein Plauderer, kein Schwätzer. Er kommt ohne Verdunkelungen, ohne Erläuterungen aus. Er hasst Bekenntnisse und liebt die Stille und das Schweigen: "Wenn das Schweigen / schmerzt / höre ich die Zwischentöne / der Stille." Doch wollen wir aus Zoderer keinen Mystiker der Stille machen. Er gibt sich eher diskret, hält sein Ich zurück. Es kann sogar fragwürdig scheinen: "Ich lasse mich forttragen / von Betrug zu Verrat."
So viele Bäume seine Wälder enthalten, so viele andere Dinge enthält Joseph Zoderers Welt. Er traktiert auch, was man die letzten Dinge nennt. Gegen Ende heißt es: "Die letzte Tür ist / ein stummer Schrei / ein Fallbeil / das man von dir trennt / Erschrick nicht / vor der letzten Sonne." Dem Autor gelingt es, in den bitteren Schluss noch etwas Glanz zu legen. HARALD HARTUNG
Joseph Zoderer: "Bäume im Zimmer". Gedichte.
Haymon Verlag, Innsbruck 2022. 85 S. br., 19,99 Euro.
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