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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Ein Sammelband über Konservatismus
Trotz programmatischer Dauerkrise ist "Konservatismus" in den letzten Jahren zu einem strategischen Schlüsselbegriff geworden. Wer hier die Definitionsmacht erringen will, versucht dies oft in Kombination mit einem näher bestimmenden Beiwort. So erfreuen sich seit der "konservativen Revolution" der 1920er Jahre paradoxe Verbindungen großer Beliebtheit. Die für eine Neuausrichtung zentralen sechziger und siebziger Jahre brachten dann "Wertekonservatismus", "Liberalkonservatismus" und "Neokonservatismus" - in Abgrenzung zum überlebten "Nationalkonservatismus". Joachim Klose, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sachsen und neben Norbert Lammert Herausgeber eines neuen Sammelbandes über den Konservatismus, versucht es nun mit dem "progressiven Konservatismus".
Dessen Ausrichtung auf die Zukunft soll das Ergebnis dreier Verschiebungen gegenüber einem Alltagsverständnis sein: Erstens wird die Bewahrung der Vergangenheit nicht mehr als Selbstzweck betrachtet, sondern dient kompensatorisch der Abfederung beschleunigter Veränderungsprozesse. Zweitens soll eine Dynamisierung konservativer Ordnungsvorstellungen Begriffen wie Leitkultur oder Heimat die Exklusivität und vergangenheitsorientierte Statik nehmen und sie vielmehr zum Objekt ständigen Aushandelns machen. Drittens soll eine teleologische Ausrichtung den szientistischen Determinismus vermeiden und einen Sinnhorizont menschlichen Handels eröffnen, bis hin zum religiösen Glauben.
Alle drei Aspekte dienten der Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes und sollen "Beheimatungen" ermöglichen. Heimat im Singular wäre dann das "durchaus störanfällige Ergebnis der Synchronisation und Abstimmung vieler individueller Beheimatungen". Dies alles geschieht - und hier deutet sich die in der Begrifflichkeit angelegte Spannung an - aber nicht im luftleeren Raum, sondern vor dem durchaus normativen Hintergrund der gültigen Rechtsordnung und der kulturellen Überlieferung. Erkennbar geht es Klose dabei darum, den Konservatismus klar von allem Völkisch-Identitären abzugrenzen.
Dass kaum einer der 26 Beiträger - davon lediglich zwei weiblich - Kloses Vorlage folgt, ist ein Indiz dafür, dass auch unter den Autoren weitgehend Uneinigkeit herrscht. Das Kapitel über "Modernen Konservatismus" etwa kann den Anspruch auf programmatische Erneuerung nicht einlösen, allenfalls vertraut klingende Leitbegriffe auf dem Weg dazu formulieren, wie "gerechte Ordnung, Nachhaltigkeit und Patriotismus" (Werner J. Patzelt). Wenn es um konkrete Politikfelder geht, fällt die Bilanz noch ernüchternder aus: An der aktuellen Flüchtlings-, Bildungs- oder Familienpolitik wird kaum ein gutes Haar gelassen, wobei die geradezu zeitlose Feststellung, Konservative seien "heimatlos" (Michael Stürmer), nicht fehlen darf. Für einen Band der Adenauer-Stiftung ist die damit verbundene Kritik an der Politik der Union auffällig; ein Terraingewinn gegenüber der AfD, die "konservativ" ganz ohne definitorische Finessen verwendet, lässt sich so nicht markieren.
Auch wenn der Band eine überzeugende Neubestimmung des Konservatismus schuldig bleibt, lohnt seine Lektüre. Besonders die gegenüber mancher Polemik wohltuend sachlichen historischen Analysen des Konservatismus in der Bundesrepublik sind erhellend. Joachim Fischer etwa stellt den "Protagonisten" der 68er bürgerliche Intellektuelle - von Arendt bis Sternberger - als "Antagonisten" gegenüber, wobei es zwischen beiden Lagern zu einer "Kompromissbildung" gekommen sei. Johann Michael Möller knüpft mit seiner "Verschmelzung" einer bewahrenden und einer emanzipatorischen Lebenseinstellung an Fischer an. Konservativ ist diese Haltung allerdings nur im allerformalsten Sinne, nämlich als "Verfassungspatriotismus, der die Republik in ihrer jetzigen emanzipatorisch libertären Verfassung retten will, weil er sie von den politischen Rändern angegriffen sieht". Demgegenüber zeichnet sich ein ideologischer Konservatismus ab, der als Artikulation eines "kulturellen Selbstbehauptungswillens" vom Rechtspopulismus kaum noch unterschieden werden kann.
STEFAN KLEIE
Joachim Klose und Norbert Lammert (Hrsg.): "Balanceakt für die Zukunft". Konservatismus als Haltung.
Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 2019. 373 S., geb., 37,99 [Euro].
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