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Esther Kinskys schöner, stiller Roman "Banatsko"
Von Anja Hirsch
Die Geschichte, die Esther Kinsky in ihrem zweiten Roman "Banatsko" erzählt, ist, wie schon in "Sommerfrische" (2009), die Geschichte einer Gegend. Und so, wie auch Gegenden nicht einfach plötzlich anfangen, sondern als fransiges Geflecht aus Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft hierhin und dorthin ragen, fängt auch dieser Roman nicht einfach an, wenigstens nicht laut. Eher ist es so, dass Esther Kinsky den Moment abpasst, in dem eine Frau, die fortan erzählt, aus dem Zug steigt. So, wie übrigens Esther Kinsky selbst einst ins ungarische Battonya kam, ein Kino kaufte, es eine Zeitlang bewirtschaftete und noch jetzt einige Monate im Jahr dort wohnt.
Auch die Frau im Roman treibt weniger ein Ziel als der Zufall. Sie steigt aus, weil die Bahnstrecke in Battonya endet. "Bahnhof" steht auf einem Schild - in Ungarisch, Serbisch und Rumänisch. Die Frau wird von zwei Grenzbeamten empfangen, die den Oberkörper drehen und in schönem Einvernehmen träge übers Feld zeigen, "ins andere Land", sagen sie wie aus einem Munde - Doppelhüterwesen am Tor zum Ungewissen. Wüsste man sich nicht in einem Roman, glaubte man sich in diesem Moment in einem bizarren Theaterstück, in welchem die zwei Grenzer einer geheimen Choreographie gehorchten und ihre Worte vervielfältigt als Echo nachhallten: ins andere Land, ins andere Land.
Aus der Luft betrachtet ist dieses Dreiländereck eine wenig besiedelte Ebene aus feingliedrig in Geraden und Bögen abgeteilten Feldern und knotigen Häuserballungen. Wenige Kilometer südlich von Battonya schlängelt sich die Grenze nach Rumänien, etwas weiter der Fluss Mures. Das Banat Esther Kinskys ist, anders vielleicht als das Banat, das wir aus Herta Müllers Prosa kennen, zunächst einmal ein geologisches, atmosphärisch dicht aufgeladenes Phänomen, gezeichnet wie mit einem spitzen Bleistift, der Wasseradern, Bäche, Flüsse aufs Papier trägt, leise und heimlich, als schaute die Zeichnerin dabei an allem ein wenig vorbei. Umso genauer erkennt sie Formationen: "Stand man am Rand der Hügel, zeigte sich die Ebene als aufgelassenes Meer, vom Wasser verlassen, bloßgelegt und unbehütet, ein Staubland, dem Wind verfallen."
Wie sehr der Blick ins je andere Land vom Standort abhängt und der Sprache, die man spricht, weiß kaum jemand besser als die Übersetzerin Kinsky mit ihren Übertragungen aus dem Polnischen, Russischen und Englischen. Und so macht sie auch als Autorin ihre Grenzlandreflexionen zu einem Ereignis der Sprache. Man riecht, schmeckt, hört, sieht dieses Land, weil Kinsky es wie ein Fotoalbum langsam durchblättert: vergilbtes Schilfgras, sandhelle Kühe, schwarzbraun verdörrte Sonnenblumen. Sitzen die Menschen zu lange im Zug beieinander, beginnen sie, ihre Geschichte zu erzählen. Sie treten dabei aber nicht wirklich in Kontakt. Sie sprechen eher nacheinander vor sich hin, vom Hunger und der Revolution damals, oder vom "Land der Abgebrochenheit" heute. Tatsächlich gewinnt man sogar bald den Eindruck, alle Figuren dieser Gegend sprächen ähnlich achtsam, klar, poetisch. Das mag man in dieser Ununterscheidbarkeit als Schwäche des Textes auslegen. Eher ist es Zeichen für die Subjektivität der Erzählperspektive. Die Frau zieht diese Welt in Scherben nach innen, selbst nicht wissend, was sie hier eigentlich sucht. Grenzen? Gesetzmäßigkeiten? Kontinuität?
Esther Kinsky nimmt die Farben des Himmels, die Sprache der Dinge ernst. So ernst, dass unter dieser Sprache Handlungsstränge fast verschwinden. Frühschnee und Sommerabfall wechseln mit Stadt- und Landfahrten der Ich-Erzählerin und geben der splittrigen Prosa Struktur. Passagenweise wabert das Ganze zwar trotzdem ein wenig intentionslos. Stimmt man sich aber auf das moderate Tempo ein, hört man in dieser Geschichte einer Gegend immer vernehmlicher auch die einzelnen Menschen. Der Nachbar, der Akkordeonspieler, die Frau, die mit anderen Frauen zur Fliesenfabrik zum Arbeiten fährt - sie alle treten kurz auf und ab und auf wie Figuren eines größeren Ensembles, das von einer gewaltigen Kulisse überschattet wird. Ungenau betrachtet, zeigt sich hier der Osten, wie man ihn zu kennen glaubt, mit morschen Vorhängen hinter brachen Fenstern, alles in Sepiafarben. Mit der Zeit aber gewöhnt uns Esther Kinsky an ihren ruhigen, tiefen Blick, an die Prächtigkeit unterschiedlichster Farben, und Klischees lösen sich auf. Die Gegend wird zu einem faszinierenden Übergangsraum, durch den die Frau spazieren geht, um schließlich noch der eigenen Geschichte Raum zu geben. Dass man sich dabei nicht verliert, sondern Halt findet in außergewöhnlich schönen Sätzen, verwundert nicht nach Kinskys vielbeachtetem Debüt "Sommerfrische", das übrigens nach "Banatsko" entstand.
Esther Kinsky: "Banatsko". Roman.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2011. 243 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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