Torheiten eines Mannes in mittleren Jahren Wie tief ein erfolgreicher Geschäftsmann fallen kann - davon erzählt Pierre Bost in seinem Roman Bankrott. Der 45-jährige Brugnon leitet erfolgreich ein Familienunternehmen. Privat ist er liiert mit der einige Jahre jüngeren Bibliothekarin Simone. Das Leben in geordneten Bahnen könnte endlos so weitergehen. Und dann schlittert er in die große Krise: Er verpasst Termine, verliert sich in Gefühlsausbrüchen, verliebt sich Hals über Kopf in eine viel jüngere Angestellte, die seine Schwärmerei genießt und mit ihm spielt. Brugnon vergisst zusehends, wer er ist und wie alt er ist. Pierre Bost, der sich in seinen Romanen für das Scheitern seiner Figuren interessiert, erzählt einfühlsam und in melancholischem Grundton, wie Brugnon auf Abwege gerät und alles aufs Spiel setzt.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Samuel Moser ist beeindruckt von Pierre Bosts Roman von 1928. Stille Momente wechseln mit grotesken Szenen, erklärt der Rezensent, der die Geschichte des doppelten Ruins eines Bankangestellten während der Weltwirschaftskrise auch wegen ihrer sprachlichen Geschmeidigkeit schätzt. Komplexe zwischenmenschliche Beziehungen macht der Autor für Moser mit Eleganz sichtbar, zeigt die doppelte Gestalt der Figur als eines unsicheren Menschen und Arbeitstier. Dass sich der Text der wirtschaftlichen Problematik kaum widmet, aber dafür gleich zwei Frauen das Schicksal des Helden besiegeln lässt, scheint der Rezensent ein wenig zu bedauern.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2015Bienen der Betriebsamkeit
Gute Unternehmerromane zeichnen sich dadurch aus, dass sie beides tun: die Strukturen der Machtapparate ausleuchten und Charakterstudien liefern. Der französische Schriftsteller Pierre Bost (1901 bis 1975), der in den zwanziger bis vierziger Jahren ein erfolgreicher Autor und Journalist war, verzaubert überdies mit seiner Sprache. Sie klingt auch in der deutschen Übertragung von Rainer Moritz prächtig - nach "Ein Sonntag auf dem Lande" jetzt in dem Roman "Bankrott" von 1928. Erzählt wird vom Leben des Zuckerfabrikanten Brugnon, eines linkischen, cholerischen fünfundvierzig Jahre alten Mannes mit allerlei Marotten und einer ausgesprochenen Neigung zur Grübelei. Mit scharfzüngiger Prägnanz und Komik von außen geschildert, lässt er sich betrachten als Teil eines Systems, das nur die Starken durchwinkt. Das, was wir heute Burn out nennen würden, zeichnet sich bereits auf der ersten Seite ab: "Der einzige Traum, den er sich eines Tages erfüllen wollte, bestand darin, jeden Morgen an die Arbeit zu gehen, sich eine Pause von einer Stunde zu gönnen, danach weiterzuarbeiten und schließlich sehr spät am Abend damit aufzuhören." Zunächst läuft es gut für ihn. Doch die Liebe verwirrt bald schon seinen klaren Blick. Er verpasst Termine, wird fahrig und zunehmend Opfer seiner Gefühlswelt. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis alles in düsterster Apokalypsenstimmung endet. Anziehend ist diese Prosa, weil sie die emsige Betriebsamkeit einer typischen Arbeitswelt der zwanziger Jahre einfängt. Zugleich wirkt der Roman in seiner expressiven Sprache und den vielen Überforderungsszenen überraschend modern.
hir.
Pierre Bost: "Bankrott". Roman. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Rainer Moritz. Dörlemann Verlag, Berlin 2015. 260 S., 19,90 [Euro].
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Gute Unternehmerromane zeichnen sich dadurch aus, dass sie beides tun: die Strukturen der Machtapparate ausleuchten und Charakterstudien liefern. Der französische Schriftsteller Pierre Bost (1901 bis 1975), der in den zwanziger bis vierziger Jahren ein erfolgreicher Autor und Journalist war, verzaubert überdies mit seiner Sprache. Sie klingt auch in der deutschen Übertragung von Rainer Moritz prächtig - nach "Ein Sonntag auf dem Lande" jetzt in dem Roman "Bankrott" von 1928. Erzählt wird vom Leben des Zuckerfabrikanten Brugnon, eines linkischen, cholerischen fünfundvierzig Jahre alten Mannes mit allerlei Marotten und einer ausgesprochenen Neigung zur Grübelei. Mit scharfzüngiger Prägnanz und Komik von außen geschildert, lässt er sich betrachten als Teil eines Systems, das nur die Starken durchwinkt. Das, was wir heute Burn out nennen würden, zeichnet sich bereits auf der ersten Seite ab: "Der einzige Traum, den er sich eines Tages erfüllen wollte, bestand darin, jeden Morgen an die Arbeit zu gehen, sich eine Pause von einer Stunde zu gönnen, danach weiterzuarbeiten und schließlich sehr spät am Abend damit aufzuhören." Zunächst läuft es gut für ihn. Doch die Liebe verwirrt bald schon seinen klaren Blick. Er verpasst Termine, wird fahrig und zunehmend Opfer seiner Gefühlswelt. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis alles in düsterster Apokalypsenstimmung endet. Anziehend ist diese Prosa, weil sie die emsige Betriebsamkeit einer typischen Arbeitswelt der zwanziger Jahre einfängt. Zugleich wirkt der Roman in seiner expressiven Sprache und den vielen Überforderungsszenen überraschend modern.
hir.
Pierre Bost: "Bankrott". Roman. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Rainer Moritz. Dörlemann Verlag, Berlin 2015. 260 S., 19,90 [Euro].
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2015Die Halslinie
Abschüssig: Pierre Bosts Roman „Bankrott“
Sie sehen schlecht aus, Sie sollten Urlaub nehmen – diese beliebteste Schmeichelei der modernen Arbeitsgesellschaft bekommt auch der Held dieses Romans ständig zu hören. Je mehr man ihm das aber sagt, umso tiefer verbeißt er sich in sein Tagewerk, bis er tatsächlich aus der Bahn geworfen wird, wenn auch nicht ganz so, wie man das anfangs erwartet. Der heute vergessene Autor Pierre Bost (1901-1975), der seit dem unlängst erstmals übersetzten Roman „Ein Sonntag auf dem Lande“ auch auf Deutsch wiederentdeckt wird, war ein feiner Beobachter des Zeitgeists und seiner Zeitgenossen. Sein 1928 erschienener Roman „Bankrott“ erzählt die Geschichte des Zuckerfabrikanten Brugnon, der auf dem sicheren Weg des ambitionierten Musterunternehmers dem Erfolg und zugleich, während das dünne Eis seines Charakters schon überall knackt, seinem Ruin entgegensteuert.
Bost ist ein Profi der psychologischen Skizze und zugleich der Zeitdiagnose, die er über seine ironisch distanzierte Erzählperspektive einfließen lässt. Kaum ist sein eindimensional strebsamer Held nach dem Tod des Vaters scheinbar mühelos aus dem Schatten in die Führungsposition des Unternehmens gesprungen, machen sich im leicht monotonen Tagesablauf erste Symptome eines inneren Ungenügens bemerkbar, die er zielstrebig ignoriert. Zu seiner Freundin Simone, die ihn aufrichtig liebt, aus ihrem Körper aber nie eine Freude zu ziehen verstand und sich ihm physisch verweigert, unterhält der Vierzigjährige eine Beziehung resigniert melancholischer Anhänglichkeit – den Rest holt er sich im Bordell. Im Berufsalltag labt er sich am Machtspiel gegenüber seinen Mitarbeitern, die er je nach Laune amüsiert oder terrorisiert.
All das reicht aber nicht, um die Ahnung einer gewissen Leere zu vertreiben. Obwohl dieser Mann seine Arbeit liebt und versteht, wirkt er abgearbeitet, früh gealtert, was sich mitunter in Ausbrüchen von Jähzorn entlädt. „Aber ja“, sagt man ihm, „Sie sind ganz der Mann Ihres Jahrhunderts“, er wolle intensiv und schnell leben, die Maschine verschleißen. „Genug!“, schreit er dann plötzlich dazwischen: „Mein Jahrhundert! Ich kenne es nicht. Sei es das Jahrhundert, das will, das muss. Ich bin ich“. Der Absturz erfolgt durch eine junge Stenotypistin, in die Brugnon seine ganze angestaute innere Unerfülltheit hineinprojiziert. Er passt sie ab, führt sie aus, fiebert nach diesem Wesen mit der beim Diktat absolut perfekten Halslinie zwischen Nacken und Schulter. Sie lässt es sich gefallen, empfindet aber nichts für ihn und treibt ihn mit ihrer Unabhängigkeit ins Verderben.
Pierre Bost schildert diese Entwicklung aus der Distanz eines Weitblicks, der auf einen straffen Handlungsablauf verzichtet und die einzelnen, jeweils symptomatischen Episoden in einem losen Zeitkontinuum hängen lässt. Wenn Brugnon etwa eines Tages zufällig in der offenen Handtasche seiner vergötterten Stenotypistin das Geldbündel des gerade ausbezahlten Monatslohns entdeckt und aus Scham errötet, weil ihm da plötzlich die Ambivalenz seiner Beziehung ihr gegenüber aufgeht, gibt es für diesen Moment im Roman kein klares Davor und Danach. Solche Momente treiben einfach im Erzählfluss mit.
Das führt zu manchen technischen Ungeschicklichkeiten. Dennoch bietet dieser von Rainer Moritz elegant übersetzte und vom Verlag in schöner Aufmachung präsentierte Roman das faszinierende Porträt eines auf Effizienz gestanzten Lebensentwurfs über dem Abgrund einer Epoche noch vor der ersten Weltwirtschaftskrise, der sich seither aber nie mehr geschlossen hat.
JOSEPH HANIMANN
Pierre Bost: Bankrott. Roman. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Rainer Moritz. Dörlemann Verlag, Zürich 2015. 256 Seiten, 20 Euro. E-Book 14,99 Euro.
Langsam zeigen sich
im monotonen Tagesablauf
Zeichen des Ungenügens
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Abschüssig: Pierre Bosts Roman „Bankrott“
Sie sehen schlecht aus, Sie sollten Urlaub nehmen – diese beliebteste Schmeichelei der modernen Arbeitsgesellschaft bekommt auch der Held dieses Romans ständig zu hören. Je mehr man ihm das aber sagt, umso tiefer verbeißt er sich in sein Tagewerk, bis er tatsächlich aus der Bahn geworfen wird, wenn auch nicht ganz so, wie man das anfangs erwartet. Der heute vergessene Autor Pierre Bost (1901-1975), der seit dem unlängst erstmals übersetzten Roman „Ein Sonntag auf dem Lande“ auch auf Deutsch wiederentdeckt wird, war ein feiner Beobachter des Zeitgeists und seiner Zeitgenossen. Sein 1928 erschienener Roman „Bankrott“ erzählt die Geschichte des Zuckerfabrikanten Brugnon, der auf dem sicheren Weg des ambitionierten Musterunternehmers dem Erfolg und zugleich, während das dünne Eis seines Charakters schon überall knackt, seinem Ruin entgegensteuert.
Bost ist ein Profi der psychologischen Skizze und zugleich der Zeitdiagnose, die er über seine ironisch distanzierte Erzählperspektive einfließen lässt. Kaum ist sein eindimensional strebsamer Held nach dem Tod des Vaters scheinbar mühelos aus dem Schatten in die Führungsposition des Unternehmens gesprungen, machen sich im leicht monotonen Tagesablauf erste Symptome eines inneren Ungenügens bemerkbar, die er zielstrebig ignoriert. Zu seiner Freundin Simone, die ihn aufrichtig liebt, aus ihrem Körper aber nie eine Freude zu ziehen verstand und sich ihm physisch verweigert, unterhält der Vierzigjährige eine Beziehung resigniert melancholischer Anhänglichkeit – den Rest holt er sich im Bordell. Im Berufsalltag labt er sich am Machtspiel gegenüber seinen Mitarbeitern, die er je nach Laune amüsiert oder terrorisiert.
All das reicht aber nicht, um die Ahnung einer gewissen Leere zu vertreiben. Obwohl dieser Mann seine Arbeit liebt und versteht, wirkt er abgearbeitet, früh gealtert, was sich mitunter in Ausbrüchen von Jähzorn entlädt. „Aber ja“, sagt man ihm, „Sie sind ganz der Mann Ihres Jahrhunderts“, er wolle intensiv und schnell leben, die Maschine verschleißen. „Genug!“, schreit er dann plötzlich dazwischen: „Mein Jahrhundert! Ich kenne es nicht. Sei es das Jahrhundert, das will, das muss. Ich bin ich“. Der Absturz erfolgt durch eine junge Stenotypistin, in die Brugnon seine ganze angestaute innere Unerfülltheit hineinprojiziert. Er passt sie ab, führt sie aus, fiebert nach diesem Wesen mit der beim Diktat absolut perfekten Halslinie zwischen Nacken und Schulter. Sie lässt es sich gefallen, empfindet aber nichts für ihn und treibt ihn mit ihrer Unabhängigkeit ins Verderben.
Pierre Bost schildert diese Entwicklung aus der Distanz eines Weitblicks, der auf einen straffen Handlungsablauf verzichtet und die einzelnen, jeweils symptomatischen Episoden in einem losen Zeitkontinuum hängen lässt. Wenn Brugnon etwa eines Tages zufällig in der offenen Handtasche seiner vergötterten Stenotypistin das Geldbündel des gerade ausbezahlten Monatslohns entdeckt und aus Scham errötet, weil ihm da plötzlich die Ambivalenz seiner Beziehung ihr gegenüber aufgeht, gibt es für diesen Moment im Roman kein klares Davor und Danach. Solche Momente treiben einfach im Erzählfluss mit.
Das führt zu manchen technischen Ungeschicklichkeiten. Dennoch bietet dieser von Rainer Moritz elegant übersetzte und vom Verlag in schöner Aufmachung präsentierte Roman das faszinierende Porträt eines auf Effizienz gestanzten Lebensentwurfs über dem Abgrund einer Epoche noch vor der ersten Weltwirtschaftskrise, der sich seither aber nie mehr geschlossen hat.
JOSEPH HANIMANN
Pierre Bost: Bankrott. Roman. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Rainer Moritz. Dörlemann Verlag, Zürich 2015. 256 Seiten, 20 Euro. E-Book 14,99 Euro.
Langsam zeigen sich
im monotonen Tagesablauf
Zeichen des Ungenügens
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