12,99 €
inkl. MwSt.
Sofort per Download lieferbar
  • Format: ePub

14 Kundenbewertungen

Vor fünfzig Jahren verfällt William Finnegan dem Surfen. Damals verschafft es ihm Respekt, dann jagt es ihn raus in die Welt – Samoa, Indonesien, Australien, Südafrika –, als Familienvater mit Job beim New Yorker dient es der Flucht vor dem Alltag … Barbarentage erzählt die Geschichte dieser lebenslangen Leidenschaft, sie handelt vom Fernweh, von wahren Abenteuern und den Versuchen, trotz allem ein Träumer zu bleiben. Ein Buch wie das Meer, atemberaubend schön.

Produktbeschreibung
Vor fünfzig Jahren verfällt William Finnegan dem Surfen. Damals verschafft es ihm Respekt, dann jagt es ihn raus in die Welt – Samoa, Indonesien, Australien, Südafrika –, als Familienvater mit Job beim New Yorker dient es der Flucht vor dem Alltag … Barbarentage erzählt die Geschichte dieser lebenslangen Leidenschaft, sie handelt vom Fernweh, von wahren Abenteuern und den Versuchen, trotz allem ein Träumer zu bleiben. Ein Buch wie das Meer, atemberaubend schön.


Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in D, A, F, L, I ausgeliefert werden.

Autorenporträt
William Finnegan, geboren 1952, arbeitet seit 1987 als Journalist für den New Yorker. Er schrieb vielbeachtete Reportagen über den Bürgerkrieg im Sudan, das Apartheidsregime in Südafrika und Neonazis in Kalifornien und arbeitete als Kriegsreporter. Finnegan surft seit seinem elften Lebensjahr, mit Barbarentage gewann er 2016 den Pulitzer-Preis in der Kategorie »Autobiografie«.

Tanja Handels, geboren 1971 in Aachen, studierte Anglistik, Komparatistik und Theaterwissenschaft in Aachen, Köln und Birmingham (England) sowie Literarisches Übersetzen aus dem Englischen in München. Sie arbeitete zunächst als Lektorin und Projektmanagerin, seit 2003 ist sie freie Übersetzerin und Lehrbeauftragte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.07.2018

Große Hitze,
kühle Köpfe
Urlaub ohne Lektüre ist wie ein
Meer ohne Salz, wie ein See ohne Wasser.
Die SZ-Redaktion empfiehlt
Bücher für Strand, Berg und Balkon:
von Elizabeth Jane Howard über
Hannah Arendt bis zu Samanta Schweblin
Anchovypaste
gegen Kater
Dass die große politische Intellektuelle des 20. Jahrhunderts auch eine ungewöhnlich kommunikative und menschlich interessierte Frau war, ist bekannt. Die Briefe, die Arendt mit Frauen wie Anne Weil, Hilde Fränkel oder Charlotte Beradt austauschte, sind faszinierend zu lesen. Fast all diese Frauen waren in irgendeiner Form durch den Nationalsozialismus beschädigt oder beeinträchtigt. Es geht um komplizierte Männer und Schmerzmittel-Exzesse, um den Antisemitismus im Nachkriegsdeutschland und „Anchovypaste gegen Kater“, es geht oft um Bücher, manchmal um Kleidung und natürlich um andere Leute. Vor allem geht es immer wieder um Freude und Liebe zueinander. Alle Spielformen, Spannungen und Spezialitäten der Freundinnenschaft sind hier versammelt. Und Arendt erblüht durch die Augen der ihr zugeneigten Frauen als geistig-gefühlvolle Ausnahmeerscheinung.
MEREDITH HAAF
illustration: Peter M. Hoffmann 
Picknick an der
Heimatfront
England im Sommer 1937. Die wohlhabende Großfamilie Cazalet verbringt die Ferien auf ihrem Landsitz in Sussex. Doch was nach idyllischem Upperclass-Vergnügen klingt, bedeutet für die meisten Cazalets nur eine sanfte Ablenkung von mittelglücklichen Ehen, den Wachstumsschmerzen der Pubertät und verschleppten Traumata aus dem Ersten Weltkrieg – während auf dem Kontinent gerade schon der Zweite heraufzieht. Klar, der Schmöker-Verdacht liegt nahe bei Elizabeth Jane Howards fünfteiliger Familiensaga. Aber ihre hochelegant und lebendig geschriebenen Bücher sind viel mehr. Sie handeln vom Krieg, aber nicht von dem an der Front, sondern von seinen Auswirkungen auf die Daheimgebliebenen und vom zähen Emanzipationsprozess der beinahe hyperrealistisch charakterisierten Cazalet-Frauen. Die Neuübersetzung des ersten Bandes ist ein sehr guter Anlass, Elizabeth Jane Howard neu zu entdecken.
KATHLEEN HILDEBRAND
Zu viel im
Ölschlamm gebadet
Bevor Essad Bey im Alter von nur 16 Jahren auf der Flucht vor den Bolschewisten nach Berlin emigriert und dort zum Islam konvertiert ist, hieß er Lew
Nussimbaum und verbrachte eine
außergewöhnlich glückliche Kindheit
in Baku, Aserbaidschan. Das hatte unter anderem damit zu tun, dass er der Sohn eines der größten Ölpatrone der Region war und in einem sagenhaften Palast lebte, unter der Aufsicht schwer bewaffneter Banden, die der Vater dafür bezahlte, sein Hab und Gut gegen Plünderer, die Polizei und die schwer bewaffneten Banden anderer Ölpatrone zu verteidigen. Sein autobiografischer Bericht „Öl und Blut im Orient“, den er in Berlin schrieb und im Jahr 1929 veröffentlichte, ist gleichzeitig ein Coming-of-Age-Roman eines jungen Oligarchen und ein Augenzeugenbericht aus dem Kreißsaal des Ölzeitalters. Näher als hier kann man dieser Industrie kaum kommen. Die Sitten allerdings sind rau, der Umgang miteinander, nun, ergebnisorientiert: Nussimbaums Vater zum Beispiel beschäftigt am liebsten Arbeiter aus dem Orient, weil die sich nicht beklagen, wenn sie eng aneinander gedrängt in barackenähnlichen Verschlägen auf dem Boden schlafen müssen und sie auch sonst keine Widerworte geben. Außerdem, auch das ist praktisch, haben sie noch nie von Seife gehört. Wenn man ihnen deshalb anbietet, sich stattdessen einfach mit dem Ölschlamm zu waschen, der hier überall zu finden ist, und auf dessen heilsame Wirkung zu vertrauen, erspart das viel Aufwand. Die Russen hingegen zetteln unentwegt Streiks an, verlangen bessere Bezahlung, bessere Unterkünfte und vor allem: Seife. Von allen Volksgruppen sind die Russen auf den Ölfeldern von Baku deshalb mit Abstand die unbeliebtesten. Signifikant anders geht es auf den Baustellen in Katar heute auch nicht zu. Essad Bey war natürlich bewusst, dass er in Berlin ein bürgerliches Publikum vor sich hatte, das, weil es den Wilden Westen als Erzählraum noch kaum gab, die Zeit mit vormodernen Geschichten aus dem wilden Kaukasus überbrückte. Von denen hat Bey einige zur Hand: Seine Eltern etwa lernten sich kennen, weil Polizisten gerade eine junge Sozialistin verhaftet hatten, in die sich sein Vater im Vorbeireiten verliebte, weshalb er seine Garde anwies, den Gefangenentransport zu überfallen, die schöne Sozialistin freizukaufen und in seinen Palast zu bringen. Der Reiz dieser Anekdoten liegt erstens darin, dass sowohl die Selbstherrlichkeit der Oligarchie als auch Unterschiede zwischen Arm und Reich fast genauso so groß sind wie heute, mit allen Konsequenzen. Und dass sie zweitens so unglaublich lustig sind.
FELIX STEPHAN
Quadratkarierte
Spießer
„Wie ich euch hasse! Könnt ihr denn keinen Menschen in Ruhe lassen!
Müsst ihr jeden zwingen, so zu sein,
wie ihr es wollt? So lasst doch wenigstens den armen Jasper in Frieden!
Ihr seid quadratkarierte Spießer“.
Der Familienaufstand tobt, wie ihn Christine Nöstlinger immer wieder
in ihren Büchern inszenierte. Hier,
in der Feriengeschichte „Das
Austauschkind“, ist es der englische Gastjunge, der den Ordnungs- und
Erziehungswahn der Eltern mit einem durch nichts zu erschütternden
Phlegma aushebelt. Dick, ungewaschen, mit seltsamen Spleens gesegnet,
verweigert er sich jeglicher Kommunikation und Erziehungsmethoden, bis der Vater rabiat eingreift und sich die
Kinder der Familie, die fünfzehnjährige schon sehr aufmüpfige Billie und der dreizehnjährige ängstliche Ewald, auf die Seite von Jasper schlagen. Slapstick pur bestimmt nun das Familientheater, bei dem Christine Nöstlinger beiden Seiten jede Möglichkeit gibt, sich in
den fetzigen Dialogen auszutoben.
Um am Ende zu zeigen, dass auch Eltern liebevolle Menschen sein können,
die nun hier, völlig verwandelt, die
irrsinnigsten Aktionen unterstützen, um ihrem Austauschkind aus seiner Verzweiflung zu helfen.
ROSWITHA BUDEUS-BUDDE
Gegen die Angst vor zu langen Ferien
Urlaub hat ja etwas Unheimliches. All die Dinge, Gewohnheiten und Gespräche sind plötzlich suspendiert, die im Alltag verlässlich wiederkehren, die sonst immer funktionieren und unsere wichtigen, systemrelevanten Tätigkeiten strukturieren. Auf einmal sollen wir ganz wir selbst sein, ganz Mensch. Und dabei ist es auch noch unerträglich heiß. Das Bewusstsein schmilzt zusammen und mit einem schwelenden Panikgefühl geht die Frage einher: Wer bitte soll das sein, „ich selbst“, so ganz ohne den alltäglichen Kram?
Dieses spezielle Unsicherheitsgefühl, ein existenzieller Horror Vacui, findet seine ideale Entsprechung in den Geschichten von Samanta Schweblin, einer in Buenos Aires geborenen Schriftstellerin, die in Berlin lebt. Ihr neues Buch „Sieben leere Häuser“ besteht aus sieben kurzen Geschichten, in denen alle Gewissheiten löchrig werden. Die Verständigung zwischen Menschen, sogar solchen, die sich nahestehen, und all die mühsam aufrechterhaltene Vernunft des normalen Umgangs miteinander schmiert ins Irrsinnige ab.
Da fährt zum Beispiel ein Mädchen mit seiner Mutter durch ein hübsches Wohnviertel, um „Häuser anzusehen“. Dabei bleibt es aber nicht, weil sich die Mutter brutal aufdringlich Zugang verschafft zu den Wohnungen und dem Leben völlig Fremder. Die Ich-Erzählerin findet sie dann in schrecklich peinlichen Situationen wieder: „Sie liegt bäuchlings auf dem Teppich, mitten im Elternschlafzimmer. Ihre Arme und Beine sind ausgestreckt, und ich frage mich kurz, ob es wohl noch andere Möglichkeiten gibt, so unverhältnismäßig große Dinge, wie ein Haus zu umarmen, sollte es das sein, was meine Mutter gerade versucht.“ Es wirkt, als versuche die Frau inmitten der Besitztümer der anderen eine geheimnisvolle Ungerechtigkeit gutzumachen. Worin die besteht, erfährt der Leser nicht, sondern bekommt mit, wie geschickt sich die Erzählerin auf den Wahnwitz der Mutter einstellt. Wie eben Kinder mit allem zurechtkommen müssen, was ihre Eltern tun.
Darin besteht, wenn man diesen Widerspruch in Kauf zu nehmen bereit ist, die zugleich verstörende und beruhigende Wirkung von Schweblins Erzählungen: Wir erleben darin, dass man jenseits des effektiven Pragmatismus unseres Alltags auch mit der Irrationalität ganz gut leben kann. Es gibt da einen sehr anziehenden Moment des Kontrollverlustes. Wenn man es einmal geschafft hat, sich darauf einzulassen, tritt eine ganz eigene Form von Entspannung ein.
MARIE SCHMIDT
Vom Stoizismus
der Wellen
„Barbarentage“ ist die perfekte Lektüre für jede Ferienlage: ein Abenteuerroman, die Geschichte einer endlosen Reise, ein Roadmovie durch den Pazifik und durch die Seelenlage eines Heranwachsenden. Aber eigentlich ist „Barbarentage“ ein Liebesroman, der von der Amour fou des renommierten Kriegsreporters William Finnegan zu den Ozeanen handelt, genauer: zu den Wellen, die irgendwo in wilden Stürmen entstehen und nach Hunderten Kilometern an den Küsten mal gleichmäßig, mal wütend brechen. Finnegan ist elf Jahre alt, als er ihnen verfällt. Er lebt mit seinen Eltern auf Hawaii, in den frühen Sechzigern beginnt er mit dem Surfen. Ein Sport, den die Weißen den Hawaiianern nach der Kolonialisierung erst einmal ausgetrieben haben. In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bauten sie dann eine ganze Industrie um ihn herum auf, die bis heute wächst. Finnegan ist von Anfang an dabei. Wie ein Getriebener reist er den Wellen nach, in die Südsee, nach Australien und nach Bali. Die Leidenschaft zu den Wellen hat ihn fest im Griff, es ist eine unfaire Liebe. Während er bereit ist, alles für sie aufzugeben, machen die Wellen, was sie immer machen: Stoisch branden sie an. Dafür schenken sie Finnegan ein unermessliches Gefühl von Freiheit.
JAN HEIDTMANN
Der Stoff, den wir
verfeuern
In die Sommerhitze passt das gut: lesen, woher die Energie der modernen Welt kam und wodurch sie sich bis heute erwärmt. Während in diesem Jahr die allerletzten Steinkohle-Zechen in Deutschland zumachen und noch mal Ruhrpott-Nostalgie aufkommt,
hängt der weltweite Energiebedarf
nicht nur weiterhin am Öl, sondern
auch immer noch zu 40 Prozent
an der Kohle. Verrückterweise importieren wir sogar noch billige Steinkohle zum Verfeuern aus anderen Kontinenten. Franz-Josef Brüggemeier hat
eine Kultur- und Industriegeschichte geschrieben, die es mit den anderen großen Storys von global wirksamen Stoffen wie Tee oder Baumwolle
aufnehmen kann. Das schwarze Gold befeuerte die Eisenbahn, den Kapitalismus, große Kriege und großen Wohlstand, gerade auch in Deutschland.
Ein Glücksfall: ein Standardwerk,
das man mit großer Spannung liest.
JOHAN SCHLOEMANN
Das Ego und
der Biedermeier
Dieses Buch ist die wunderbare
Wiederentdeckung eines vergessenen Dichters der deutschen Romantik.
Der Dichter hat den Allerweltsnamen Ernst Schulze; geboren 1789, gestorben 1817 im Alter von nur 28 Jahren.
Aber sein Werk ist kein Allerweltswerk.
Man muss Schulzes durchgestylte
Verse und Gedichte nicht unbedingt mögen, die seinerzeit in der Goethe-
Kategorie gehandelt wurden; aber
die Sprachkraft und der Blick in den Biedermeier, den er gewährt, sind
atemberaubend. Das Besondere und
das Fürchterliche der anhebenden
Biedermeierzeit wurden mir noch nie
so klar vor Augen geführt wie in
diesem Buch. Nichts war interessanter als das eigene Ego und die Gesellschaft, in der man sich selbst bewegte.
Die Leute in ihren Salons waren
offenbar außerstande, geradeaus zu reden. Ihre Konversation bestand
aus Verstellung, Gestelztheit und Koketterie. Aber in Ernst Schulzes Tagebüchern und Briefen freut den Leser von heute der bissig-maliziöse Ton
und sein ironisches Selbstverständnis. Schulze lebt.
HERIBERT PRANTL
Im Zwischenreich
Das Kind des Präsidenten ist tot. Mit nur elf Jahren stirbt Willie, Sohn Abraham Lincolns, an einer Typhusinfektion. Es ist Februar 1862, der amerikanische Bürgerkrieg tobt seit bald einem Jahr, auf den gefrorenen Feldern fallen Tausende Soldaten und der Präsident wacht am Grab seines toten Sohns.
George Saunders hat die historischen Ereignisse dieser Tage im Weißen Haus und auf dem Oak-Hill-Friedhof für seinen ersten Roman in eine ungewohnte Form gebracht. Nicht nur, weil es sich bei „Lincoln im Bardo“ um eine Gespenstergeschichte handelt, sondern vor allem, weil der Roman ausschließlich aus zitierten und erfundenen Stimmen zusammengestellt ist. Bedienstete erzählen von der Todesnacht Willies und Soldaten von den ersten großen Schlachten des Krieges. Manchmal liegen diese Berichte weit auseinander, wenn einmal ein goldener Mond die Nacht erhellt, die im nächsten Zitat als wolkenverhangen und mondlos beschrieben wird. Neben diesen historischen Stimmen aus Briefen und Büchern stehen die erfundenen Stimmen einer ganzen Reihe von Gespenstern, die von ihrem eigenen Tod nichts wissend oder wissen wollend das Schicksal Willies und ihr eigenes kommentieren. Die Toten in diesem Buch sind in einer Art Zwischenreich gefangen, dem titelgebenden Bardo, denn wie Willie oder die jungen Soldaten sind sie gestorben, obwohl sie noch etwas im Leben gehalten hat, um das sie nun in der zu späten Hoffnung auf Erfüllung kreisen, ohne loslassen zu können. Bei manchem reicht dazu bereits die Aussicht auf den nackten Körper einer jungen Frau. Überraschenderweise ist das oft sehr komisch in seiner Widersprüchlichkeit und Collagenhaftigkeit. In der Nichtigkeit und Eitelkeit der verflossenen Wünsche und Träume dieser Gespenster ist die Erzählung aber zugleich auch sehr menschlich und gelassen im Umgang mit dem Tod.
Diese formal wie inhaltlich recht waghalsige Romankonstruktion gelingt Saunders verblüffenderweise, denn der Chor der Gespenster, den er die Geschichte vortragen lässt, ist in seiner Vielstimmigkeit nur die Radikalisierung eines Prinzips, das fast jedem Roman zugrunde liegt. Der Dialog, Austausch und Widerspruch verschiedener Stimmen ist für den Roman gattungsbestimmend. „Lincoln im Bardo“ ist ein so spannendes und seltenes Buch, weil der Text seine eigene Form betont, die sonst bei den meisten Gegenwartsromanen dazu tendiert, möglichst unsichtbar zu sein. Wie etwas erzählt wird, ist hier ebenso wichtig wie das, was erzählt wird. NICOLAS FREUND
Es ist eure Stadt -
holt sie euch zurück
Oh würden dieses Buch doch nur
all die tristen Lokalpolitiker lesen,
die immer noch meinen, Verkehrspolitik heißt Ausbau des Mittleren Rings. – Sollte dieser Auftaktseufzer missgelaunt klingen, dann führt
er auf die falsche Spur, schließlich
ist Mikael Colville-Andersen ein
derart witziger Kopf, dass seine Texte über das Radfahren eine ähnlich
belebende Schubwirkung haben wie
ein Energieriegel vor der letzten
Kurve des Gotthardpasses. Colville-
Andersen ist kein Ramboradler,
sondern ein sanfter Stadtdurchgondler, kein Fundamentalist, sondern
ein blitzgescheiter Mensch, der vor
allem zeigt, dass durch den Ausbau
des Radverkehrs die ganze Stadt
profitiert. In seinem (bisher leider
nur auf Englisch veröffentlichten)
Standardwerk „Copenhagenize“
hält der Däne ein so fundiertes und zugleich schwungvolles Plädoyer
für den Radverkehr und die Rückeroberung des öffentlichen Raumes, dass man danach am liebsten nach
Kopenhagen ziehen würde. Wobei:
Zu Hause bleiben, das Buch lesen und danach versuchen, die eigene verschnarchte Autostadt zu kopenhagenisieren, ist vielleicht noch reizvoller.
ALEX RÜHLE
Tanz die alte
Bundesrepublik
Das Mambo Jambo, das After Shave,
das Tanzlokal Monokel, die Koralle, aber auch das Be-Bop und sogar das Relexx – Privatdetektiv Frankie
klappert alle ab. Kippt sich literweise Bacardi-Cola rein und stellt den Diskjockeys immer die gleiche Frage:
ob sie am 9. Juli „White Heat“ von
Madonna gespielt haben. Der Song lief nämlich im Hintergrund eines
Erpresseranrufs bei einem Vorstand der Deutschen Bundesbahn. Bei seinen Ermittlungen durch Westdeutschland folgt Frankie nur seinem Bauchgefühl („Ich hatte das Stuttgart-Gefühl gehabt“) und einigen Affären („Ich hatte echt keinen Bock auf Telekommunikation mit Jessika Schmidt“). Die Methode ist, nun ja, mäßig erfolgreich. Der Autor Michel Decar ist 1987 geboren und somit zu jung, um in den Achtzigerjahren in Discos getanzt zu haben. Trotzdem beschwört er in seinem Debüt „Tausend deutsche Diskotheken“ ein wohliges Achtzigerjahregefühl. Eine Zeit, in der man in der BRD Marlboro Menthol rauchte, die DDR ein grauer Fleck im Osten war und Reisende statt ins Bordrestaurant in den Speisewagen gingen. Das schreibt er mit schnoddriger Lakonie und maßloser Übertreibung auf. Am Ende bleibt dabei unklar,
ob die Tingelei durch eine längst vergangene Clublandschaft nicht ein
gigantisches Ablenkungsmanöver ist. Und Ich-Erzähler Frankie tiefer
in der Erpressung steckt, als er die
Leser glauben machen will.
CHRISTIANE LUTZ
Wenn dich ein
Wirbelwind liebt
Wer wahren Eskapismus sucht, sollte César Aira lesen. Der Dadaist unter den zeitgenössischen Literaten setzt seine Geschichten aus Objets trouvés, aus Szenen des Alltags zusammen. Er trägt sie, in einem Café in Buenos Aires sitzend, mit dem Federhalter in ein Heft ein und schreibt langsam, nicht mehr als ein paar Sätze pro Tag. Auch deshalb liegt ihm die kurze Form, das Novellenhafte, Unerhörte. Etwa 80 Bücher hat der Argentinier bislang veröffentlicht, die wenigsten davon gibt es auf Deutsch. Der Verlag Matthes & Seitz bringt in loser Folge kleine Bändchen heraus, die auch von außen schön schrill sind. Von den sieben bislang in der „Bibliothek César Aira“ erschienenen Romanen, ist „Die Schneiderin und der Wind“ der beste, weil abschüssigste Einstieg in diese Erzählwelten. Man kann den Roman wie eine Metatheorie zu Airas Schreiben lesen. Beim Versuch, die Handlung zusammenzufassen, muss man kapitulieren, deshalb nur eine Skizze der Ausgangsbedingungen: Eine Näherin „ohne Geschmack, aber von unendlicher Fingerfertigkeit“
folgt ihrem verschwundenen Sohn in einem Taxi durch die unendlichen
Weiten Patagoniens. Unterwegs verliebt sich ein Wirbelwind in sie – und das Ganze treibt in abgelegene Gefilde
erzählerischer Anarchie. Aira geht
es beim Schreiben um Freiheit,
künstlerische und ästhetische. Die
Freiheit, die man im Leben nicht hat, beim Lesen findet man sie.
KARIN JANKER
Versöhnung ist
Millimeterarbeit
Zwei Freundinnen, zwei Familien, ein Mord – und in diesen wenigen Worten die Tragödie eines ganzen Landes. Ein Mann wird erschossen, Txato, ein Fuhrunternehmer, wohlhabend, gutmütig und selbstbewusst. Er wollte kein Geld mehr an die baskischen Separatisten der Eta zahlen, hat die Schmierereien an der Wand seiner Fabrik in einem Dorf bei San Sebastian ignoriert, die stille Feindseligkeit der Nachbarn, schließlich sogar die offenen Drohungen. Nun liegt er auf regennasser Straße, einer von Hunderten Eta-Opfern, seine Familie muss fortziehen, denn die Täter verzeihen den Opfern den Hass nicht, den sie provoziert haben, und Fernando Aramburus Roman „Patria“ hat jene schwarze Achse gefunden, um die die Handlung mal weit vorausgreift, mal tief zurückblickt. Txatos Frau heißt Bittori, und das Verbrechen hat nicht nur ihr Leben zerstört, sondern auch die Freundschaft zu ihrer einstigen Gefährtin Miren. Denn Mirens Sohn Joxe Mari ist ein Eta-Kämpfer, einer von der ganz harten Sorte, vielleicht sogar in Txatos Tod verwickelt. Als Bittori zwanzig Jahre nach dem Mord plötzlich in ihrem früheren Dorf auftaucht, um herauszufinden, wer ihren Mann auf dem Gewissen hat, begegnet ihr kaum jemand so hasserfüllt wie die ehemalige Freundin. Aramburus Buch ist vieles, Familienepos beispielsweise, aber auch das Panorama einer Epoche, in der der spanische Staat foltern ließ, seine Gegner mit Bomben antworteten und die Menschen um diesen Konflikt herumlebten wie um einen spitzen Gegenstand. „Patria“ ist das meisterhafte politische Porträt einer militanten Clique, die – darin gleicht die Eta den nationalistischen, religiösen oder sonst wie verirrten Fanatikern rund um den Globus – irgendwann immer einen Zug ins Korrupte und Totalitäre annehmen. Vor allem aber ist „Patria“ ein Frauenroman. Eine der Heldinnen, Bittori, stört mit ihren Fragen, ja, ihrer schieren Existenz die dumpfe, komplizenhafte Bräsigkeit des Dorfes auf. Die zweite, Miren, schürt die Flamme der Eta-Ideologie selbst dann noch, als ihrem Sohn Joxe Mari nach Jahrzehnten in Haft längst Zweifel daran kommen. Die dritte, Mirens schwer kranke Tochter Arantxa, bringt beide schließlich zusammen. Alle drei sind sich in ihrer Kompromisslosigkeit ähnlicher als sie es wahrhaben wollen, das macht es noch ein bisschen komplizierter. Und wenn es eine Lehre aus diesem kühl erzählten, aber überbordend figuren- und bilderreichen Roman gibt, dann die, dass Versöhnung Millimeterarbeit ist und sich dummerweise nicht eine einzige der winzigen Annäherungen überspringen lässt. In Spanien, wo die Eta die Waffen inzwischen niedergelegt hat, wurde das Erscheinen von „Patria“ wie eine Erlösung gefeiert. Außerhalb Spaniens ist Aramburus Buch ein diskreter Hinweis darauf, dass Europa eine ganz persönliche, absolute homegrown Geschichte des Terrorismus hat. Was es außerdem ist: Eine mitreißende, in jeder Hinsicht strandtaugliche Lektüre.
SONJA ZEKRI
Eindeutig
uneindeutig
Keine hundert kleine Reclam-Seiten ist dieser Essay lang, und doch hat der deutsche Islamwissenschaftler Thomas Bauer eines der großen Bücher zur Zeit geschrieben. „Die Vereindeutigung der Welt“ ist ein so elegant analytisches wie beherzt eindeutiges Plädoyer für die Uneindeutigkeit und gegen die laufende Vernichtung der Vielfalt in Natur, Kunst, Religion und Politik. Das Zauberwort heißt dabei Ambiguitätstoleranz, aber so kompliziert, wie es klingt, ist es überhaupt nicht: Ambiguitätstoleranz ist einfach die Fähigkeit, Mehr- und Vieldeutigkeit aller Art aushalten, ja womöglich sogar feiern zu können als urmenschlich und urrepublikanisch – und allen Angeboten zutiefst zu misstrauen, die leichter Hand Erlösung von allen Widersprüchen versprechen, die das Leben in Gesellschaft nun mal so mit sich bringt. Wo anders als im Urlaub, der allerschönsten Antithese, sollte man für diesen Gedanken empfänglicher sein?
JENS-CHRISTIAN RABE
Eine gute Ehe
Emilie Fontane kannte sich aus mit den Romanen ihres Mannes. Sie schrieb die Manuskripte ab. Wer sonst hätte sich im Durcheinander der Korrekturen, Ergänzungen, Notizen zurechtgefunden? Am 11. Juni 1884 verglich sie seine Werke mit Adolph Menzels Gemälde „Piazza d’Erbe in Verona“: „es wirkt erst wie ein Sammelsurium u. macht auf mich als Ganzes gar keinen Eindruck. Verzeih, auch darin Deiner Produktion etwas ähnlich. Aber die Details, die kostbaren, interessanten Details, ich konnte mich gar nicht losreißen …; es erfüllt mich wie Ehrfurcht, vor diesem Fleiß“. Zu gern wüsste man, welches Gesicht Theodor Fontane zog, als er das las.
Solche freundlichen Tritte vors Schienbein halten nur gute Ehen aus. 1850 hatten der dichtende Apotheker und Emilie Rouanet-Müller-Kummer geheiratet. Sie blieben beieinander, fanden Wege, mit Geldsorgen, seinem Egoismus, ihren Stimmungen, mit Kränkungen, Enttäuschungen zu leben. Sie etwa musste ertragen, dass er Stellen, die ein Auskommen garantierten, wieder aufgab, ohne seine Entscheidung vorher mit ihr zu bereden; dass er ein freies Dasein „den Alltagskarrieren mit ihrem Zwang, ihrer Enge und wichtigtuerischen Langeweile vorzog“, wie er einer Freundin schrieb.
Mit den Einzelheiten der Fontane’schen Halb-Jahrhundert-Ehe sind wir gut vertraut. 1998 erschien der Ehebriefwechsel in der „Großen Brandenburger Ausgabe“. Die drei Bände mit ihren 2400 Seiten passen nicht ins Reisegepäck. 123 Briefe, 32 von ihr, 91 von ihm, hat Gotthard Erler für diesen Band ausgewählt, einen kleinen Teil der 750 überlieferten. Aber es ist Neues dabei: Theodor Fontanes Brief aus Bad Kissingen, 28. Juni 1889, erscheint zum ersten Mal in Buchform; andere Briefe, bislang nur in Abschriften überliefert, konnten nach den wieder aufgetauchten Originalhandschriften abgedruckt werden. In kurzen Einleitungen erzählt Gotthard Erler, was zum Verständnis nötig ist, skizziert den unsicheren, an Wendungen reichen Lebensweg Theodor Fontanes und seiner „lieben, guten Frau“.
Allabendlich besprachen sie die Neuigkeiten des Tages, Nachrichten von Freunden und Bekannten, Kunstereignisse, auch Politisches. Und so führten sie auch ihre Korrespondenz, als Ersatz für die „Papel-Stunden“.
Emilie war 42, als ein gerade empfangener Brief ihres sechs Jahre älteren Mannes sie ganz aus der „Contenance“ brachte: „das Blut stieg mir in’s Gesicht u. ich lief schleunigst in mein Zimmer um allein zu sein. Wie wunderbar doch geschriebene Worte wirken ...“.
JENS BISKY
Land der
Vergessenen
Er hat einen Mann umgebracht. In Nothilfe. Um seinen Kumpel Billy zu retten. Deshalb ist Isaac, 20, jetzt auf der Flucht. Er will fliehen aus diesem gottverlassenen Tal in Pennsylvania, dessen Herz früher der Stahl gewesen ist. Er will fliehen vor seinem tyrannischen, pflegebedürftigen Vater, der einst im Stahlwerk geschuftet und dem er jetzt 4000 Dollar geklaut hat. Er will fliehen vor der Polizei. Und er will fliehen aus seinem alten Leben, in dem er, Isaac English, der klügste Junge im Tal, Billy Poe Mathe-Nachhilfe gegeben und ein Studium der Astrophysik in Yale angestrebt hat, womit er gescheitert ist. Philipp Meyer hat „Rost“ 2009 geschrieben, lange bevor Donald Trump ins Amt kam. Doch den Boden, auf dem Trump Präsident werden konnte, beschreibt Meyer grandios. Es ist die Mischung aus Armut, Gewalt und Hoffnungslosigkeit, die der Zusammenbruch der Stahlindustrie im „Rustbelt“ hinterlassen hat – dort, wo Isaac aufgewachsen und Trump Präsident geworden ist, weil ihn die Verzweifelten gewählt haben. „Rost“ erzählt das Sterben von Industrie und Mensch im „Rostgürtel“ wie ein Roadmovie, und doch ist seine Geschichte mehr: eine weitsichtige Parabel auf „Trumpland“, die man, trotz Trump (er kommt im Buch nicht vor), mit Genuss lesen kann.
WOLFGANG KRACH
Hannah Arendt: Wie ich einmal ohne Dich leben soll, mag ich mir nicht vorstellen. Briefwechsel mit den Freundinnen. Piper Verlag, München 2018. 678 Seiten, 38 Euro.
Elizabeth Jane Howard: Die Jahre der Leichtigkeit. Roman. Aus dem Englischen von Ursula Wulfekamp. dtv, München 2018. 576 Seiten, 16,90 Euro.




Essad Bey: Öl und Blut im Orient.
Autobiografischer Bericht. Die andere Bibliothek, Berlin 2018. 357 Seiten,
42 Euro.
Christine Nöstlinger: Das Austauschkind. Beltz & Gelberg,
Weinheim 2018.
160 Seiten, 6,95 Euro.
Samanta Schweblin: Sieben leere Häuser. Aus dem Spanischen von Marianne Gareis. Suhrkamp, Berlin 2018. 150 Seiten, 20 Euro.




William Finnegan: Barbarentage. Aus dem Englischen
von Tanja Handels. Suhrkamp, Berlin 2018. 566 Seiten,
18 Euro.
Franz-Josef
Brüggemeier:
Grubengold. Das Zeitalter der Kohle von 1750 bis heute. Verlag C. H. Beck, München 2018. 456 Seiten,
29,95 Euro.

Oskar Ansull und Joachim Kersten (Hrsg.): Der junge Wohlklang. Ernst Schulze, 1789–1817. Tagebücher und
Briefe. Wallstein
Verlag, Göttingen, 2018. 288 Seiten. 19,90 Euro.
George Saunders: Lincoln im Bardo. Roman. Aus dem Englischen von Frank Heibert. Luchterhand, München 2018. 448 Seiten, 25 Euro.
Mikael Colville-
Andersen: Copenhagenize The Definitive Guide to Global Bicycle Urbanism. Island Press, London 2018. 296 Seiten,
24 Euro.
Michel Decar:
Tausend deutsche Diskotheken.
Ullstein Verlag,
Berlin 2018.
240 Seiten, 20 Euro.


César Aira: Die Schneiderin und der Wind. Roman. Aus dem Spanischen von Christian Hansen. Matthes & Seitz, Berlin 2017.
144 Seiten, 18 Euro.
Fernando Aramburu: Patria. Roman. Aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018. 907 Seiten, 25 Euro.
Thomas Bauer: Die Vereindeutigung der Welt. Über den
Verlust an
Mehrdeutigkeit und Vielfalt. Reclam,
Ditzingen 2018.
104 Seiten, 6 Euro.
Emilie & Theodor Fontane: Die Zuneigung ist etwas Rätselvolles. Ein Ehe in Briefen. Herausgegeben von Gotthard Erler. Aufbau Verlag, Berlin 2018. 320 Seiten, 18 Euro.
Philipp Meyer: Rost. Roman. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. Deutscher Taschenbuch
Verlag, München 2012. 464 Seiten, 11,90 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.2018

Die Gischt des grünen Wassers
William Finnegans Buch "Barbarentage" über sein Leben als fanatischer Surfer ist so irre gut, dass man auch gleich in die Wellen will

Surfer mögen Bücher über das Surfen nicht. Vor allem dann nicht, wenn die Bücher gut sind, denn jedes gute Buch über das Surfen bringt ein paar neue Leute in die Wellen, in denen es ohnehin schon reichlich eng zugeht. Deswegen fürchten alle, die gern allein draußen in der Dünung, im Line-up treiben und die besten Wellen für sich haben wollen, fast nichts so sehr wie ein Buch, dass den nicht surfenden Massen erklärt, was mit einem passiert, wenn man sich morgens, bei leichtem Wind, an einem leeren Strand in seinen schwarzen Neoprenanzug zwängt, der noch nach Salz und Sonnencreme und warmen Nachmittagen unter den Pinien einer großen Düne am Meer riecht; wenn man dann den groben Reißverschluss hinten hochzieht und in dieser Kostümierung mit seinem Brett aufs Meer zurennt, das Brett in die Wellen schiebt, sich auf dieses Brett schwingt und durch die leichte Dünung in einen Line-up hinauspaddelt, dessen brechende Wellen so gleichmäßig laufen, dass sie aussehen wie Teile einer überirdisch schönen Maschine aus Gischt und tiefgrünem Wasser und einem noch tieferen Donnern, deren Teil man werden wird.

Wenn ein Buch es also schafft, all das so zu beschreiben, dass man versteht, warum diejenigen, die dort draußen im Line-up sitzen und auf die Wellen warten, auch Tage, Wochen später danach noch vor Freude glühen, und dass sie den Ärgernissen, den Verlusten und Demütigungen des Lebens mit einer geradezu gespenstischen Gemütsruhe entgegentreten, weil sie etwas haben, das größer und schöner und rauschender als der ganze Alltagsirrsinn ist und nie verschwinden wird, die auflaufenden, brechenden, zum Land hin gischtenden Wellen nämlich: dann ist zu befürchten, dass die Leser dieses Buchs am Ende auch in die Wellen wollen. Und so gesehen ist William Finnegans Bestseller "Barbarentage" über sein Leben als fanatischer Surfer, der unter anderem mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, ein Ärgernis - weil er so gut ist. Wenn nur jeder zehnte seiner Leser sich ein Board kauft, muss man die Küstenlinien der Welt verlängern, damit alle Platz im Line-up haben.

Finnegan, geboren 1952 in New York, ist eigentlich Reporter beim "New Yorker". Er hat brillante Essays über Rassismus und große Reportagen über alle erdenklichen Greueltaten in den Kriegs- und Krisengebieten der Welt geschrieben. Und wenn man die "Barbarentage" liest, in der diese Barbareien nur am Rande erwähnt werden, muss man den Eindruck bekommen, dass der Donner der Wellen, die erschreckende Schönheit ihrer Gewalt, auch ein Fluchtpunkt ist, um sich vom Donner dieser Kriege zu erholen.

William Finnegan zog in den sechziger Jahren, als er zwölf Jahre alt war, mit seinen Eltern von Los Angeles nach Hawaii. Die Familie wohnte in einem sehr kleinen Haus am Rand von Kahala, William ging auf eine Junior Highschool, wo er bald feststellen musste, dass er als weißer Zugezogener zu einer Minderheit gehörte und "sich praktisch ununterbrochen von Schultyrannen, Einsamkeit und Prügeleien drangsaliert sah und große Mühe hatte, sich nach einem abgeschotteten, kalifornischen Vorortleben unreflektierten Weißseins plötzlich in einer von Rassenproblemen geprägten Welt zurechtzufinden". William flieht in die Wellen, gleichzeitig wird der Gang vom geschützten Pool der kalifornischen Bungalows seiner Kindheit und dem freundlich vor Los Angeles schwappenden Pazifik in die wilderen, größeren, gefährlicheren, dunkleren Wellen vor Hawaii auch zu einer Initiation in die größere, dunkle Welt des Erwachsenseins.

Da waren die Surfer, die schon Erwachsenen, die einem erzählten, es gäbe nichts Schöneres, als dort draußen eine der ersten Wellen des Tages zu bekommen - und es waren hawaiianische Surfer. "Alle Surfer und Leser von Surfmagazinen verbrachten den Großteil ihrer Tagträume zwangsläufig in Hawaii", schreibt Finnegan. "Und ich war jetzt hier, lief über echten hawaiianischen Sand (grobkörnig und mit einem seltsamen Geruch), schmeckte hawaiianisches Meerwasser (warm und mit einem seltsamen Geruch) und paddelte hawaiianische Wellen an (klein, finster und windgepeitscht)."

Finnegan schreibt mit der gleichen Besessenheit, mit der er surft, über jede einzelne Welle, über gelungene Take-offs und Wipe-outs. Er schreibt so dicht an der Welle, dass man als Leser quasi hinten mit auf dem Board liegt und mit untergewirbelt wird. Selten hat es jemand geschafft, einen durch ultranahe Detailbeschreibungen so energisch mit aufs Meer hinauszuziehen.

1966, mit 13, sei er zum Atheisten geworden, es gab nichts Größeres mehr in seinem Leben als die Wellen draußen: "Dort draußen war alles auf verstörende Weise miteinander verflochten. Die Wellen waren das Objekt tiefster Sehnsucht und Verehrung. Doch gleichzeitig waren sie auch der Gegner, der Widersacher, manchmal sogar der Todfeind." Wie Finnegan das Hineinarbeiten in den Line-up beschreibt, erinnert manchmal eher an die Beschreibung von Arbeitern, die einen Tunnel in den Berg treiben. Und obwohl seine Sprache manchmal hart an der Grenze zum Existenzpathos surft, fällt sie nie vom Brett - was auch eine Kunst ist, die der Schreibende vom Surfer lernen kann: Wenn es misslingt, wird es etwas zwischen peinlich, unangenehm oder sogar lebensgefährlich, wenn es gelingt und die geballte, potentiell zerstörerische Energie der Welle ins Brett und den Wellenreiter zu fahren scheint, gibt es nichts Besseres.

Als er älter ist, beginnt Finnegan, den Wellen, den legendären Surfspots hinterherzureisen, nach Südafrika, Indonesien, in den Südpazifik, auf eine Insel bei Fidschi, wo er mit seinem Reisepartner Brian Di Salvatore einen unbekannten Break findet, der später als "Cloudbreak" berühmt wird. Er surft auch im Winter, wenn die Wellen noch stärker und größer sind, in Brechern, die ihn fast umbringen, ramponiert seinen Körper und macht dem Leser klar, dass es da draußen in den kalten Gebirgen aus Wasser mit ein bisschen Beach-Boy-gute-Laune nicht getan ist - vielleicht als Abschreckung, um ihn doch am Ende von den geliebten Wellen fernzuhalten.

NIKLAS MAAK

William Finnegan: "Barbarentage". Aus dem Englischen von Tanja Handels. Mit fachlicher Beratung von Jens Steffenhagen. Suhrkamp Nova, 568 Seiten, 18 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
»Barbarentage ist die perfekte Lektüre für jede Ferienlage: ein Abenteuerroman, die Geschichte einer endlosen Reise, ein Roadmovie durch den Pazifik und durch die Seelenlage eines Heranwachsenden.« Jan Heidtmann Süddeutsche Zeitung 20180728