Studienarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,0, Ludwig-Maximilians-Universität München (Institut für Deutsche Philologie, Department Germanistik), Veranstaltung: Proseminar "Deutsch-jüdische Literatur des 19. Jahrhunderts", Sprache: Deutsch, Abstract: Mit Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden erstmals Erzählungen in nennenswerter Zahl, die sich mit explizit jüdischen Themen befassten und dabei in deutscher Sprache und in lateinischer Schrift abgefasst waren. Das Ghetto als literarische Quelle für spezifisch jüdische Alltagsbilder war zu dieser Zeit jedoch längst nicht mehr greifbar. Spätestens ab 1850 entstand deshalb bei einer Gruppe deutsch-jüdischer Autoren das Bewusstsein, dass man, um glaubhafte Bilder des Lebens im Ghetto entwerfen zu können den Blick gen Osten richten müsse: nach Galizien, Podolien oder in die Bukowina, jenen entlegenen Ecken Europas, die Karl-Emil Franzos seinerzeit als „Halb-Asien“ zu bezeichnen pflegte. Zahlreiche seiner Geschichten beleuchten das jüdische Leben im "Land Podolien", wobei die Stadt Barnow den meisten seiner Ghettoerzählungen als Handlungsort dient. In dem Bewusstsein, dass es sich bei Barnow um eine fiktive, wenn auch autobiografisch beeinflusste Konstruktion handelt, untersucht diese Arbeit die semantischen Mittel, derer sich Franzos bedient, um das Ghetto literarisch zu erfassen. Hierzu werden die Geschichten aus dem von ihm selbst als „Mein Erstlingswerk“ bezeichneten Novellenband "Die Juden von Barnow" herangezogen, für Vergleiche auch Teile seiner späteren Veröffentlichungen. Vorworte und Kommentare des Autors sowie einiger Zeitgenossen sollen außerdem Aufschluss darüber geben, wie Franzos das Leben der Juden im Osten bewertet, und welche Hinweise auf belegte programmatische Forderungen in seinem Werk zu finden sind. Abschließend soll, unter Hinzuziehung neuerer Forschung zur deutschsprachigen Ghettoliteratur, die Frage beantwortet werden, welchen Wert Franzos‘ Schilderungen aus dem Ghetto aus heutiger Sicht für die Literaturwissenschaft bereit halten – insbesondere, wenn man die historische Wirklichkeit des Holocaust, durch den das jüdische Leben in Osteuropa fast vollends ausgelöscht worden ist, in die Betrachtung mit einbezieht.