"Hans Christoph Buch versteht es wie kein anderer, Atmosphäre zu erzeugen, Stimmungen zu evozieren, Bilder zu entwerfen, so dass sich der Leser, auf dem Sofa liegend, wie unter Zwang mitgezogen fühlt und das Fremde hautnah erlebt." Frankfurter Allgemeine Zeitung Hans Christoph Buch ist der große Reisende unter den deutschen Schriftstellern. Sein neuer Roman lädt die Leser zu einer Zeitreise ein, einer Expedition ins Ich, die den Erzähler an die Orte seiner in Südfrankreich verbrachten Jugend führt: ins Kloster La Sainte Baume, wo Buch Französisch lernte, nach Marseille, wo sein Vater als Konsul amtierte, und nach Sanary, wo er den Spuren von Bertolt Brecht, Thomas Mann und anderen prominenten Exilanten nachgeht - und in Buchs zweite Heimat: das vom Erdbeben zerstörte Haiti. Der Weg in die Erinnerung führt in die Fiktion: Buch erzählt eine geheimnisvolle Reise ins Innere, vom Leben als Reise ins Totenreich, als Gottsuche, deren Protagonist und Erzähler sich in einen lebenden Toten verwandelt, voll neuer Leichtigkeit und doch dazu verdammt, die Fehler und Irrtümer zu wiederholen, die ihm zu seinen Lebzeiten unterlaufen sind. Hans Christoph Buchs neuer Roman ist ein literarisches Vexierspiel: Aufgesplittert in ein Kaleidoskop verschiedener Erzählungen, mehrfach gespiegelt in Geschichten literarischer Vorbilder und Figuren, nähert sich der Text in spiralförmiger Struktur dem Leben des Autors, ohne je den Anspruch auf biographische Authentizität zu erheben.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wer sich für "Assoziationsirrgärten und historische Verruckelungsspiele" begeistern kann, der ist bei Hans Christoph Buch gut aufgehoben, weiß Wolfgang Schneider. Auch "Baron Samstag oder Das Leben nach dem Tod" ist kein Roman im klassischen Sinne, verrät der Rezensent, man sollte keine durchgehende Handlung oder kohärente Figuren erwarten. Stattdessen gibt es "autobiografische Maskeraden" und "bildungsbefrachtete Kaperfahrten", so Schneider, und wie immer bieten diese Spielereien Buch ein Bühne für ein bildungsbürgerliches Zitatschauspiel, das sich aber dankenswerter Weise nicht allzu ernst nimmt, erklärt der Rezensent - man hat jedenfalls viel Spaß, wenn man den ausgelegten Spuren im Netz hinterherstöbert, freut sich Schneider.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.04.2014Reise zum besten Albtraum der Welt
Selbst Graf Dracula wird bei ihm zum Erzähler: Hans Christoph Buch, unablässig von Weltneugier getrieben, wird Siebzig und hat gleich drei neue Bücher zu bieten
Provinzialität - dass dieser alte Vorwurf gegen die deutsche Literatur nicht mehr zieht, ist auch das Verdienst Hans Christoph Buchs. Afrika, Südamerika, die Karibik gehören zu den Erfahrungsräumen seiner postkolonialen Romane und Reportagen. Reiselust und Weltneugier sind offenbar ein Familienerbteil. Buchs Vater war Diplomat; sein Großvater, ein Apotheker, wanderte Ende des neunzehnten Jahrhunderts nach Haiti aus, wo er eine Kolonie von Geschäftsleuten mit Medikamenten versorgte und eine Kreolin heiratete, deren Deutsch zeitlebens nicht über die Worte "Schwein" und "Kartoffeln" hinauskam.
Drei Bücher hat Buch allein in den letzten zwölf Monaten veröffentlicht; das gewichtigste ist "Baron Samstag oder das Leben nach dem Tod". Autobiographische Maskeraden, historische Vexierspiele, politisch-polemische Interventionen, krasse Kontrafakturen, bildungsbefrachtete Kaperfahrten - all das bietet die Prosa dieses Autors und insbesondere dieses Werk, nur um einen "Roman" im herkömmlichen Sinn handelt es sich nicht. Eine durchgezogene Handlung mit einem Ensemble psychologisch abgerundeter Figuren sollte man nicht erwarten, sonst wird die Lektüre zur Verlustanzeige.
Es beginnt autobiographisch. Aus Anlass des ersten Jahrestages seiner Scheidung reist Buch mit seiner Exfrau Judith nach Südfrankreich, um ein Erinnerungsgelände zu begehen: das Kloster Sainte Baume, wo er vor einem halben Jahrhundert Internatsschüler war. Bei Sanary-sur-Mer schwimmt er mit Taucherbrille ums Cap Nègre, dorthin, wo das Wasser sehr tief wird - und hat ein unheimliches Erlebnis: "Ein rasch größer werdender Schatten" breitet sich unter ihm aus. "Panik ergriff ihn, als er den stahlgrauen Rumpf eines U-Boots unter sich hinweggleiten sah." Eine starke, symbolkräftige Szene. Ungetüme der Tiefe ziehen diesen Autor in den Bann.
Auf seinen Reisen sammelt er süchtig Schnappschüsse des Verfalls, der Verkommenheit, der Kriegszerstörung und Verwesung. Der Besuch im erdbebenzerstörten Haiti hat da einiges zu bieten: die Schutthalden von Port-au-Prince, zerknickte Betonwände, bettelnde Kinder, Leichengeruch, Voodoo-Zeremonien mit Baron Samedi, dem Totengott. Der "Untergang des Hauses Buch" wird beschworen. In die verlassene Apotheke des Großvaters führt eine Blutspur; drinnen "ein Sterbender, der seine aus dem Bauch hervorquellenden Eingeweide wie ein Paket in den Händen hielt und kaum hörbar röchelte". Fluchtartig verlässt der Autor das modrige Gebäude: Haiti, "der beste Albtraum der Welt".
Es geht Buch bei seinen Reisen immer auch um die Selbsterfahrung und Vitalisierung in Grenzsituationen. Er bekennt sich zur voyeuristischen Faszination durch Gewalt. Und zu gelegentlichen Grenzen der Anteilnahme. Unvergessen, wie er im Essayband "Blut im Schuh" von seinem Besuch in einem algerischen Dorf berichtet. Dort sind soeben 150 Menschen massakriert worden; Buch aber ist mit seiner triefenden Nase beschäftigt. Mit Schrecken nimmt er wahr, dass ihm die Papiertaschentücher ausgehen.
"Baron Samstag" ist einmal mehr geprägt von Buchs "Zitierwut". Es dürfte wenige Menschen geben, bei denen das Literaturwissen dermaßen den Alltag durchdringt. "Judith hatte sich darüber mokiert, dass er statt aus Blutgefäßen und Nerven nur aus Zitaten bestünde, um sich auf alles und jedes einen Reim zu machen." Es ist ein Zirkel: Die abenteuerlichen Reisen sind notwendig, um der gelehrten Sterilität zu entkommen. Unterwegs aber wappnet sich der Autor mit einer Schutzschicht melancholischer Bildungsbürgerlichkeit. Für alle Schrecken, die ihm begegnen, hat er Assoziationen, Verse und Formeln aus dem inneren Archiv parat.
Als Kontrast zur Gelehrsamkeit liebt Buch die Selbstinszenierung einer erfahrungsverwitterten, todesnähegeprüften Maskulinität, mal als verlorene Reporter-Seele an Hotelbars in Krisengebieten, mal im Western-Style: "Der melancholische Zug um seinen Mund erinnerte an einen pensionierten Sheriff, dessen Hand zittert, weil er zu oft und zu tief ins Whisky-Glas schaut, statt auf der Main Street Banditen ins Visier zu nehmen." Was denn nun - pensioniert oder Dienstversäumnis?
In einer traumartigen Haiti-Sequenz trifft er auf einen fabelhaften Fürsten namens de Mohrenschildt, der altem baltischen Adel entstammt und mit Mohamed Al Fayed befreundet sein will, dem Einzigen, dem es je gelungen sei, Papa Doc Duvalier auszutricksen. Soll man's glauben? "History is a bunk", meint Mohrenschildt, "Geschichte ist Schrott, wie Winston Churchill zu sagen pflegte - oder war es Franklin Roosevelt?" Ein typisches Buchsches Irrlicht, denn das Zitat stammt von Henry Ford. Wer Spaß an schwindlig machenden Assoziationsirrgärten und historischen Verruckelungsspielen hat, ist der richtige Leser für diesen Autor. Aus seinen Fundstücken vom Schrottplatz der Historie biegt er literarische Skulpturen. Man mag dabei eine gewisse Überfülle an Bildungsblech beklagen, profitiert aber umso mehr davon, wenn man nebenbei all die irrwitzigen und anregenden Geschichten im Internet nachrecherchiert. "Die Gegenwartsliteratur entsteht aus dem Dialog mit der Vergangenheit, die sie fortschreibt - oder auch nicht." So heißt es in Buchs gerade erschienenen Berliner Poetikvorlesungen, die den Titel "Boat People - Literatur als Geisterschiff" tragen.
Schließlich wird Graf Dracula zum Erzähler - als Unesco-Botschafter in Paris und Gutachter der Weltkulturerbekommission, nebenbei auch bemüht um Ökotourismus und den Schutz der transsilvanischen Vampirfledermaus. Draculas Tagschlaf im Sarkophag wird aufgestört von einem literarischen Wiedergänger: Curzio Malaparte, auf der Suche nach Bonaparte. Er ist das abenteuerliche Herz der italienischen Literatur und mit seinen verwegenen Reportage-Romanen aus den Schreckensreichen Himmlers und Stalins ein wichtiger Gewährsmann Hans Christoph Buchs, der gegen Ende des Romans eine Selbstexekution zelebriert: kopfüber in eine Schlucht gestürzt und von Wildschweinen angefressen.
Verglichen mit dem spukhaften Essayismus von "Baron Samstag", kommt "Nolde und ich - ein Südseetraum" aufgeräumt daher. Beschrieben wird die Reise, die der Maler mit seiner Frau Ada vor dem Ersten Weltkrieg nach Papua-Neuguinea unternahm, im Wechsel mit den morbiden Impressionen, die Buch selbst auf den Spuren Emil Noldes in der Südsee sammelt. Zu dessen Zeit war das Kannibalengebiet (der Mensch firmierte als "Langschwein" auf dem Speiseplan) geographisch eingedeutscht: Man bewegte sich zwischen Bismarck-Bergen, Herbertshöhe und Neupommern. Nolde war auf der Suche nach der Inspiration durch das Ursprüngliche; die Menschen der Zivilisation erschienen ihm wie "verbildete Gliederpuppen". Koloniale Motive werden entfaltet: Die Kleidung ist in der Tropenhitze nach ein paar Schritten durchgeschwitzt, die Luft voller Moskitos, das Wasser im Bach lauwarm, faulig und voller Krankheitskeime; gelegentlich flattert am Fenster ein Flughund vorbei. Eine faulige Brühe, von der Nolde zeitweilig kostete, war der Antisemitismus. Hier wird erzählt, wie eine schöne Frau den Künstler davon kurierte.
"Throw away leg", das sei Neuguinea-Englisch und soll bedeuten: das Bein wegwerfen, auf Reisen gehen. Als Leser profitiert man von der Welthaltigkeit der Werke Hans Christoph Buchs. Dieser Autor, der am morgigen Sonntag seinen siebzigsten Geburtstag feiert, hat sich nie gescheut, das Bein weit wegzuwerfen.
WOLFGANG SCHNEIDER.
Hans Christoph Buch: "Baron Samstag oder das Leben nach dem Tod".
Roman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2013. 256 S., geb., 19,90 [Euro].
Hans Christoph Buch: "Boat People". Literatur als Geisterschiff.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2014. 127 S., 7 Abb., geb., 17,90 [Euro].
Hans Christoph Buch: "Nolde und ich".
Ein Südseetraum.
Kometen der Anderen Bibliothek, Berlin 2013. 110 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Selbst Graf Dracula wird bei ihm zum Erzähler: Hans Christoph Buch, unablässig von Weltneugier getrieben, wird Siebzig und hat gleich drei neue Bücher zu bieten
Provinzialität - dass dieser alte Vorwurf gegen die deutsche Literatur nicht mehr zieht, ist auch das Verdienst Hans Christoph Buchs. Afrika, Südamerika, die Karibik gehören zu den Erfahrungsräumen seiner postkolonialen Romane und Reportagen. Reiselust und Weltneugier sind offenbar ein Familienerbteil. Buchs Vater war Diplomat; sein Großvater, ein Apotheker, wanderte Ende des neunzehnten Jahrhunderts nach Haiti aus, wo er eine Kolonie von Geschäftsleuten mit Medikamenten versorgte und eine Kreolin heiratete, deren Deutsch zeitlebens nicht über die Worte "Schwein" und "Kartoffeln" hinauskam.
Drei Bücher hat Buch allein in den letzten zwölf Monaten veröffentlicht; das gewichtigste ist "Baron Samstag oder das Leben nach dem Tod". Autobiographische Maskeraden, historische Vexierspiele, politisch-polemische Interventionen, krasse Kontrafakturen, bildungsbefrachtete Kaperfahrten - all das bietet die Prosa dieses Autors und insbesondere dieses Werk, nur um einen "Roman" im herkömmlichen Sinn handelt es sich nicht. Eine durchgezogene Handlung mit einem Ensemble psychologisch abgerundeter Figuren sollte man nicht erwarten, sonst wird die Lektüre zur Verlustanzeige.
Es beginnt autobiographisch. Aus Anlass des ersten Jahrestages seiner Scheidung reist Buch mit seiner Exfrau Judith nach Südfrankreich, um ein Erinnerungsgelände zu begehen: das Kloster Sainte Baume, wo er vor einem halben Jahrhundert Internatsschüler war. Bei Sanary-sur-Mer schwimmt er mit Taucherbrille ums Cap Nègre, dorthin, wo das Wasser sehr tief wird - und hat ein unheimliches Erlebnis: "Ein rasch größer werdender Schatten" breitet sich unter ihm aus. "Panik ergriff ihn, als er den stahlgrauen Rumpf eines U-Boots unter sich hinweggleiten sah." Eine starke, symbolkräftige Szene. Ungetüme der Tiefe ziehen diesen Autor in den Bann.
Auf seinen Reisen sammelt er süchtig Schnappschüsse des Verfalls, der Verkommenheit, der Kriegszerstörung und Verwesung. Der Besuch im erdbebenzerstörten Haiti hat da einiges zu bieten: die Schutthalden von Port-au-Prince, zerknickte Betonwände, bettelnde Kinder, Leichengeruch, Voodoo-Zeremonien mit Baron Samedi, dem Totengott. Der "Untergang des Hauses Buch" wird beschworen. In die verlassene Apotheke des Großvaters führt eine Blutspur; drinnen "ein Sterbender, der seine aus dem Bauch hervorquellenden Eingeweide wie ein Paket in den Händen hielt und kaum hörbar röchelte". Fluchtartig verlässt der Autor das modrige Gebäude: Haiti, "der beste Albtraum der Welt".
Es geht Buch bei seinen Reisen immer auch um die Selbsterfahrung und Vitalisierung in Grenzsituationen. Er bekennt sich zur voyeuristischen Faszination durch Gewalt. Und zu gelegentlichen Grenzen der Anteilnahme. Unvergessen, wie er im Essayband "Blut im Schuh" von seinem Besuch in einem algerischen Dorf berichtet. Dort sind soeben 150 Menschen massakriert worden; Buch aber ist mit seiner triefenden Nase beschäftigt. Mit Schrecken nimmt er wahr, dass ihm die Papiertaschentücher ausgehen.
"Baron Samstag" ist einmal mehr geprägt von Buchs "Zitierwut". Es dürfte wenige Menschen geben, bei denen das Literaturwissen dermaßen den Alltag durchdringt. "Judith hatte sich darüber mokiert, dass er statt aus Blutgefäßen und Nerven nur aus Zitaten bestünde, um sich auf alles und jedes einen Reim zu machen." Es ist ein Zirkel: Die abenteuerlichen Reisen sind notwendig, um der gelehrten Sterilität zu entkommen. Unterwegs aber wappnet sich der Autor mit einer Schutzschicht melancholischer Bildungsbürgerlichkeit. Für alle Schrecken, die ihm begegnen, hat er Assoziationen, Verse und Formeln aus dem inneren Archiv parat.
Als Kontrast zur Gelehrsamkeit liebt Buch die Selbstinszenierung einer erfahrungsverwitterten, todesnähegeprüften Maskulinität, mal als verlorene Reporter-Seele an Hotelbars in Krisengebieten, mal im Western-Style: "Der melancholische Zug um seinen Mund erinnerte an einen pensionierten Sheriff, dessen Hand zittert, weil er zu oft und zu tief ins Whisky-Glas schaut, statt auf der Main Street Banditen ins Visier zu nehmen." Was denn nun - pensioniert oder Dienstversäumnis?
In einer traumartigen Haiti-Sequenz trifft er auf einen fabelhaften Fürsten namens de Mohrenschildt, der altem baltischen Adel entstammt und mit Mohamed Al Fayed befreundet sein will, dem Einzigen, dem es je gelungen sei, Papa Doc Duvalier auszutricksen. Soll man's glauben? "History is a bunk", meint Mohrenschildt, "Geschichte ist Schrott, wie Winston Churchill zu sagen pflegte - oder war es Franklin Roosevelt?" Ein typisches Buchsches Irrlicht, denn das Zitat stammt von Henry Ford. Wer Spaß an schwindlig machenden Assoziationsirrgärten und historischen Verruckelungsspielen hat, ist der richtige Leser für diesen Autor. Aus seinen Fundstücken vom Schrottplatz der Historie biegt er literarische Skulpturen. Man mag dabei eine gewisse Überfülle an Bildungsblech beklagen, profitiert aber umso mehr davon, wenn man nebenbei all die irrwitzigen und anregenden Geschichten im Internet nachrecherchiert. "Die Gegenwartsliteratur entsteht aus dem Dialog mit der Vergangenheit, die sie fortschreibt - oder auch nicht." So heißt es in Buchs gerade erschienenen Berliner Poetikvorlesungen, die den Titel "Boat People - Literatur als Geisterschiff" tragen.
Schließlich wird Graf Dracula zum Erzähler - als Unesco-Botschafter in Paris und Gutachter der Weltkulturerbekommission, nebenbei auch bemüht um Ökotourismus und den Schutz der transsilvanischen Vampirfledermaus. Draculas Tagschlaf im Sarkophag wird aufgestört von einem literarischen Wiedergänger: Curzio Malaparte, auf der Suche nach Bonaparte. Er ist das abenteuerliche Herz der italienischen Literatur und mit seinen verwegenen Reportage-Romanen aus den Schreckensreichen Himmlers und Stalins ein wichtiger Gewährsmann Hans Christoph Buchs, der gegen Ende des Romans eine Selbstexekution zelebriert: kopfüber in eine Schlucht gestürzt und von Wildschweinen angefressen.
Verglichen mit dem spukhaften Essayismus von "Baron Samstag", kommt "Nolde und ich - ein Südseetraum" aufgeräumt daher. Beschrieben wird die Reise, die der Maler mit seiner Frau Ada vor dem Ersten Weltkrieg nach Papua-Neuguinea unternahm, im Wechsel mit den morbiden Impressionen, die Buch selbst auf den Spuren Emil Noldes in der Südsee sammelt. Zu dessen Zeit war das Kannibalengebiet (der Mensch firmierte als "Langschwein" auf dem Speiseplan) geographisch eingedeutscht: Man bewegte sich zwischen Bismarck-Bergen, Herbertshöhe und Neupommern. Nolde war auf der Suche nach der Inspiration durch das Ursprüngliche; die Menschen der Zivilisation erschienen ihm wie "verbildete Gliederpuppen". Koloniale Motive werden entfaltet: Die Kleidung ist in der Tropenhitze nach ein paar Schritten durchgeschwitzt, die Luft voller Moskitos, das Wasser im Bach lauwarm, faulig und voller Krankheitskeime; gelegentlich flattert am Fenster ein Flughund vorbei. Eine faulige Brühe, von der Nolde zeitweilig kostete, war der Antisemitismus. Hier wird erzählt, wie eine schöne Frau den Künstler davon kurierte.
"Throw away leg", das sei Neuguinea-Englisch und soll bedeuten: das Bein wegwerfen, auf Reisen gehen. Als Leser profitiert man von der Welthaltigkeit der Werke Hans Christoph Buchs. Dieser Autor, der am morgigen Sonntag seinen siebzigsten Geburtstag feiert, hat sich nie gescheut, das Bein weit wegzuwerfen.
WOLFGANG SCHNEIDER.
Hans Christoph Buch: "Baron Samstag oder das Leben nach dem Tod".
Roman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2013. 256 S., geb., 19,90 [Euro].
Hans Christoph Buch: "Boat People". Literatur als Geisterschiff.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2014. 127 S., 7 Abb., geb., 17,90 [Euro].
Hans Christoph Buch: "Nolde und ich".
Ein Südseetraum.
Kometen der Anderen Bibliothek, Berlin 2013. 110 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main