Ein Mann verliebt sich in eine Frau, deren »Partnerprofil« eigentlich nicht zu ihm passt. Eine gute Ärztin spürt, wenn mit langjährigen Patienten etwas nicht in Ordnung ist, auch wenn sie nicht immer sofort sagen kann, was ihnen fehlt. Intuition schlägt Vernunft: Der weltweit renommierte Psychologe Gerd Gigerenzer zeigt anschaulich, warum rationales Abwägen in vielen Situationen nicht zum besten Ergebnis führt. Denn gute Entscheidungen basieren oft auf einer unbewussten Intelligenz, die sehr schnell operiert und gerade in komplexen Lagen verblüffend einfach funktioniert. Ein bahnbrechendes Buch, das unser Bild vom menschlichen Verstand revolutioniert.
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Intuitives Handeln ist oft ökonomischer als langes Nachdenken
Zahlt sich die Hilfe eines namhaften Investmentberaters beim Aktienkauf aus? Oder ist es besser, die hohen Beratungsgebühren zu sparen und selbst zu entscheiden - aus dem Bauch heraus? Wer Geld hat, das er anlegen möchte, lässt sich in der Regel von Fachleuten beraten. Gute Entscheidungen am Aktienmarkt sind aber viel besser aus dem Bauch zu treffen. Das belegen eindrucksvoll die Untersuchungen des Max-Planck-Bildungsforschers Gerd Gigerenzer, die er in seinem Buch "Bauchentscheidungen" vorstellt. Darin kommt der Psychologe zu einem eindeutigen Ergebnis: Intuitive Entscheidungen sind oft ökonomischer, schneller und besser.
Gigerenzer belegt das auch: Als das Wirtschaftsmagazin "Capital" im Jahr 2000 ein Börsenspiel veranstaltete, befragte er in Berlin hundert Passanten, welche Aktien sie kaufen würden. Kaum jemand war ein Experte. Die meisten nannten deswegen nur Aktien, von denen sie schon einmal gehört hatten. Das Aktienpaket, das Gigerenzer auf dieser Basis zusammenstellte, schnitt besser ab als 88 Prozent der von Fachleuten zusammengestellten Portfolios.
Gigerenzer hat dann selbst 50 000 Euro in ein Portfolio investiert, das aus Aktien bestand, deren Namen die am schlechtesten informierte Passantengruppe zusammengestellt hatten. Das Ergebnis lässt sich sehen: "Nach sechs Monaten hatte das Aktienpaket um 47 Prozent zugelegt und schnitt damit besser als der Markt und die von Finanzexperten verwalteten Investmentfonds ab."
Wie kann das sein? Bei Entscheidungen sollte man möglichst analytisch vorgehen, mahnen vor allem Ökonomen doch. Das ist zwar logisch, doch die menschliche Intelligenz funktioniert nun mal nicht wie eine Rechenmaschine. Für Gigerenzer ist die Logik nur eine von vielen Seiten menschlicher Intelligenz. Daneben gibt es die Intelligenz des Unbewussten, die Macht der Intuition. "Die unbewussten Teile unserer Intelligenz können entscheiden, ohne dass wir - das bewusste Selbst - ihre Gründe kennen oder überhaupt wissen, dass eine Entscheidung längst gefallen ist", schreibt er.
Menschen entscheiden also dann besonders gut, wenn sie nicht so lange darüber nachdenken. Wenn zum Beispiel ein Baseballspieler während des Spiels zu schätzen beginnt, wo der Ball wohl landen könnte, hat er schon verloren. Erfahrene Spieler laufen dem Ball - ohne groß darüber nachzudenken - so nach, dass er in ihrem Blickfeld immer an derselben Stelle bleibt.
Diese "Bauchgefühle" sind das Produkt einfacher Faustregeln. Sie speisen sich aus Erfahrung und sozialen Instinkten - und führen deswegen so oft zu guten Ergebnissen, weil sie unwichtige Informationen schlicht ignorieren. "Für gute Entscheidungen in einer unsicheren Welt muss man Informationen weglassen", sagt der Gigerenzer. "Das steigert die Qualität." Jede komplexe Strategie, die erst mal alle Informationen für eine Entscheidung zusammenträgt, dann misst und abwägt, krankt daran, dass nur ein Teil der Informationen für die Zukunft wirklich von Bedeutung ist. Der Bauch sagt intuitiv, welche.
"Die Kunst der Intuition besteht darin, dass wir uns auf diesen Teil konzentrieren und den Rest außer Acht lassen", mein Gigerenzer. Intuition ist dabei keine impulsive Laune des Geistes. Sie macht sich Eigenschaften des Gehirns zunutze, die der Mensch im Zuge der Evolution erworben hat, und speist sich aus den Erfahrungen im ständigen Austausch mit der Umwelt.
Gigerenzer schildert in seinem Buch ausführlich und in einer auch für Laien gut lesbaren Sprache, wie das menschliche Gehirn mit seinen Faustregeln sogar die raffiniertesten Computerstrategien in den Schatten stellen kann. Sieben Jahre lang hat er dafür am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin geforscht.
Einst schrieben die Menschen Engeln und spirituellen Wesen Intuitionen von unfehlbarer Klarheit zu. Heute wird eher belächelt, wer Bauchentscheidungen zur Richtschnur seines Handelns macht. Wer Gigerenzers Buch gelesen hat, lernt nicht nur viel darüber, wie Menschen denken und entscheiden. Er erkennt auch, dass es viele gute Gründe gibt, ruhig auch mal auf seinen Bauch zu vertrauen.
CARSTEN GERMIS
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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