Wir befinden uns im 12. Jahrhundert, zur Zeit der Kreuzzüge. Baudolino, ein gewitzter Bauernsohn aus dem Piemont, wird Adoptivsohn des Kaisers Friedrich I. Barbarossa. Den Kopf voller Flausen, Phantasien und Lügen, lenken seine irrwitzigen Ideen von nun an den Lauf der Weltgeschichte. Von den Liebesbriefen an die Kaiserin, den undurchsichtigen Machenschaften bei der Belagerung Alessandrias und dem rätselhaften Tod Barbarossas gar nicht zu reden ... "Eco verknüpft historische Fakten des 12. Jahrhunderts, Fabelwesen, saftige Liebesromanzen, aktuelle Politik und Glaubensfragen zu einem sprühenden Feuerwerk." Welt am Sonntag
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D, L ausgeliefert werden.
"Eco verknüpft historische Fakten des 12. Jahrhunderts, Fabelwesen, saftige Liebesromanzen, aktuelle Politik und Glaubensfragen zu einem sprühenden Feuerwerk." (Welt am Sonntag)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.12.2000Ein Eco aus uralter Zeit
Irgend jemand muß es ja machen: Umberto Eco treibt's zurück
VENEDIG, im Dezember
"Irgend jemand muß das ja machen", antwortete Umberto Eco schlagfertig, als er im Herbst in Mailand der englischen Königin vorgestellt wurde und sie ihn zerstreut fragte: "Ah, Sie sind ein Schriftsteller?" Und tatsächlich wurde ihm dieses Gewerbe zum späten Hauptberuf, obwohl ihn der Semiotikprofessor gar nicht gelernt hat. Nun macht der Literaturwissenschaftler zum viertenmal den Handwerkern des Schreibens Konkurrenz: Seit Ende November liegt "Baudolino" in großen Stapeln in den italienischen Buchhandlungen und wird im Lande nicht nur diskutiert, sondern, wie es scheint, sogar gelesen. Immerhin verkaufte Eco von den 300 000 Exemplaren der Startauflage in den ersten Tagen ein gutes Drittel - angesichts von über dreißig Millionen Büchern seit "Der Name der Rose" eine geradezu vorsichtige Kalkulation des Mailänder Verlagshauses Bompiani.
Natürlich ist das Buch bereits in sechsunddreißig Länder verkauft, und vielleicht wird auch Hollywood wie vom "Foucaultschen Pendel" wieder die Filmrechte erwerben. Da tut es auch nichts, daß neben einigen seriöseren Blättern auch "Avvenire", das Organ der italienischen Bischofskonferenz, den neuen Roman als "überflüssig" verrissen hat. Die Fans, die mit Eco Mordfälle in einem Abruzzenkloster lösten und eine Weltverschwörung der Templer aufdeckten, werden sich hingegen freuen, daß ihr Historienautor nach einem Ausflug in die Barockzeit ("Die Insel des folgenden Tages") wieder in seine eigentliche Gegenwart zurückgekehrt ist: ins Mittelalter.
Eco führt seine Leser nicht in eine geschickt verbrämte Geheimgeschichte der Franziskaner-Minoriten oder der schwarzen Kassen der Kreuzfahrer ein, sondern dockt diesmal ganz selbstbewußt an die offen zutage liegende Welthistorie des zwölften Jahrhunderts an. Seinen Helden, den piemontesischen Bauernsohn Baudolino, wird man zwar in jedem Geschichtsbuch vergeblich suchen, doch dessen Ziehvater Friedrich Barbarossa um so eher dort finden. Die großen Ereignisse um die Kriegszüge des Kaisers gegen die aufmüpfige "Lega Lombarda" in Norditalien, um seinen tödlichen Kreuzzug ins Heilige Land dienen Eco dazu, seinen Helden vor dieser gesicherten Folie als genialen Lügner zu enttarnen. Denn was immer der Schwadroneur zur Problemlösung ersinnt, wird von seinen Mitmenschen prompt für eine Wahrheit mit Eigenmacht gehalten. Klaubt er aus dem zerstörten Mailand drei Kadaver hervor, werden diese in Köln zu den Reliquien der Heiligen Drei Könige. Läßt Baudolino bei der Belagerung seiner Heimatstadt Allessandria einen Sankt Petrus zu Pferde eingreifen, löst dieser Bauerntrick ein unheilvolles Gemetzel aus. Ganz nebenbei verhilft er der Universität von Bologna - hier lehrt ein gewisser Umberto Eco - zur frühen Freiheit der Lehre und stattet Paris, das Zentrum der modernen Nachkriegsphilosophie, mit einer gewaltigen Bibliothek aus.
Lustig ist das Vagantenleben
So ist Baudolino nach der Art von Woody Allens "Zelig" bei vielen Gabelungen der abendländischen Geschichte am Werk. Seine haarsträubenden Geschichten erfinden immer eine neue Wahrheit - eine Lehre, die beim Semiotiker und Erzählforscher Eco quasi zum Proseminar gehört. Natürlich streut er mit großer Gelehrsamkeit seine Verweise über den Text und tippt die geistigen Strömungen des Hochmittelalters der Reihe nach an. Da ist die höfische Liebe, die der Spund Baudolino gegenüber der - fast - unerreichbaren Kaiserin Beatrice auskostet. Oder das Vagantenleben der "Carmina burana", das er eifrig beim Semiotik- und Rotweinstudium an der Sorbonne abfeiert. Aber auch abseitigere Gebiete wie die mittelalterliche Chimärologie der verwachsenen Exoten oder die tendenziöse Gattung der Weltchronik - vorgeführt an Baudolinos Lehrer Otto von Freising - werden mit leichter Hand abgehakt.
Natürlich können alle Leser, die das seit "Der Name der Rose" fasziniert, ihre eigene Belesenheit überprüfen, indem sie die Versatzstücke aus Ecos Bücherregal identifizieren - Widerhall anderer Geschichten bei einem Autor, dessen Name in Deutsch nicht zufällig "Echo" bedeutet. So wird die Schlacht von Legnano, an die heute die Eiferer der norditalienischen Abscheidungsbewegung anknüpfen wollen, zur Kopie der wirren Waterloo-Schlachterei, in die Stendhals Held Fabrizio del Dongo zu Beginn der "Kartause von Parma" gerät. Seinem sterbenden Freund Abdul flüstert Baudolino ein Shakespeare-Zitat ins Ohr, und der Rückflug des Weltreisenden Baudolino auf einem Riesenvogel Roch weist den Weg in die Märchenwelt von "1001 Nacht", der in diesem erfreulich orientalischen Roman sowieso manches geschuldet ist. Die gesamte Handlung wird im brennenden, von den Kreuzfahrern geplünderten Konstantinopel des Jahres 1204 erzählt - ein deutlicher, angesichts der Betulichkeit der Katastrophe etwas bemühter Hinweis auf Boccaccios "Decamerone" und den Trost des Geschichtenerzählens in trister Zeit. Fast wirkt es schon zu dick aufgetragen, daß Baudolino, dieser in Historien lebende Bramarbasierer, auch noch über die seltene Gabe verfügt, sich jedes Idiom in Windeseile anzueignen - Traum eines lesenden Professors?
Wirklich überzeugend - für die deutschen Leser freilich kaum zu entschlüsseln - kommt eher die lokale Mythologie daher, die Eco nicht grundlos auf die Idee brachte, sein Werk im heimischen Alessandria der Öffentlichkeit vorzustellen. Heute findet in diese elegante Industriestadt im östlichen Piemont, die der Welt neben Eco immerhin den Borsalino bescherte, kaum ein Tourist. Doch gerade diese relative Geschichtslosigkeit scheint Eco anzustacheln. Als ein zweiter Livius schreibt er seiner Stadt, die 1168 als Feste der abtrünnigen Städte gegen Barbarossa erbaut und nach Papst Alexander III. benannt wurde, den prallen Gründungsmythos. Einzig in den Schilderungen der rauhen Nebellandschaft am Fluß Tanaro und ihrer kauzig-neugierigen Ureinwohner findet das Buch zu jener atmosphärischen Dichte und Glaubwürdigkeit, die der ersonnenen Abtei der Mördermönche von der ersten Zeile an zu eigen war.
Nepper, Klepper, Prügelfänger
Wenn Eco schildert, wie Barbarossas schwäbische Söldner das Land um Alessandria unsicher machen, kann das durchaus auch ein raffiniertes Aufscheinen eigener Kindheitserinnerungen des Siebenundsechzigjährigen bedeuten. Mehrmals schildert er - wohl wider besseres Historienwissen - die Deutschen des zwölften Jahrhunderts als besondere Beschützer der Juden, auf daß den heutigen, von der Geschichte eines Schlechteren belehrten Lesern ein Licht aufgehe. Auch seine Jugendfreunde - unter denen eigentlich nur ein Möchtegern-Dichter, der wie so viele heutige Kollegen keine vernünftige Zeile zusammenbekommt, romanhafte Statur erreicht - hat Eco in einer verschrobenen Männerclique verewigt. Aber zu viel an diesem Buch ist zu arg konstruiert, um mitzureißen, und zu arg fabuliert, um als intellektuelle Denksportaufgabe zu überzeugen. Wie in manchen postmodernen Fabeln Calvinos erscheinen die Personen - der Titelheld voran - als Helden in Anführungszeichen - wobei die Frage, wofür sie denn die geistvolle Allegorie zu spielen haben, offenbleiben muß. Für einen drall pikaresken oder - wie es das schließliche Davonreiten des Helden auf einem Klepper nahelegt - donquichottesken Roman nach Art eines Grimmelshausen (auch dessen Simplicius kam als geschwätziger Naivling aus dem Wald) fehlt es dem Werk an echter Sinnlichkeit oder, kraß gesagt, an Brutalität.
Immerhin bietet "Baudolino" zwei erfrischende Lösungen für alte Mediävistenprobleme an. Was zog den alten Barbarossa bloß zu seinem fatalen Ritt ins Heilige Land? Für Eco war's weder Rittermut noch Frömmigkeit, sondern die Leichtgläubigkeit für die Geschichte des ebenso mythischen wie fernöstlichen Priesterkönigs Johannes, die der Ziehsohn seinem rotbärtigen Dienstherrn ins Ohr gesetzt hatte. Und der Badeunfall in Kilikien, der dem Kreuzzug des Kaisers ein feuchtes Ende setzte, war in Wahrheit ein - nein, diese einzige echte Kriminalstory, mit der Eco mal wieder Conan Doyle spielt und dem Thema "Mord in einem geschlossenen Zimmer" eine originelle Variante hinzufügt, sei hier besser nicht verraten.
Eco - irgend jemand muß das ja machen - erweist sich bei solchen Episoden als kundiger Konstrukteur, als edler Historienmaler, der seinem Publikum keine Monstrositäten zumutet, selbst wenn er wie diesmal gar zu oft von Monstern und Chimären erzählt. "Sei mein Pergament!" fordert der verbose Baudolino den byzantinischen Geschichtsschreiber Niceta auf, der am Ende naturgemäß den weisen Ratschlag erhält, die ganze Geschichte zu vergessen. Das eigene Leben in Pergament zu ritzen, das Erzählen von Lügen als Wahrheit unserer Tradition zu genießen und nichts zu vergessen - das sind immerhin drei geistvolle Botschaften, die der Professor Eco seiner Leserschaft aufs neue mitgibt. Leider indes ist allerhand von seiner jüngsten Konstruktion wie eine geduldige Einführung für Erstsemester formuliert. Ob der Autor darum das Buch seinem Enkel gewidmet hat?
DIRK SCHÜMER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Irgend jemand muß es ja machen: Umberto Eco treibt's zurück
VENEDIG, im Dezember
"Irgend jemand muß das ja machen", antwortete Umberto Eco schlagfertig, als er im Herbst in Mailand der englischen Königin vorgestellt wurde und sie ihn zerstreut fragte: "Ah, Sie sind ein Schriftsteller?" Und tatsächlich wurde ihm dieses Gewerbe zum späten Hauptberuf, obwohl ihn der Semiotikprofessor gar nicht gelernt hat. Nun macht der Literaturwissenschaftler zum viertenmal den Handwerkern des Schreibens Konkurrenz: Seit Ende November liegt "Baudolino" in großen Stapeln in den italienischen Buchhandlungen und wird im Lande nicht nur diskutiert, sondern, wie es scheint, sogar gelesen. Immerhin verkaufte Eco von den 300 000 Exemplaren der Startauflage in den ersten Tagen ein gutes Drittel - angesichts von über dreißig Millionen Büchern seit "Der Name der Rose" eine geradezu vorsichtige Kalkulation des Mailänder Verlagshauses Bompiani.
Natürlich ist das Buch bereits in sechsunddreißig Länder verkauft, und vielleicht wird auch Hollywood wie vom "Foucaultschen Pendel" wieder die Filmrechte erwerben. Da tut es auch nichts, daß neben einigen seriöseren Blättern auch "Avvenire", das Organ der italienischen Bischofskonferenz, den neuen Roman als "überflüssig" verrissen hat. Die Fans, die mit Eco Mordfälle in einem Abruzzenkloster lösten und eine Weltverschwörung der Templer aufdeckten, werden sich hingegen freuen, daß ihr Historienautor nach einem Ausflug in die Barockzeit ("Die Insel des folgenden Tages") wieder in seine eigentliche Gegenwart zurückgekehrt ist: ins Mittelalter.
Eco führt seine Leser nicht in eine geschickt verbrämte Geheimgeschichte der Franziskaner-Minoriten oder der schwarzen Kassen der Kreuzfahrer ein, sondern dockt diesmal ganz selbstbewußt an die offen zutage liegende Welthistorie des zwölften Jahrhunderts an. Seinen Helden, den piemontesischen Bauernsohn Baudolino, wird man zwar in jedem Geschichtsbuch vergeblich suchen, doch dessen Ziehvater Friedrich Barbarossa um so eher dort finden. Die großen Ereignisse um die Kriegszüge des Kaisers gegen die aufmüpfige "Lega Lombarda" in Norditalien, um seinen tödlichen Kreuzzug ins Heilige Land dienen Eco dazu, seinen Helden vor dieser gesicherten Folie als genialen Lügner zu enttarnen. Denn was immer der Schwadroneur zur Problemlösung ersinnt, wird von seinen Mitmenschen prompt für eine Wahrheit mit Eigenmacht gehalten. Klaubt er aus dem zerstörten Mailand drei Kadaver hervor, werden diese in Köln zu den Reliquien der Heiligen Drei Könige. Läßt Baudolino bei der Belagerung seiner Heimatstadt Allessandria einen Sankt Petrus zu Pferde eingreifen, löst dieser Bauerntrick ein unheilvolles Gemetzel aus. Ganz nebenbei verhilft er der Universität von Bologna - hier lehrt ein gewisser Umberto Eco - zur frühen Freiheit der Lehre und stattet Paris, das Zentrum der modernen Nachkriegsphilosophie, mit einer gewaltigen Bibliothek aus.
Lustig ist das Vagantenleben
So ist Baudolino nach der Art von Woody Allens "Zelig" bei vielen Gabelungen der abendländischen Geschichte am Werk. Seine haarsträubenden Geschichten erfinden immer eine neue Wahrheit - eine Lehre, die beim Semiotiker und Erzählforscher Eco quasi zum Proseminar gehört. Natürlich streut er mit großer Gelehrsamkeit seine Verweise über den Text und tippt die geistigen Strömungen des Hochmittelalters der Reihe nach an. Da ist die höfische Liebe, die der Spund Baudolino gegenüber der - fast - unerreichbaren Kaiserin Beatrice auskostet. Oder das Vagantenleben der "Carmina burana", das er eifrig beim Semiotik- und Rotweinstudium an der Sorbonne abfeiert. Aber auch abseitigere Gebiete wie die mittelalterliche Chimärologie der verwachsenen Exoten oder die tendenziöse Gattung der Weltchronik - vorgeführt an Baudolinos Lehrer Otto von Freising - werden mit leichter Hand abgehakt.
Natürlich können alle Leser, die das seit "Der Name der Rose" fasziniert, ihre eigene Belesenheit überprüfen, indem sie die Versatzstücke aus Ecos Bücherregal identifizieren - Widerhall anderer Geschichten bei einem Autor, dessen Name in Deutsch nicht zufällig "Echo" bedeutet. So wird die Schlacht von Legnano, an die heute die Eiferer der norditalienischen Abscheidungsbewegung anknüpfen wollen, zur Kopie der wirren Waterloo-Schlachterei, in die Stendhals Held Fabrizio del Dongo zu Beginn der "Kartause von Parma" gerät. Seinem sterbenden Freund Abdul flüstert Baudolino ein Shakespeare-Zitat ins Ohr, und der Rückflug des Weltreisenden Baudolino auf einem Riesenvogel Roch weist den Weg in die Märchenwelt von "1001 Nacht", der in diesem erfreulich orientalischen Roman sowieso manches geschuldet ist. Die gesamte Handlung wird im brennenden, von den Kreuzfahrern geplünderten Konstantinopel des Jahres 1204 erzählt - ein deutlicher, angesichts der Betulichkeit der Katastrophe etwas bemühter Hinweis auf Boccaccios "Decamerone" und den Trost des Geschichtenerzählens in trister Zeit. Fast wirkt es schon zu dick aufgetragen, daß Baudolino, dieser in Historien lebende Bramarbasierer, auch noch über die seltene Gabe verfügt, sich jedes Idiom in Windeseile anzueignen - Traum eines lesenden Professors?
Wirklich überzeugend - für die deutschen Leser freilich kaum zu entschlüsseln - kommt eher die lokale Mythologie daher, die Eco nicht grundlos auf die Idee brachte, sein Werk im heimischen Alessandria der Öffentlichkeit vorzustellen. Heute findet in diese elegante Industriestadt im östlichen Piemont, die der Welt neben Eco immerhin den Borsalino bescherte, kaum ein Tourist. Doch gerade diese relative Geschichtslosigkeit scheint Eco anzustacheln. Als ein zweiter Livius schreibt er seiner Stadt, die 1168 als Feste der abtrünnigen Städte gegen Barbarossa erbaut und nach Papst Alexander III. benannt wurde, den prallen Gründungsmythos. Einzig in den Schilderungen der rauhen Nebellandschaft am Fluß Tanaro und ihrer kauzig-neugierigen Ureinwohner findet das Buch zu jener atmosphärischen Dichte und Glaubwürdigkeit, die der ersonnenen Abtei der Mördermönche von der ersten Zeile an zu eigen war.
Nepper, Klepper, Prügelfänger
Wenn Eco schildert, wie Barbarossas schwäbische Söldner das Land um Alessandria unsicher machen, kann das durchaus auch ein raffiniertes Aufscheinen eigener Kindheitserinnerungen des Siebenundsechzigjährigen bedeuten. Mehrmals schildert er - wohl wider besseres Historienwissen - die Deutschen des zwölften Jahrhunderts als besondere Beschützer der Juden, auf daß den heutigen, von der Geschichte eines Schlechteren belehrten Lesern ein Licht aufgehe. Auch seine Jugendfreunde - unter denen eigentlich nur ein Möchtegern-Dichter, der wie so viele heutige Kollegen keine vernünftige Zeile zusammenbekommt, romanhafte Statur erreicht - hat Eco in einer verschrobenen Männerclique verewigt. Aber zu viel an diesem Buch ist zu arg konstruiert, um mitzureißen, und zu arg fabuliert, um als intellektuelle Denksportaufgabe zu überzeugen. Wie in manchen postmodernen Fabeln Calvinos erscheinen die Personen - der Titelheld voran - als Helden in Anführungszeichen - wobei die Frage, wofür sie denn die geistvolle Allegorie zu spielen haben, offenbleiben muß. Für einen drall pikaresken oder - wie es das schließliche Davonreiten des Helden auf einem Klepper nahelegt - donquichottesken Roman nach Art eines Grimmelshausen (auch dessen Simplicius kam als geschwätziger Naivling aus dem Wald) fehlt es dem Werk an echter Sinnlichkeit oder, kraß gesagt, an Brutalität.
Immerhin bietet "Baudolino" zwei erfrischende Lösungen für alte Mediävistenprobleme an. Was zog den alten Barbarossa bloß zu seinem fatalen Ritt ins Heilige Land? Für Eco war's weder Rittermut noch Frömmigkeit, sondern die Leichtgläubigkeit für die Geschichte des ebenso mythischen wie fernöstlichen Priesterkönigs Johannes, die der Ziehsohn seinem rotbärtigen Dienstherrn ins Ohr gesetzt hatte. Und der Badeunfall in Kilikien, der dem Kreuzzug des Kaisers ein feuchtes Ende setzte, war in Wahrheit ein - nein, diese einzige echte Kriminalstory, mit der Eco mal wieder Conan Doyle spielt und dem Thema "Mord in einem geschlossenen Zimmer" eine originelle Variante hinzufügt, sei hier besser nicht verraten.
Eco - irgend jemand muß das ja machen - erweist sich bei solchen Episoden als kundiger Konstrukteur, als edler Historienmaler, der seinem Publikum keine Monstrositäten zumutet, selbst wenn er wie diesmal gar zu oft von Monstern und Chimären erzählt. "Sei mein Pergament!" fordert der verbose Baudolino den byzantinischen Geschichtsschreiber Niceta auf, der am Ende naturgemäß den weisen Ratschlag erhält, die ganze Geschichte zu vergessen. Das eigene Leben in Pergament zu ritzen, das Erzählen von Lügen als Wahrheit unserer Tradition zu genießen und nichts zu vergessen - das sind immerhin drei geistvolle Botschaften, die der Professor Eco seiner Leserschaft aufs neue mitgibt. Leider indes ist allerhand von seiner jüngsten Konstruktion wie eine geduldige Einführung für Erstsemester formuliert. Ob der Autor darum das Buch seinem Enkel gewidmet hat?
DIRK SCHÜMER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die ganze Welt des Mittelalters in einem Roman
Das, so könnte man nach dem Umfang des 600 Seiten-Epos schließen, war die Intention, die Umberto Eco mit seinem vierten Roman, dem Baudolino, verfolgte. Knapp 20 Jahre nach seinem Roman-Erstling und Weltbestseller Der Name der Rose hat Umberto Eco im Baudolino historische Fakten mit autobiographischen Anspielungen verknüpft, wobei er - und darum geht es hauptsächlich - aus dem riesigen Erzählfundus der mittelalterlichen Literatur schöpfte.
Baudolino, ein listenreicher Parvenü am Kaiserhof
Baudolino, der wie Umberto Eco aus kleinen Verhältnissen in Oberitalien stammt, stößt eines Tages auf den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Friedrich Barbarossa. Der ist von dem gewitzten und sprachbegabten Jungen so angetan, dass er ihn an seinem Hof aufnimmt und ihm unter Otto von Freising die beste Erziehung angedeihen lässt.
Otto trägt ihm auf, mit dem Presbyter Johannes, der den heiligen Gral besitzt, im fernen Indien Kontakt aufzunehmen. Nur so könne Barbarossas Macht gegenüber dem Papst, den oberitalienischen Städten und dem Byzantinischen Reich gefestigt werden. Nach Ottos Tod verbringt Baudolino einige Studienjahre in Paris, später versucht er in Friedrichs Auftrag immer wieder in politischen Konflikten in Italien zu vermitteln.
Die Gralsmission
1189 bricht Friedrich zu einem Kreuzzug auf. Unterwegs erfindet Baudolino seine größte und folgenreichste List. Ein treuloser Diener, so behauptet er, habe Johannes den Gral gestohlen. Nach der Eroberung Jerusalems sei er über einen Händler in seine Hände geraten. Friedrichs Aufgabe sei es, Johannes den Gral zurück zu bringen. Friedrich ist beeindruckt, doch er kann die Mission nicht antreten. Bereits 1090 stirbt er unter mysteriösen Umständen.
Nach seinem Tod wird die Gralsmission zum großen Thema. Baudolino und seine Freunde ziehen ins Land des Presbyters Johannes, doch kurz vor dem Ziel müssen sie unter dramatischen Umständen fliehen. Auf dem Weg zurück gelangt Baudolino nach Konstantinopel, das von den Kreuzfahrern des vierten Kreuzzugs verwüstet wird. Dort trifft er auf Kyrios Niketas, den Kanzler des Byzantinischen Reiches, dem er seine Geschichte erzählt. Sie bildet den Rahmen des Romans.
Ist Baudolino eine Figur aus dem Mittelalter?
Umberto Ecos Baudolino ist eine fiktive Romanfigur. Wie viele Helden der mittelalterlichen Epen bedient er sich der List - gemeint sind die vielen so genannten Lügen -, um ans Ziel zu kommen. Doch Baudolino ist kein typischer mittelalterlicher Held, er ist kein echter Ritter - Kampf und Krieg sind ihm zuwider. Andererseits durchleidet er die Qualen eines Höflings, der echte "minne" gegenüber seiner Herrin empfindet.
Auch inhaltlich hat Umberto Eco viel von seinen mittelalterlichen Dichter-Kollegen übernommen, einiges davon ist fast parodistisch verfremdet. Während die Reise zum Presbyter Johannes viele Motive aus dem Alexanderroman wiedergibt, ist das zentrale Thema der Artus-Epik, die Gralssuche, ins Gegenteil verkehrt. Im Baudolino soll der Gral dem Besitzer zurückgegeben werden. Dabei ist Baudolinos Gral wiederum nur ein listiger Schachzug bzw. eine Lüge - es ist der alte Trinkbecher seines Vaters!
Reiseroman, Abenteuerroman, Schelmenroman...
... Heiligenlegende, Parvenüroman oder Kriminalroman? Alles ist richtig! Dazu kommt, dass der Held des Romans, Baudolino, die Last einer langen und großen europäischen Literatur-Tradition trägt, vielleicht auch deshalb nur schwer fassbar ist. So gesehen, hat der Roman keine eigentliche Botschaft. Eco geht es um die Fabulierkunst, das Wechselspiel zwischen realen historischen Fakten und der Fiktion, zu der die zahlreichen Rückgriffe auf literarische Vorbilder gehören. Lesenswert sind vor allem die Geschichten aus der Welt des Mittelalters, Baudolinos Studentenzeit, die Schachzüge der Diplomatie, der Handel mit Reliquien und die Reise in den fernen Osten. Am Ende wird sogar noch Friedrichs Tod aufgeklärt - so bleibt die Spannung bis zum Schluss erhalten. (Birgit Kuhn)
"Eco verknüpft historische Fakten des 12. Jahrhunderts, Fabelwesen, saftige Liebesromanzen, aktuelle Politik und Glaubensfragen zu einem sprühenden Feuerwerk." (Welt am Sonntag)
Das, so könnte man nach dem Umfang des 600 Seiten-Epos schließen, war die Intention, die Umberto Eco mit seinem vierten Roman, dem Baudolino, verfolgte. Knapp 20 Jahre nach seinem Roman-Erstling und Weltbestseller Der Name der Rose hat Umberto Eco im Baudolino historische Fakten mit autobiographischen Anspielungen verknüpft, wobei er - und darum geht es hauptsächlich - aus dem riesigen Erzählfundus der mittelalterlichen Literatur schöpfte.
Baudolino, ein listenreicher Parvenü am Kaiserhof
Baudolino, der wie Umberto Eco aus kleinen Verhältnissen in Oberitalien stammt, stößt eines Tages auf den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Friedrich Barbarossa. Der ist von dem gewitzten und sprachbegabten Jungen so angetan, dass er ihn an seinem Hof aufnimmt und ihm unter Otto von Freising die beste Erziehung angedeihen lässt.
Otto trägt ihm auf, mit dem Presbyter Johannes, der den heiligen Gral besitzt, im fernen Indien Kontakt aufzunehmen. Nur so könne Barbarossas Macht gegenüber dem Papst, den oberitalienischen Städten und dem Byzantinischen Reich gefestigt werden. Nach Ottos Tod verbringt Baudolino einige Studienjahre in Paris, später versucht er in Friedrichs Auftrag immer wieder in politischen Konflikten in Italien zu vermitteln.
Die Gralsmission
1189 bricht Friedrich zu einem Kreuzzug auf. Unterwegs erfindet Baudolino seine größte und folgenreichste List. Ein treuloser Diener, so behauptet er, habe Johannes den Gral gestohlen. Nach der Eroberung Jerusalems sei er über einen Händler in seine Hände geraten. Friedrichs Aufgabe sei es, Johannes den Gral zurück zu bringen. Friedrich ist beeindruckt, doch er kann die Mission nicht antreten. Bereits 1090 stirbt er unter mysteriösen Umständen.
Nach seinem Tod wird die Gralsmission zum großen Thema. Baudolino und seine Freunde ziehen ins Land des Presbyters Johannes, doch kurz vor dem Ziel müssen sie unter dramatischen Umständen fliehen. Auf dem Weg zurück gelangt Baudolino nach Konstantinopel, das von den Kreuzfahrern des vierten Kreuzzugs verwüstet wird. Dort trifft er auf Kyrios Niketas, den Kanzler des Byzantinischen Reiches, dem er seine Geschichte erzählt. Sie bildet den Rahmen des Romans.
Ist Baudolino eine Figur aus dem Mittelalter?
Umberto Ecos Baudolino ist eine fiktive Romanfigur. Wie viele Helden der mittelalterlichen Epen bedient er sich der List - gemeint sind die vielen so genannten Lügen -, um ans Ziel zu kommen. Doch Baudolino ist kein typischer mittelalterlicher Held, er ist kein echter Ritter - Kampf und Krieg sind ihm zuwider. Andererseits durchleidet er die Qualen eines Höflings, der echte "minne" gegenüber seiner Herrin empfindet.
Auch inhaltlich hat Umberto Eco viel von seinen mittelalterlichen Dichter-Kollegen übernommen, einiges davon ist fast parodistisch verfremdet. Während die Reise zum Presbyter Johannes viele Motive aus dem Alexanderroman wiedergibt, ist das zentrale Thema der Artus-Epik, die Gralssuche, ins Gegenteil verkehrt. Im Baudolino soll der Gral dem Besitzer zurückgegeben werden. Dabei ist Baudolinos Gral wiederum nur ein listiger Schachzug bzw. eine Lüge - es ist der alte Trinkbecher seines Vaters!
Reiseroman, Abenteuerroman, Schelmenroman...
... Heiligenlegende, Parvenüroman oder Kriminalroman? Alles ist richtig! Dazu kommt, dass der Held des Romans, Baudolino, die Last einer langen und großen europäischen Literatur-Tradition trägt, vielleicht auch deshalb nur schwer fassbar ist. So gesehen, hat der Roman keine eigentliche Botschaft. Eco geht es um die Fabulierkunst, das Wechselspiel zwischen realen historischen Fakten und der Fiktion, zu der die zahlreichen Rückgriffe auf literarische Vorbilder gehören. Lesenswert sind vor allem die Geschichten aus der Welt des Mittelalters, Baudolinos Studentenzeit, die Schachzüge der Diplomatie, der Handel mit Reliquien und die Reise in den fernen Osten. Am Ende wird sogar noch Friedrichs Tod aufgeklärt - so bleibt die Spannung bis zum Schluss erhalten. (Birgit Kuhn)
"Eco verknüpft historische Fakten des 12. Jahrhunderts, Fabelwesen, saftige Liebesromanzen, aktuelle Politik und Glaubensfragen zu einem sprühenden Feuerwerk." (Welt am Sonntag)
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
So richtig will sich Fritz J. Raddatz in seinem Urteil über Umberto Ecos neuen Roman nicht festlegen. "Leseerlebnis, Fantasiemarathon, Harlekinade, chinesischer Zirkus auf Papier", ruft der Rezensent begeistert aus und vergleicht Eco mit David Copperfield. Viele herrliche Kapitel habe dieser Aventüren-Roman zu bieten, Eco sich dabei selbst übertroffen. Nach langen Lobeshymnen und interpretatorischen Anleihen, wobei Raddatz den Inhalt des Bandes beinahe ganz außen vor lässt, schwenkt der Rezensent um: Gerade noch hat er die "glänzende" Übersetzung von Burkhart Kroeber gewürdigt, da fällt ihm ein, dass "Baudolino" einen "Defekt" hat. Und zwar in der zirsensischen (übersetzt: den Zirkus betreffend) Apparatur, die knackt und knarzt nämlich, laut Raddatz. Das Buch ist zu dick, Eco in seine Erfindungsgabe verliebt. Der Rezensent überlässt die Entscheidung dem Leser, ob das Werk zu lang ist oder nicht. Mit Eco sei es eben wie mit Versace, verkündet Raddatz: Grelle Effekte treffen zwar nicht den Geschmack eines jeden, sorgen aber allemal für Aufmerksamkeit.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH