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Er tat alles dafür, dass seine Tage und Nächte so federleicht und elegant waren wie seine Sätze, das hat ihn ruiniert: über Truman Capote
Die folgende Geschichte über den amerikanischen Schriftsteller Truman Capote stammt von Gore Vidal, und weil Vidal für Capote so etwas war wie Professor Moriarty für Sherlock Holmes, also der schlimmste Widersacher bei größtmöglicher Seelenverwandtschaft, könnte sie vielleicht auch gelogen sein, jedenfalls geht sie so:
Nach einem Lunch bei einer gemeinsamen Freundin, irgendwann im Sommer 1960, nahm Jackie Kennedy, die bald die First Lady der Vereinigten Staaten werden sollte, Truman Capote in ihrem Wagen mit nach Hause. Capote, so Jackie Kennedy, so Gore Vidal, habe beim Lunch mal wieder nur skandalöses Zeug über abwesende Angehörige der oberen amerikanischen Zehntausend von sich gegeben. Im Wagen habe er dann aber theatralisch geseufzt und gesagt: "Sie haben ja gesehen, wie ich für mein Essen gesungen habe."
Am 25. August vor dreißig Jahren ist Truman Capote gestorben, am 30. September vor neunzig Jahren wurde er geboren. Jahrgang 1924 also. Drei Jahre älter, beispielsweise, als Günter Grass und Martin Walser, zwei als Siegfried Lenz, wobei er mit denen nur gemeinsam hat, dass sie auch Bücher geschrieben haben - ansonsten ist Truman Capote, als Schriftsteller, kaum mit anderen Schriftstellern zu vergleichen, erst recht nicht mit denen, die auf Deutsch schreiben.
Denn er formte seine Geschichten nicht um Thesen. Er glaubte nicht an lange Sätze. Er wollte von ganzem Herzen kein Intellektueller sein. Er hatte kein Anliegen, aber Zugang zu einer höheren poetischen Wahrheit, die sich im Stil offenbarte. Oder doch, Truman Capote hatte ein Anliegen: nämlich sich nie zu langweilen oder selbst langweilig zu sein. Sein Leben und sein Werk, das war wie in dem Refrain eines alten Songs von den Pet Shop Boys: "And we were never being boring / We were never being bored / 'cause we were never being boring / We were never being bored."
Capote war ein Kind des amerikanischen Südens, seiner herrlichen Farben und spätabendlichen Hitze und schwelenden Konflikte, er schrieb das Leben, das wirkliche, das überhaupt gelebte, in einer Radikalität in seine Bücher hinein, dass man nicht nur einen neuen Gattungsbegriff für seinen Tatsachenthriller "Kaltblütig" (1966) erfinden musste, nämlich "faction", halb fact, halb fiction: Diese Radikalität war es auch, die Capote am Ende zerstört hat. Weil sie auf Kosten der Figuren ging, deren gelebtes Leben er beschrieb, oft brutal und gemein, und die ihm diese Gemeinheit nicht verzeihen konnten. Und ihn danach nicht mehr in ihre Welt ließen, zu ihren Dinnerpartys und auf ihre Landsitze. Vorher hatte er dort für sie gesungen, so laut er konnte.
In diesem Jubiläumssommer erscheinen neue, alte Bücher von und über Truman Capote. Der Züricher Verlag Kein & Aber, der seit Jahren schon das gesammelte Werk in wirklich schönen Bänden neu auflegt, hat alle Erzählungen Capotes als Taschenbuch nochmals herausgebracht, ergänzt um eine Story aus dem Nachlass, die erst im vergangenen Jahr entdeckt wurde; Rogner & Bernhard hat endlich George Plimptons vielstimmige oral history "Truman Capotes turbulentes Leben, kolportiert von Freunden, Feinden, Bewunderern und Konkurrenten" von 1997 übersetzt. Aus diesem Chor von Zeugenaussagen stammt übrigens auch die Anekdote des Schriftstellers Gore Vidal, und selbst wenn sie gelogen ist, dann ist sie zumindest wahr: Weil sie so genau beschreibt, wie klar sich Capote selbst war über seine Rolle als komischer, kleiner, fistelstimmig lispelnder Entertainer in einer Welt reicher, schöner Menschen, Jetset genannt.
Und wer jetzt verstehen will, was für ein Extremist der Autor und Mensch Truman Capote war, muss entweder diese beiden neuen Bücher und dann hinterher alles andere von ihm lesen (was ständig sehr glücklich macht) - oder nur zwei Geschichten: Einmal die "Weihnachtserinnerungen" von 1956, da war Capote der neueste, hellste, schönste Stern der New Yorker Literatur, und dann "La Côte Basque" aus dem unvollendeten Roman "Erhörte Gebete" von 1975, das war die Geschichte, die diesen Stern vom Himmel holte.
Die "Weihnachtserinnerungen" handeln von einem Jungen, genannt Buddy, und seiner viel, viel älteren Freundin, mit der er verwandt ist und unter einem Dach lebt, irgendwo im amerikanischen Süden. Es gibt auch Erwachsene unter diesem Dach, aber sie stören nur und reden aus dem Off, ungefähr so wie die Erwachsenen bei den "Peanuts". Der Junge und seine Freundin backen, wenn es auf Weihnachten zugeht, Früchtekuchen, legen ihr Geld zusammen für Eier, Zitronat, Kirschen, Ingwer und Vanille und Dosenananas und vor allem Whisky, und ihre Kuchen verschenken sie dann an Fremde, denen sie mal begegnet sind, und an Präsident Roosevelt.
Doch eines Tages schicken die Erwachsenen aus dem Off den kleinen Jungen dann aufs Internat, seine Freundin schreibt ihm Briefe hinterher, bis sie stirbt, als wieder mal Winter wird und Zeit für Früchtekuchen wäre. Und der Junge sucht den Himmel ab nach den Drachen, die sich die beiden immer zu Weihnachten geschenkt haben, auch zu ihrem letzten gemeinsamen Fest, von dem diese Geschichte erzählt.
Der eine will ein Kind bleiben und wird unweigerlich älter, die andere wird unweigerlich älter und bleibt ein Kind: Das macht den Zauber und die Trauer dieser autobiographischen "Weihnachtserinnerungen" aus, das und die Wärme des Tons, in dem sie erzählt sind: ein Ton, in dem noch die Hitze des Früchtekuchenbackofens nachglüht. "Wir glauben beide an Gespenster", sagt der älter gewordene Junge über seine Freundin, als er weiß, dass Gespenster irgendwann zu Erinnerungen werden, seine Freundin aber ist gestorben, ohne das je zu erfahren.
Zwanzig Jahre später schreibt der gleiche Autor den folgenden Satz über die große Greta Garbo: "Ich muss sagen, ihre ganze Erscheinung hat inzwischen etwas Verwittertes, Vertrocknetes und Ausgezehrtes, eine Tempelruine, im Urwald zerfallen wie Angkor Wat; aber so geht es eben, wenn man den größten Teil seines Lebens damit zubringt, nur sich selbst zu lieben, und auch das nicht sehr."
Und das war noch freundlich. Was Truman Capote in den siebziger Jahren über den amerikanischen Jetset schrieb, in den er sich wie eine Rakete hineinkatapultiert hatte, seit er als Teenager in New York angekommen war, offen schwul und rasend begabt, katapultierte ihn wieder hinaus. Was er jahrelang von seinen reichen Freundinnen und Freunden erfahren hatte, ihre Geheimnisse und Affären, ließ er jetzt wieder auf sie los, in drei Texten für den "Esquire", die 1975 und 1976 erschienen und später als "Erhörte Gebete" gedruckt wurden, das unvollendete Projekt eines großen Gesellschaftsromans. Texte nicht aus Früchtekuchenglut, sondern aus Säure.
Den Aufschlag hat Capote nicht verkraftet: Den Verlust der Freunde, die wohl doch keine waren, eher eine Art von Material zum Leben und zum Schreiben, auf das Capote nicht verzichten konnte. Er starb 1984, mehr Betäubungsmittel als Mensch, in Los Angeles.
Es ist verführerisch, Capotes Gemeinheiten über alternde Superprominente zu Selbstporträts zu erklären (und ihn gleichzeitig für diese Angkor-Wat-Metapher zu bewundern, das ist schon echt richtig gut, solange es einen nicht selbst betrifft). Es ist auch verführerisch, die Gemeinheiten gegen ihn selbst zu halten, gegen das ungeliebte Kind, das Capote war, sitzengelassen von den Eltern, geparkt bei Verwandten in Monroeville, wo der kleine Truman dann Tür an Tür mit Harper Lee aufwuchs. Ein unwahrscheinlicher Glücksfall der amerikanischen Literatur: Die beiden halfen sich später gegenseitig bei ihren Meisterwerken, er ihr bei "Wer die Nachtigall stört", sie ihm bei "Kaltblütig", wobei er ihre enorme Rolle bei den Recherchen zu der wahren Mordgeschichte einerseits herunterspielte, andererseits aber das Gerücht nie ganz ausräumte, im Grunde habe auch er jenes Kindheitswunderbuch geschrieben, für das Harper Lee 1961 den Pulitzerpreis bekam.
Was für ein riesiges Ekel. Und was für ein riesiger Schriftsteller.
Das große Rätsel psychologisch zu lösen, das Truman Capote seinen Freunden und Lesern stellt, die ihn lieben und fürchten, ist also verführerisch: böse Kindheit, lebenslange Folgen, späte Rache. Aber Capote hat, und das ist so naiv wie radikal, letztlich nur die Trennung von Leben und Schreiben eingehalten, die in Schulen und an Universitäten gelehrt wird und um die Schriftsteller auf der ganzen Welt ständig bitten: Doch nicht den Autor mit seinen Figuren zu verwechseln. Doch nicht zu vergessen, dass es um Bücher geht, Buchstaben auf Papier, nicht um echte Menschen. Es ist keine Illusion, daran festzuhalten, es stimmt ja auch, es ist nur nicht so einfach. Und es wird umso schwerer, wenn es um einen Autor geht, der alles dafür tat, dass sich seine Tage und Nächte so anfühlen wie seine Sätze, elegant und federleicht.
In den "Weihnachtserinnerungen" gehen Buddy und seine Freundin in den Wald, um einen Baum für das Fest zu schlagen. Aber der, den sie finden, ist so wunderschön, dass der reiche Mühlenbesitzer aus dem Ort ihn sofort kaufen will, die beiden könnten sich ja einen neuen holen. "Das bezweifle ich", sagt Buddys Freundin. "Es gibt alles nur ein Mal."
Es gibt alles nur ein Mal: Das gilt für die Art, wie Truman Capote sein Leben lebte. Und dafür, wie er seine Bücher schrieb.
TOBIAS RÜTHER
Truman Capote: "Baum der Nacht. Alle Erzählungen". Übersetzt von Ursula-Maria Mössner. Kein & Aber, 448 Seiten, 12,90 Euro. Der Verlag legt gerade auch Gerald Clarkes fulminante Biographie Capotes neu auf (768 Seiten, 28 Euro.) George Plimpton: "Truman Capotes turbulentes Leben: Kolportiert von Freunden, Feinden, Bewunderern und Konkurrenten". Übersetzt von Yamin von Rauch. Rogner & Bernhard, 498 Seiten, 29,95 Euro
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