Fragile Tontafeln aus Mesopotamien, kostbare Bände mittelalterlicher Gelehrsamkeit, grandiose Bibliotheken in Alexandria und Sarajevo - seit Wissen schriftlich fixiert wird, haben Menschen versucht, es unter ihre Kontrolle zu bringen. Ihre Heldinnen und Helden: Mönche und Hobbyarchäologen, Philanthropen und Freiheitskämpfer und vor allem Bibliothekare und Archivare, die sich dem Erhalt von Wissen verschrieben haben, nicht selten unter Einsatz ihres Lebens.
Richard Ovenden führt uns in fesselnd erzählten Schlüsselepisoden durch die dreitausendjährige Geschichte der Angriffe auf Bücher, Bibliotheken und Archive. Eine faszinierende Kulturgeschichte, die bis in unsere digitale Gegenwart und zu den neuartigen Gefahren, denen das Wissen der Welt heute ausgesetzt ist, reicht.
Richard Ovenden führt uns in fesselnd erzählten Schlüsselepisoden durch die dreitausendjährige Geschichte der Angriffe auf Bücher, Bibliotheken und Archive. Eine faszinierende Kulturgeschichte, die bis in unsere digitale Gegenwart und zu den neuartigen Gefahren, denen das Wissen der Welt heute ausgesetzt ist, reicht.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D, I ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.10.2021Gedächtnis braucht Archive
Verwundbare Schutzorte des Wissens: Richard Ovenden durchquert Jahrhunderte, um die Bedeutung von Bibliotheken zu zeigen.
Von Michael Knoche
Wer nach einem Bild für die Bedrohung des Geistes sucht, bedient sich gerne des Topos der brennenden Bibliothek. Aber ausgerechnet der berühmteste Brand einer Bibliothek ist eine Legende. Die Bibliothek im Museion von Alexandria, die eine umfassende Sammlung des antiken Wissens der Welt enthielt, ist verschwunden. Aber sie wurde wohl weder von Cäsar, Aurelian, dem christlichen Bischof Theophilos noch dem Kalifen Omar in Brand gesetzt oder zerstört. Eher war es ein jahrhundertelanger Mangel an Aufsicht, Führung und Investitionen, der sie um ihr Fortbestehen brachte.
Der Autor, der diese Geschichte erzählt, kennt sich aus: Richard Ovenden steht in Oxford als Bodley's Librarian einer der bedeutendsten Bibliotheken Europas vor, zumal einer, die im Furor der Reformation selbst einmal komplett untergegangen ist. Für ihn ist das sechzehnte Jahrhundert besonders im eigenen Land eine der schlimmsten Perioden in der Geschichte des Wissens. An historischen Fallbeispielen zeigt er die unterschiedlichen Motive auf, die zur Zerstörung von Wissensspeichern, aber auch zu ihrer Verteidigung geführt haben. Die Fakten sind anhand der neuesten Forschungsliteratur souverän aufbereitet und werden in angelsächsisch klarer Diktion präsentiert. Das Lesevergnügen ist groß, weil viele oft unbekannte Geschehnisse spannend erzählt werden. So ist das Buch fast eine Helden- und Heiligengeschichte der Bibliothekare und Archivare geworden, aber auch vieler beherzter Privatpersonen.
Ovenden beginnt mit der Bibliothek Assurbanipals im siebten Jahrhundert vor Christus und schreitet dann in Siebenmeilenstiefeln durch die Epochen, nicht ohne dem Namenspatron seiner eigenen Bibliothek ausgiebig Reverenz zu erweisen. Sir Thomas Bodley war so eine verdienstvolle Privatperson, die im Jahr 1602 die eigene Bibliothek an die Universität verschenkte und zum Entsetzen seiner Erben noch eine Stiftung für künftige Anschaffungen errichtete. Ausführlich behandelt wird das zwanzigste Jahrhundert: die zweifache Zerstörung der Universitätsbibliothek Löwen durch deutsche Truppen in den Jahren 1914 und 1940, die Rettungsarbeit der Papierbrigade in Wilna während der Schoa oder das herzzerreißende Schicksal der National- und Universitätsbibliothek Sarajewo. Ihre Bestände wären nach dem Granatenbeschuss durch die serbische Miliz am 25. August 1992 noch zu retten gewesen, wenn nicht Scharfschützen während der Bergungsversuche auf die Helfer gezielt hätten.
Kriege des 21. Jahrhunderts wie der im Irak werfen das Problem verschleppter Archiv- und Bibliotheksbestände auf: Dürfen die Sammlungen gefährdeter Einrichtungen aus Sicherheitsgründen ins Ausland gebracht werden? Und dürfen sie den Nationen, aus denen sie stammen, jahrelang vorenthalten werden? Die Stasi-Unterlagen in Deutschland sind ein Beispiel dafür, wie wichtig Akten für den Heilungsprozess einer zerrütteten Gesellschaft sein können. Ovenden scheut sich nicht, problematische Beispiele aus der Kolonialpolitik des eigenen Landes und sogar der eigenen Institution anzusprechen.
Der Begriff der bedrohten Bücher wird von Ovenden weit gefasst und schließt auch fortdauernde Geringschätzung ein, für die die Bibliothek von Alexandria nur das erste Beispiel war. Diese Prämisse erlaubt ihm, aktuell zu werden und präzise formulierte Begründungen vorzutragen, warum wir heute mehr Kraft und Geld investieren sollten, um Wissen vor Angriffen zu schützen. Sein Appell lautet, langfristig und gemeinnützig zu denken. Öffentliche Bibliotheken und Archive, so formuliert er es in fünf Thesen, sind von zentraler Bedeutung für Bildung, Gedankenvielfalt, offene Gesellschaften, Faktenkontrolle und kulturelle Identitäten. Vernachlässige man sie, gefährde man die Idee der Demokratie.
In diesem Zusammenhang fällt mehrmals der Name von Donald Trump. Nach Meinung von Ovenden ist unsere Gesellschaft den Herausforderungen des digitalen Zeitalters noch lange nicht gewachsen. Unternehmen wie Google, Facebook und Twitter richteten ihr Handeln an kommerziellen Interessen aus, aber nicht am langfristigen Gemeinwohl. Der Autor lobt unerschrockene Privatleute wie etwa die Betreiber der Wayback-Maschine, die eine Recherche nach obsoleten Internetseiten ermöglichen. Aber er fordert, dass die internationale Gemeinschaft der Bibliothekare und Archivare aufwacht und endlich selber Strukturen dafür schafft, das Internet zu archivieren und die Kommunikation auf den Social-Media-Plattformen zu dokumentieren. Um die Finanzierung sicherzustellen, empfiehlt er die Erhebung einer "Gedächtnissteuer" bei den Digitalkonzernen in Höhe von 0,5 Prozent des Umsatzes.
Den eigenen Zunftgenossen wirft Ovenden vor, stets die aktuellen Benutzerbedürfnisse zum Maßstab ihres Handelns gemacht, aber die Kernaufgabe vernachlässigt zu haben: die Bewahrung des kulturellen Gedächtnisses. Das ist richtig diagnostiziert. Aber aus der Perspektive des deutschen Fachdiskurses ist es verwunderlich, dass Ovenden die dauerhafte Erhaltung der physischen Überlieferung nur am Rande thematisiert. Die Sicherung der Handschriften, Archivalien und Bücher ist jedoch genauso unerlässlich und genauso unterfinanziert wie die Bewahrung des digitalen Wissens. Hier hätte man sich ein ebenso kräftiges Wort von ihm gewünscht. Um die Zukunft der originalen Quellen ist es doch auch in Großbritannien nicht gut bestellt.
"Burning the books", wie der Originaltitel lautet, hat international große Beachtung gefunden. Gut, dass eine deutsche Ausgabe erscheint. Aber die Übersetzung kann nicht befriedigen. Aus der "profession" der Archivare und Bibliothekare werden "einschlägige Berufsgruppen", aus "cultures" "antike Gemeinschaften" und aus einer "collection of record" eine "Rekordsammlung" statt eine Sammlung von Schriftstücken. Das Bemühen um geschlechtergerechte Sprache führt zu uneinheitlichen und missverständlichen Entscheidungen. Es gibt "Einwanderinnen und Einwanderer", aber nur männliche "Nationalisten". "Scholar" hingegen wird durchgängig mit "Forscherin" übersetzt. Zitierfähig ist nur die Originalausgabe.
Hermann Parzinger hat sich vor Kurzem in seinem Buch "Verdammt und vernichtet" mit der absichtlichen Destruktion von Bildern und Symbolen befasst (F.A.Z. vom 27. April). Ovenden, der nach der Bedrohung des Wissens fragt, hat das politischere Buch geschrieben. Es ist nicht nur ein historischer Rückblick geworden, sondern ein aufrüttelndes Manifest mit klaren Handlungsempfehlungen.
Richard Ovenden: "Bedrohte Bücher". Eine Geschichte der Zerstörung und Bewahrung des Wissens.
Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 416 S., Abb., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Verwundbare Schutzorte des Wissens: Richard Ovenden durchquert Jahrhunderte, um die Bedeutung von Bibliotheken zu zeigen.
Von Michael Knoche
Wer nach einem Bild für die Bedrohung des Geistes sucht, bedient sich gerne des Topos der brennenden Bibliothek. Aber ausgerechnet der berühmteste Brand einer Bibliothek ist eine Legende. Die Bibliothek im Museion von Alexandria, die eine umfassende Sammlung des antiken Wissens der Welt enthielt, ist verschwunden. Aber sie wurde wohl weder von Cäsar, Aurelian, dem christlichen Bischof Theophilos noch dem Kalifen Omar in Brand gesetzt oder zerstört. Eher war es ein jahrhundertelanger Mangel an Aufsicht, Führung und Investitionen, der sie um ihr Fortbestehen brachte.
Der Autor, der diese Geschichte erzählt, kennt sich aus: Richard Ovenden steht in Oxford als Bodley's Librarian einer der bedeutendsten Bibliotheken Europas vor, zumal einer, die im Furor der Reformation selbst einmal komplett untergegangen ist. Für ihn ist das sechzehnte Jahrhundert besonders im eigenen Land eine der schlimmsten Perioden in der Geschichte des Wissens. An historischen Fallbeispielen zeigt er die unterschiedlichen Motive auf, die zur Zerstörung von Wissensspeichern, aber auch zu ihrer Verteidigung geführt haben. Die Fakten sind anhand der neuesten Forschungsliteratur souverän aufbereitet und werden in angelsächsisch klarer Diktion präsentiert. Das Lesevergnügen ist groß, weil viele oft unbekannte Geschehnisse spannend erzählt werden. So ist das Buch fast eine Helden- und Heiligengeschichte der Bibliothekare und Archivare geworden, aber auch vieler beherzter Privatpersonen.
Ovenden beginnt mit der Bibliothek Assurbanipals im siebten Jahrhundert vor Christus und schreitet dann in Siebenmeilenstiefeln durch die Epochen, nicht ohne dem Namenspatron seiner eigenen Bibliothek ausgiebig Reverenz zu erweisen. Sir Thomas Bodley war so eine verdienstvolle Privatperson, die im Jahr 1602 die eigene Bibliothek an die Universität verschenkte und zum Entsetzen seiner Erben noch eine Stiftung für künftige Anschaffungen errichtete. Ausführlich behandelt wird das zwanzigste Jahrhundert: die zweifache Zerstörung der Universitätsbibliothek Löwen durch deutsche Truppen in den Jahren 1914 und 1940, die Rettungsarbeit der Papierbrigade in Wilna während der Schoa oder das herzzerreißende Schicksal der National- und Universitätsbibliothek Sarajewo. Ihre Bestände wären nach dem Granatenbeschuss durch die serbische Miliz am 25. August 1992 noch zu retten gewesen, wenn nicht Scharfschützen während der Bergungsversuche auf die Helfer gezielt hätten.
Kriege des 21. Jahrhunderts wie der im Irak werfen das Problem verschleppter Archiv- und Bibliotheksbestände auf: Dürfen die Sammlungen gefährdeter Einrichtungen aus Sicherheitsgründen ins Ausland gebracht werden? Und dürfen sie den Nationen, aus denen sie stammen, jahrelang vorenthalten werden? Die Stasi-Unterlagen in Deutschland sind ein Beispiel dafür, wie wichtig Akten für den Heilungsprozess einer zerrütteten Gesellschaft sein können. Ovenden scheut sich nicht, problematische Beispiele aus der Kolonialpolitik des eigenen Landes und sogar der eigenen Institution anzusprechen.
Der Begriff der bedrohten Bücher wird von Ovenden weit gefasst und schließt auch fortdauernde Geringschätzung ein, für die die Bibliothek von Alexandria nur das erste Beispiel war. Diese Prämisse erlaubt ihm, aktuell zu werden und präzise formulierte Begründungen vorzutragen, warum wir heute mehr Kraft und Geld investieren sollten, um Wissen vor Angriffen zu schützen. Sein Appell lautet, langfristig und gemeinnützig zu denken. Öffentliche Bibliotheken und Archive, so formuliert er es in fünf Thesen, sind von zentraler Bedeutung für Bildung, Gedankenvielfalt, offene Gesellschaften, Faktenkontrolle und kulturelle Identitäten. Vernachlässige man sie, gefährde man die Idee der Demokratie.
In diesem Zusammenhang fällt mehrmals der Name von Donald Trump. Nach Meinung von Ovenden ist unsere Gesellschaft den Herausforderungen des digitalen Zeitalters noch lange nicht gewachsen. Unternehmen wie Google, Facebook und Twitter richteten ihr Handeln an kommerziellen Interessen aus, aber nicht am langfristigen Gemeinwohl. Der Autor lobt unerschrockene Privatleute wie etwa die Betreiber der Wayback-Maschine, die eine Recherche nach obsoleten Internetseiten ermöglichen. Aber er fordert, dass die internationale Gemeinschaft der Bibliothekare und Archivare aufwacht und endlich selber Strukturen dafür schafft, das Internet zu archivieren und die Kommunikation auf den Social-Media-Plattformen zu dokumentieren. Um die Finanzierung sicherzustellen, empfiehlt er die Erhebung einer "Gedächtnissteuer" bei den Digitalkonzernen in Höhe von 0,5 Prozent des Umsatzes.
Den eigenen Zunftgenossen wirft Ovenden vor, stets die aktuellen Benutzerbedürfnisse zum Maßstab ihres Handelns gemacht, aber die Kernaufgabe vernachlässigt zu haben: die Bewahrung des kulturellen Gedächtnisses. Das ist richtig diagnostiziert. Aber aus der Perspektive des deutschen Fachdiskurses ist es verwunderlich, dass Ovenden die dauerhafte Erhaltung der physischen Überlieferung nur am Rande thematisiert. Die Sicherung der Handschriften, Archivalien und Bücher ist jedoch genauso unerlässlich und genauso unterfinanziert wie die Bewahrung des digitalen Wissens. Hier hätte man sich ein ebenso kräftiges Wort von ihm gewünscht. Um die Zukunft der originalen Quellen ist es doch auch in Großbritannien nicht gut bestellt.
"Burning the books", wie der Originaltitel lautet, hat international große Beachtung gefunden. Gut, dass eine deutsche Ausgabe erscheint. Aber die Übersetzung kann nicht befriedigen. Aus der "profession" der Archivare und Bibliothekare werden "einschlägige Berufsgruppen", aus "cultures" "antike Gemeinschaften" und aus einer "collection of record" eine "Rekordsammlung" statt eine Sammlung von Schriftstücken. Das Bemühen um geschlechtergerechte Sprache führt zu uneinheitlichen und missverständlichen Entscheidungen. Es gibt "Einwanderinnen und Einwanderer", aber nur männliche "Nationalisten". "Scholar" hingegen wird durchgängig mit "Forscherin" übersetzt. Zitierfähig ist nur die Originalausgabe.
Hermann Parzinger hat sich vor Kurzem in seinem Buch "Verdammt und vernichtet" mit der absichtlichen Destruktion von Bildern und Symbolen befasst (F.A.Z. vom 27. April). Ovenden, der nach der Bedrohung des Wissens fragt, hat das politischere Buch geschrieben. Es ist nicht nur ein historischer Rückblick geworden, sondern ein aufrüttelndes Manifest mit klaren Handlungsempfehlungen.
Richard Ovenden: "Bedrohte Bücher". Eine Geschichte der Zerstörung und Bewahrung des Wissens.
Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 416 S., Abb., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Klaus Hillenbrand ackert sich durch 3.000 Jahre Bibliotheksgeschichte mit Richard Ovendens Mini-Essays über Erhalt und Zerstörung des Weltwissen. Beginnend mit den Keilschrifttafeln von Ninive über die Papyrus-Rollen aus Alexandria bis zur Library of Congress in Washington, den Beständen der Oxforder Bodleian Library, dessen Direktor der Autor ist, und zu Überlegungen Tweets zu archivieren, reicht die Geschichte der bedrohten Bücher, die Ovenden aufschreibt. Ein glänzendes, hoch spannendes und gleichfalls bewahrenswertes Buch, findet Hillenbrand.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Richard Ovendens glänzendes Buch über die Zerstörung des Wissens in den Bibliotheken und Archiven der Welt zeigt, dass das Bewahren unseres Wissens bis heute mannigfach bedroht ist.« Klaus Hillenbrand taz. die tageszeitung 20220503