Dem biblischen Seeungeheuer Leviathan, das in Hobbes gleichnamigem Hauptwerk für die Allmacht des absolutistischen Staates steht, stellt der Autor in dieser Schrift, die aufgrund eines königlichen Druckverbots erst posthum erscheinen konnte, das Landungeheuer Behemoth aus der jüdischen Mythologie gegenüber. The Long Parliament bestand im Gegensatz zum Short Parliament, das nur 22 Tage, beginnend am 13. April 1640, tagte, offiziell von 1640 bis 1660. Dies ist die Periode, die Hobbes in seinem Behemoth behandelt. Während der Leviathan systematisch erarbeitet, welche Bedingungen für einen funktionierenden Staat erfüllt sein müssen, diskutiert der Behemoth die Gründe für den durch Aufruhr und Bürgerkrieg herbeigeführten Verfall des englischen Staates. Behemoth or the Long Parliament steht als Chiffre für Anarchie und Auflösung staatlicher Gewalt. Titel und Inhalt der Schrift scheinen das bewusst gewählte Gegenbild zum konstruktiven Staatsentwurf des Leviathan zu bilden, und in der Tat sind beide Werke in engem Zusammenhang zu lesen. Der Behemoth ist in Dialogform verfasst. Hobbes geht es darum, die Gründe zu verstehen, die zur Auflösung des englischen Gemeinwesens geführt haben, aber er verfolgt auch Fragen nach einer erfolgreichen politischen Erziehung, die seiner Ansicht nach vom Souverän geleistet werden muss. In seinem einleitenden Essay beleuchtet der Herausgeber neben der verwickelten Editionsgeschichte ausführlich den Gedankengang und den historischen und philosophischen Hintergrund dieses wichtigen Hobbes'schen Werks.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2016Über allen Gesetzen
Thomas Hobbes' "Behemoth" in einer neuen Ausgabe
Oberflächliche Kritik hält die Epoche der europäischen Aufklärung für traditionsfeindlich, weil geschichtsvergessen. In Wahrheit ist die Geschichte ein wichtiges Thema. Aufklärer wie Voltaire und Kant verfassen geschichtsphilosophische Werke, Leibniz und Hume treten selbst als Geschichtsschreiber auf. Der Frühaufklärer Thomas Hobbes übersetzt noch vor seinen philosophisch-politischen Werken Thukydides' Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Später folgen eine Kirchengeschichte, eine Autobiographie und nicht zuletzt zum beherrschenden Phänomen der Epoche, und dem eigenen Lebensthema, den politisch-religiösen Bürgerkriegen, das Geschichtswerk "Behemoth oder das Lange Parlament".
Die Titelfigur, nach dem biblischen Seeungeheuer, dem Leviathan, jetzt das Landungeheuer Behemoth, betont den engen Zusammenhang mit dem staatstheoretischen Hauptwerk: Auf die philosophische Begründung einer über allen Gesetzen stehenden Souveränität im "Leviathan" folgt deren historische Bekräftigung.
Bei Thukydides hatte Hobbes dessen objektive, von moralisierenden Abschweifungen freie Darstellung der Ereignisse gelobt. In den vier literarisch nicht besonders kunstvollen Dialogen des "Behemoth" ergreift er dezidiert Partei. In Übereinstimmung mit seiner Staatsphilosophie erklärt er den absolutistisch gesinnten König Karl I. zum musterhaften Regenten. Das Volk gilt ihm als "verderbt"; außer den Hauptfeinden, den Presbyterianern und den romtreuen "Papisten", werden anglikanische Kreise angegriffen, die Universitäten als "Hort der Empörung" gebrandmarkt und Handelsstädte wie London zu politischen Feinden erklärt.
So wiederholt Hobbes die politische Botschaft von "De cive/Vom Bürger" und "Leviathan": Um den ständig drohenden Rückfall in den Naturzustand, also den Bürgerkrieg, zu verhindern, braucht es einen mit absoluter Macht ausgestatteten souveränen Monarchen. Dessen Hauptaufgabe stellt Hobbes im "Behemoth" noch pointierter als in früheren Schriften dar: Die politisch tödlichen Meinungsverschiedenheiten, namentlich die unsäglichen theologischen Dispute, sind einmal für immer zu beenden.
Die vorliegene Neuausgabe des "Behemoth" verdanken wir dem Ideenhistoriker Peter Schröder, einem aus Deutschland stammenden Senior Lecturer in Early Modern History am renommierten University College London. In einer gelehrten Einleitung stellt er die Editionsgeschichte vor, skizziert die literarische Form des "Behemoth", den Dialog, und erläutert die Hauptintention, dem "Gefährdungspotential religiöser und politischer Ideologien" entgegenzutreten. Er erklärt den Titel zu einer "Chiffre von Anarchie und Auflösung staatlicher Gewalt" und betont, dass Hobbes seine Interpretation historischer Entwicklungen zum Instrument der Politik macht. Dabei unterschätzt er die Differenz zu Thukydides, bei dem das Interesse an politischer Beeinflussung nicht so direkt daherkommt wie im "Behemoth".
Schröders Neuausgabe liegt die von Julius Lips vor knapp neunzig Jahren vorgelegte gut lesbare, seit einigen Jahren aber vergriffene Übersetzung zugrunde. Ob deren Irrtümer und Ungereimtheiten tatsächlich so zahlreich sind, wie Schröder in der Einleitung schreibt, lässt sich nicht leicht überprüfen, da sie "zumeist stillschweigend korrigiert" sind. Dass "seed" mit "Kern" besser als mit "Aussaat" übersetzt wird, dass man Lips' Ausdrücke wie Graf, Herzog und Unterhaus durch Earl, Duke und House of Commons, ferner Karl durch Charles ablösen soll, lässt sich bezweifeln.
Hilfreich in dieser Ausgabe sind neben der umfangreichen Bibliographie das Namens- und das Ortsregister, während man ein Sachregister vermisst. In den Kopfzeilen erscheinen die Seitenzahlen der kritischen Ausgabe des englischen Textes von 2010. Die Anmerkungen erläutern Personen, Bibelstellen und historische Ereignisse oder verweisen auf andere Hobbes-Schriften. Der Behemoth ist also in einer guten Studienausgabe wieder greifbar.
OTFRIED HÖFFE.
Thomas Hobbes: "Behemoth oder das Lange Parlament". Übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Peter Schröder.
Philosophische Bibliothek des Felix Meiner Verlages, Hamburg 2015. 256 S., br., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Thomas Hobbes' "Behemoth" in einer neuen Ausgabe
Oberflächliche Kritik hält die Epoche der europäischen Aufklärung für traditionsfeindlich, weil geschichtsvergessen. In Wahrheit ist die Geschichte ein wichtiges Thema. Aufklärer wie Voltaire und Kant verfassen geschichtsphilosophische Werke, Leibniz und Hume treten selbst als Geschichtsschreiber auf. Der Frühaufklärer Thomas Hobbes übersetzt noch vor seinen philosophisch-politischen Werken Thukydides' Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Später folgen eine Kirchengeschichte, eine Autobiographie und nicht zuletzt zum beherrschenden Phänomen der Epoche, und dem eigenen Lebensthema, den politisch-religiösen Bürgerkriegen, das Geschichtswerk "Behemoth oder das Lange Parlament".
Die Titelfigur, nach dem biblischen Seeungeheuer, dem Leviathan, jetzt das Landungeheuer Behemoth, betont den engen Zusammenhang mit dem staatstheoretischen Hauptwerk: Auf die philosophische Begründung einer über allen Gesetzen stehenden Souveränität im "Leviathan" folgt deren historische Bekräftigung.
Bei Thukydides hatte Hobbes dessen objektive, von moralisierenden Abschweifungen freie Darstellung der Ereignisse gelobt. In den vier literarisch nicht besonders kunstvollen Dialogen des "Behemoth" ergreift er dezidiert Partei. In Übereinstimmung mit seiner Staatsphilosophie erklärt er den absolutistisch gesinnten König Karl I. zum musterhaften Regenten. Das Volk gilt ihm als "verderbt"; außer den Hauptfeinden, den Presbyterianern und den romtreuen "Papisten", werden anglikanische Kreise angegriffen, die Universitäten als "Hort der Empörung" gebrandmarkt und Handelsstädte wie London zu politischen Feinden erklärt.
So wiederholt Hobbes die politische Botschaft von "De cive/Vom Bürger" und "Leviathan": Um den ständig drohenden Rückfall in den Naturzustand, also den Bürgerkrieg, zu verhindern, braucht es einen mit absoluter Macht ausgestatteten souveränen Monarchen. Dessen Hauptaufgabe stellt Hobbes im "Behemoth" noch pointierter als in früheren Schriften dar: Die politisch tödlichen Meinungsverschiedenheiten, namentlich die unsäglichen theologischen Dispute, sind einmal für immer zu beenden.
Die vorliegene Neuausgabe des "Behemoth" verdanken wir dem Ideenhistoriker Peter Schröder, einem aus Deutschland stammenden Senior Lecturer in Early Modern History am renommierten University College London. In einer gelehrten Einleitung stellt er die Editionsgeschichte vor, skizziert die literarische Form des "Behemoth", den Dialog, und erläutert die Hauptintention, dem "Gefährdungspotential religiöser und politischer Ideologien" entgegenzutreten. Er erklärt den Titel zu einer "Chiffre von Anarchie und Auflösung staatlicher Gewalt" und betont, dass Hobbes seine Interpretation historischer Entwicklungen zum Instrument der Politik macht. Dabei unterschätzt er die Differenz zu Thukydides, bei dem das Interesse an politischer Beeinflussung nicht so direkt daherkommt wie im "Behemoth".
Schröders Neuausgabe liegt die von Julius Lips vor knapp neunzig Jahren vorgelegte gut lesbare, seit einigen Jahren aber vergriffene Übersetzung zugrunde. Ob deren Irrtümer und Ungereimtheiten tatsächlich so zahlreich sind, wie Schröder in der Einleitung schreibt, lässt sich nicht leicht überprüfen, da sie "zumeist stillschweigend korrigiert" sind. Dass "seed" mit "Kern" besser als mit "Aussaat" übersetzt wird, dass man Lips' Ausdrücke wie Graf, Herzog und Unterhaus durch Earl, Duke und House of Commons, ferner Karl durch Charles ablösen soll, lässt sich bezweifeln.
Hilfreich in dieser Ausgabe sind neben der umfangreichen Bibliographie das Namens- und das Ortsregister, während man ein Sachregister vermisst. In den Kopfzeilen erscheinen die Seitenzahlen der kritischen Ausgabe des englischen Textes von 2010. Die Anmerkungen erläutern Personen, Bibelstellen und historische Ereignisse oder verweisen auf andere Hobbes-Schriften. Der Behemoth ist also in einer guten Studienausgabe wieder greifbar.
OTFRIED HÖFFE.
Thomas Hobbes: "Behemoth oder das Lange Parlament". Übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Peter Schröder.
Philosophische Bibliothek des Felix Meiner Verlages, Hamburg 2015. 256 S., br., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Otfried Höffe begrüßt, dass Thomas Hobbes' "Behemoth" dank dem Ideenhistoriker Peter Schröder nun wieder in einer verdienstvollen Studienausgabe erhältlich ist. Zwar vermisst der Kritiker hier ein Sachregister, lobt aber neben der ausführlichen Bibliografie das Namens- und Ortsregister. Zufrieden ist der Rezensent insbesondere mit Schröders lehrreicher Einleitung, die nicht nur die Editionsgeschichte und die literarische Form des "Behemoth" erläutert, sondern auch Hobbes primäre Intention, "dem Gefährdungspotential religiöser und politischer Ideologien" entgegenzutreten, beleuchtet. Auch wenn der Kritiker nicht immer mit Schröders Einwänden gegen die von Julius Lips vor neunzig Jahren vorgelegte Übersetzung einverstanden ist, kann er diese Ausgabe nur unbedingt empfehlen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Gelehrte Einleitung [...] gute Studienausgabe.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, Otfried Höffe, 12.01.2016