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Ordentlich was zu beißen: Klaus Hoffers Bieresch-Roman
Dieser Roman, endlich wiederveröffentlicht, gehört in die ehrwürdige österreichische Tradition der literarischen Verfinsterung. In zwei Teilen, "Halbwegs" (1979) und "Der große Potlatsch" (1983), erschienen, erhielt "Bei den Bieresch" seinerzeit hymnische Kritiken und wurde vor allem von Schriftstellerkollegen ins Herz geschlossen. Wolfgang Hildesheimer, Urs Widmer, Friederike Mayröcker und andere erklärten ihn sogleich zum Jahrhundertwerk. Bis heute ist es ein unter Kennern renommiertes, ansonsten allerdings eher wenig gelesenes Buch geblieben - was wohl auch daran liegt, dass der Grazer Klaus Hoffer seitdem nur noch wenig publiziert hat. Gelegentlich ist er als Übersetzer hervorgetreten, Geschichten Raymond Carvers hat er früh ins Deutsche gebracht.
Sein großes Vorbild ist jedoch Kafka. "Bei den Bieresch" gehört zu den originellsten Werken in der Nachfolge des stil- und epigonenbildenden Pragers. In Kafkas "Schloss" kommt der Landvermesser K. in ein fremdes Dorf und sieht sich bald in den Kampf mit einer ominösen Bürokratie verstrickt, die allen Zusammenhängen des Dorf-Lebens ihren Stempel aufgeprägt hat. Der Einzelne erforscht die Rituale einer ihm zunächst völlig unverständlichen Welt, allerdings nicht aus neutralem Erkenntnisinteresse, sondern um sich selbst in existentieller Verdunkelung zurechtzufinden.
In Hoffers Roman wird diese ethnographische Schreibweise zugespitzt. Als wäre er in den tieftraurigen Tropen eines mitteleuropäischen Niemandslandes gelandet, beschreibt der Ich-Erzähler namens Hans seine Erlebnisse im Dorf Zick, einem imaginären Ort irgendwo zwischen Burgenland und Puszta, bei der Volksgruppe der Bieresch. Sogleich hat er dort eine eigenartige Mission zu übernehmen. In Zick lebte sein Onkel; nun ist er gestorben, und einer der archaischen Bräuche bei den Bieresch verlangt es, dass Hans für ein Jahr Rolle und Identität des Toten zu übernehmen hat; der Onkel war Briefträger. Aber auch dieser überschaubare Beruf nimmt sich bei den Bieresch absonderlich aus. Die Post zum Beispiel, die Hans fortan austrägt, befindet sich in einer merkwürdigen Schreibtruhe, die er unter Mühen durch die Gegend schleppt.
Der größte Teil des Buches besteht aus initiierenden Gesprächen: Hans wird von einer zickschen Autorität zur nächsten gereicht, jeder versucht ihm ein wenig aus der Ahnungslosigkeit zu helfen und erzählt von den Traditionen und Gepflogenheiten der Bieresch. Dabei widerspricht einer dem anderen. Die "Göds", die in Zick das Sagen haben, erweisen sich allesamt als durchgedrehte Hermeneuten, von denen Hans wenig Konkretes erfährt, von denen er aber mit vertrackten mythologisch-religiösen Erörterungen versorgt wird. Wie bei Kafka sind sie von der Liebe zum Paradoxen und Ausweglosen inspiriert.
So viel steht fest - es geht um einen Sündenfall vor Urzeiten: "Das Gefühl, dass ein nicht gutzumachender Fehler gemacht wurde, begleitet uns, während wir auf der Stelle treten." Die Welt ist verkorkst, und man fragt sich, warum. Man lebt nicht, sondern ergeht sich in doppelt und dreifach hintersinnigen Erklärungen des Lebens. Der Ertrag des kollektiven Grübelns besteht in mysteriösen Aphorismen und Redensarten, in denen sich die Essenz des Bieresch-Lebens mit seiner albtraumhaften Wiederkehr des Gleichen abgelagert hat: "Der Hund kehrt zum Erbrochenen zurück." Oder: "Unsere Geschichte ist der Knoten, der sich löst, wenn man ihn knüpft."
Es sind also ernste Lebensfragen; zugleich aber ist alles eine große Kasperliade, bei der man nichts wirklich ernst nehmen kann, auch wenn hier eine Komik wirksam ist, die sich bemüht, keine Miene zu verziehen. Vor allem aber ist "Bei den Bieresch" ein Zitatkunstwerk und Anspielungs-Spiel. An einer Stelle wird das Phänomen des "Ablakens" beschrieben: "Nicht ich spreche, ein anderer in mir zieht eine Durchreiche zu meinem Mund auf und sagt, was ich sage."
Solches "Ablaken" ist das Arbeitsprinzip des Romans. Es gibt Einflüsterungen und Durchreichungen vielfältigster Art: Borges' Liebe zum Labyrinthischen, Passagen aus Flann O'Brien und Kurt Vonnegut, ethnologische Literatur über das indianische Tauschritual des Potlatsch, kabbalistische Legenden, Onkelwirtschaft aus Entenhausen und nicht zuletzt Anspielungen auf die österreichische Avantgarde. Der martialische Aktionskünstler Hermann Nitsch etwa ist als Abdecker oder "Wasenmeister" deftig ins Buch eingegangen.
Eine Erlösung wäre nur möglich "durch ein gemeinsames Beißen aller Zähne aller Hunde", heißt es in den Schriften der Bieresch. Auch der Leser bekommt ordentlich etwas zu beißen. Denn ungeachtet des klassisch schlichten Erzählstils ist dies kein leicht lesbares Buch. Das bedrückte, bedrückende Bieresch-Universum, wo sich selbst die Seufzer wie "falsch gesetzte Satzzeichen" anhören, wirkt artifizieller als die beklemmend dicht gestaltete Phantastik Kafkas, die immer eine doppelte Lektüre zulässt: Man kann sich in die fratzenhaft verfremdete Welt hineinziehen lassen - das ist faszinierend genug. Man kann Kafkas Werke aber auch, vor allem wenn man Literaturwissenschaftler ist, zum Gegenstand aufwendiger Dechiffrieranstrengungen machen. Hoffers Buch eignet sich vor allem für diese zweite Lesart. Es ist eine Steilvorlage für Dechiffrierkünstler.
Schade, dass nicht etwas mehr episches Fleisch an den "Biereschs" ist. Es gibt großartig skurrile Beschreibungen von Landschaften und Menschen; davon hätte man gern etwas mehr gelesen. Aber kein Zweifel: Dies ist keine Durchschnittsware, sondern etwas sehr Eigenwilliges, Kunstvolles, Gekonntes.
WOLFGANG SCHNEIDER
Klaus Hoffer: "Bei den Bieresch". Roman. Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2007. 272 S., geb., 21,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
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