Joseph Roth, einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, erlangte Weltruhm mit seinen Romanen Hiob und Radetzkymarsch. Von der Vielfalt, dem Reichtum und der Kraft seines Erzählens zeugt auch: Beichte eines Mörders, erzählt in einer Nacht, geschrieben im französischen Exil, ist eine Parabel auf die Macht des Bösen. Eine ganze Nacht hindurch lauschen die Gäste des russischen Emigrantenlokals >Tari-Bari< in Paris der Lebensbeichte Semjon Golubtschiks, der sich selbst einen Mörder nennt.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.02.2010Die vollkommene Ruhe des Joseph Roth
Joseph Roth: Beichte eines Mörders, erzählt in einer Nacht. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2010. 192 Seiten, 7,90 Euro
Eine eigene Spezies bevölkert das Werk von Joseph Roth, Somnambule könnte man sie nennen oder Verschollene, oder einfach Gäste auf dieser Erde. Sie sind unbehaust und fühlen sich keinem Ort fest verbunden, nirgendwo ist Heimat für sie. Sie sind von beharrlicher Präsenz und wirken doch abwesend, fremdbestimmt und eigenmotiviert zugleich: „Jeder lebt hier nach ewigen Gesetzen und gegen seinen Willen.”
Eine eigenartige Aktualität haben diese Bücher in den neuen Krisenjahren nun gewonnen, mit ihrer Mischung aus Gleichmut und Fatalität. Bei Diogenes kann man jetzt neben Roths Hauptstadt-Wien-Epen „Radetzkymarsch” und „Kapuzinergruft” in ein paar weniger bekannte Stücke aus der Provinz sich verlieren, aus den Randzonen der Weltgeschichte. Erzählungen, die quer durch Mitteleuropa führen bis in die junge Sowjetunion hinein, hin und wieder mit einem Abstecher nach Amerika. Es geht um Krieg und Nachkrieg, die Revolution beherrscht die Schicksale, und Spuren gibt es vom heraufziehenden Faschismus. Man berichtet uns von Tarabas, der einer Prophezeiung davonlaufen will im gleichnamigen Roman, 1934, und vom Oberleutnant Franz Tunda in „Die Flucht ohne Ende”, 1927 – die Flucht beginnt in russischer Kriegsgefangenschaft und führt nach Paris, wo Roth in den Jahren nach 1933 lebte und 1939 starb: „Ich weiß nur, dass nicht eine sogenannte ,Unruhe‘ mich getrieben hat, sondern im Gegenteil – eine vollkommene Ruhe . . .” Das Buch nennt sich einen „Bericht”, was nicht wirklich stimmt, aber Gattungsbegriffe sind nicht mehr gültig für diese Zeit. Die „Beichte eines Mörders, erzählt in einer Nacht”, 1936, berichtet uns vom Ochrana-Agenten Golubtschik, der ein natürlicher Sohn des Fürsten Krapotkin ist, sich in das französische Model Lutetia in Paris verliebt und für diese Liebe sich verkauft – aber im 20. Jahrhundert hat auch ein Teufelspakt seinen Glamour verloren. Das Buch ist keine Beichte und der Mord kein Mord, nur die Nacht bleibt, als Ort des Erinnerns, des Trinkens, des Erzählens. Fritz Göttler
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Joseph Roth: Beichte eines Mörders, erzählt in einer Nacht. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2010. 192 Seiten, 7,90 Euro
Eine eigene Spezies bevölkert das Werk von Joseph Roth, Somnambule könnte man sie nennen oder Verschollene, oder einfach Gäste auf dieser Erde. Sie sind unbehaust und fühlen sich keinem Ort fest verbunden, nirgendwo ist Heimat für sie. Sie sind von beharrlicher Präsenz und wirken doch abwesend, fremdbestimmt und eigenmotiviert zugleich: „Jeder lebt hier nach ewigen Gesetzen und gegen seinen Willen.”
Eine eigenartige Aktualität haben diese Bücher in den neuen Krisenjahren nun gewonnen, mit ihrer Mischung aus Gleichmut und Fatalität. Bei Diogenes kann man jetzt neben Roths Hauptstadt-Wien-Epen „Radetzkymarsch” und „Kapuzinergruft” in ein paar weniger bekannte Stücke aus der Provinz sich verlieren, aus den Randzonen der Weltgeschichte. Erzählungen, die quer durch Mitteleuropa führen bis in die junge Sowjetunion hinein, hin und wieder mit einem Abstecher nach Amerika. Es geht um Krieg und Nachkrieg, die Revolution beherrscht die Schicksale, und Spuren gibt es vom heraufziehenden Faschismus. Man berichtet uns von Tarabas, der einer Prophezeiung davonlaufen will im gleichnamigen Roman, 1934, und vom Oberleutnant Franz Tunda in „Die Flucht ohne Ende”, 1927 – die Flucht beginnt in russischer Kriegsgefangenschaft und führt nach Paris, wo Roth in den Jahren nach 1933 lebte und 1939 starb: „Ich weiß nur, dass nicht eine sogenannte ,Unruhe‘ mich getrieben hat, sondern im Gegenteil – eine vollkommene Ruhe . . .” Das Buch nennt sich einen „Bericht”, was nicht wirklich stimmt, aber Gattungsbegriffe sind nicht mehr gültig für diese Zeit. Die „Beichte eines Mörders, erzählt in einer Nacht”, 1936, berichtet uns vom Ochrana-Agenten Golubtschik, der ein natürlicher Sohn des Fürsten Krapotkin ist, sich in das französische Model Lutetia in Paris verliebt und für diese Liebe sich verkauft – aber im 20. Jahrhundert hat auch ein Teufelspakt seinen Glamour verloren. Das Buch ist keine Beichte und der Mord kein Mord, nur die Nacht bleibt, als Ort des Erinnerns, des Trinkens, des Erzählens. Fritz Göttler
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