Das Hamburger Unternehmen Beiersdorf hat neben der «Crème de la Crème» NIVEA viele erfolgreiche Marken hervorgebracht. Dennoch ist es jenseits aktueller Börsenmeldungen kaum bekannt. Dabei ist es eigentlich erstaunlich, dass das international ausgerichtete Unternehmen zwei Weltkriege und den Nationalsozialismus überstehen und sich in der Bundesrepublik zum Global Player entwickeln konnte. Alles begann mit einem Pflaster. Der Apotheker Paul Beiersdorf legte mit ihm 1882 den Grundstein für die heutige Beiersdorf AG. Sein Nachfolger Oscar Troplowitz baute die kleine Fabrik zu einem international agierenden Markenunternehmen aus, das vor dem Ersten Weltkrieg einen Großteil seines Gewinns in den USA erzielte. Dann wurde das US-Geschäft wegen des Kriegs konfisziert; Beiersdorf musste international neu beginnen. 1933 versuchte der Vorstand, das «jüdische» Unternehmen durch «Selbstarisierung» vor antisemitischen Angriffen zu schützen und die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die das NS-Regime bot, zu nutzen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Beiersdorf erneut einen Rückschlag wie nach dem Ersten Weltkrieg - wieder musste man neu beginnen. Beiersdorf wuchs in den folgenden Jahrzehnten mit starken Marken wie NIVEA, tesa, Hansaplast oder La Prairie zu einer Weltfirma, deren Produkte in fast jedem Haushalt zu finden sind. Alfred Reckendrees erzählt erstmals auf einer wissenschaftlichen Grundlage die Geschichte von Beiersdorf. Er rückt handelnde Menschen in den Mittelpunkt, die Herausforderungen und die Konflikte, denen sie begegneten. Das Buch beschreibt Strategien und Neuorientierungen eines Unternehmens vom 19. bis zum 21. Jahrhundert, dessen Entwicklung die facettenreiche deutsche Geschichte wie kaum ein anderes Unternehmen spiegelt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2019Nicht nur Nivea
Ein Buch über 125 Jahre Beiersdorf
Nivea-Creme ist allerorts bekannt. Das Unternehmen Beiersdorf, das sie seit mehr als 100 Jahren herstellt und dazu weitere erfolgreiche Marken wie Tesa, Hansaplast, Eucerin, 8×4 und Labello, ist es weniger. Oft sind nur diese Namen geläufig. Das sei Teil ihres Erfolgs, sagt Alfred Reckendrees: "Das ist neben der Qualität und der Verfügbarkeit im Geschäft auch das Wichtigste. Denn aus diesen Gründen entscheiden sich die Konsumenten weltweit und Tag für Tag neu für die Marken von Beiersdorf."
Dem Unternehmen hinter Nivea & Co verschafft der Wirtschaftshistoriker, der an der Copenhagen Business School lehrt, in seinem Buch einen umfangreichen, bebilderten Auftritt. Erzählt wird dort die eng mit den Umbrüchen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und der Nachfolgezeit verbundene Entwicklung einer kleinen Apotheke am Hamburger Michel zum global tätigen Markenkonzern. Die Chronik geht bis zum Jahr 2004, als ein zweijähriger Kampf um die Selbständigkeit endete und verhinderte, dass der amerikanische Konkurrent Procter & Gamble die Marke Nivea übernahm. Mit der Tchibo Holding AG von Großaktionär Michael Herz, die ein Aktienpaket von der Allianz AG übernahm, bekam Beiersdorf erstmals einen Mehrheitseigentümer mit 51 Prozent der Stimmrechte. Für das seit 2008 im Dax notierte Unternehmen folgten wirtschaftlich fruchtbare Jahre.
Begonnen hatte alles mit einem Pflaster: 1882 legte der aus Neuruppin in Brandenburg stammende Apotheker Paul Beiersdorf mit einem frisch patentierten Wundverband den Grundstein für die heutige Beiersdorf AG. Als der Pharmazeut nach einem privaten Schicksalsschlag 1890 den inzwischen in Altona entstandenen Fertigungsbetrieb für 70 000 Mark verkaufte, war sein "Laboratorium dermatotherapeutischer Präparate" ein finanziell erfolgreiches Unternehmen mit elf Beschäftigten. Der neue Eigentümer, Oscar Troplowitz, produzierte weiter medizinische Pflaster, bald auch selbstklebende wie Leukoplast, was 1936 zum Tesafilm und zur Klebetechnik führte. Vor allem aber machte Troplowitz mit Gespür für Wachstumsmärkte sein Unternehmen über Produkte wie Labello (1909) und Nivea (1911) zum Pionier der Kosmetikindustrie. Ein Hit wurde auch Pebeco als jahrelang meistverkaufte Zahnpasta in den Vereinigten Staaten, die noch 1914 einen Großteil des Gewinns erzielte, bis Beiersdorf während des Ersten Weltkriegs das amerikanische Geschäft verlor.
Nach dem Tod von Troplowitz im Jahre 1918 musste das Unternehmen unter Willy Jacobsohn neu beginnen und wurde 1922 mit Hilfe des Bankhauses Warburg zu einer Aktiengesellschaft umgebaut. Den Rückzug der jüdischen Unternehmensleitung und ihres Bankhauses 1933 bezeichnet Reckendrees als "Selbstarisierung", um Beiersdorf vor antisemitischen Angriffen zu schützen und das Unternehmen unter dem NS-Regime zu erhalten.
Der Vorstandsvorsitzende Carl Claussen steuerte gemeinsam mit Hans E.B. Kruse als Aufsichtsratsvorsitzendem den deutschen Part erfolgreich durch den Nationalsozialismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg war ein weiterer Neuanfang auch im internationalen Geschäft nötig. Mit starken Marken wuchs Beiersdorf zu einem globalen Unternehmen mit 19000 Konzernbeschäftigten und Tochterunternehmen in 69 Staaten.
Die Gründe für den langfristigen Erfolg feiert Reckendrees als Leistung der Unternehmensleitung, die immer wieder den Zeitgeist frühzeitig beachtet und sich mit neuen Produkten auf neu entstehenden Märkten etabliert habe. Doch sei dies nicht einfach Glück gewesen: "Der Erfolg basierte darauf, sozialen und kulturellen Wandel frühzeitig erkannt und mit ansprechenden, nützlichen und erstrebenswerten Markenprodukten darauf reagiert zu haben."
Hinzu kam offenbar eine weitsichtige Preispolitik. Reckendrees beschreibt das am Beispiel von Nivea-Creme, mit der Beiersdorf in Zeiten niedriger Einkommen auf die gehobene Mittelschicht zielte und das Produkt als Premiumartikel in winzigen Dosen verkaufte. Als mit steigenden Einkommen die potentielle Kundschaft wuchs, machte Beiersdorf mit stabilen Preisen Nivea zum bezahlbaren Luxus. Handelnde Akteure waren vor allem die Vorstände und Vorstandsvorsitzenden, die im Anschluss an Paul Beiersdorf und Oscar Troplowitz das zu ihrer Zeit Richtige taten. Manche Entscheidungen seien dabei als Wagnis durchaus umstritten gewesen.
Dass die sieben Kapitel der Chronik mit dem Blick auf die Vorstandsebene erzählt werden, hat damit zu tun, dass der Verfasser freien Zugang zum Beiersdorf-Archiv hatte und Vorstandsprotokolle von 1956 bis 2004 einsehen konnte. Denn das Unternehmen selbst hat das Buch 2015 in Auftrag gegeben und intensiv an der Entstehung und Prüfung des Textes mitgewirkt.
Kritische Themen und Misserfolge mussten nicht ausgespart werden, betont Reckendrees. Dennoch war das Kapitel 4 über die NS-Zeit und die Kriegswirtschaft vermutlich eine delikate Aufgabe. Dort wird beschrieben, wie sich Beiersdorf schon früh den Bedrohungen entzogen und gute Geschäfte gemacht hat, "ohne sich besonders an den Nationalsozialismus anzupassen". Das Verhalten zeige, "wie schmal der Grat zwischen Verfolgung durch den Nationalsozialismus und einer Beteiligung an der NS-Herrschaft während des Zweiten Weltkriegs war", so der Autor. Im gleichen Kapitel benennt er offen das aktive Bemühen um "Fremdarbeiter" und "Ostarbeiterinnen" und schildert anhand der Berichte zweier betroffener Frauen die harten Existenz- und Arbeitsbedingungen, unter denen 100 Zwangsarbeiterinnen Leukoplast und Hautcreme fertigten.
Als wichtigstes Vermögen galt bis Anfang der neunziger Jahre die Marke Nivea, sagt Reckendrees. Angesichts der Konkurrenz in der globalen Wirtschaft erschien die Marke zunehmend zu klein. Die Leitung hielt an ihrer Dachmarke fest, setzte aber verstärkt in einem neuen Teilkonzern auf Klebetechnologie.
ULLA FÖLSING
Alfred Reckendrees: Beiersdorf. Die Geschichte des Unternehmens hinter den Marken NIVEA, tesa, Hansaplast & Co.". München 2018. Verlag C.H. Beck. 410 Seiten. 29,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Buch über 125 Jahre Beiersdorf
Nivea-Creme ist allerorts bekannt. Das Unternehmen Beiersdorf, das sie seit mehr als 100 Jahren herstellt und dazu weitere erfolgreiche Marken wie Tesa, Hansaplast, Eucerin, 8×4 und Labello, ist es weniger. Oft sind nur diese Namen geläufig. Das sei Teil ihres Erfolgs, sagt Alfred Reckendrees: "Das ist neben der Qualität und der Verfügbarkeit im Geschäft auch das Wichtigste. Denn aus diesen Gründen entscheiden sich die Konsumenten weltweit und Tag für Tag neu für die Marken von Beiersdorf."
Dem Unternehmen hinter Nivea & Co verschafft der Wirtschaftshistoriker, der an der Copenhagen Business School lehrt, in seinem Buch einen umfangreichen, bebilderten Auftritt. Erzählt wird dort die eng mit den Umbrüchen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und der Nachfolgezeit verbundene Entwicklung einer kleinen Apotheke am Hamburger Michel zum global tätigen Markenkonzern. Die Chronik geht bis zum Jahr 2004, als ein zweijähriger Kampf um die Selbständigkeit endete und verhinderte, dass der amerikanische Konkurrent Procter & Gamble die Marke Nivea übernahm. Mit der Tchibo Holding AG von Großaktionär Michael Herz, die ein Aktienpaket von der Allianz AG übernahm, bekam Beiersdorf erstmals einen Mehrheitseigentümer mit 51 Prozent der Stimmrechte. Für das seit 2008 im Dax notierte Unternehmen folgten wirtschaftlich fruchtbare Jahre.
Begonnen hatte alles mit einem Pflaster: 1882 legte der aus Neuruppin in Brandenburg stammende Apotheker Paul Beiersdorf mit einem frisch patentierten Wundverband den Grundstein für die heutige Beiersdorf AG. Als der Pharmazeut nach einem privaten Schicksalsschlag 1890 den inzwischen in Altona entstandenen Fertigungsbetrieb für 70 000 Mark verkaufte, war sein "Laboratorium dermatotherapeutischer Präparate" ein finanziell erfolgreiches Unternehmen mit elf Beschäftigten. Der neue Eigentümer, Oscar Troplowitz, produzierte weiter medizinische Pflaster, bald auch selbstklebende wie Leukoplast, was 1936 zum Tesafilm und zur Klebetechnik führte. Vor allem aber machte Troplowitz mit Gespür für Wachstumsmärkte sein Unternehmen über Produkte wie Labello (1909) und Nivea (1911) zum Pionier der Kosmetikindustrie. Ein Hit wurde auch Pebeco als jahrelang meistverkaufte Zahnpasta in den Vereinigten Staaten, die noch 1914 einen Großteil des Gewinns erzielte, bis Beiersdorf während des Ersten Weltkriegs das amerikanische Geschäft verlor.
Nach dem Tod von Troplowitz im Jahre 1918 musste das Unternehmen unter Willy Jacobsohn neu beginnen und wurde 1922 mit Hilfe des Bankhauses Warburg zu einer Aktiengesellschaft umgebaut. Den Rückzug der jüdischen Unternehmensleitung und ihres Bankhauses 1933 bezeichnet Reckendrees als "Selbstarisierung", um Beiersdorf vor antisemitischen Angriffen zu schützen und das Unternehmen unter dem NS-Regime zu erhalten.
Der Vorstandsvorsitzende Carl Claussen steuerte gemeinsam mit Hans E.B. Kruse als Aufsichtsratsvorsitzendem den deutschen Part erfolgreich durch den Nationalsozialismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg war ein weiterer Neuanfang auch im internationalen Geschäft nötig. Mit starken Marken wuchs Beiersdorf zu einem globalen Unternehmen mit 19000 Konzernbeschäftigten und Tochterunternehmen in 69 Staaten.
Die Gründe für den langfristigen Erfolg feiert Reckendrees als Leistung der Unternehmensleitung, die immer wieder den Zeitgeist frühzeitig beachtet und sich mit neuen Produkten auf neu entstehenden Märkten etabliert habe. Doch sei dies nicht einfach Glück gewesen: "Der Erfolg basierte darauf, sozialen und kulturellen Wandel frühzeitig erkannt und mit ansprechenden, nützlichen und erstrebenswerten Markenprodukten darauf reagiert zu haben."
Hinzu kam offenbar eine weitsichtige Preispolitik. Reckendrees beschreibt das am Beispiel von Nivea-Creme, mit der Beiersdorf in Zeiten niedriger Einkommen auf die gehobene Mittelschicht zielte und das Produkt als Premiumartikel in winzigen Dosen verkaufte. Als mit steigenden Einkommen die potentielle Kundschaft wuchs, machte Beiersdorf mit stabilen Preisen Nivea zum bezahlbaren Luxus. Handelnde Akteure waren vor allem die Vorstände und Vorstandsvorsitzenden, die im Anschluss an Paul Beiersdorf und Oscar Troplowitz das zu ihrer Zeit Richtige taten. Manche Entscheidungen seien dabei als Wagnis durchaus umstritten gewesen.
Dass die sieben Kapitel der Chronik mit dem Blick auf die Vorstandsebene erzählt werden, hat damit zu tun, dass der Verfasser freien Zugang zum Beiersdorf-Archiv hatte und Vorstandsprotokolle von 1956 bis 2004 einsehen konnte. Denn das Unternehmen selbst hat das Buch 2015 in Auftrag gegeben und intensiv an der Entstehung und Prüfung des Textes mitgewirkt.
Kritische Themen und Misserfolge mussten nicht ausgespart werden, betont Reckendrees. Dennoch war das Kapitel 4 über die NS-Zeit und die Kriegswirtschaft vermutlich eine delikate Aufgabe. Dort wird beschrieben, wie sich Beiersdorf schon früh den Bedrohungen entzogen und gute Geschäfte gemacht hat, "ohne sich besonders an den Nationalsozialismus anzupassen". Das Verhalten zeige, "wie schmal der Grat zwischen Verfolgung durch den Nationalsozialismus und einer Beteiligung an der NS-Herrschaft während des Zweiten Weltkriegs war", so der Autor. Im gleichen Kapitel benennt er offen das aktive Bemühen um "Fremdarbeiter" und "Ostarbeiterinnen" und schildert anhand der Berichte zweier betroffener Frauen die harten Existenz- und Arbeitsbedingungen, unter denen 100 Zwangsarbeiterinnen Leukoplast und Hautcreme fertigten.
Als wichtigstes Vermögen galt bis Anfang der neunziger Jahre die Marke Nivea, sagt Reckendrees. Angesichts der Konkurrenz in der globalen Wirtschaft erschien die Marke zunehmend zu klein. Die Leitung hielt an ihrer Dachmarke fest, setzte aber verstärkt in einem neuen Teilkonzern auf Klebetechnologie.
ULLA FÖLSING
Alfred Reckendrees: Beiersdorf. Die Geschichte des Unternehmens hinter den Marken NIVEA, tesa, Hansaplast & Co.". München 2018. Verlag C.H. Beck. 410 Seiten. 29,95 Euro
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