Ein Freundeskreis Anfang dreißig, zehn Jahre nach dem Jahrtausendwechsel: Thies, seine Exfreundin Wanda, Jasper und die Zwillinge Jonte und Pelle. Sie leben als free lancer in einer großen Stadt, die von Werbung, Gentrifizierung und der Kreativwirtschaft bestimmt wird. Immer knapp bei Kasse nehmen sie jeden Auftrag an, auch wenn sie kaum daran verdienen - denn: Sichtbarkeit ist alles! Aber neben der Arbeit am eigenen Image geht es auch noch um die große Liebe, die allerdings auch nicht so einfach ist. Überhaupt haben sich die großen Versprechen von Freiheit und Selbstverwirklichung eher in Selbstausbeutung und prekäre Existenzen aufgelöst. Thies unternimmt Recherchen zur Kreativbranche, führt Interviews mit denen, die in ihr tätig zu sein glauben, und dreht mit seinen Freunden einen Film über die Geschichte der Stadt und die eigene Vergangenheit. Dunkle Schatten werden sichtbar, Genderverwirrungen, eine Blutspur scheint sich durch alles zu ziehen. Mutiert man am Ende etwa selbst zum Wolf? Ist es ein Spiel? Ein Theaterstück? Oder gar das eigene Leben? Jörg Albrecht fragt nach den Zumutungen der neoliberalen Gesellschaft und vergleicht ihre Ansprüche mit der Wirklichkeit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.08.2012Lost in Berlin
Berlin ist ein Albtraum, und zwar nicht nur im Schlaf. Die fünf jungen Antihelden, deren Geschichten in dem Roman des 1981 in Bonn geborenen Jörg Albrecht erzählt werden, haben das schnell begriffen - und sich angepasst. Jetzt, ein paar Jahre nur nachdem sie alle hoffnungsfroh aus der Provinz in die große Stadt gekommen sind, arbeiten sie rund um die Uhr und bringen doch nichts zustande. Geld haben sie keines, Beziehungen können sie nicht führen, weil sie glauben, flexibel bleiben zu müssen, kreativ in einem innovativen Sinn sind sie längst nicht mehr, weil sie dazu einfach zu müde sind. Kurz gesagt, gehören die fünf zu genau jenem zwischen Praktika und Projekten gefangenen Prekariat, das Berlins Nimbus des Arm-aber-sexy-Seins zu einem gehörigen Anteil geprägt hat. Stoff für einen Roman böte sich da eigentlich genug, auch wenn das Thema in der Hauptstadt-Literatur natürlich schon behandelt worden ist. Dass er keinen Originalitätspreis gewinnen dürfte, muss Albrecht also gewusst haben. Dass er deswegen versucht hat, seinem Roman über die Form einen Anstrich von Besonderheit zu verleihen, ist eine naheliegende Vermutung: Der schnelle, ständige Wechsel zwischen Erzählperspektiven, Orten, Personen und ihren Wahrnehmungsebenen hätte im besten Fall (nach surrealistischem Vorbild) dazu dienen können, sprachlich jene Simultaneität der Ereignisse spürbar zu machen, unter der die Figuren leiden. Doch dieser Balanceakt ist Albrecht nicht recht gelungen. Statt Sog zu erzeugen, schließt sein Roman den Leser aus. Der darf sich Berlin dann ruhig weiter als schönen, verheißungsvollen Traum vorstellen. (Jörg Albrecht: "Beim Anblick des Bildes vom Wolf". Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 260 S., geb., 19,90 [Euro].) lbo
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Berlin ist ein Albtraum, und zwar nicht nur im Schlaf. Die fünf jungen Antihelden, deren Geschichten in dem Roman des 1981 in Bonn geborenen Jörg Albrecht erzählt werden, haben das schnell begriffen - und sich angepasst. Jetzt, ein paar Jahre nur nachdem sie alle hoffnungsfroh aus der Provinz in die große Stadt gekommen sind, arbeiten sie rund um die Uhr und bringen doch nichts zustande. Geld haben sie keines, Beziehungen können sie nicht führen, weil sie glauben, flexibel bleiben zu müssen, kreativ in einem innovativen Sinn sind sie längst nicht mehr, weil sie dazu einfach zu müde sind. Kurz gesagt, gehören die fünf zu genau jenem zwischen Praktika und Projekten gefangenen Prekariat, das Berlins Nimbus des Arm-aber-sexy-Seins zu einem gehörigen Anteil geprägt hat. Stoff für einen Roman böte sich da eigentlich genug, auch wenn das Thema in der Hauptstadt-Literatur natürlich schon behandelt worden ist. Dass er keinen Originalitätspreis gewinnen dürfte, muss Albrecht also gewusst haben. Dass er deswegen versucht hat, seinem Roman über die Form einen Anstrich von Besonderheit zu verleihen, ist eine naheliegende Vermutung: Der schnelle, ständige Wechsel zwischen Erzählperspektiven, Orten, Personen und ihren Wahrnehmungsebenen hätte im besten Fall (nach surrealistischem Vorbild) dazu dienen können, sprachlich jene Simultaneität der Ereignisse spürbar zu machen, unter der die Figuren leiden. Doch dieser Balanceakt ist Albrecht nicht recht gelungen. Statt Sog zu erzeugen, schließt sein Roman den Leser aus. Der darf sich Berlin dann ruhig weiter als schönen, verheißungsvollen Traum vorstellen. (Jörg Albrecht: "Beim Anblick des Bildes vom Wolf". Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 260 S., geb., 19,90 [Euro].) lbo
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