"Being a Man" spiegelt die oft überraschenden und immer treffenden Ansichten Siri Hustvedts zu Literatur, Kunst und Kultur wider. Immer leidenschaftlich, immer klar, immer ehrlich, entlarvt sie kulturelle Stereotype und lässt uns einen neuen Blick auf kulturelle und gesellschaftliche Phänomene werfen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2007Sauberfrau im Korsett
Wiederverwertet: Siri Hustvedts gesammelte Erkenntnisse
Im Zweifelsfall schreibt man einfach Essay drauf. Das ist unverfänglich und passt immer. Doch man kann den ziemlich elastischen Begriff auch überstrapazieren, wie das Büchlein "Being a Man" von Siri Hustvedt zeigt, bei dem es sich trotz des englischen Titels um eine deutsche Erstveröffentlichung handelt. Dabei ist "Being a Man" nicht einmal der Originaltitel; der lautet "A Plea for Eros" (Picador, 2006). "Ein Plädoyer für Eros" konnte Rowohlt den Band aber nicht nennen, weil der Titel-Essay sowie zwei weitere Texte in die deutsche Ausgabe - nennen wir sie probehalber "Mal ein Mann sein" - gar nicht aufgenommen wurden.
Gegen jeden einzelnen der neun sogenannten Essays, die zwischen 1996 und 2004 entstanden, ist nicht viel einzuwenden. Wenn man sie nur als das bezeichnet, was sie tatsächlich sind: Texte sehr unterschiedlicher Provenienz. Manche kommen aus der Wissenschaft ("Damen in Boston: Persönliche und unpersönliche Wörter"), andere aus dem Familienalbum ("Abschied von der Mutter"), wieder andere aus der journalistischen Auftragsmappe ("9/11, ein Jahr danach"). Neben den waschechten Essays über Henry James und Charles Dickens präsentiert uns die Autorin auch Erinnerungen an ihre Kindheit im Mittleren Westen, gibt Tipps fürs Überleben in New York und würdigt den bei uns kaum bekannten Filmschauspieler Franklin Pangborn.
Nach dem Band "Nicht hier, nicht dort" (Rowohlt, 2000), der die jetzt weggelassenen Arbeiten enthält, ist dies die zweite Sammlung mit nichtfiktionalen Texten der amerikanischen Autorin norwegischer Abstammung, die man 1993, als ihr erster Roman "Die unsichtbare Frau" auf Deutsch erschien, noch als die Frau von Paul Auster vorzustellen pflegte. Jungen Leuten gibt man heute besser den Hinweis, dass die Zweiundfünfzigjährige die Mutter der neunzehnjährigen Sängerin und Schauspielerin Sophie Auster ist. An Literatur Interessierte kennen Hustvedt, die mit ihrer Familie in Brooklyn lebt, aber vor allem als Autorin der Romane "Die Verzauberung der Lily Dahl" und "Was ich liebte". Dass die Schriftstellerin auch eine promovierte Literaturwissenschaftlerin ist, zeigt "Charles Dickens und das kranke Bruchstück" - mit fünfzig Seiten das längste Stück. Darin nimmt Hustvedt sich noch einmal den Autor zur Brust, über den sie 1986 an der Columbia University ihre Doktorarbeit schrieb. Während sie sich behende zwischen "Objektrepräsentationen" und "Ich-Fragmentierungen" bewegt und immer wieder Bezüge zu ihrem eigenen Leben sucht und findet, plaziert sie gespreizte Erkenntnisse wie diese: "Weil ein Eigenname in der Sprache der symbolische Sitz des Selbst ist, ist er der linguistische Marker für eine kollektive, nicht private Realität." Ganze Passagen über den Roman "Unser gemeinsamer Freund" standen fast wörtlich (und ohne Tippfehler) schon in dem Aufsatz "U. G. F. wieder gelesen" aus "Nicht hier, nicht dort".
Merkwürdig dabei: In der ersten Fassung wurde die Dickens-Figur Rogue Riderhood als "primitive Kanalratte" bezeichnet, in der zweiten dagegen als "zwielichtige Flussratte". Ist das eine neue Erkenntnis der Forschung? Merkwürdig ist diese Änderung auch deshalb, weil beide Versionen durch die Hände von Uli Aumüller gingen, die auch Hustvedts Romane übersetzt hat. Aber auch die "Auszüge aus einer Geschichte des verwundeten Selbst", ein mit großer Offenheit dargebotener Blick auf das Innenleben der Autorin inklusive umfassender Krankenakte (Frühgeburt, Autounfall, wiederkehrende Migräne), neigt zu verstiegenen Gedankengängen mit Ausflügen zu "Epiphanie" und "numinosen Erfahrungen". Aber sie kann auch sehr schlicht und intim werden. So beschreibt sie das Tragen eines Korsetts als Filmstatistin als "angenehm und irgendwie erotisch" und sich selbst als "hingebungsvolle Sauberfrau, die Böden schrubbt und Wäsche bleicht". Und der erste Kuss ihres künftigen Mannes ist ihr als "der beste Kuss der Welt" in Erinnerung.
Schon klar: Hustvedt interessiert sich für den Zusammenhang zwischen Körper und Geist, für den Übergang zwischen Traum und Realität, für die Ambivalenz der Geschlechter. Vielleicht gelingt ihr die Symbiose in der Literatur nur einfach eindrucksvoller als die Analyse im Aufsatz. Warten wir also gespannt auf den Roman "The Sorrows of an American", an dem die Autorin derzeit arbeitet, derweil Rowohlt über einen schönen deutschen Titel nachdenken kann.
REINHARD HELLING
Siri Hustvedt: "Being a Man". Essays. Aus dem Englischen übersetzt von Uli Aumüller. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006. 191 S., br., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wiederverwertet: Siri Hustvedts gesammelte Erkenntnisse
Im Zweifelsfall schreibt man einfach Essay drauf. Das ist unverfänglich und passt immer. Doch man kann den ziemlich elastischen Begriff auch überstrapazieren, wie das Büchlein "Being a Man" von Siri Hustvedt zeigt, bei dem es sich trotz des englischen Titels um eine deutsche Erstveröffentlichung handelt. Dabei ist "Being a Man" nicht einmal der Originaltitel; der lautet "A Plea for Eros" (Picador, 2006). "Ein Plädoyer für Eros" konnte Rowohlt den Band aber nicht nennen, weil der Titel-Essay sowie zwei weitere Texte in die deutsche Ausgabe - nennen wir sie probehalber "Mal ein Mann sein" - gar nicht aufgenommen wurden.
Gegen jeden einzelnen der neun sogenannten Essays, die zwischen 1996 und 2004 entstanden, ist nicht viel einzuwenden. Wenn man sie nur als das bezeichnet, was sie tatsächlich sind: Texte sehr unterschiedlicher Provenienz. Manche kommen aus der Wissenschaft ("Damen in Boston: Persönliche und unpersönliche Wörter"), andere aus dem Familienalbum ("Abschied von der Mutter"), wieder andere aus der journalistischen Auftragsmappe ("9/11, ein Jahr danach"). Neben den waschechten Essays über Henry James und Charles Dickens präsentiert uns die Autorin auch Erinnerungen an ihre Kindheit im Mittleren Westen, gibt Tipps fürs Überleben in New York und würdigt den bei uns kaum bekannten Filmschauspieler Franklin Pangborn.
Nach dem Band "Nicht hier, nicht dort" (Rowohlt, 2000), der die jetzt weggelassenen Arbeiten enthält, ist dies die zweite Sammlung mit nichtfiktionalen Texten der amerikanischen Autorin norwegischer Abstammung, die man 1993, als ihr erster Roman "Die unsichtbare Frau" auf Deutsch erschien, noch als die Frau von Paul Auster vorzustellen pflegte. Jungen Leuten gibt man heute besser den Hinweis, dass die Zweiundfünfzigjährige die Mutter der neunzehnjährigen Sängerin und Schauspielerin Sophie Auster ist. An Literatur Interessierte kennen Hustvedt, die mit ihrer Familie in Brooklyn lebt, aber vor allem als Autorin der Romane "Die Verzauberung der Lily Dahl" und "Was ich liebte". Dass die Schriftstellerin auch eine promovierte Literaturwissenschaftlerin ist, zeigt "Charles Dickens und das kranke Bruchstück" - mit fünfzig Seiten das längste Stück. Darin nimmt Hustvedt sich noch einmal den Autor zur Brust, über den sie 1986 an der Columbia University ihre Doktorarbeit schrieb. Während sie sich behende zwischen "Objektrepräsentationen" und "Ich-Fragmentierungen" bewegt und immer wieder Bezüge zu ihrem eigenen Leben sucht und findet, plaziert sie gespreizte Erkenntnisse wie diese: "Weil ein Eigenname in der Sprache der symbolische Sitz des Selbst ist, ist er der linguistische Marker für eine kollektive, nicht private Realität." Ganze Passagen über den Roman "Unser gemeinsamer Freund" standen fast wörtlich (und ohne Tippfehler) schon in dem Aufsatz "U. G. F. wieder gelesen" aus "Nicht hier, nicht dort".
Merkwürdig dabei: In der ersten Fassung wurde die Dickens-Figur Rogue Riderhood als "primitive Kanalratte" bezeichnet, in der zweiten dagegen als "zwielichtige Flussratte". Ist das eine neue Erkenntnis der Forschung? Merkwürdig ist diese Änderung auch deshalb, weil beide Versionen durch die Hände von Uli Aumüller gingen, die auch Hustvedts Romane übersetzt hat. Aber auch die "Auszüge aus einer Geschichte des verwundeten Selbst", ein mit großer Offenheit dargebotener Blick auf das Innenleben der Autorin inklusive umfassender Krankenakte (Frühgeburt, Autounfall, wiederkehrende Migräne), neigt zu verstiegenen Gedankengängen mit Ausflügen zu "Epiphanie" und "numinosen Erfahrungen". Aber sie kann auch sehr schlicht und intim werden. So beschreibt sie das Tragen eines Korsetts als Filmstatistin als "angenehm und irgendwie erotisch" und sich selbst als "hingebungsvolle Sauberfrau, die Böden schrubbt und Wäsche bleicht". Und der erste Kuss ihres künftigen Mannes ist ihr als "der beste Kuss der Welt" in Erinnerung.
Schon klar: Hustvedt interessiert sich für den Zusammenhang zwischen Körper und Geist, für den Übergang zwischen Traum und Realität, für die Ambivalenz der Geschlechter. Vielleicht gelingt ihr die Symbiose in der Literatur nur einfach eindrucksvoller als die Analyse im Aufsatz. Warten wir also gespannt auf den Roman "The Sorrows of an American", an dem die Autorin derzeit arbeitet, derweil Rowohlt über einen schönen deutschen Titel nachdenken kann.
REINHARD HELLING
Siri Hustvedt: "Being a Man". Essays. Aus dem Englischen übersetzt von Uli Aumüller. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006. 191 S., br., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Allerlei hat der Rezensent Reinhard Helling an diesem Band mit essayistischen Texten der als Romanautorin bekannt gewordenen Siri Hustvedt auszusetzen. Schon die Rubrizierung als "Essay" findet er eher dubios, zu heterogen sei diese Sammlung, zu weit das Spektrum von journalistischen Auftragsarbeiten zu Resteverwertung aus Hustvedts literaturwissenschaftlicher Doktorarbeit über Charles Dickens. Gegen die akademische Stillage ist Helling offenkundig allergisch, er zieht jedenfalls die "sehr schlichten und intimen" Passagen und Texte vor. Davon wird er aber alles in allem nicht satt. Bleibt ihm vor allem, sich auf Hustvedts neuen Roman mit dem Titel "The Sorrows of an American" zu freuen, an dem die Autorin gerade sitzt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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So intelligent und vollkommen wie ihre Romane. Kirkus Reviews