Wie alles begann. Am 24. Juni 2022 jährt sich die Ermordung des deutschen Außenministers Walther Rathenau zum 100. Mal. Der Journalist und Buchautor Thomas Hüetlin lässt zu diesem Anlass die Ereignisse, die zu dieser verhängnisvollen Tat führten, in einer aufrüttelnden Reportage wieder auferstehen. Er erzählt vom Verlauf dieses tragischen Tages der deutschen Geschichte und den politischen Auswirkungen bis in unsere Tage hinein. Wie in einem Thriller laufen die Operationen der »Organisation Consul« auf den Tag X zu - ebenso wie das Leben Walther Rathenaus, dieser herausragenden Persönlichkeit, in der sich auf schillernde Weise jüdische Herkunft und deutscher Patriotismus trafen. Kein Politiker konnte es an Charisma mit ihm aufnehmen - bis Adolf Hitler kam, dessen Politik das absolute Gegenteil dessen war, wofür Rathenau stand: für Frieden, Versöhnung, internationale Kooperation. Der Leser taucht ein in die Welt der Täter, in eine düstere Welt toxischer, elitärer, antisemitischer Männerbünde und ihrer seriösen Unterstützer in der Justiz, im Militär und in der Politik, deren Taten mehr als ein Vorspiel der späteren Machtergreifung der Nazis waren. Die ideologischen Parallelen zu heutigen Rechtsradikalen und ihren Unterstützern sind beunruhigend. Und zugleich zeigt der Autor die faszinierende humanistisch-jüdische, großbürgerliche Welt Walther Rathenaus, deren Auslöschung mit den Morden der frühen Tage von Weimar schon begann.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Tom Wohlfarth lernt mit Thomas Hüetlins Buch die Gemeinsamkeiten und Unterschiede besser kennen zwischen der gewaltvollen Atmosphäre der Weimarer Republik zur Zeit der Morde an Matthias Erzberger und Walther Rathenau und heute, da die Neue Rechte droht. Hüetlins gründliche, laut Rezensent teils sehr atmosphärische, reportageartige Darstellung der Ereignisse von 1922, die der Autor mit Originalzitaten würzt, nimmt Wohlfarth rasch gefangen. Die "Schlaglichter" am Ende des Buches ziehen Parallelen zur Gegenwart, zur Rhetorik von rechts und zum Mord an Walter Lübcke, erklärt Wohlfarth.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»eine der vielleicht besten literarischen Schilderungen der gesellschaftlich-politischen Zustände Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg« Peter Brors Handelsblatt 20220722
Ein Buch aus
unserer Zeit
Diese Lust an der Gewalt, dieser Hass
auf die Republik: Thomas Hüetlins
Rekonstruktion des Mordes am
Weimarer Politiker Walther Rathenau
VON NILS MINKMAR
Dieses Buch trägt Berlin im Titel und ein Datum von vor hundert Jahren, aber die Geschichte, die es erzählt, ist zugleich älter und ganz aktuell, sie spielt in München, Frankfurt und endet wohl leider nur vorläufig in dem hessischen Dorf Istha. Dort starb im Juni 2019 der CDU-Politiker Walther Lübcke durch die Schüsse eines Rechtsradikalen – wie Walther Rathenau in Berlin vor hundert Jahren. Damals war Rathenau, der liberale Jude, Intellektuelle und Wirtschaftsführer, Außenminister der Weimarer Republik. Wenig Lebensweltliches verbindet Rathenau mit dem hessischen Landrat Lübcke - außer, dass beide für die Demokratie und humanistische Werte einstanden. Umso deutlicher ist die Kontinuität auf der Täterseite: Rechtsradikale, die eine kriminelle Karriere absolvieren, um die offene Gesellschaft mit Terror und Verbrechen zu bekämpfen.
Das Buch „Berlin, 24. Juni 1922“ des ehemaligen Spiegel-Journalisten Thomas Hüetlin rekonstruiert die Vorgeschichte des Mordes an Rathenau, und wenn man einmal mit diesem blendend erzählten Buch angefangen hat, liest man es in einem durch. Es erzählt von Menschen, die nicht mehr leben und nur noch wenigen bekannt sind, aber es betrifft das Publikum des Jahres 2022 unmittelbar. Da ist die Koalition der Feinde der parlamentarischen Demokratie mit ihrem offenen Hass gegen Vertreter der Politik, des Staates und des öffentlichen Lebens. Da ist das schon in Weimar aktive Querdenkermilieu, auch diese irrsinnige Trägheit bei der strafrechtlichen Verfolgung von rechter Gewalt, die Neigung, das Thema klein zu reden: Einzelfälle, Alkohol, verwirrte junge Leute. Da ist der fatale Mechanismus, die Schuld für rassistische und antisemitische Anfeindungen bei den Opfern zu suchen: Hätten sie sich mal besser integriert! Wären sie mal nicht so frech!
Hüetlin geizt mit guten Nachrichten. Sein Buch hat einen klaren moralischen Standpunkt, aber das Bild, das von dort aus gezeichnet wird, ist nuancenreich. Wer Stephan Malinowskis brillante Studie „Die Hohenzollern und die Nazis“ gelesen hat, wird sich erinnert fühlen: Denn besonders plastisch beschreibt Hüetlin nun, wie der preußische Militarismus, insbesondere die Kadettenanstalten, im Sinne der großen Gehirnwäsche funktionieren. Dank der Schriften des Gewalttäters und späteren Bestsellerautors Ernst von Salomon rekonstruiert er diese erstaunliche die Lust an der Gewalt. Wie schafft das Militär der Zeit es, den jungen Männern die Liebe abspenstig, die Gewalt aber attraktiv zu machen, wie wird der Tod süßer als das Leben?
Hüetlin rekonstruiert das Innenleben, also die Gedanken, Taten und Beziehungen der Organisation Consul – einer rechten Terrortruppe, die aus den aufgelösten Freikorps hervor gegangen war. Sie schmieden große Pläne und scheitern immer wieder, zanken sich und vertragen sich wieder. Und sie begehen Morde und Mordversuche. Einer, an dem Sozialdemokraten Philipp Scheidemann, damals Oberbürgersmeister von Kassel, scheitert kläglich. Ein anderer, am ehemaligen Finanzminister Erzberger, gelingt. Und weitere werden vorbereitet.
Dabei ist der Mörder Ernst von Salomon fasziniert vom Charisma Rathenaus. Es kommt sogar zu einer unheimlichen Begegnung. Von Salomon besucht einen Auftritt von Rathenau im Volksbildungsheim in Frankfurt im Oktober 1921. Weil der ihn ergreift, beschließt er, den Charismatiker erst recht ermorden zu müssen. So einer könnte den Weg finden, der Deutschland zu Frieden und Demokratie führt. Genau diese Abzweigung aber soll verbaut werden, denn der Krieg ist dem Frieden vorzuziehen.
Walther Rathenau wird aber nicht nur aus der Perspektive betrachtet, aus der ihn seine Feinde und Mörder sahen. Wir lernen ihn besser kennen: „Ein komplizierter Mann!“ Rathenau hatte ein schwieriges Verhältnis zu seinem fordernden Vater, dem Gründer der AEG. Später entwickelte er, der Berliner Jude, antisemitische Ansichten. In seinem Aufsatz „Höre Israel!“ vermischt er eine skurrile Anklage der deutschen Juden mit einem Loblied auf das moderne Preußen und empfiehlt eine emphatische Assimilierung. Rathenau versucht immer wieder, Anschluss zu finden an deutsche Kreise, in der Universität, im Militär. Aber der Antisemitismus war gerade im preußischen Bürgertum schon zu tief verwurzelt.
Auch die Welt der Berliner Avantgarde wurde ihm nicht zur Heimat. Er kannte alle und jeden, chauffierte sonntags den Dramatiker Frank Wedekind durch Potsdam. Er schätzte die wilde Energie der Szene, aber sein Bestreben war es, sie zu kanalisieren und in produktive Bahnen zu lenken – er war der Vordenker einer volkswirtschaftlich relevanten Synthese aus Kreativwirtschaft und Industrie. Der damals verrufene Edvard Munch durfte sein Portrait anfertigen, aber als es vollendet war, erkannte Rathenau sich in dem Bild als „ekelhaften Kerl“. Das lag freilich eher an Munchs Hochbegabung. Rathenau fand: „Da wird man ähnlicher, als man ist!“
Rathenaus Leben gleicht so in Hüetlins Buch einem Flur mit lauter Türen, die wieder auf Flure gehen, von denen noch mehr solcher Türen abgehen. Er war erst gegen den Ersten Weltkrieg, aber dann half er, wo er konnte und bediente sich übler Methoden, um die deutschen Verluste zu minimieren. Da er in jeder Hinsicht singulär und unabhängig war, konnte man ihn keinen Opportunisten schimpfen, der etwas für sich gewinnen möchte, vielmehr erkannte er recht nüchtern, dass er für das Land manche Dinge besser bewegen konnte als andere Zeitgenossen. Er war dafür bei einem Teil der Bevölkerung extrem verhasst – eine Mischung aus George Soros und Bill Gates in den Augen heutiger Schwurbler.
Auch das private Leben von Rathenau bietet Rätsel ohne Ende. Am überraschendsten ist eine homosexuelle Liebesgeschichte, die er kurz vor seinem Tod einging. Sein Freund war Wilhelm Schwaner, ausgerechnet ein rechter, völkischer Schriftsteller, in dessen Universum das Hakenkreuz regierte: „Zwei Männer um die Fünfzig, kahl, beide getrieben von schwer bezähmbarer Lust!“
Rathenau – diese persönlich wie politisch so verwickelte und komplizierte Figur – macht sich trotz des späten Liebesglückes keine Illusionen über sein Ende. Er hatte, wie so viele Männer seiner Epoche, so gerne Offizier werden wollen, da passte das Bild eines rüstigen Rentners, der Enten füttert, wenig. Vielmehr war er davon überzeugt, einmal zu fallen und zugleich den Weg für eine bessere Zukunft zu bereiten. Irgendwie ist es so ja auch gekommen: Rathenau hat gewonnen, die Rechten haben verloren, aber der Weg führte über Weltkrieg und Massenmord an den Juden.
Thomas Hüetlin nutzt die Tatsache, dass er nicht aus der Geschichtswissenschaft kommt und sich hier an einem neuen Genre, dem historischen true crime-roman versucht, um eine dann aber passende, ambitionierte Sprache zu entwickeln. Wenn die jungen Männer der Freikorps davon schwärmen, wie sie nackt im Wald Jagd auf Feinde machen, resümiert er: „Woodstock mit Maschinengewehr“. Man betrachtet sich diese Akteure mit einem klaren und neugierigen Blick, aber verstehen heißt hier nicht relativieren. Für unsere Gegenwart ist der Befund klar: In einem Klima von öffentlichem Hass kommt es zu rechter Gewalt, zumal, wenn der parlamentarische Weg zur Macht aussichtslos ist. Der Lübcke-Mord, der selbst in der Blutspur so vieler rechter Morde an weniger prominenten Menschen steht, ist eine wieder nur weitere Wegmarke.
Und nein: Dieses mit Rechten reden, das bringt nichts.
Thomas Hüetlin:
Berlin, 24. Juni 1922.
Der Rathenaumord
und der Beginn des rechten
Terrors in Deutschland.
Kiepenheuer & Witsch,
Köln 2022. 304 Seiten,
24 Euro.
Edvard Munch malte den deutschen Außenminister
Walther Rathenau, und der erkannte sich in dem Bild als „ekelhaften Kerl“.
Abb.: Imago
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unserer Zeit
Diese Lust an der Gewalt, dieser Hass
auf die Republik: Thomas Hüetlins
Rekonstruktion des Mordes am
Weimarer Politiker Walther Rathenau
VON NILS MINKMAR
Dieses Buch trägt Berlin im Titel und ein Datum von vor hundert Jahren, aber die Geschichte, die es erzählt, ist zugleich älter und ganz aktuell, sie spielt in München, Frankfurt und endet wohl leider nur vorläufig in dem hessischen Dorf Istha. Dort starb im Juni 2019 der CDU-Politiker Walther Lübcke durch die Schüsse eines Rechtsradikalen – wie Walther Rathenau in Berlin vor hundert Jahren. Damals war Rathenau, der liberale Jude, Intellektuelle und Wirtschaftsführer, Außenminister der Weimarer Republik. Wenig Lebensweltliches verbindet Rathenau mit dem hessischen Landrat Lübcke - außer, dass beide für die Demokratie und humanistische Werte einstanden. Umso deutlicher ist die Kontinuität auf der Täterseite: Rechtsradikale, die eine kriminelle Karriere absolvieren, um die offene Gesellschaft mit Terror und Verbrechen zu bekämpfen.
Das Buch „Berlin, 24. Juni 1922“ des ehemaligen Spiegel-Journalisten Thomas Hüetlin rekonstruiert die Vorgeschichte des Mordes an Rathenau, und wenn man einmal mit diesem blendend erzählten Buch angefangen hat, liest man es in einem durch. Es erzählt von Menschen, die nicht mehr leben und nur noch wenigen bekannt sind, aber es betrifft das Publikum des Jahres 2022 unmittelbar. Da ist die Koalition der Feinde der parlamentarischen Demokratie mit ihrem offenen Hass gegen Vertreter der Politik, des Staates und des öffentlichen Lebens. Da ist das schon in Weimar aktive Querdenkermilieu, auch diese irrsinnige Trägheit bei der strafrechtlichen Verfolgung von rechter Gewalt, die Neigung, das Thema klein zu reden: Einzelfälle, Alkohol, verwirrte junge Leute. Da ist der fatale Mechanismus, die Schuld für rassistische und antisemitische Anfeindungen bei den Opfern zu suchen: Hätten sie sich mal besser integriert! Wären sie mal nicht so frech!
Hüetlin geizt mit guten Nachrichten. Sein Buch hat einen klaren moralischen Standpunkt, aber das Bild, das von dort aus gezeichnet wird, ist nuancenreich. Wer Stephan Malinowskis brillante Studie „Die Hohenzollern und die Nazis“ gelesen hat, wird sich erinnert fühlen: Denn besonders plastisch beschreibt Hüetlin nun, wie der preußische Militarismus, insbesondere die Kadettenanstalten, im Sinne der großen Gehirnwäsche funktionieren. Dank der Schriften des Gewalttäters und späteren Bestsellerautors Ernst von Salomon rekonstruiert er diese erstaunliche die Lust an der Gewalt. Wie schafft das Militär der Zeit es, den jungen Männern die Liebe abspenstig, die Gewalt aber attraktiv zu machen, wie wird der Tod süßer als das Leben?
Hüetlin rekonstruiert das Innenleben, also die Gedanken, Taten und Beziehungen der Organisation Consul – einer rechten Terrortruppe, die aus den aufgelösten Freikorps hervor gegangen war. Sie schmieden große Pläne und scheitern immer wieder, zanken sich und vertragen sich wieder. Und sie begehen Morde und Mordversuche. Einer, an dem Sozialdemokraten Philipp Scheidemann, damals Oberbürgersmeister von Kassel, scheitert kläglich. Ein anderer, am ehemaligen Finanzminister Erzberger, gelingt. Und weitere werden vorbereitet.
Dabei ist der Mörder Ernst von Salomon fasziniert vom Charisma Rathenaus. Es kommt sogar zu einer unheimlichen Begegnung. Von Salomon besucht einen Auftritt von Rathenau im Volksbildungsheim in Frankfurt im Oktober 1921. Weil der ihn ergreift, beschließt er, den Charismatiker erst recht ermorden zu müssen. So einer könnte den Weg finden, der Deutschland zu Frieden und Demokratie führt. Genau diese Abzweigung aber soll verbaut werden, denn der Krieg ist dem Frieden vorzuziehen.
Walther Rathenau wird aber nicht nur aus der Perspektive betrachtet, aus der ihn seine Feinde und Mörder sahen. Wir lernen ihn besser kennen: „Ein komplizierter Mann!“ Rathenau hatte ein schwieriges Verhältnis zu seinem fordernden Vater, dem Gründer der AEG. Später entwickelte er, der Berliner Jude, antisemitische Ansichten. In seinem Aufsatz „Höre Israel!“ vermischt er eine skurrile Anklage der deutschen Juden mit einem Loblied auf das moderne Preußen und empfiehlt eine emphatische Assimilierung. Rathenau versucht immer wieder, Anschluss zu finden an deutsche Kreise, in der Universität, im Militär. Aber der Antisemitismus war gerade im preußischen Bürgertum schon zu tief verwurzelt.
Auch die Welt der Berliner Avantgarde wurde ihm nicht zur Heimat. Er kannte alle und jeden, chauffierte sonntags den Dramatiker Frank Wedekind durch Potsdam. Er schätzte die wilde Energie der Szene, aber sein Bestreben war es, sie zu kanalisieren und in produktive Bahnen zu lenken – er war der Vordenker einer volkswirtschaftlich relevanten Synthese aus Kreativwirtschaft und Industrie. Der damals verrufene Edvard Munch durfte sein Portrait anfertigen, aber als es vollendet war, erkannte Rathenau sich in dem Bild als „ekelhaften Kerl“. Das lag freilich eher an Munchs Hochbegabung. Rathenau fand: „Da wird man ähnlicher, als man ist!“
Rathenaus Leben gleicht so in Hüetlins Buch einem Flur mit lauter Türen, die wieder auf Flure gehen, von denen noch mehr solcher Türen abgehen. Er war erst gegen den Ersten Weltkrieg, aber dann half er, wo er konnte und bediente sich übler Methoden, um die deutschen Verluste zu minimieren. Da er in jeder Hinsicht singulär und unabhängig war, konnte man ihn keinen Opportunisten schimpfen, der etwas für sich gewinnen möchte, vielmehr erkannte er recht nüchtern, dass er für das Land manche Dinge besser bewegen konnte als andere Zeitgenossen. Er war dafür bei einem Teil der Bevölkerung extrem verhasst – eine Mischung aus George Soros und Bill Gates in den Augen heutiger Schwurbler.
Auch das private Leben von Rathenau bietet Rätsel ohne Ende. Am überraschendsten ist eine homosexuelle Liebesgeschichte, die er kurz vor seinem Tod einging. Sein Freund war Wilhelm Schwaner, ausgerechnet ein rechter, völkischer Schriftsteller, in dessen Universum das Hakenkreuz regierte: „Zwei Männer um die Fünfzig, kahl, beide getrieben von schwer bezähmbarer Lust!“
Rathenau – diese persönlich wie politisch so verwickelte und komplizierte Figur – macht sich trotz des späten Liebesglückes keine Illusionen über sein Ende. Er hatte, wie so viele Männer seiner Epoche, so gerne Offizier werden wollen, da passte das Bild eines rüstigen Rentners, der Enten füttert, wenig. Vielmehr war er davon überzeugt, einmal zu fallen und zugleich den Weg für eine bessere Zukunft zu bereiten. Irgendwie ist es so ja auch gekommen: Rathenau hat gewonnen, die Rechten haben verloren, aber der Weg führte über Weltkrieg und Massenmord an den Juden.
Thomas Hüetlin nutzt die Tatsache, dass er nicht aus der Geschichtswissenschaft kommt und sich hier an einem neuen Genre, dem historischen true crime-roman versucht, um eine dann aber passende, ambitionierte Sprache zu entwickeln. Wenn die jungen Männer der Freikorps davon schwärmen, wie sie nackt im Wald Jagd auf Feinde machen, resümiert er: „Woodstock mit Maschinengewehr“. Man betrachtet sich diese Akteure mit einem klaren und neugierigen Blick, aber verstehen heißt hier nicht relativieren. Für unsere Gegenwart ist der Befund klar: In einem Klima von öffentlichem Hass kommt es zu rechter Gewalt, zumal, wenn der parlamentarische Weg zur Macht aussichtslos ist. Der Lübcke-Mord, der selbst in der Blutspur so vieler rechter Morde an weniger prominenten Menschen steht, ist eine wieder nur weitere Wegmarke.
Und nein: Dieses mit Rechten reden, das bringt nichts.
Thomas Hüetlin:
Berlin, 24. Juni 1922.
Der Rathenaumord
und der Beginn des rechten
Terrors in Deutschland.
Kiepenheuer & Witsch,
Köln 2022. 304 Seiten,
24 Euro.
Edvard Munch malte den deutschen Außenminister
Walther Rathenau, und der erkannte sich in dem Bild als „ekelhaften Kerl“.
Abb.: Imago
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