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Wissen, das nichts von sich weiß: Kristian Köchy stellt wichtige Akteure, Forschungsfragen und Dispute rund um die Tierpsychologie vor.
Von Kai Spanke
Seit der Antike fragen sich Menschen, ob Tiere über so etwas wie einen Geist verfügen. Falls ja, könnte er mit unserem vergleichbar sein? Und was folgte dann daraus? An der Diskussion beteiligen sich etwa Linguisten und Neurophysiologen, Philosophen und Psychologen - allein schon diese disziplinäre Breite steht einer klaren Antwort im Weg. Während die einen auf genaue Beobachtung setzen, versuchen die anderen, Theorien zu entwickeln. Die größte Schwierigkeit besteht allerdings darin, zu definieren, was geistige Eigenschaften eigentlich auszeichnet. Wo beginnt ein Denkakt, wie lässt sich eine Empfindung erkennen, wann darf man von einer zielgerichteten Handlung sprechen? Sodann fragt sich, ob ein Organismus bestimmte Voraussetzungen mitbringen muss, die ihn zu alldem befähigen.
Die ganze Forschungsrichtung ist also auf ein Vorverständnis ihres Gegenstands angewiesen. Sobald kognitive Ethologen dann glauben, einen Erkenntnisgewinn reklamieren zu dürfen, schalten sich die Ethiker ein, um zu erörtern, welche Konsequenzen damit verbunden sind. Dass sich Philosophie und Biologie durchaus nahestehen, zeigt sich besonders gut an der Tierpsychologie. Sie erlebte zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ihre Hochzeit und ist eine Fortführung jener metaphysischen Seelenlehren, die sich seit Aristoteles' "De anima" etabliert hatten. Andererseits fungiert sie als eine Art Protowissenschaft, aus der die Verhaltensforschung hervorging. Da sich, der Name zeigt es an, bei dieser Disziplin alles um die Psyche der Tiere drehte, war ihr Status als Naturwissenschaft, ja überhaupt als Wissenschaft keineswegs selbstverständlich.
Der Philosoph Kristian Köchy hat ein lesenswertes Buch zum Thema vorgelegt und spricht vom Streit zwischen "erklärender Naturwissenschaft und verstehender Geisteswissenschaft". Mancher Vertreter des Fachs wollte mit dem Erbe der reflektierenden Betrachtung endgültig brechen und sämtliche Befunde empirisch herleiten. So postulierte Georges Bohn, die Frage nach der Intelligenz der Tiere sei eine "Frage der Tatsachen, der experimentellen Erforschung und nicht ein Satz der Metaphysik". Dass es komplizierter ist, demonstriert Köchy in einem fachkundigen Durchlauf, der zunächst einen Überblick liefert, um dann in detaillierten Essays dem Zusammenspiel von Philosophie und Tierpsychologie nachzugehen. Dabei kommen unter anderen Henri Bergson und Jean-Henri Fabre, Jakob von Uexküll und Helmuth Plessner, Frederik J. J. Buytendijk und Wolfgang Köhler zu Wort.
Der Autor verdient Lob für die vielen minutiös herausgearbeiteten Verbindungen zwischen seinen Protagonisten. Deren Fragen, Methoden und Anschauungen bringt er auf so zwingende Weise miteinander in Schwingung, dass es am Ende fast unmöglich erscheint, für jeden eine klare Fachzugehörigkeit zu benennen. Gewiss, man denkt an Plessner und die Phänomenologie, an Uexküll und den Neukantianismus. Aber sobald etwa erörtert wird, wie Bergsons Lebensphilosophie von den Untersuchungen Fabres profitierte, verschwimmen die Grenzen zwischen Experiment und Metaphysik.
Fabre, zugleich Entomologe und Dichter, sah in Insekten bloße Instinkttiere mit einem "Wissen, das nichts von sich weiß". Ein Problem ist dabei, dass sich der Instinkt auch aus der genauesten Anschauung nur mittelbar herleiten lässt. Dennoch, die Sandwespen der Gattung Ammophila haben Fabre, der seine ausgiebige Feldforschung am liebsten im eigenen Garten betrieb, am Ende überzeugt, denn sie betäuben ihre Beute mit einer verblüffenden Genauigkeit. Der Ablauf ist ihm "das Höchste, das ich im Instinktbereich jemals erlebte".
Nun hat Bergson die Untersuchungsergebnisse Fabres nicht nur zur Kenntnis genommen, er bemühte sich auch, daraus größere Zusammenhänge abzuleiten und seine lebensphilosophischen Reflexionen über den Instinkt zu begründen. Zudem kam er von der "Gegenüberstellung von Menschen und Hautflüglern als wesentlicher Repräsentanten zweier Entwicklungslinien der Lebensschwungkraft (élan vital) zu der zentralen philosophischen Gegenüberstellung von menschlichem Intellekt und tierlichem Instinkt". Damit ist zugleich der Unterschied zwischen Bewusstsein und Unbewusstheit markiert. Bergson vermutete, dass der Intellekt den Instinkt und dass der Instinkt den Intellekt in sich enthält. Der Intellekt sei gekennzeichnet durch eine "natürliche Verständnislosigkeit für das Leben", der Instinkt registriere die Wirklichkeit in einer "organischen Weise". Ziel sei es, beide Vermögen in der philosophischen Intuition zu vereinen, um die Essenz des Existenz besser erfassen zu können.
Köchy belässt es nicht dabei, Theorien und Positionen zu referieren. Vielmehr ergänzt er seine Darstellung immer wieder durch Anekdoten. Weiß man zum Beispiel, dass Kurt Lewins Assistentin Tamara Dembo bei Buytendijk an tierpsychologischen Fragen über Ratten forschte, zeigt sich, wie tief scheinbar nebensächliche Querverbindungen reichen können. Für Buytendijk untermauerten Dembos Experimente, dass sich die Nager ohne künstliche Vorgaben - man denke an Labyrinth-Versuche - zielorientiert verhalten. Insofern fragt das Buch nicht bloß nach den Fähigkeiten von Tieren und dem Verhältnis von Philosophie und Wissenschaft, sondern auch nach den Auswirkungen sich kreuzender Wege auf akademischem Terrain.
Kristian Köchy: "Beseelte Tiere". Umwelten und Netzwerke der Tierpsychologie.
J. B. Metzler Verlag, Berlin 2022. 447 S., br., 64,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
"... Kristian Köchys Band Beseelte Tiere ist ein Lesebuch - und dies in einem mehrfachen Sinne. Zunächst gilt dies, insofern der Band eine profunde und hochpräzise, zugleich aber auch angenehme und einnehmende Lektüre für all jene bietet, die sich Einblicke in die historischen und systematischen Verflechtungen der Tierpsychologie erhoffen ... Die Lektüre führt eindrücklich vor Augen, wie weitverzweigt dieses Netzwerk aus einander Lesenden und Schreibenden ist ... So bleibt in toto ein Eindruck eines klugen, hochreflexiven und nun ja - beseelenden Werks." (Simone Horstmann, in: TIERethik, tierethik.net, Jg. 15, Heft 26, 2023)