K-Ming Chang erzählt in ihrem elektrisierendem Debüt von queerer Liebe, Migration und Familie entlang von drei Generationen taiwanisch-amerikanischer Frauen in den USA.
Eine Familie gräbt im Garten nach Gold. Es soll der Türöffner sein, um ihr altes Leben in Taiwan hinter sich zu lassen. Doch der verheißungsvolle Traum vom Leben in Arkansas kann die Familie nicht vor den Traumata bewahren, die sie stets mit sich trägt. Eine Generation später in Kalifornien gräbt eine Tochter nach den Geschichten ihrer Herkunft und findet anarchische Briefe ihrer Großmutter. Die Figuren in K-Ming Changs Roman feiern die Kraft des Erzählens: Wild entschlossen spinnen sie die Mythen ihrer Vergangenheit fort und erschaffen sich so neue Wurzeln und eine ganz eigene Identität. Bestiarium pulsiert vor Lebendigkeit. Ein elektrisierendes Debüt!
Eine Familie gräbt im Garten nach Gold. Es soll der Türöffner sein, um ihr altes Leben in Taiwan hinter sich zu lassen. Doch der verheißungsvolle Traum vom Leben in Arkansas kann die Familie nicht vor den Traumata bewahren, die sie stets mit sich trägt. Eine Generation später in Kalifornien gräbt eine Tochter nach den Geschichten ihrer Herkunft und findet anarchische Briefe ihrer Großmutter. Die Figuren in K-Ming Changs Roman feiern die Kraft des Erzählens: Wild entschlossen spinnen sie die Mythen ihrer Vergangenheit fort und erschaffen sich so neue Wurzeln und eine ganz eigene Identität. Bestiarium pulsiert vor Lebendigkeit. Ein elektrisierendes Debüt!
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2021So aktuell kann ein historischer Roman sein
Stephan Thome lebt als deutscher Schriftsteller in Taiwan. Mit dem Roman "Pflaumenregen" und einer "Gebrauchsanweisung für Taiwan" hat er diese zweite Heimat nun zum Gegenstand seiner Literatur gemacht. Und die hilft sogar beim "Bestiarium" der amerikanisch-taiwanischen Autorin K-Ming Chang.
Es hatte gedauert, bis der Krieg die Insel erreichte. Dabei stand sie schon lange im Krieg: mit hineingezogen durch das "Mutterland" Japan, aber dessen Siegeszug im Pazifikkrieg hatte 1942 noch gar keinen Gedanken daran aufkommen lassen, dass jemals der Angriff eines feindlichen Flugzeugs zu befürchten wäre. "Ein Jahr später schwelten Feuer auf den Hügeln, Soldaten hatten sie gelegt, um feindliche Bomber irrezuführen und die Eingänge der Schächte zu tarnen. Letzten Sommer waren in der Zeitung die Bewohner einer Insel namens Saipan dafür gefeiert worden, dass sie sich von den Klippen stürzten oder mit Granaten in die Luft sprengten. Anfangs hatte sich Umeko den Krieg wie einen Drachen vorgestellt, der mit seinen gewaltigen Füßen und dem wild herumpeitschenden Schwanz alles zerstörte, inzwischen besuchte sie die sechste Klasse der Grundschule und wusste, warum man dem Feind nicht lebend in die Hände fallen durfte: Alle Männer wurden kastriert und die Frauen vergewaltigt."
Wir sind in Taiwan, 1943 und am Beginn des zweiten Viertels von Stephan Thomes Roman "Pflaumenregen". Umeko ist dessen wichtigste Figur, ein Schulmädchen von der Nordküste der seit 1895 durch Japan kolonisierten Insel. Wir werden im Wechsel zwischen Kinder- und Jugendzeit sowie der jüngeren Gegenwart ihr langes Leben erzählt bekommen: bis zum Sommer 2016, als sie 82 Jahre alt und längst wieder Hsiao Mei gerufen wird, weil ihr japanischer Vorname nach der Niederlage und dem Abzug der früheren Kolonialherren in Taiwan nicht mehr opportun war. Die Insel war 1945 wieder China zugeschlagen worden, das sie fünfzig Jahre früher an Japan hatte abtreten müssen, und prompt wurde die bisherige Japonisierung Taiwans durch eine ebenso radikale Sinisierung ersetzt, die ähnlich wenig Rücksicht auf die Bewohner nahm. Dazu setzte noch eine Massenimmigration ein, als die Niederlage der Republik China gegen Maos kommunistische Rebellen absehbar wurde: Nicht nur der chinesische Präsident Chiang Kai-shek setzte sich nach Taiwan ab, sondern mit und nach ihm Millionen seiner Anhänger. Taiwan wurde so zum Residuum der alten Republik, für dessen Eroberung die Kräfte der jungen kommunistischen Volksrepublik nicht ausreichten, weil die Vereinigten Staaten den Bestand von Chiangs Inselregime garantierten. Das ist der Ursprung eines der heikelsten Konflikte unserer Zeit: Heute, ein Dreivierteljahrhundert danach, testen chinesische Flugzeuge vom Festland durch bewusste Verletzung des taiwanischen Luftraums die Verteidigungsbereitschaft der von Peking als abtrünnig betrachteten Insel. Dabei hat sie nie zur Volksrepublik gehört. Aber überleben ohne Schutz der Amerikaner könnte Taiwan nicht.
Man kann sich keinen politisch aktuelleren Roman vorstellen als "Pflaumenregen", obwohl Stephan Thome beim Schreiben nichts davon wissen konnte, dass just zum Erscheinen seines Buchs die chinesischen Provokationen noch einmal eskalieren würden. Aber Thome kannte die bisherigen; er lebt seit Jahren in Taiwan, spricht fließend Chinesisch, ist mit einer Taiwanerin verheiratet und betrachtet das Land als seine zweite Heimat. Was für ein Heimatkundler dieser Autor ist, wissen wir seit seinem Debütroman "Grenzgang" von 2009, den er bereits in Taiwan schrieb, der aber in Thomes mittelhessischer Geburtsstadt Biedenkopf angesiedelt ist. In seine neue Lebenswelt begab er sich dann 2018 mit dem im kaiserlichen China des neunzehnten Jahrhunderts spielenden historischen Roman "Gott der Barbaren". Da zeigte er, wie subtil er fernöstliches Denken literarisieren kann. Aber noch gab es dabei einen deutschen Protagonisten. In "Pflaumenregen" sind nun alle wichtigen Figuren Taiwaner.
Bis auf Dave, den britischen Geliebten von Julie, der 1988 geborenen Enkelin von Umeko, die hin- und hergerissen ist zwischen dem Bleiben in ihrer bedrohten Heimat Taiwan und einem Leben anderswo. Ihr Onkel Chen Hao ist bereits in die Vereinigten Staaten ausgewandert und hat dort eine Familie gegründet, deren Kinder kaum mehr Chinesisch sprechen. Zum Geburtstag der Großmutter kommt die Familie in Taipeh zusammen, und die Ansichten über ihre individuellen Zukünfte werden ausgetauscht. Dabei schwingt stets aber auch die Zukunft der erst seit den späten Achtzigerjahren demokratisierten taiwanischen Gesellschaft mit. "Pflaumenregen" ist jedoch kein Thesenroman. Wie Thome durch den Rekurs auf die Gründungsgeschichte des heutigen Taiwan im Spiegel einer einzelnen Familie Zeitgeschichte zu erzählen weiß, das hat nicht viele Parallelen in der deutschen Gegenwartsliteratur.
Für Taiwan ist bereits eine Übersetzung seines Romans verabredet; ansonsten aber schrecken fremdsprachige Lizenznehmer zurück, weil sie beim Buch eines Deutschen über Taiwan den Vorwurf kultureller Appropriation fürchten. So weit sind wir gekommen; Qualität spielt dabei ebenso wenig eine Rolle wie Anerkennung des Autors in der beschriebenen Gesellschaft selbst. Was für ein Glück, dass Thome hierzulande renommiert ist; man möchte sich kaum vorstellen, was einem ähnlichen Manuskript eines deutschen Novizen widerfahren wäre. So aber adelt nun zusätzlich der Markenname Suhrkamp.
Und noch mehr Glück: Thome hat gleichzeitig im Rahmen einer erfolgreichen Buchreihe des Piper Verlags eine "Gebrauchsanweisung für Taiwan" herausgebracht, die sich stellenweise wie ein Making-of zu seinem Roman liest. Hier stellt der Autor ganz sachorientiert, aber dezidiert parteiisch (nämlich pro-taiwanisch) seine neue Heimat vor, gerade im Konflikt mit China, und so manche dabei kolportierte Anekdote eigener Begegnungen erweist sich als Keimzelle von Romanpassagen - bis hin zu Erlebnissen der Familie seiner Frau. Die "Gebrauchsanweisung" ist gewiss kein Reiseführer im klassischen Sinne, sondern ein Reiseverführer: Auch wenn das Gros des Inhalts der Geschichte der Insel und dem Leben in ihrer Hauptstadt Taipeh gilt, möchte man nach Lektüre sofort wieder dorthin. Oder überhaupt einmal, und dafür bietet Thome mit der Kombination aus Roman und Gebrauchsanweisung eine Grundlage, wie es in unserer Sprache bislang keine gab.
Und selbst für die Lektüre taiwanischer Literatur (leider ein Rarissimum in deutschen Verlagsprogrammen) liefert Thome hochwillkommene Handreichung - nicht explizit, aber durch das Geschick, mit der er in "Pflaumenregen" historische und auch mythische Stoffe mit seiner fiktionalen Handlung verwoben hat. Die Lektüre bietet dadurch subkutan einen Kulturkurs, der etwa fürs Verständnis von K-Ming Changs gerade auf Deutsch erschienenen Roman "Bestiarium" von großem Nutzen ist. Nicht nur, dass man den biographisch-kulturellen Hintergrund der 1998 geborenen amerikanischen Schriftstellerin mit taiwanischen Wurzeln nun dadurch gut einzuordnen weiß, dass Chen Haos Familie aus Thomes Roman einen ähnlichen Werdegang aufweist; vor allem aber werden ganze Motivketten etwa um Kopfjäger, Weißen Terror oder Kampferbäume, die bei Chang unerläutert auftauchen, durch das von Thomes Büchern vermittelte historische Wissen auch für solche Leser klar, die selbst keine Wurzeln in Taiwan oder Wissen über die Insel haben.
Wovon Chang in fantasiereicher, leider stark skatologisch geprägter Prosa erzählt, ist das Integrationsbemühen einer betreffs ihrer Herkunft als Alter Ego der Verfasserin angelegten jungen Frau sowohl im Blick aufs amerikanische Leben als auch auf bisweilen traumatische Familientraditionen. Mit der Metamorphose der jungen Frau zu einem Tigergeist wie auch ihrer sexuellen Orientierung ist Diversität das eigentliche Leitthema. So gesehen ist die Erzählweise von K-Ming Chang gegenüber der von Thome die ungleich modernere. Aber auch die ungleich modischere. Wenn es darum geht, was uns übers Fremde erzählt wird, bietet Thomes "Pflaumenregen" noch ungleich mehr als Changs "Bestiarium". ANDREAS PLATTHAUS
Stephan Thome: "Pflaumenregen". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 526 S., geb., 25,- Euro.
Stephan Thome: "Gebrauchsanweisung für Taiwan".
Piper Verlag, München 2021. 223 S., br., 15,- Euro.
K-Ming Chang: "Bestiarium". Roman.
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2021. 286 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stephan Thome lebt als deutscher Schriftsteller in Taiwan. Mit dem Roman "Pflaumenregen" und einer "Gebrauchsanweisung für Taiwan" hat er diese zweite Heimat nun zum Gegenstand seiner Literatur gemacht. Und die hilft sogar beim "Bestiarium" der amerikanisch-taiwanischen Autorin K-Ming Chang.
Es hatte gedauert, bis der Krieg die Insel erreichte. Dabei stand sie schon lange im Krieg: mit hineingezogen durch das "Mutterland" Japan, aber dessen Siegeszug im Pazifikkrieg hatte 1942 noch gar keinen Gedanken daran aufkommen lassen, dass jemals der Angriff eines feindlichen Flugzeugs zu befürchten wäre. "Ein Jahr später schwelten Feuer auf den Hügeln, Soldaten hatten sie gelegt, um feindliche Bomber irrezuführen und die Eingänge der Schächte zu tarnen. Letzten Sommer waren in der Zeitung die Bewohner einer Insel namens Saipan dafür gefeiert worden, dass sie sich von den Klippen stürzten oder mit Granaten in die Luft sprengten. Anfangs hatte sich Umeko den Krieg wie einen Drachen vorgestellt, der mit seinen gewaltigen Füßen und dem wild herumpeitschenden Schwanz alles zerstörte, inzwischen besuchte sie die sechste Klasse der Grundschule und wusste, warum man dem Feind nicht lebend in die Hände fallen durfte: Alle Männer wurden kastriert und die Frauen vergewaltigt."
Wir sind in Taiwan, 1943 und am Beginn des zweiten Viertels von Stephan Thomes Roman "Pflaumenregen". Umeko ist dessen wichtigste Figur, ein Schulmädchen von der Nordküste der seit 1895 durch Japan kolonisierten Insel. Wir werden im Wechsel zwischen Kinder- und Jugendzeit sowie der jüngeren Gegenwart ihr langes Leben erzählt bekommen: bis zum Sommer 2016, als sie 82 Jahre alt und längst wieder Hsiao Mei gerufen wird, weil ihr japanischer Vorname nach der Niederlage und dem Abzug der früheren Kolonialherren in Taiwan nicht mehr opportun war. Die Insel war 1945 wieder China zugeschlagen worden, das sie fünfzig Jahre früher an Japan hatte abtreten müssen, und prompt wurde die bisherige Japonisierung Taiwans durch eine ebenso radikale Sinisierung ersetzt, die ähnlich wenig Rücksicht auf die Bewohner nahm. Dazu setzte noch eine Massenimmigration ein, als die Niederlage der Republik China gegen Maos kommunistische Rebellen absehbar wurde: Nicht nur der chinesische Präsident Chiang Kai-shek setzte sich nach Taiwan ab, sondern mit und nach ihm Millionen seiner Anhänger. Taiwan wurde so zum Residuum der alten Republik, für dessen Eroberung die Kräfte der jungen kommunistischen Volksrepublik nicht ausreichten, weil die Vereinigten Staaten den Bestand von Chiangs Inselregime garantierten. Das ist der Ursprung eines der heikelsten Konflikte unserer Zeit: Heute, ein Dreivierteljahrhundert danach, testen chinesische Flugzeuge vom Festland durch bewusste Verletzung des taiwanischen Luftraums die Verteidigungsbereitschaft der von Peking als abtrünnig betrachteten Insel. Dabei hat sie nie zur Volksrepublik gehört. Aber überleben ohne Schutz der Amerikaner könnte Taiwan nicht.
Man kann sich keinen politisch aktuelleren Roman vorstellen als "Pflaumenregen", obwohl Stephan Thome beim Schreiben nichts davon wissen konnte, dass just zum Erscheinen seines Buchs die chinesischen Provokationen noch einmal eskalieren würden. Aber Thome kannte die bisherigen; er lebt seit Jahren in Taiwan, spricht fließend Chinesisch, ist mit einer Taiwanerin verheiratet und betrachtet das Land als seine zweite Heimat. Was für ein Heimatkundler dieser Autor ist, wissen wir seit seinem Debütroman "Grenzgang" von 2009, den er bereits in Taiwan schrieb, der aber in Thomes mittelhessischer Geburtsstadt Biedenkopf angesiedelt ist. In seine neue Lebenswelt begab er sich dann 2018 mit dem im kaiserlichen China des neunzehnten Jahrhunderts spielenden historischen Roman "Gott der Barbaren". Da zeigte er, wie subtil er fernöstliches Denken literarisieren kann. Aber noch gab es dabei einen deutschen Protagonisten. In "Pflaumenregen" sind nun alle wichtigen Figuren Taiwaner.
Bis auf Dave, den britischen Geliebten von Julie, der 1988 geborenen Enkelin von Umeko, die hin- und hergerissen ist zwischen dem Bleiben in ihrer bedrohten Heimat Taiwan und einem Leben anderswo. Ihr Onkel Chen Hao ist bereits in die Vereinigten Staaten ausgewandert und hat dort eine Familie gegründet, deren Kinder kaum mehr Chinesisch sprechen. Zum Geburtstag der Großmutter kommt die Familie in Taipeh zusammen, und die Ansichten über ihre individuellen Zukünfte werden ausgetauscht. Dabei schwingt stets aber auch die Zukunft der erst seit den späten Achtzigerjahren demokratisierten taiwanischen Gesellschaft mit. "Pflaumenregen" ist jedoch kein Thesenroman. Wie Thome durch den Rekurs auf die Gründungsgeschichte des heutigen Taiwan im Spiegel einer einzelnen Familie Zeitgeschichte zu erzählen weiß, das hat nicht viele Parallelen in der deutschen Gegenwartsliteratur.
Für Taiwan ist bereits eine Übersetzung seines Romans verabredet; ansonsten aber schrecken fremdsprachige Lizenznehmer zurück, weil sie beim Buch eines Deutschen über Taiwan den Vorwurf kultureller Appropriation fürchten. So weit sind wir gekommen; Qualität spielt dabei ebenso wenig eine Rolle wie Anerkennung des Autors in der beschriebenen Gesellschaft selbst. Was für ein Glück, dass Thome hierzulande renommiert ist; man möchte sich kaum vorstellen, was einem ähnlichen Manuskript eines deutschen Novizen widerfahren wäre. So aber adelt nun zusätzlich der Markenname Suhrkamp.
Und noch mehr Glück: Thome hat gleichzeitig im Rahmen einer erfolgreichen Buchreihe des Piper Verlags eine "Gebrauchsanweisung für Taiwan" herausgebracht, die sich stellenweise wie ein Making-of zu seinem Roman liest. Hier stellt der Autor ganz sachorientiert, aber dezidiert parteiisch (nämlich pro-taiwanisch) seine neue Heimat vor, gerade im Konflikt mit China, und so manche dabei kolportierte Anekdote eigener Begegnungen erweist sich als Keimzelle von Romanpassagen - bis hin zu Erlebnissen der Familie seiner Frau. Die "Gebrauchsanweisung" ist gewiss kein Reiseführer im klassischen Sinne, sondern ein Reiseverführer: Auch wenn das Gros des Inhalts der Geschichte der Insel und dem Leben in ihrer Hauptstadt Taipeh gilt, möchte man nach Lektüre sofort wieder dorthin. Oder überhaupt einmal, und dafür bietet Thome mit der Kombination aus Roman und Gebrauchsanweisung eine Grundlage, wie es in unserer Sprache bislang keine gab.
Und selbst für die Lektüre taiwanischer Literatur (leider ein Rarissimum in deutschen Verlagsprogrammen) liefert Thome hochwillkommene Handreichung - nicht explizit, aber durch das Geschick, mit der er in "Pflaumenregen" historische und auch mythische Stoffe mit seiner fiktionalen Handlung verwoben hat. Die Lektüre bietet dadurch subkutan einen Kulturkurs, der etwa fürs Verständnis von K-Ming Changs gerade auf Deutsch erschienenen Roman "Bestiarium" von großem Nutzen ist. Nicht nur, dass man den biographisch-kulturellen Hintergrund der 1998 geborenen amerikanischen Schriftstellerin mit taiwanischen Wurzeln nun dadurch gut einzuordnen weiß, dass Chen Haos Familie aus Thomes Roman einen ähnlichen Werdegang aufweist; vor allem aber werden ganze Motivketten etwa um Kopfjäger, Weißen Terror oder Kampferbäume, die bei Chang unerläutert auftauchen, durch das von Thomes Büchern vermittelte historische Wissen auch für solche Leser klar, die selbst keine Wurzeln in Taiwan oder Wissen über die Insel haben.
Wovon Chang in fantasiereicher, leider stark skatologisch geprägter Prosa erzählt, ist das Integrationsbemühen einer betreffs ihrer Herkunft als Alter Ego der Verfasserin angelegten jungen Frau sowohl im Blick aufs amerikanische Leben als auch auf bisweilen traumatische Familientraditionen. Mit der Metamorphose der jungen Frau zu einem Tigergeist wie auch ihrer sexuellen Orientierung ist Diversität das eigentliche Leitthema. So gesehen ist die Erzählweise von K-Ming Chang gegenüber der von Thome die ungleich modernere. Aber auch die ungleich modischere. Wenn es darum geht, was uns übers Fremde erzählt wird, bietet Thomes "Pflaumenregen" noch ungleich mehr als Changs "Bestiarium". ANDREAS PLATTHAUS
Stephan Thome: "Pflaumenregen". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 526 S., geb., 25,- Euro.
Stephan Thome: "Gebrauchsanweisung für Taiwan".
Piper Verlag, München 2021. 223 S., br., 15,- Euro.
K-Ming Chang: "Bestiarium". Roman.
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2021. 286 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein wirklich exzeptionelles Erzähltalent .... Ihre poetische Fantasie ist kaum zu bändigen und gebiert immer wieder überraschend schöne Sätze. ... In 'Bestiarium' zelebriert K-Ming Chang das Lückenhafte und polstert es nicht zu einem geschlossenen historischen Roman auf." Katharina Borchardt, ZEIT Online, 30.12.2021
"'Bestiarium' ist ein herausforderndes Buch, hochliterarisch und komplex, voller Metaphern und teils brutal - und eine ganz außergewöhnliche Lektüre, die fast eine körperliche Erfahrung ist." Isabella Caldart, Missy Magazine, 16.11.2021
"Wovon Chang in fantasiereicher Prosa erzählt, ist das Integrationsbemühen einer als Alter Ego der Verfasserin angelegten jungen Frau sowohl im Blick aufs amerikanische Leben als auch auf bisweilen traumatische Familientraditionen. Mit der Metamorphose der jungen Frau zu einem Tigergeist wie auch ihrer sexuellen Orientierung ist Diversität das eigentliche Leitthema." Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.10.2021
"Schicht für Schicht legt K-Ming Chang ... die Familientraumata der Vergangenheit auf 'der Insel' (wie Taiwan - im Gegensatz zum 'Festland' - nur genannt wird) frei, und deutet an, welche Folgen Kolonialismus und Krieg für die Bevölkerung dort hatten. Ein Coming-of-Age-Roman von wilder Fabulierlust und poetischer Sprache - der dem Leser aber einiges abverlangt." Christoph Feil, Heilbronner Stimme, 18.12.2021
"Das Romandebüt der gerade mal 23-jährigen K-Ming Chang ist schwindelerregend ... Auch in der Sprache von K-Ming Chang durchmischen sich Wirklichkeit und Fiktion: mit einer Prosa, die voller Ideenreichtum davon handelt, wie sich politische Realitäten und die Fiktionen, die wir über sie erzählen, in menschliche Leben einschreiben. Und zugleich ist 'Bestiarium' auch das wahnsinnig zärtliche Porträt einer queeren Liebe ..., in deren Taumel die Überwindung des Menschseins und die Utopie nicht weit entfernt zu sein scheinen." Jonah Lara, Kulturnews, 30.10.2021
"[Ein] Roman in einer intensiven, wild assoziativen, sinnlichen Sprache, wie man ihn selten zu lesen bekommt." Prof. Erhard Schütz, Das Magazin, Februar 2022
"'Bestiarium' ist ein herausforderndes Buch, hochliterarisch und komplex, voller Metaphern und teils brutal - und eine ganz außergewöhnliche Lektüre, die fast eine körperliche Erfahrung ist." Isabella Caldart, Missy Magazine, 16.11.2021
"Wovon Chang in fantasiereicher Prosa erzählt, ist das Integrationsbemühen einer als Alter Ego der Verfasserin angelegten jungen Frau sowohl im Blick aufs amerikanische Leben als auch auf bisweilen traumatische Familientraditionen. Mit der Metamorphose der jungen Frau zu einem Tigergeist wie auch ihrer sexuellen Orientierung ist Diversität das eigentliche Leitthema." Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.10.2021
"Schicht für Schicht legt K-Ming Chang ... die Familientraumata der Vergangenheit auf 'der Insel' (wie Taiwan - im Gegensatz zum 'Festland' - nur genannt wird) frei, und deutet an, welche Folgen Kolonialismus und Krieg für die Bevölkerung dort hatten. Ein Coming-of-Age-Roman von wilder Fabulierlust und poetischer Sprache - der dem Leser aber einiges abverlangt." Christoph Feil, Heilbronner Stimme, 18.12.2021
"Das Romandebüt der gerade mal 23-jährigen K-Ming Chang ist schwindelerregend ... Auch in der Sprache von K-Ming Chang durchmischen sich Wirklichkeit und Fiktion: mit einer Prosa, die voller Ideenreichtum davon handelt, wie sich politische Realitäten und die Fiktionen, die wir über sie erzählen, in menschliche Leben einschreiben. Und zugleich ist 'Bestiarium' auch das wahnsinnig zärtliche Porträt einer queeren Liebe ..., in deren Taumel die Überwindung des Menschseins und die Utopie nicht weit entfernt zu sein scheinen." Jonah Lara, Kulturnews, 30.10.2021
"[Ein] Roman in einer intensiven, wild assoziativen, sinnlichen Sprache, wie man ihn selten zu lesen bekommt." Prof. Erhard Schütz, Das Magazin, Februar 2022