Should Turkey be a member of the EU? The Europeans are divided on this issue, which touches on the whole question of the Union's identity. Germany is one of the major sceptics. However, CDU foreign policy expert Ruprecht Polenz thinks otherwise. He emphasizes that Turkey deserves to be given full membership. Both sides would benefit from this, always assuming that Ankara fulfils the demanding accession criteria. Membership would send a clear signal both to the Turks who live in the EU (and to other Muslim countries) that the European perception of the rule of law, human rights and democracy is wholly compatible with the tenets of Islam. Europe prefers the idea of partnership to a "clash of civilizations." And in geostrategic terms Turkish membership would clearly be beneficial for the EU. Ruprecht Polenz is critical of the idea that Turkey should be offered a privileged partnership instead of membership, and convincingly refutes the arguments of those who are opposed to Turkish accession.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.05.2010Wer hat Angst vorm Muselmann?
Für den Beitritt der Türkei zur EU: Ruprecht Polenz hat ein mutiges und überzeugendes Plädoyer geschrieben
Die Türkei gehört in die EU.“ So lakonisch steht das da. Kein Schlachtruf, die nüchterne Bilanz unaufgeregten Nachdenkens vielmehr. Ein unpopulärer Satz in Deutschland und noch unpopulärer in der CDU. Das macht ihn so bemerkenswert: Der Autor Ruprecht Polenz ist der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, ein CDU-Mann, der etwas versteht vom Nahen und Mittleren Osten, ein Christ, der etwas versteht vom Islam. Die Union könnte dankbar sein für seinen Zwischenruf. Aber sie duckt sich mal wieder weg: Auf die Türkei lässt sich in Deutschland noch immer billig einprügeln; es macht sich mit ihr leichter Innenpolitik für Bayern und Berlin als Außenpolitik für das Europa von morgen.
„Besser für beide“, sei es, wenn eine geläuterte Türkei der Europäischen Union beitrete, argumentiert Polenz: ein schlankes Büchlein, eine dicke Provokation für viele Parteifreunde. Dass die Türkei von einem EU-Beitritt profitiert, hat noch niemand bestritten. Dass aber eine stabile, demokratisch gefestigte Türkei inmitten einer so labilen wie dynamischen Region ein Segen für Europa wäre, und dass die EU der Anker ist, der solche Stabilität garantiert, das ist noch nicht überall angekommen. Die Idee der „privilegierten Partnerschaft“ tut Polenz kurz ab: Er hält sie für „problematischen“ Mumpitz.
Hilfe für die Ängstlichen
Wie Polenz zeigt, worin der Gewinn für die EU bestünde, wenn die Türkei Vollmitglied würde, das ist Aufklärung im besten Sinne. Souverän nimmt er die Gegenargumente auseinander. Das fremde Anatolien? Heimaterde des Christentums. Das christliche Abendland? Schon im 18. Jahrhundert ein antiaufklärerischer Kampfbegriff. Der unbelehrbare Islam? „Den“ Islam gibt es nicht. Dass Islam und Demokratie sehr wohl Hand in Hand gehen können - die Türkei macht es gerade vor. Türkenflut vor den Toren Frankfurts und Münchens? 2009 wanderten 30.000 Türken nach Deutschland ein – 40.000 siedelten in die Türkei um. Der Autor erörtert auch die gravierenden Defizite der türkischen Demokratie: die politische Einmischung des Militärs, die fehlenden Rechte für Kurden und christliche Minderheiten. Was Türkeigegner aber gern verschweigen: Bis zum Beitritt wird es noch Jahre dauern, am Ende des Weges, so Polenz, „wird die Türkei eine andere sein als heute“.
Das ist ja das Merkwürdige an der Debatte: Mitglied werden darf die Türkei ohnehin erst, wenn sie die Kopenhagener Kriterien erfüllt, wenn sie also ein echter demokratischer Rechtsstaat ist. Wenn aber die Türkei einmal so ist, wie wir ihr immer sagen, dass wir sie gern hätten – mit was für einem Grund halten wir sie dann noch fern aus unserer Mitte? Es wird schwer sein, die Türken – und den Rest der Welt – davon zu überzeugen, dass es nicht schlicht daran liegt, dass wir einfach keine Muslime wollen.
Neben dem Aufstieg Chinas ist der Umgang mit dem Islam die große Herausforderung für das Europa des 21. Jahrhunderts – wer die Türkeidebatte dem Populismus und diffusen Ängsten opfert, der hat das nicht kapiert. An den Populisten werden die Argumente abtropfen, den Ängstlichen aber kann geholfen werden: Polenz lesen! KAI STRITTMATTER
RUPRECHT POLENZ: Besser für beide. Die Türkei gehört in die EU. Körber Stiftung, Hamburg 2010. 100 S., 10 Euro.
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Für den Beitritt der Türkei zur EU: Ruprecht Polenz hat ein mutiges und überzeugendes Plädoyer geschrieben
Die Türkei gehört in die EU.“ So lakonisch steht das da. Kein Schlachtruf, die nüchterne Bilanz unaufgeregten Nachdenkens vielmehr. Ein unpopulärer Satz in Deutschland und noch unpopulärer in der CDU. Das macht ihn so bemerkenswert: Der Autor Ruprecht Polenz ist der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, ein CDU-Mann, der etwas versteht vom Nahen und Mittleren Osten, ein Christ, der etwas versteht vom Islam. Die Union könnte dankbar sein für seinen Zwischenruf. Aber sie duckt sich mal wieder weg: Auf die Türkei lässt sich in Deutschland noch immer billig einprügeln; es macht sich mit ihr leichter Innenpolitik für Bayern und Berlin als Außenpolitik für das Europa von morgen.
„Besser für beide“, sei es, wenn eine geläuterte Türkei der Europäischen Union beitrete, argumentiert Polenz: ein schlankes Büchlein, eine dicke Provokation für viele Parteifreunde. Dass die Türkei von einem EU-Beitritt profitiert, hat noch niemand bestritten. Dass aber eine stabile, demokratisch gefestigte Türkei inmitten einer so labilen wie dynamischen Region ein Segen für Europa wäre, und dass die EU der Anker ist, der solche Stabilität garantiert, das ist noch nicht überall angekommen. Die Idee der „privilegierten Partnerschaft“ tut Polenz kurz ab: Er hält sie für „problematischen“ Mumpitz.
Hilfe für die Ängstlichen
Wie Polenz zeigt, worin der Gewinn für die EU bestünde, wenn die Türkei Vollmitglied würde, das ist Aufklärung im besten Sinne. Souverän nimmt er die Gegenargumente auseinander. Das fremde Anatolien? Heimaterde des Christentums. Das christliche Abendland? Schon im 18. Jahrhundert ein antiaufklärerischer Kampfbegriff. Der unbelehrbare Islam? „Den“ Islam gibt es nicht. Dass Islam und Demokratie sehr wohl Hand in Hand gehen können - die Türkei macht es gerade vor. Türkenflut vor den Toren Frankfurts und Münchens? 2009 wanderten 30.000 Türken nach Deutschland ein – 40.000 siedelten in die Türkei um. Der Autor erörtert auch die gravierenden Defizite der türkischen Demokratie: die politische Einmischung des Militärs, die fehlenden Rechte für Kurden und christliche Minderheiten. Was Türkeigegner aber gern verschweigen: Bis zum Beitritt wird es noch Jahre dauern, am Ende des Weges, so Polenz, „wird die Türkei eine andere sein als heute“.
Das ist ja das Merkwürdige an der Debatte: Mitglied werden darf die Türkei ohnehin erst, wenn sie die Kopenhagener Kriterien erfüllt, wenn sie also ein echter demokratischer Rechtsstaat ist. Wenn aber die Türkei einmal so ist, wie wir ihr immer sagen, dass wir sie gern hätten – mit was für einem Grund halten wir sie dann noch fern aus unserer Mitte? Es wird schwer sein, die Türken – und den Rest der Welt – davon zu überzeugen, dass es nicht schlicht daran liegt, dass wir einfach keine Muslime wollen.
Neben dem Aufstieg Chinas ist der Umgang mit dem Islam die große Herausforderung für das Europa des 21. Jahrhunderts – wer die Türkeidebatte dem Populismus und diffusen Ängsten opfert, der hat das nicht kapiert. An den Populisten werden die Argumente abtropfen, den Ängstlichen aber kann geholfen werden: Polenz lesen! KAI STRITTMATTER
RUPRECHT POLENZ: Besser für beide. Die Türkei gehört in die EU. Körber Stiftung, Hamburg 2010. 100 S., 10 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Hocherfreut nimmt Michael Thumann dieses Buch des CDU-Politikers zur Kenntnis, das seinem Eindruck zufolge allen Gegnern eines EU-Beitritts der Türkei "Seite für Seite" die Argumente aus der Hand schlägt. Auch gelingt Ruprecht Polenz aus seiner Sicht das Kunststück, tatsächlich noch mit neuen Argumenten aufzuwarten. Brisanz bekommt das Buch für den Kritiker auch, weil sich Polenz mit seinem Plädoyer gegen Angela Merkels Idee einer "priviligierten Partnerschaft" stellt. Besonders schlagend findet der Kritiker das Argument, die EU sei keine Gemeinschaft christlicher Länder sondern freiheitlich verfasster Demokratien.
© Perlentaucher Medien GmbH
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