Für den aufgeklärten Weinkonsument von heute rückt der gesundheitliche Aspekt immer mehr in den Blickpunkt. Ein erhöhter Gehalt an biogenen Aminen in Wein entspricht somit nicht den aktuellen Marktanforderungen. Während der letzten Jahre führten die klimatischen Veränderungen aber auch neuere oenologische Praktiken wie die Maischestandzeit weißer Trauben zu einem Anstieg der pH-Werte im Most. Dies führt zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen und somit Profilierung unterschliedlicher Bakterien. Gleichzeitig nimmt die mikrobiozide Wirkung der SO2 mit dem pH-Anstieg deutlich ab. Folglich steigt auch die Gefahr der bakteriellen Bildung biogener Amine. Damit auch weiterhin deutsche Weine den qualitativen Anforderungen entsprechen, war es Ziel dieser Arbeit während allen Etappen der Weinbereitung die Einflussfaktoren, die zur Bildung biogener Amine führen, zu untersuchen.
Biogene Amine entstehen in Wein vorrangig nach Decarboxylierung der korrespondierenden Aminosäuren durch bakterielle Aktivität. Die Bildung der, vor allem aus gesundheitlichen Aspekten, unerwünschten biogenen Amine beruht auf einer Vielzahl von Einflussfaktoren, die von der Beschaffenheit des Lesgutes (Trauben) über die Art der Kellerwirtschaft bis hin zum Ausbau bzw. der Reifung des Weines reichen. Diese multiplen Faktoren wurden im Rahmen dieser Arbeit bezüglich ihres Einflusses auf die Bildung ausgewählter biogener Amine untersucht. Die Bestimmung des Gehaltes der biogenen Amine Histamin, Putrescin, Cadaverin, Phenylethylamin, Tyramin, ß-Alanin, Agmatin, Isoamylamin und Ethanolamin erfolgte mittels HPLC-Fluoreszenzdetektion (HPLC-FD) nach Festphasenextraktion (SPE) und Vorsäulenderivatisierung mit ortho-Phthaldialdehyd und 2-Mercaptoethanol über den internen Standard Heptylamin.
In dieser Arbeit gelang es bei umfassenden Untersuchungen über zwei Jahrgänge zahlreiche Ursachen für die Bildung biogener Amine aufzuklären und daraus präventive und kurative Maßnahmen abzuleiten. Diese Untersuchungen erfolgten anhand realer Traubenproben, Mosten und Weinen, wobei alle Weinbereitungsschritte unter Praxisbedingungen sukzessiv verfolgt wurden. Die in dieser Form bisher nicht puplizierte Durchführung manigfaltiger Technikumsversuche unter kontrollierten Bedingungen ermöglicht die konkrete Aussage über die Einflussfaktoren, die während der Vinifikation der Bildung biogener Amine entgegenwirken oder diese fördern. Es konnte eindeutig geklärt werden, dass die Traubenfäulnis zu erhöhten Gehalten biogener Amine im Most führt. Dabei erwiesen sich gezielte Inokkulationen von gesunden Trauben mit unterschiedlichen Pilzsporen als innovativer Ansatz, um die negative Auswirkung der Fäulnis zu untersuchen. Im Verlauf der Fermentationsprozesse ist der biologische Säureabbau (BSA) bzw. die malolaktische Gärung, verbunden mit unerwünschter bakterieller Metabolitbildung, die Hauptquelle für die Bildung biogener Amine. Als Schlüsselfaktor für die Bildung biogener Amine konnte der pH-Wert identifiziert werden. So erwiesen sich hohe pHWerte als förderlich für die Bildung biogener Amine. Auffällig war die Tatsache, dass es vor allem bei Rotweinen bei Überschreiten des pH-Wertes von 3,4 zur verstärkten Bildung biogener Amine kam. Deren Bildung wurde durch einen spontanen BSA und eine späte Gabe schwefliger Säure zusätzlich potenziert. Bei weißen Rebsorten konnte gezeigt werden, dass der Lysozymeinsatz von 150 mg/L nur in Verbindung mit einer zeitnahen Schwefelung der Bildung von biogenen Aminen entgegenwirkt. Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit der Entwicklung neuer lytischer Enzyme mit weitem Wirkungsspektrum gegen Schadbakterien. Grundsätzlich konnte die Notwendigkeit einer optimierten Steuerung der Fermentationsprozesse durch Einsatz von Starterkulturen nachgewiesen werden.
Die Hitzeeinwirkung während der Rotweinvinifikation durch die Maischeerhitzung oder der Jungweine durch Flash-Pasteurisierung wirkte so präventiv, dass die Bildung biogener Amine fast komplett unterbunden werden konnte. Beide präventive Verfahren wurden in ihrer sensorischen Auswirkung auf die Weinqualität überprüft und erwiesen sich als erfolgreiche Strategien, um die mikrobiologische Prozesssicherheit während der Weinbereitung zu erhöhen.
Bei der direkten Abreicherung bereits gebildeter biogener Amine erwies sich das Natrium-Bentonit als das Leistungsfähigste. Insbesondere die hohe Abreicherung des physiologisch bedeutsamsten biogenen Amins, Histamin, ist hervorzuheben. Der bereits bekannte Umstand, dass die Hefe selbst ein äußerst wirkungsvolles Biosorbent darstellt, konnte anhand eines erweiterten Adsorptionsspektrums bestätigt werden. So führte eine Hefeschönung mit gesunder Hefe und der Einsatz eines Hefeautolysats zu einer schonenden Abreicherung biogener Amine.
Aus sensorischer Sicht sind Weine mit geringen Konzentrationen biogener Amine anzuraten. Die sensorische Beurteilung der Versuchsweine zeigte tendenziell eine mit steigenden Gehalten einhergehende Maskierung von fruchtigen und frischen Noten. Bei den Rotweinen lag eine bisher noch unbekannte Förderung der Adstringenz, grünen Tannine und Bittere durch die biogenen Amine Phenylethylamin und Histamin vor. Der Einsatz der Methode der Temporal Dominance of Sensations (TDS), bei der die Wahrnehmung der Versuchsweine im Mund in Form sensorischer Muster dargestellt wurde, zeigte eine zunehmende Dominanz eines stumpfen/belegenden Empfindens und des Attributes adstringierend bei höheren Gehalten biogener Amine.
Die umfassende sensorische Beurteilung der Versuchsweine ergab einen Einblick auf die Auswirkung der Prozesschritte auf das Endprodukt Wein. Den Weinerzeugern ist es somit möglich, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um das gewünschte Weinprofil zu erzielen.
Nach aktuellem Kenntnisstand liegt mit dieser Arbeit erstmalig eine systematische Untersuchung biogener Amine von der Traube bis hin zum gefüllten und sensorisch beurteilten Wein vor. Für die Weinwirtschaft ergeben sich aus den erarbeiteten Ergebnissen konkrete Strategien: Einsatz von Starterkulturen mit zeitnaher Schwefelung, Flashpasteurisierung zum schonenden Abtöten von Schadorganismen oder die kurative Entfernung biogener Amine mittels Bentonit und Hefezellwänden. Diese ermöglichen der Weinbranche auf prozess- oder klimabedingte Veränderungen schlagkräftig zu reagieren und Weine zu erzeugen, die den Marktanforderungen nach niedrigen Gehalten biogener Amine entsprechen.
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