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Repräsentationen braucht es, aber Körper und soziale Interaktion auch: Drei Bücher widmen sich der Frage nach der Entstehung von Bewusstsein.
Von Manuela Lenzen
In den 1990er-Jahren war Bewusstsein schon einmal ein großes Thema. Im Zentrum stand oft, was der australische Philosoph David Chalmers als das "harte Problem" bezeichnete: Warum fühlen sich Empfindungen an, wie sie sich anfühlen? Und warum fühlen sie sich überhaupt an? Die Hirnforschung hatte damals ihre "Hirnscanner" bekommen, mit deren Daten sich bunte Bilder von aktiveren und weniger aktiven Hirnregionen errechnen ließen, je nachdem, welche Aufgaben die Probanden in der "Röhre" lösten. Das war neu, aufregend - und doch eine Sackgasse. Denn erklären ließ sich das Bewusstsein trotz immer neuer Vermutungen über die entscheidenden Korrelationen nicht.
Die Hirnforschung, aber auch die Psychologie und die Kognitionsforschung gingen auf Distanz zu dem notorisch sperrigen Forschungsgegenstand. Das Bewusstsein wurde, wie es der Psychologe Wolfgang Prinz formuliert, ein Sonntagsthema. Alltag, das sind die Arbeiten zur Physiologie des Gehirns, neuronale Korrelate von diesem und jenem, neurokognitive Modellierung. Aber mit der Sonntagsruhe kommt dann die Frage doch wieder auf, warum das Leben sich für uns anfühlt, wie es sich anfühlt, und wie der Körper das zuwege bringt. Schließlich, so Prinz, sind wir bewusste Wesen und möchten uns gerne besser verstehen. Zudem steht der Verdacht im Raum, dass die Intelligenz der Tiere und der Maschinen vielleicht auch deshalb hinter unserer zurückbleibt, weil ihnen genau das fehlt: den Maschinen jede Art von Bewusstsein, den Tieren (vermutlich) das reflektierende Selbstbewusstsein.
Jetzt sind gleich drei Bücher renommierter Forscher erschienen, die sich gegen Ende ihrer Karriere an das große und ein bisschen heikle Thema wagen: neben dem Psychologen Wolfgang Prinz, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, präsentieren Joseph LeDoux vom Center for Neural Science der New York University und der Hirnforscher Antonio Damasio, Direktor des Brain and Creativity Institute der University of California ganz unterschiedliche Rundumblicke auf die Bewusstseinsforschung.
Das Feld ist nach wie vor weit davon entfernt, grundlegende Begriffe wie Geist, Bewusstsein, Selbst, Ich, Repräsentation und Gefühl einheitlich zu verwenden. Lässt man das einmal beiseite, stellt man allerdings fest, dass sich das theoretische Durcheinander der 1990er-Jahre wesentlich gelichtet hat. Alle drei Autoren votieren für eine Theorie der Metarepräsentation: Bewusstsein kann demnach dann entstehen, wenn es Hirnstrukturen gibt, die in der Lage sind Repräsentationen zu bilden, also etwas, das für die Dinge und Zusammenhänge in der Welt steht, und diese Repräsentationen wiederum von anderen Hirnstrukturen erneut abgebildet werden. Wenn es also nicht nur eine Repräsentation der Sonnenblume gibt, sondern auch noch eine davon, dass diese Sonnenblume repräsentiert wird. Nur Wolfgang Prinz weist allerdings darauf hin, dass es bislang keine gute Erklärung dafür gibt, was es mit Repräsentationen genau auf sich hat, und dass damit jede Theorie des Bewusstseins, die sich auf diesen Begriff stützt, in der Luft hängt.
Die Möglichkeit, Repräsentationen noch einmal abzubilden, ist freilich nur eine notwendige Bedingung, ausreichend ist sie nicht, damit ein Organismus Bewusstsein entwickeln kann. Hier findet sich die zweite deutliche Entwicklung seit den 1990er-Jahren: Keiner der Autoren geht mehr davon aus, dass es ausreicht, das Gehirn eines Individuums zu betrachten, um zu verstehen, wie Bewusstsein zustande kommt. Klar ist vielmehr: Man darf die kognitiven Fähigkeiten des Menschen weder als Instrument zum Erfassen höherer Wahrheiten betrachten noch als etwas, das man vom Körper trennen könnte. Der Geist gehört seinem Organismus, so Damasio. Und er ist erst einmal dazu da, diesem beim Überleben zu helfen.
Damasio hat nicht nur das kürzeste der drei Bücher verfasst, ein Haiku, wie er selbst sagt, reduziert auf die zentralen Gedanken. Ihm gelingen, neben einem fundierten Schnelldurchgang durch Hirn- und Bewusstseinsforschung, wie immer die poetischsten, aber leider nicht immer die klarsten Formulierungen.
So führt er die etwas kontraintuitive Unterscheidung von fühlen und spüren ein. Lebewesen ohne Nervensystem können demnach durchaus etwas spüren, ihnen sei aber nicht klar, dass sie es sind, die etwas spüren. So könnten sie, auch wenn sie eine bemerkenswerte Intelligenz an den Tag legen, nicht über ihr Verhalten nachdenken. Bakterien spürten in diesem Sinne die Gegenwart von Nahrungsstoffen. Bewusstes fühlen würde erst möglich, wenn ein Nervensystem seine Fühler in alle Teile des Körpers ausstreckt und "eine schüchterne Unterhaltung" mit der "Chemie des Lebens" beginnt. Deshalb könne das Bewusstsein auch keine abstrakte Datenstruktur sein, so Damasio, sondern beruhe darauf, dass Nervensystem und Körper "einander bekannt" seien.
Joseph LeDoux blickt in seinem Werk erst einmal ausführlich in die Geschichte der Lebewesen und die Entstehung der Nervensysteme zurück. Sein Buch durchzieht eine seltsame Spannung: Vier Milliarden Jahre Bewusstsein? Während für Damasio Säugetiere, Vögel und vielleicht auch soziale Insekten Bewusstsein haben, betont LeDoux deutlich, dass wir nur beim Menschen von Bewusstsein sprechen sollten. Die evolutionäre Geschichte unseres Bewusstseins sei untief, schreibt der Autor und meint vermutlich, sie sei kurz. Allerdings könnte er dann genau genommen die ersten 41 Kapitel über die Evolutionsgeschichte des Gehirns weglassen, in denen LeDoux zudem vor allem die Arbeiten anderer referiert.
Richtig gut wird das Buch erst, wenn es an LeDoux' eigene Expertise geht: Emotionen und Bewusstsein. Deutlich verwehrt sich der Autor dagegen, Begriffe zu verwischen, und kritisiert massiv den aktuell gängigen "reflektierten Anthropomorphismus", im Zweifel doch lieber anzunehmen, Mensch und Tier seien sich grundlegend ähnlich. Für LeDoux ist es genau andersherum: Man müsse die einfachste mögliche Erklärung vorziehen, und wenn sich das Verhalten von Hunden eben einfacher als unbewusstes Verhalten beschreiben lasse, müsse man dies akzeptieren, auch auf die Gefahr hin, Tierhalter gegen sich aufzubringen.
Auch die Rede von unbewussten Emotionen ist für LeDoux nicht sinnvoll, er betrachtet sie als Ergebnisse kognitiver Bewertungen. Das heißt: Erst waren die kognitiven Fähigkeiten da, dann kamen die Emotionen. Wir bewerten Situationen und empfinden diese Bewertungen als Emotionen. Ein "Spüren" wie Damasio zu den kognitiven Fähigkeiten zu rechnen, fiele LeDoux nicht ein.
Mit Wolfgang Prinz ist LeDoux sich einig, dass nur soziale Wesen Bewusstsein entwickeln können. Das bewusste Erleben sei auch deshalb den Menschen vorbehalten, weil es auch auf das kulturelle Leben, auf Gedächtnis und vor allem auf die Sprache ankomme, so LeDoux.
Wolfgang Prinz macht diesen Punkt sehr deutlich: Die "Selbstförmigkeit" unserer mentalen Organisation sei kein Naturphänomen, sondern das Ergebnis von Lern- und Zuschreibungsprozessen. Statt auf eine "Export-Theorie", der zufolge Menschen die Subjektivität der anderen aus der eigenen ableiten, setzt er auf eine "Import-Theorie": Subjektivität ist demnach etwas, das Menschen, die in Kollektiven leben, einander zuschreiben.
Wenn man nun seinem Hund Bewusstsein zuschreiben und ihn wie einen Menschen behandeln würde, entwickelte er dann Bewusstsein? Nein, sagt Prinz, weil ihm die andere nötige Voraussetzung fehlt: die Fähigkeit, zwischen meinen und deinen Erlebnissen zu unterscheiden. Menschen, die ganz ohne Ansprache und Austausch lebten, könnten demnach im Extrem zwar bewusstlose Zombies sein, "aber Bambi, Lassie und Fury sind wohl nichts weiter als eine schöne Illusion".
Und wie ist es mit künstlichem Bewusstsein? Für die Künstliche-Intelligenz-Forschung ist es zumindest offen, ob Systeme mit menschenähnlicher Intelligenz ohne Bewusstsein möglich sind. Aber könnten Maschinen Bewusstsein entwickeln? Im Prinzip schon, meint Wolfgang Prinz, wenn sie denn die Voraussetzungen erfüllen. Ihnen einen Körper zu geben ist dabei noch die leichtere Übung. Wenn Bewusstsein bei Menschen ein Kollektiv von Individuen in sozialer Interaktion erfordert, gilt dies für Maschinen natürlich auch. Entweder also müssten wir sie in unsere Mitte nehmen, oder sie benötigen ein eigenes Kollektiv. Beides bleibt Spekulation.
Der Nutzen des Bewusstseins und vor allem des Selbstbewusstseins ist mit Blick auf diejenigen Wesen, die nicht darüber verfügen, schnell geklärt. Ohne Bewusstsein könne man nichts wissen, schreibt etwa Damasio. Erst bewusstes Wissen mache erfindungsreich, ermögliche ganz neue und viel komplexere Arten, auf die Welt zu reagieren und das Leben zu leben. Allerdings zu einem Preis: Mit dem Bewusstsein kommen Schmerzen, Leiden und die Angst vor dem Tod. Und ob die Intelligenz, die es uns verschafft, auf lange Sicht ausreichen wird, um uns das Überleben zu sichern, wird sich zeigen.
Wir sehen heute deutlich klarer als in den 1990er-Jahren, wie das Phänomen Bewusstsein mit den Methoden, die derzeit zur Verfügung stehen, eingekreist und beschrieben werden kann. Das "harte Problem" bleibt freilich trotz allem bestehen. Wie genau Bewusstsein im Gehirn entsteht, sei nach wie vor ungeklärt, gesteht Joseph LeDoux ein. Und Wolfgang Prinz beklagt, unser theoretisches Verständnis für das Phänomenale, dafür, wie es sich anfühlt, bleibe in wesentlichen Punkten unvollständig. Lediglich Antonio Damasio findet, die Erklärung des Bewusstseins werde komplizierter gemacht als nötig. Den einen oder anderen Sonntag wird uns das Phänomen also wohl noch beschäftigen. Dabei empfiehlt sich das Buch von Damasio für den Einstieg in das Forschungsfeld, das von LeDoux für den historischen Rückblick und das von Prinz für die gründlichste Diskussion relevanter Erklärungsansätze.
Antonio Damasio: "Wie wir denken, wie wir fühlen." Die Ursprünge unseres Bewusstseins.
Aus dem Englischen von Sebastian Vogel.
Hanser Verlag, München 2021. 192 S., geb., 22 - Euro.
Wolfgang Prinz: "Bewusstsein erklären".
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 317 S., br., 24,- Euro.
Joseph LeDoux: "Bewusstsein". Die ersten vier Milliarden Jahre.
Aus dem Englischen von Elsbeth Ranke und Sabine Reinhardus. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2021. 472 S., geb., 28,- Euro.
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