>Bilder vom Erzählen< ist Wolfgang Hilbigs letzter Gedichtband. Er erschien - illustriert mit Radierungen von Horst Hussel - im Jahr 2001, ein Jahr bevor ihm mit dem Georg-Büchner-Preis der bedeutendste deutsche Literaturpreis zugesprochen wurde. »Seit ich den Dichter Wolfgang Hilbig das erste Mal gesehen und gehört hatte, spürte ich, dass da etwas Ungeheuerliches passiert sein musste. Hier hatte sich etwas Unerhörtes in meine Gegenwart verirrt. Somnambul zielstrebig erforschte der Dichter Hilbig Territorien, die nicht mal als Sperrgebiete gekennzeichnet worden waren, weil sie von jeher als verwunschen galten.« Ingo Schulze Aqua alba Ach, der ganze Garten überschwemmt vom Mond - und Schwärme von Fischen am Weg wie Federn leicht wie zuckende Klingen aus Licht. Sie kennen sich aus sie kennen den Trost der Gemeinsamkeit. Und die weißen Hortensien blühen die ganze Nacht - noch wenn der Mond in seinen Abgrund steigt leuchten sie weiter: wie Phosphor weiß und grün und Wassergeister wenn die Fische durch den Zaun entfliehn haben endlich Heimstatt hier in diesem Blühn.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2001Traumbuch der Moderne
Wolfgang Hilbig im lyrischen Gespräch / Von Harald Hartung
Nicht jeder, den die genaue und zugleich wilde Welt seiner Prosa fasziniert, weiß, daß Wolfgang Hilbig als Lyriker debütierte: nämlich 1979 mit dem Band "abwesenheit". Dieses Buch machte seinen Verfasser in der DDR zur Unperson: Es trug ihm einige Wochen Haft und ein Verfahren wegen Devisenvergehens ein. Die Gedichte des ehemaligen Bohrwerkdrehers und Heizers malten expressive Bilder der Entfremdung. Sie drückten aber auch Hilbigs Willen zur Unabhängigkeit aus. "ihr habt mir ein haus gebaut", hieß es in einem dieser Gedichte, "laßt mich ein anderes anfangen."
Doch aus diesem Haus wurde nichts. Der DDR-Bürokratie war der Dichter unbequem geworden. 1985 konnte Hilbig in die Bundesrepublik übersiedeln. Sein im Jahr darauf erschienener Band "versprengung" kulminierte in Chiffren von Auflösung und Regression, aber er führte auch an die Grenzen von Hilbigs lyrischen Möglichkeiten. Der düster pathetische Ton ließ sich nicht unendlich fortschreiben. Routine drohte, und der Lyriker griff zur Selbstbezichtigung: "das wort lyrik / das so lauwarm lullt sekundärpoesie."
Was Resignation schien, war schon Rettung: Hilbig hatte die erzählende Prosa als Möglichkeit der Selbst-Objektivierung entdeckt. Er delegierte seine Zweifel und Verzweiflungen an die Gestalten seiner Erzählungen und Romane. Etwa an die Spiel- und Spiegelfigur W., die uns im Roman "Ich" (1993) in die Labyrinthe der Stasi führt. Seinem bisher letzten Roman "Das Provisorium" (2000) gab Hilbig ein Motto von Strindberg. Darin ist vom Opfer der Biographie und der Person die Rede, aber auch von der Möglichkeit, das Leben "von allen Seiten" zu sehen: "Das versöhnte mich mit dem Unglück, und es lehrte mich, mich selbst als Objekt aufzufassen."
Nun ist Hilbig nach fünfzehnjähriger Pause zur Lyrik zurückgekehrt. Der sechzigste Geburtstag mag den Anlaß zu einer lyrischen Lebensbilanz gegeben haben. Ihr Titel "Bilder vom Erzählen" scheint eine Referenz zur Arbeit des Epikers zu liefern. Eines der Gedichte heißt "Nach der Prosa", doch aus ihm spricht durchaus nicht der Stolz des Erzählers Hilbig, sondern Desillusion und Verzweiflung: "Nun bin ich alt und in den Staub geworfen / Aller Gesang gesungen und zu grauser Asche ward mein Vers." Hilbig spricht als Lyriker und von Lyrik - fast so, als hätte es seine Erzählprosa nie gegeben.
So erstaunt nicht, daß auch im Titelgedicht "Bilder vom Erzählen" vom Erzählen nicht die Rede ist. Der Dichter überläßt sich dem Sog der Bilder. Sein hymnisch-elegischer Text evoziert das Meer. Es fasziniert ihn womöglich deshalb, weil es nicht zu erzählen ist: "Niemand weiß etwas zu sagen vom Meer". Doch am Schluß erscheint ein schwarzer Mystagoge, ein riesiger amerikanischer Rabe: "Wer bist du? so schien er mich zu fragen. - Und ich fragte ihn ein Gleiches."
Dieser Mystagoge, der sein Geheimnis verbirgt, mag von Edgar Allan Poe abstammen. Ihm nämlich galt seinerzeit in "versprengung" die Frage: "war das gedicht der rabe von e. a. poe not / wendig?" Offenbar schon. Denn Hilbig kommt in diesen späten Gedichten erstaunlich oft auf die klassische Moderne zurück. In dem Gedicht "Die Zisterne" heißt es rührend ungeschickt: "Einmal ihr Musen noch blättern / im Traumbuch der Moderne."
In dieses Traumbuch gehört auch ein anderer Erzvater, nämlich Ezra Pound. Das Langgedicht "Saturnische Ellipsen" kreist um ein Zitat aus Pounds "Canto I", aber gleichsam in negativer Absicht, wie Hilbig in einer Anmerkung erläutert: "Die Stelle wird hier zitiert (und später entstellt zitiert) aufgrund ihrer Zusammenhanglosigkeit mit dem Text, in dem sie erscheint." Solch ein Dementi ist natürlich ambivalent: der Leser stellt den negierten Kontext für sich her. Und sei es, indem er Hilbigs Entstellung von Pounds Text realisiert.
Odysseus-Pound bricht auf, um Ithaka wiederzufinden. Ziemlich zu Anfang heißt es: "Came we then to the bounds of deepest water, / To the Kimmerian lands, and peopled cities". Hilbigs lyrisches Alter ego, das vermeint, in einer Stadt zu sein, die es nicht mehr verlassen kann, operiert mit der Negation: aus Pounds "peopled cities" werden "unpeopled cities" - also offenbar solche, die den Aufbruch nicht lohnen. Hilbig wird keine Odyssee schreiben. Aber seine poetische Abendphantasie hat einen großen und reichen Ton.
Die "Bilder vom Erzählen" sparen den Epiker Hilbig aus. Seine erzählerischen Arbeiten, die ihn doch berühmt machten, scheint der Sechzigjährige hinter sich zu lassen wie verbrannte Schiffe. Spielend und anspielend ergeht er sich im Traum- und Musterbuch der lyrischen Moderne. Selbst wo Hilbig eine Formel für sein eigenes Leben sucht, bemüht er einen der Alten Meister, nämlich den Eliot der "Four Quartetts": "Ein Spott / mein End gewirkt in meinen Anfang". Man möchte dem Dichter, der sich in bitterschönen Bildern von Zweifel und Resignation ergeht, eine Zeile vorhalten, die er selbst als groß bezeichnet: "Das Eisen selbst sucht sich den Mann". Diese Zeile gilt auch heute, wo es wenig aussichtsreich scheint, sich an den großen Schmieden zu messen.
Wolfgang Hilbig: "Bilder vom Erzählen". Gedichte. Mit Radierungen von Horst Hussel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001. 64 S., geb., 97,79 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wolfgang Hilbig im lyrischen Gespräch / Von Harald Hartung
Nicht jeder, den die genaue und zugleich wilde Welt seiner Prosa fasziniert, weiß, daß Wolfgang Hilbig als Lyriker debütierte: nämlich 1979 mit dem Band "abwesenheit". Dieses Buch machte seinen Verfasser in der DDR zur Unperson: Es trug ihm einige Wochen Haft und ein Verfahren wegen Devisenvergehens ein. Die Gedichte des ehemaligen Bohrwerkdrehers und Heizers malten expressive Bilder der Entfremdung. Sie drückten aber auch Hilbigs Willen zur Unabhängigkeit aus. "ihr habt mir ein haus gebaut", hieß es in einem dieser Gedichte, "laßt mich ein anderes anfangen."
Doch aus diesem Haus wurde nichts. Der DDR-Bürokratie war der Dichter unbequem geworden. 1985 konnte Hilbig in die Bundesrepublik übersiedeln. Sein im Jahr darauf erschienener Band "versprengung" kulminierte in Chiffren von Auflösung und Regression, aber er führte auch an die Grenzen von Hilbigs lyrischen Möglichkeiten. Der düster pathetische Ton ließ sich nicht unendlich fortschreiben. Routine drohte, und der Lyriker griff zur Selbstbezichtigung: "das wort lyrik / das so lauwarm lullt sekundärpoesie."
Was Resignation schien, war schon Rettung: Hilbig hatte die erzählende Prosa als Möglichkeit der Selbst-Objektivierung entdeckt. Er delegierte seine Zweifel und Verzweiflungen an die Gestalten seiner Erzählungen und Romane. Etwa an die Spiel- und Spiegelfigur W., die uns im Roman "Ich" (1993) in die Labyrinthe der Stasi führt. Seinem bisher letzten Roman "Das Provisorium" (2000) gab Hilbig ein Motto von Strindberg. Darin ist vom Opfer der Biographie und der Person die Rede, aber auch von der Möglichkeit, das Leben "von allen Seiten" zu sehen: "Das versöhnte mich mit dem Unglück, und es lehrte mich, mich selbst als Objekt aufzufassen."
Nun ist Hilbig nach fünfzehnjähriger Pause zur Lyrik zurückgekehrt. Der sechzigste Geburtstag mag den Anlaß zu einer lyrischen Lebensbilanz gegeben haben. Ihr Titel "Bilder vom Erzählen" scheint eine Referenz zur Arbeit des Epikers zu liefern. Eines der Gedichte heißt "Nach der Prosa", doch aus ihm spricht durchaus nicht der Stolz des Erzählers Hilbig, sondern Desillusion und Verzweiflung: "Nun bin ich alt und in den Staub geworfen / Aller Gesang gesungen und zu grauser Asche ward mein Vers." Hilbig spricht als Lyriker und von Lyrik - fast so, als hätte es seine Erzählprosa nie gegeben.
So erstaunt nicht, daß auch im Titelgedicht "Bilder vom Erzählen" vom Erzählen nicht die Rede ist. Der Dichter überläßt sich dem Sog der Bilder. Sein hymnisch-elegischer Text evoziert das Meer. Es fasziniert ihn womöglich deshalb, weil es nicht zu erzählen ist: "Niemand weiß etwas zu sagen vom Meer". Doch am Schluß erscheint ein schwarzer Mystagoge, ein riesiger amerikanischer Rabe: "Wer bist du? so schien er mich zu fragen. - Und ich fragte ihn ein Gleiches."
Dieser Mystagoge, der sein Geheimnis verbirgt, mag von Edgar Allan Poe abstammen. Ihm nämlich galt seinerzeit in "versprengung" die Frage: "war das gedicht der rabe von e. a. poe not / wendig?" Offenbar schon. Denn Hilbig kommt in diesen späten Gedichten erstaunlich oft auf die klassische Moderne zurück. In dem Gedicht "Die Zisterne" heißt es rührend ungeschickt: "Einmal ihr Musen noch blättern / im Traumbuch der Moderne."
In dieses Traumbuch gehört auch ein anderer Erzvater, nämlich Ezra Pound. Das Langgedicht "Saturnische Ellipsen" kreist um ein Zitat aus Pounds "Canto I", aber gleichsam in negativer Absicht, wie Hilbig in einer Anmerkung erläutert: "Die Stelle wird hier zitiert (und später entstellt zitiert) aufgrund ihrer Zusammenhanglosigkeit mit dem Text, in dem sie erscheint." Solch ein Dementi ist natürlich ambivalent: der Leser stellt den negierten Kontext für sich her. Und sei es, indem er Hilbigs Entstellung von Pounds Text realisiert.
Odysseus-Pound bricht auf, um Ithaka wiederzufinden. Ziemlich zu Anfang heißt es: "Came we then to the bounds of deepest water, / To the Kimmerian lands, and peopled cities". Hilbigs lyrisches Alter ego, das vermeint, in einer Stadt zu sein, die es nicht mehr verlassen kann, operiert mit der Negation: aus Pounds "peopled cities" werden "unpeopled cities" - also offenbar solche, die den Aufbruch nicht lohnen. Hilbig wird keine Odyssee schreiben. Aber seine poetische Abendphantasie hat einen großen und reichen Ton.
Die "Bilder vom Erzählen" sparen den Epiker Hilbig aus. Seine erzählerischen Arbeiten, die ihn doch berühmt machten, scheint der Sechzigjährige hinter sich zu lassen wie verbrannte Schiffe. Spielend und anspielend ergeht er sich im Traum- und Musterbuch der lyrischen Moderne. Selbst wo Hilbig eine Formel für sein eigenes Leben sucht, bemüht er einen der Alten Meister, nämlich den Eliot der "Four Quartetts": "Ein Spott / mein End gewirkt in meinen Anfang". Man möchte dem Dichter, der sich in bitterschönen Bildern von Zweifel und Resignation ergeht, eine Zeile vorhalten, die er selbst als groß bezeichnet: "Das Eisen selbst sucht sich den Mann". Diese Zeile gilt auch heute, wo es wenig aussichtsreich scheint, sich an den großen Schmieden zu messen.
Wolfgang Hilbig: "Bilder vom Erzählen". Gedichte. Mit Radierungen von Horst Hussel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001. 64 S., geb., 97,79 DM.
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