Je größer der Markt der Bilder, umso sichtbarer werden die Prinzipien des Austausches, der Auswahl und Verfügbarkeit von Bildmaterial und die Zahl der Personengruppen und Techniken, die zur Entstehung einer gemeinsamen Bildsprache beitragen. Wirtschaftliche Prozesse befördern die Herausbildung eines ikonischen Sehens, das nach Gegenständen und Bedeutungen fragt und in dem das Bild nicht mehr nur Ware, sondern Währung ist – Vorgänge, die die historische Bilderproduktion und deren Ikonologien ebenso geprägt haben wie die neuen Ikonologien der Massenmedien, derer sich die Kunstgeschichte verstärkt annehmen sollte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2004Durchschnittlichkeit als Schlüssel zum Erfolg
Matthias Bruhn untersucht die weltweit ins Kraut schießende Wirtschaft mit den Bildern für alle Fälle
Was haben ein Elefant und eine Kaffeekanne gemeinsam? Eigentlich nichts. Im Bild können sie sich aber verblüffend ähnlich sehen: Stellt man die Kaffeekanne auf den Kopf, zeichnet nur die Umrißlinien, wird aus dem Ausschenkhals ein Rüssel, aus der Kanne der Rumpf und aus dem Henkel der Schwanz des Elefanten. Im Abbild kann so Ungleiches gleich aussehen. Den Trick kennt jeder Karikaturist, der Kaffeekannen in Elefanten oder Altbundeskanzler in Birnen verwandelt.
Daß Kunsthistorikern die umgekehrte Aufgabe zukommt, Ordnung in der verwirrenden Ähnlichkeit von Bildern zu schaffen, möchte man bei der Analyse von Medienbildern häufig anmerken. Die Grenze zwischen Kunsthistoriker und Karikaturist verschwimmt beispielsweise, wenn das Foto vom toten Uwe Barschel in der Badewanne mit Davids Historiengemälde "Der Tod des Marat" verglichen wird. Die Ähnlichkeit der beiden Bilder ist angesichts des gleichen Sujets kaum zu vermeiden. Daß der Pressefotograf aber David zitiert oder die Wahrnehmung der Leser, die das Bild in den Medien sehen, durch Davids Gemälde gesteuert ist, das scheint so unwahrscheinlich wie die Behauptung, der Erschaffer eines Elefantenbildes zitiere das Bild einer umgedrehten Kaffeekanne.
Befreiend wirkt vor diesem Hintergrund die Studie "Bildwirtschaft" des Kunsthistorikers Matthias Bruhn. Er beschäftigt sich mit den Produktionsstätten, an denen die Bilder gemacht werden, die uns in Werbung und Medien umgeben. Sein Interesse gilt nicht den Skandalen wie der Benetton-Kampagne, sondern der "visuellen Beiläufigkeit", Bildern, die man vergißt, nachdem man sie gesehen hat: Das rüstige alte Ehepaar auf der Parkbank, das lächelnd im Prospekt einer Versicherung wirbt oder der sorgenfreie Herr im Schwimmbad auf dem Plakat im Schaufenster einer Bankfiliale. "Stock photography", Vorratsfotografie heißen diese Bilder, die in den Archiven der Bildagenturen lagern, geordnet nach Rubriken wie "Freizeit", "Wirtschaft" oder "Zukunft".
Die Marktführer unter den Bildagenturen sind das von Bill Gates gegründete Unternehmen Corbis und Getty Images. Sie halten weltweit die Rechte an einem gigantischen Arsenal von Fotografien, zeitgenössischen wie historischen, die in atemberaubendem Tempo aufgekauft werden. Denn, so Bruhn, es gibt nicht zu viele Bilder, wie die Rede von der Bilderflut Glauben machen will, sondern zu wenige.
In diese Lücke stößt die Vorratsfotografie. Über die digitalisierten Online-Archive der Agenturen ist sie bequem erhältlich. In der Durchschnittlichkeit liegt der Schlüssel zum Erfolg. Ein Archivbild verkauft sich oft, wenn es an vielen Stellen verwendet werden kann. Zugleich muß es den Eindruck vermitteln, es sei speziell auf seinen Zweck zugeschnitten.
Die Endlosschlaufe solcher Vorratsmotive zeigt der Autor an verblüffenden Beispielen: Da gibt es ein Gesicht, das in der immer gleichen Profilaufnahme für die AOK und die Deutsche Bahn wirbt. Oder eine Walküre mit gelben Zöpfen, die unter dem Schlagwort "Kraft" seit 1997 im Archivkatalog der Bildagentur Tony Stone Images lagert und 2002 in der Werbung des Berliner Stromversorgers Bewag für den Slogan "Bewag - die Kraft dahinter" wirbt. Leider bleibt der Autor nicht immer so dicht am Material.
Der Leser wird nach Bruhns Studie häufiger den Bildnachweis unter Abbildungen lesen und staunen, wie viele Bilder aus den Archiven der Agenturen stammen. Das System perfektioniert den Stereotyp: Das Foto einer Mutter mit Kind muß Vitaminpräparate und Fußbodenheizungen bewerben, dazu Artikel über Alleinerziehende bebildern, um die Herstellungskosten einzuspielen. Ob Mutter und Kind Raffaels "Madonna im Grünen" ähneln, mag sich dann fragen, wer will.
JULIA VOSS
Matthias Bruhn: "Bildwirtschaft". Verwaltung und Verwertung der Sichtbarkeit. VDG Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften, Weimar 2003. 227 S., Abb., br., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Matthias Bruhn untersucht die weltweit ins Kraut schießende Wirtschaft mit den Bildern für alle Fälle
Was haben ein Elefant und eine Kaffeekanne gemeinsam? Eigentlich nichts. Im Bild können sie sich aber verblüffend ähnlich sehen: Stellt man die Kaffeekanne auf den Kopf, zeichnet nur die Umrißlinien, wird aus dem Ausschenkhals ein Rüssel, aus der Kanne der Rumpf und aus dem Henkel der Schwanz des Elefanten. Im Abbild kann so Ungleiches gleich aussehen. Den Trick kennt jeder Karikaturist, der Kaffeekannen in Elefanten oder Altbundeskanzler in Birnen verwandelt.
Daß Kunsthistorikern die umgekehrte Aufgabe zukommt, Ordnung in der verwirrenden Ähnlichkeit von Bildern zu schaffen, möchte man bei der Analyse von Medienbildern häufig anmerken. Die Grenze zwischen Kunsthistoriker und Karikaturist verschwimmt beispielsweise, wenn das Foto vom toten Uwe Barschel in der Badewanne mit Davids Historiengemälde "Der Tod des Marat" verglichen wird. Die Ähnlichkeit der beiden Bilder ist angesichts des gleichen Sujets kaum zu vermeiden. Daß der Pressefotograf aber David zitiert oder die Wahrnehmung der Leser, die das Bild in den Medien sehen, durch Davids Gemälde gesteuert ist, das scheint so unwahrscheinlich wie die Behauptung, der Erschaffer eines Elefantenbildes zitiere das Bild einer umgedrehten Kaffeekanne.
Befreiend wirkt vor diesem Hintergrund die Studie "Bildwirtschaft" des Kunsthistorikers Matthias Bruhn. Er beschäftigt sich mit den Produktionsstätten, an denen die Bilder gemacht werden, die uns in Werbung und Medien umgeben. Sein Interesse gilt nicht den Skandalen wie der Benetton-Kampagne, sondern der "visuellen Beiläufigkeit", Bildern, die man vergißt, nachdem man sie gesehen hat: Das rüstige alte Ehepaar auf der Parkbank, das lächelnd im Prospekt einer Versicherung wirbt oder der sorgenfreie Herr im Schwimmbad auf dem Plakat im Schaufenster einer Bankfiliale. "Stock photography", Vorratsfotografie heißen diese Bilder, die in den Archiven der Bildagenturen lagern, geordnet nach Rubriken wie "Freizeit", "Wirtschaft" oder "Zukunft".
Die Marktführer unter den Bildagenturen sind das von Bill Gates gegründete Unternehmen Corbis und Getty Images. Sie halten weltweit die Rechte an einem gigantischen Arsenal von Fotografien, zeitgenössischen wie historischen, die in atemberaubendem Tempo aufgekauft werden. Denn, so Bruhn, es gibt nicht zu viele Bilder, wie die Rede von der Bilderflut Glauben machen will, sondern zu wenige.
In diese Lücke stößt die Vorratsfotografie. Über die digitalisierten Online-Archive der Agenturen ist sie bequem erhältlich. In der Durchschnittlichkeit liegt der Schlüssel zum Erfolg. Ein Archivbild verkauft sich oft, wenn es an vielen Stellen verwendet werden kann. Zugleich muß es den Eindruck vermitteln, es sei speziell auf seinen Zweck zugeschnitten.
Die Endlosschlaufe solcher Vorratsmotive zeigt der Autor an verblüffenden Beispielen: Da gibt es ein Gesicht, das in der immer gleichen Profilaufnahme für die AOK und die Deutsche Bahn wirbt. Oder eine Walküre mit gelben Zöpfen, die unter dem Schlagwort "Kraft" seit 1997 im Archivkatalog der Bildagentur Tony Stone Images lagert und 2002 in der Werbung des Berliner Stromversorgers Bewag für den Slogan "Bewag - die Kraft dahinter" wirbt. Leider bleibt der Autor nicht immer so dicht am Material.
Der Leser wird nach Bruhns Studie häufiger den Bildnachweis unter Abbildungen lesen und staunen, wie viele Bilder aus den Archiven der Agenturen stammen. Das System perfektioniert den Stereotyp: Das Foto einer Mutter mit Kind muß Vitaminpräparate und Fußbodenheizungen bewerben, dazu Artikel über Alleinerziehende bebildern, um die Herstellungskosten einzuspielen. Ob Mutter und Kind Raffaels "Madonna im Grünen" ähneln, mag sich dann fragen, wer will.
JULIA VOSS
Matthias Bruhn: "Bildwirtschaft". Verwaltung und Verwertung der Sichtbarkeit. VDG Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften, Weimar 2003. 227 S., Abb., br., 24,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Sehr aufschlussreich findet Julia Voss diese Studie des Kunsthistorikers Matthias Bruhn, die die weltweite Wirtschaft mit den in Werbung und Medien allgegenwärtigen Bildern beleuchtet. Nicht skandalträchtige Bilder wie die der Benetton-Kampagne stehen laut Rezensentin dabei im Vordergrund, sondern Bilder, die sich durch "visuelle Beiläufigkeit" auszeichnen, die man vergesse, nachdem man sie gesehen habe (etwa das rüstige alte Ehepaar auf der Parkbank, das lächelnd im Prospekt einer Versicherung wirbt). Diese "Stock photography - Vorratsfotografie" genannten Bilder lagern, geordnet nach Rubriken wie "Freizeit", "Wirtschaft" oder "Zukunft", in den Archiven der großen Bildagenturen, und Bruhn zeige, dass sie offenbar dann besonders erfolgreich sind, wenn sie mit Durchschnittlichkeit auftrumpfen. Ein Archivbild, das an vielen Stellen verwendet werden könne und zugleich den Eindruck vermittele, es sei speziell auf seinen Zweck zugeschnitten, verkaufe sich dementsprechend oft.
© Perlentaucher Medien GmbH
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