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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Tim Parks hat führende Neurologen besucht – und ein höflich-skeptisches Buch über die Hirnforschung geschrieben
Dieses Buch verdankt sich einem Erstaunen, das einst, und nicht zu Unrecht, als der Beginn aller Philosophie galt. Wie kann es sein, dass man noch nie ein Ding von allen Seiten gesehen hat (den Schrank im Schlafzimmer zum Beispiel nicht von unten) und es dennoch mit vollem Vertrauen als Ganzes für sich in Anspruch nimmt, dass man es in ein Wort fasst, als wäre damit alles getan? Und wo überhaupt steht der Schrank? Steht er draußen im Zimmer, wo er hingehört und wir ihn brauchen, oder nicht vielleicht doch in unserem Kopf, wo allein, wie es heißt, sich unser Bewusstsein und alle unsere Erfahrungen abspielen? Aber wo wäre dann der Kopf? Diese Fragen sind alt und oft behandelt worden, haben aber bis heute nicht ihre Kraft verloren, schon nach wenigen Schritten in die Aporie zu führen.
Tim Parks, aus England stammender Romanautor und Kulturwissenschaftler, der seit Langem in Italien lebt, hat sich hier auf die Seite der Theorie vom „spread mind“ seines Freundes Riccardo Manzotti geschlagen. Diese besagt, Ich und Welt seien weder völlig unverbunden, wie es etwa Kant behauptet, noch sei alle Realität und Erfahrung ein Produkt unserer 100 Milliarden Neuronen, wie es der heutigen Wissenschaft vom Gehirn entspricht, sondern verdankten sich einer Begegnung und Berührung beider, von Subjekt und Objekt.
Das ist eigentlich so wahr und selbstverständlich, dass man weder völlig versteht, wie es Parks zur Erleuchtung werden konnte, noch, weshalb diese Theorie auf so erbitterten Widerstand trifft. Sie hält das Offensichtliche fest, ohne es weiter erklären zu wollen, besitzt aber dennoch die Qualität des Provokanten.
Im Rahmen eines Projekts, das den Dialog zwischen Geistes- und Naturwissenschaften befördern soll, landet Parks in Heidelberg, wo einige der weltweit führenden Neurowissenschaftler ihrer Arbeit nachgehen.
Dort spaziert Parks durch die Altstadt und nimmt unter den überwiegend missbilligenden Blicken der anderen Gäste mit seiner nur halb so alten italienischen Lebensgefährtin das Hotelfrühstück ein; und überhaupt ist dies, mindestens so sehr wie über Ich und Hirn, auch ein Buch über die Erlebnisse eines Angelsachsen in der Welt von Kaiserschmarrn und Eichendorff, was ihm gelegentlich einen etwas neckischen Ton verleiht.
Aber wenn dies eine Abschweifung ist, dann eine gezielte. Parks versichert sich immer wieder, wenn er an diesem altehrwürdigen Hort der Wissenschaft die Koryphäen aufsucht, seiner eigenen unregulierten Erfahrung.
Und mit seiner scheinbaren Naivität trägt er den Geist der Subversion ins Reich der Forschung. Dort benimmt er sich wie Inspektor Columbo, der es ja auch darauf anlegt, dass ihn alle unterschätzen und höchstens als erheiternde Nervensäge registrieren: Gerade so kriegt er die Übeltäter! Alle empfangen ihn freundlich und zeigen ihm ihre Labors, denn was sie treiben, ist zwar komplex, doch nicht geheim. Immer wieder betont er seine Unbedarftheit, und bestimmt hätte er da etwas falsch verstanden – nein nein, nein, bekommt er darauf gönnerhaft zu hören, das habe er sehr gut aufgefasst. Dabei zieht sich insgeheim die Schlinge zu.
Die berühmte Forscherin, die über die Gesichtserkennung bei Babys arbeitet, muss erkennen, dass sie ständig die Wörter „Code“ und „Repräsentation“ verwendet, ohne angeben zu können, was damit eigentlich gemeint ist; und sehr genau vermerkt er, wo das Gespräch mit ihr aufhört, wirklich eins zu sein, und wann sie „auf Autopilot“ schaltet. Thomas Fuchs, Vertreter des „Enaktivismus“, der darauf beharrt, Bewusstsein entstehe im intentionalen Bezug zur Welt, weiß keine Antwort auf die Frage, weshalb in unserem Bewusstsein dann auch so viele Sachen auftauchen, die uns völlig egal sind, wie beispielsweise diese Zimmerdecke.
Das Kernstück des Buches bildet die kritische Zerlegung einiger wissenschaftlicher und populärer Darstellungen, worin er dem ganzen Fach nachweist, wie sehr es mit konzeptueller Besinnungslosigkeit geschlagen ist. Insbesondere was das Bewusstsein angeht, herrscht heillose Konfusion: eine „superveniente“ Eigenschaft sei etwas, was „dazukommt“ – der Ausdruck hat so viel Erklärungswert wie ein lautes „Ah!“ beim Anblick eines Feuerwerks am Nachthimmel.
Das Bewusstsein macht die Wissenschaftler wahnsinnig, weil hier ein offensichtlich primäres Phänomen sich zugleich als nicht in seine Teile zerlegbar erweist, wie sie es vom Sezieren von Mäusegehirnen gewohnt sind. Da produzieren sie dann unerleuchtete Sätze, die Parks sich Stück für Stück vornimmt, um dann etwa zu folgendem Befund zu gelangen:
„Dieser letzte Satz ist wirklich außergewöhnlich. Diese renommierten Wissenschaftler geben zunächst zu, dass ihnen die ,überprüfbaren‘ Theorien dafür fehlen, was Bewusstsein ist, postulieren im Anschluss aber sogleich, dass es einerseits ein Bewusstsein gibt und andererseits ein ,physisches Substrat‘ oder eine zugrunde liegende materielle Basis des Bewusstseins, was andeutet, dass Bewusstsein selbst nicht physisch ist. Das läuft in sich schon auf eine Theorie des Bewusstseins hinaus und überdies zu einer, die unausweichlich dualistisch ist.“
Und sie merken es nicht. Vor dieser Blindheit verharrt Sparks in höflicher, aber tiefer Verwunderung.
Wie kann ein intelligenter Mensch einen Satz hinschreiben wie „Unser Hirn erzählt uns eine Geschichte, und wir nehmen sie ihm ab, egal, wie sie aussieht“? Da muss es es ein „Wir“ geben, welches vom Hirn getrennt ist, was in der Behauptung vom Hirn als „erzählender“ und das heißt letztlich ja erlebender Instanz ja gerade ausgeschlossen wurde.
Parks zitiert längere Passagen aus einem Werk mit dem Titel „Neurology for Dummies“ und schließt mit der Frage, wer hier denn wirklich der Dummy sei. Für seine Verhältnisse ist das schon sehr krass.
Doch bleibt Parks zu wach und selbstironisch, um sich im Triumph zu sonnen. Im unbefriedigenden Stand der Diskussion sieht er auch den Waffenstillstand zwischen zwei an sich unvereinbaren Bedürfnissen der Gesellschaft: Es möge alles wissenschaftlich kontrollierbar sein – und der Mensch und sein Geist sollen trotzdem unser sehr exklusives Geheimnis bleiben. Weil sie es uns erspart, eine Entscheidung treffen zu müssen, meint er, zahlen wir gern für die teure und extravagante Sackgasse dieser Forschung.
BURKHARD MÜLLER
Doch bleibt er zu wach
und selbstironisch, um sich
im Triumph zu sonnen
Tim Parks: Bin ich mein Gehirn? Dem Bewusstsein auf der Spur. Aus dem Englischen von Ulrike Becker. Kunstmann, München 2021.
303 Seiten, 25 Euro.
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