Ein Buch wie ein Vermächtnis. Tomas Espedal schreibt in seinem bislang intimsten Buch über die Orte, an denen er lebte, die Frauen, die er begehrte, die Gesichter derer, die er als junger Boxer zertrümmerte, die Bücher, die er las, und über die Liebe zu seiner sterbenden Mutter. Espedal lotet die Grenzen von fiktionalem und autobiografischem Schreiben aus : In jedem der in sich eigenständigen Texte »Biografie«, »Tagebuch« und »Briefe« gibt er schmerzvoll preis, wie er wurde, was er ist, bis am Ende der Schriftsteller über die Privatperson siegt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2017Haushalt und ein leeres Blatt Papier
Schriftsteller zu sein ist kein Ponyhof: Tomas Espedals "Biografie, Tagebuch, Briefe"
Menschen, die keine Schriftsteller sind, erscheint Schreiben wie ein Kinderspiel. Was gibt es Einfacheres, Schöneres, stellen sie sich vor, als sich morgens mit einer Tasse Kaffee an den Tisch zu setzen, während die anderen zur Arbeit fahren? Der Schriftsteller sitzt allein in seinem Zimmer, träumt zum Fenster hinaus und hat bis mittags ein paar Seiten gefüllt. Und nach ein paar Wochen ist ein Buch fertig, das ihn reich macht und berühmt.
Natürlich ist alles ganz anders. Schreiben ist eine Qual. Die Augenblicke, in denen der Rausch kommt und das Schreiben reines Glück ist, sind rar. Sie müssen erkämpft werden durch tägliches Sich-Niedersetzen und Starren aufs leere Papier; durch Zweifel und Schreibenwollen, aber Nichtschreibenkönnen. Einem echten Schriftsteller ist der Schreibtisch der ihm einzig mögliche, wahre Ort - und zugleich höllisches Gefängnis.
Der Norweger Tomas Espedal ist so ein Schriftsteller. Er kommt vom Schreiben nicht los, auch wenn er nach außen hin etwas ganz anderes tut: wie ein Besessener durch die Gegend streift etwa, Holz hackt oder seinen beiden Töchtern Essen macht. Er lebt allein mit ihnen, nachdem seine geliebte Ehefrau Agnete viel zu früh gestorben ist. Jetzt führt er das Doppelleben, das alle Künstler kennen, ohne jede Ausbruchmöglichkeit, und ist oftmals der Verzweiflung nahe, weil er nicht weiß, wie er beide Leben zu einem zusammenführen soll: "Wenn ich geschrieben habe, bin ich niemand. Ich bin niemand, und wie soll ich dann den Alltag bewältigen?"
Dabei braucht er den Alltag, als Halt und Material: Immer wieder beschreibt Espedal die täglichen Verrichtungen, zu denen er, einerseits, gezwungen ist und die, andererseits, seinen Hang zur Selbstzerstörung mildern. Als Jugendlicher hat er geboxt, um destruktive Energie abzuleiten; später hat er zwei Jahre lang an dem Versuch gearbeitet, sich selbst auszulöschen - durch exzessives Trinken. Und jetzt? Jetzt ist er allein mit den Töchtern, und seine latenten Fluchtimpulse sind in der Verantwortung für sie gebändigt. Er braucht sie, braucht dieses Leben in dem alten Haus, die Routinen, Wege, die zu machen sind, Einkäufe, Kochen und Aufräumen, er liebt dieses Leben und hasst es, will weg, kann nicht weg und beschreibt es also in immer neuen Variationen, kurzen Sätzen, die oft wie Aufzählungen daherkommen. Karg ist, was Espedal schreibt. Es entsteht in der äußeren Ereignislosigkeit, die gerade die Voraussetzung dafür ist, dass etwas in seinem Inneren geschieht.
In "Biografie, Tagebuch, Briefe" ist vor allem das Schreiben selbst Thema. Espedal ist ein Schriftsteller, der ganz im Medium der Schrift lebt. Er umkreist das, was man die Wahrheit seines Lebens (wie unser aller Leben) nennen könnte, sucht nach einer gültigen, seinem Erleben und Empfinden wahrhaftig Ausdruck gebenden Sprache. Das zu lesen ist schmerzhaft, quälend, oft deprimierend düster. Und dann wieder von überraschend aufblitzender, alles erleuchtender Schönheit.
Bettina Hartz
Tomas Espedal: "Biografie, Tagebuch, Briefe". Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Matthes & Seitz, 347 Seiten, 25 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schriftsteller zu sein ist kein Ponyhof: Tomas Espedals "Biografie, Tagebuch, Briefe"
Menschen, die keine Schriftsteller sind, erscheint Schreiben wie ein Kinderspiel. Was gibt es Einfacheres, Schöneres, stellen sie sich vor, als sich morgens mit einer Tasse Kaffee an den Tisch zu setzen, während die anderen zur Arbeit fahren? Der Schriftsteller sitzt allein in seinem Zimmer, träumt zum Fenster hinaus und hat bis mittags ein paar Seiten gefüllt. Und nach ein paar Wochen ist ein Buch fertig, das ihn reich macht und berühmt.
Natürlich ist alles ganz anders. Schreiben ist eine Qual. Die Augenblicke, in denen der Rausch kommt und das Schreiben reines Glück ist, sind rar. Sie müssen erkämpft werden durch tägliches Sich-Niedersetzen und Starren aufs leere Papier; durch Zweifel und Schreibenwollen, aber Nichtschreibenkönnen. Einem echten Schriftsteller ist der Schreibtisch der ihm einzig mögliche, wahre Ort - und zugleich höllisches Gefängnis.
Der Norweger Tomas Espedal ist so ein Schriftsteller. Er kommt vom Schreiben nicht los, auch wenn er nach außen hin etwas ganz anderes tut: wie ein Besessener durch die Gegend streift etwa, Holz hackt oder seinen beiden Töchtern Essen macht. Er lebt allein mit ihnen, nachdem seine geliebte Ehefrau Agnete viel zu früh gestorben ist. Jetzt führt er das Doppelleben, das alle Künstler kennen, ohne jede Ausbruchmöglichkeit, und ist oftmals der Verzweiflung nahe, weil er nicht weiß, wie er beide Leben zu einem zusammenführen soll: "Wenn ich geschrieben habe, bin ich niemand. Ich bin niemand, und wie soll ich dann den Alltag bewältigen?"
Dabei braucht er den Alltag, als Halt und Material: Immer wieder beschreibt Espedal die täglichen Verrichtungen, zu denen er, einerseits, gezwungen ist und die, andererseits, seinen Hang zur Selbstzerstörung mildern. Als Jugendlicher hat er geboxt, um destruktive Energie abzuleiten; später hat er zwei Jahre lang an dem Versuch gearbeitet, sich selbst auszulöschen - durch exzessives Trinken. Und jetzt? Jetzt ist er allein mit den Töchtern, und seine latenten Fluchtimpulse sind in der Verantwortung für sie gebändigt. Er braucht sie, braucht dieses Leben in dem alten Haus, die Routinen, Wege, die zu machen sind, Einkäufe, Kochen und Aufräumen, er liebt dieses Leben und hasst es, will weg, kann nicht weg und beschreibt es also in immer neuen Variationen, kurzen Sätzen, die oft wie Aufzählungen daherkommen. Karg ist, was Espedal schreibt. Es entsteht in der äußeren Ereignislosigkeit, die gerade die Voraussetzung dafür ist, dass etwas in seinem Inneren geschieht.
In "Biografie, Tagebuch, Briefe" ist vor allem das Schreiben selbst Thema. Espedal ist ein Schriftsteller, der ganz im Medium der Schrift lebt. Er umkreist das, was man die Wahrheit seines Lebens (wie unser aller Leben) nennen könnte, sucht nach einer gültigen, seinem Erleben und Empfinden wahrhaftig Ausdruck gebenden Sprache. Das zu lesen ist schmerzhaft, quälend, oft deprimierend düster. Und dann wieder von überraschend aufblitzender, alles erleuchtender Schönheit.
Bettina Hartz
Tomas Espedal: "Biografie, Tagebuch, Briefe". Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Matthes & Seitz, 347 Seiten, 25 Euro
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»Versucht man, das in einzelne, motivisch mehr oder weniger verknüpfte, manchmal epiphanische Momentaufnahmen aus dem Leben der Autorfigur zerfallende Werk als ein Ganzes zu lesen, ergibt sich der Eindruck, es führe vor, wie sich ein 'trauerschweres' Bewusstsein schreibend aus dem Nebel zurück ins Leben fährt.« - Insa Wilke, Süddeutsche Zeitung Insa Wilke SZ - Süddeutsche Zeitung 20170620