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Ferenc Barnás erzählt von ungarischem Familienstress
Als "brillant" charakterisiert der ungarische Essayist László Földényi die Prosa seines Landsmannes Ferenc Barnás; beide wurden in Debrecen geboren, Földényi Jahrgang 1952, Barnás Jahrgang 1959. Von Földényi literarisch geadelt zu werden ist ein Privileg, das nicht vielen ungarischen Schriftstellern zuteilwird. Barnás wurde erst in den Neunzigerjahren zum freien Schriftsteller. Davor war er Gymnasiallehrer, Straßenmusiker und Museumswärter. Auf Umwegen und vielleicht auch Irrwegen fand er zur Literatur und zu einem eigenen Ton. Noch im vorliegenden Roman, der im Original 2019 in Budapest erschien, dankt er seiner Lektorin, ihr bleibendes Verdienst sei es, dass er in "Bis ans Ende unserer Leben" seine endgültige sprachliche Form gefunden habe.
Im Mittelpunkt steht der Schriftsteller Sebestyén Paulich, von seinen neun Geschwistern Sebi genannt. Er versteht sich als Philosophiehistoriker und Ästhet. "Ontologische Untersuchungen" hat er seine Familiengeschichte betitelt, die allerdings bei der Familie nicht allzu gut an-kommt. Vor allem sein Vater ist empört, weil der Sohn ihn vor aller Öffentlichkeit als Familientyrann bloßstellt. Der Familienkreis, den Sebi durchschreitet, ist umfangreich, 42 Personen, darunter 21 Enkelkinder - "Familienbande" im spöttischen Sinne von Karl Kraus. Die bietet reichlich Stoff für Zerwürfnisse, Denunziationen, Ausgeschlossen-Sein und Wiederversöhnungen, Hass und Misstrauen, aber auch Liebe und Zuneigung blitzen auf. Feste sind eine willkommene Gelegenheit, ob bei Hochzeiten oder Beerdigungen, ungezügelt die Emotionen zu zeigen. Der Beobachter Sebi bleibt dabei ein Außenseiter. Als er auch noch eine erheblich jüngere Frau in die Familie bringt, hängt der Segen vollends schief. Sebi und seine Frau Lil sind ein merkwürdiges Paar, reden kaum miteinander, aber lieben sich innig. Lil wird von der Beerdigung des Vaters ausgeschlossen, wie es eben ist in Familien, die eine entwickelte Streitkultur haben. Sie geht eigene Wege, die in Indonesien enden. Dort war sie als junge Frau im Import- Export-Geschäft für indonesische Billigklamotten und Souvenirs tätig, später wechselt sie ins politische Fach bei einem Abgeordneten, der die ungarische Demokratie retten will. Auf welcher Seite der Herr steht, bleibt unklar, aber Lil wird durch seine Vermittlung Konsulin in Jakarta, wo auch der Autor Barnás lebte oder sich noch immer aufhält.
Den ungarischen Familienstress wie auch die exotische Inselwelt Indonesiens beschreibt der Autor mit neusachlicher Nüchternheit. Das Schreiben bleibt Herausforderung. Auf einer der Inseln der Bandasee döst Sebi tagelang vor sich hin, er sitzt am Strand und schaut ver-träumt in die Ferne. Er möchte, und da ist er Földényi nahe, eine ikonographische Abhandlung schreiben, und plötzlich überkommt ihn die Arbeitswut, denn er will genauso fleißig sein wie seine Frau, die den Besuch des ungarischen Ministerpräsidenten in Jakarta vorbereiten muss. Wozu dieser Besuch gut sein soll, erfährt der Leser nicht, ebenso wenig wird er über den Text von Sebi in Kenntnis gesetzt: "Ich schrieb selbst dann, wenn mir nichts einfiel. Ich weiß gar nicht, was ich in solchen Momenten zu Papier brachte; ich schrieb und schrieb, stundenlang kritzelte ich vor mich hin, wenn es sein musste, strich ich ganze Absätze, oft schmiss ich die Arbeit eines ganzen Tages in den Müll."
Der Mann, der so heftig mit dem Schreiben ringt, für den der Sprachartist Miklós Mészöly ein Vorbild ist, Barnás, hat alle wichtigen ungari-schen Literaturpreise erhalten: 2001 den Sándor-Márai-Preis, 2006 den Tibor-Déry-Preis und 2009 den Milán-Füst-Preis. Seine Übersetzerin Eva Zador vermag seinen trockenen Ton famos zu treffen. Das ist nicht leicht oder gar einfach, denn statt einer blumen- und metaphernreichen Sprache reduziert der Autor sein Sprachgerüst auf ein Minimum. Die exotische Schönheit Indonesiens darf nicht erblühen, alles bleibt molto secco und präzise. Das ist eine hohe Kunst, aber man muss sie mögen. LERKE VON SAALFELD
Ferenc Barnás:
"Bis ans Ende unserer Leben". Roman.
Aus dem Ungarischen von Eva Zador. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2022. 512 S., geb.,
28,- Euro.
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