„Wenn du erfährst, dass der Sinn deines Lebens nicht mehr existiert, spürst du erst einmal gar nichts.“ So geht es der 15jährigen Helene, denn ihre beste Freundin Cassie wurde bei einem Amoklauf getötet. Damit gerät Helenes komplettes Leben aus den Fugen und sie braucht lange, um sich mit Trauer,
Verlust, Hass auf den Täter und ihren eigenen Schuldgefühlen auseinanderzusetzen und langsam wieder…mehr„Wenn du erfährst, dass der Sinn deines Lebens nicht mehr existiert, spürst du erst einmal gar nichts.“ So geht es der 15jährigen Helene, denn ihre beste Freundin Cassie wurde bei einem Amoklauf getötet. Damit gerät Helenes komplettes Leben aus den Fugen und sie braucht lange, um sich mit Trauer, Verlust, Hass auf den Täter und ihren eigenen Schuldgefühlen auseinanderzusetzen und langsam wieder ins Leben zurück zu finden.
Erzählt wird die Geschichte in „Bis die Zeit verschwimmt“ von Svenja K. Buchner in Gegenwart und Vergangenheit aus Helenes Sicht. Sie nimmt den Leser mit auf ihre Entwicklungsreise, lässt ihn Trauer, Wut und Schmerz miterleben. Die Autorin ist Psychologin und geht mit den Themen Amoklauf, Trauer, Wut und Schuld sehr professionell um, schafft es aber, die Emotionen sehr klar zu zeigen. Die Charaktere sind kraftvoll und deutlich gezeichnet. Vor allem Cassie ist sehr präsent, sowohl in der Vergangenheit, als auch in der Gegenwart, die sie prägt, auch wenn sie physisch nicht mehr dabei ist.
Das Buch bietet inhaltlich keine leichte Lektüre, dazu ist das Thema „Amoklauf“ zu schwer und leider auch immer wieder zu aktuell. Die Masse an Gefühlen, die auf Helene einprasseln, sind mir zum Teil aber zu platt und zu plakativ aufgearbeitet. Insgesamt sind die Aktionen von Helene oft nicht rational nachvollziehbar – angesichts ihrer Situation vermutlich aber verständlich. Sie macht im Lauf der Geschichte sehr viel kaputt und tritt aus Egoismus reihum praktisch allen auf die Füße. Sie fordert ständig etwas ein. Rücksicht, Verständnis und Freundschaft – zu geben ist sie nicht wirklich bereit. Ich mag es, dass sie sich nicht um Konventionen schert, aber sie ist mir zu rücksichtslos. Daher konnte ich sie nicht sympathisch finden, auch wenn ich ihre Trauer verstehen kann. Mehr Mitgefühl hatte ich da mit ihrem Freund Erik und der Mutter von Cassie, die für mich wesentlich authentischer waren.
Ich finde es verständlich, dass sie versucht, sich an den Täter anzunähern, herauszufinden, warum er es getan hat. Aber sie trampelt auf den Gefühlen anderer (auch der Hinterbliebenen) herum und zum Teil konnte ich nur den Kopf schütteln. Nicht nur sie hat einen Verlust erlitten, sondern alle, mit denen sie zu tun hat – nicht zuletzt auch die Eltern des Amokläufers.
Dass sie die verwaiste Mutter einer Schülerin fragt, ob deren Vater eigentlich Unterhalt gezahlt hätte, fand ich nun doch zu taktlos und da es nichts mit der Tat zu tun hat, geht es geht sie schlicht nichts an und hat in der Geschichte konzeptionell auch nichts zu suchen. Seltsam ist auch ein Satz wie „»Was hast du so gemacht heute?«, frage ich und beiße in die Pizza, die unter Schinken und Käse vermutlich kaum noch atmen kann.“ – Pizza atmet nicht. An einer anderen Stelle verwechselt sie namentlich Jeremy (ein Opfer) und Peter (den Täter).
Die Handlung spielt sich auf mehreren Ebenen ab, in der Gegenwart und in der Vergangenheit, da sich Helene an gemeinsame Erlebnisse mit Cassie erinnert. Das Buch ist eine ganz guter Coming-of-Age-Roman. Sprachlich ist es gut zu lesen, der Stil ist flüssig und für die Zielgruppe angemessen, die stört sich vermutlich auch nicht an der plakativen Aufarbeitung und den Fehlern. Und wenn man eines aus dem Buch mitnehmen kann, dann, dass Trauern ein individueller Prozess ist und es kein „Richtig“ und kein „Falsch“ gibt. Er dauert Zeit und manchmal braucht man Hilfe. Tatsächlich kann ich auch den Wunsch „Auch wenn du es jetzt noch nicht glaubst – es wird ein gutes Jahr. Und es wird alles leichter“ so nicht unterschreiben. Es wird nicht leichter, es wird nur weniger schwer. Aber mit der Zeit haben auch diejenigen, die noch am Leben sind, ein Recht darauf, wieder glücklich zu sein, ohne die Verstorbenen „zu verraten“ oder „im Stich zu lassen“.
Aus Erwachsenensicht hätte ich wegen der Fehler für die gute Idee und die zum Teil sensible Umsetzung 3 Sterne gegeben, mein 15jähriges Ich hätte das Buch aber vermutlich besser gefunden, daher vergebe