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Chef nennt sie ihn nur ein einziges Mal - und dann in betonter Distanzierung: "Ich denke an all das Unglück . . ., hervorgerufen durch meinen Chef." Sonst spricht Traudl Junge in ihren 1947 niedergeschriebenen Erinnerungen immer von "Hitler" und nicht selten auch vom "Führer". Und nur einmal unterläuft ihr auf den gut 170 Seiten ihres Manuskripts so etwas wie eine Rechtfertigung. Hitler hat sich, im Frühjahr 1944, einen Bericht Eva Brauns über das "Elend" in München angehört, danach, so Traudl Junge, "schwor er Rache und Vergeltung und versprach, . . . den Feinden alles hundertfach heimzuzahlen." Drei Jahre später rutscht der damals siebenundzwanzig Jahre alten Autorin in eigener Sache dann der Satz heraus: "Leider haben sich diese Drohungen nie erfüllt." Sonst aber stellt sie sich immer aufs neue die Frage, warum sie so "vorurteilslos und unvoreingenommen" Hitlers Einfluß erlegen sei, warum es "erst des ganzen, restlosen Zusammenbruchs" bedurfte, "bis ich meine Klarheit und Sicherheit gewann". Und auch die Antwort ist - wie immer variiert - stets die gleiche: "Wenn man ihn so hörte, wie er harmlose Anekdoten erzählte und liebenswürdig und charmant plauderte, wer konnte dabei an Erschießungen, KZ und solche Dinge denken!" Die Aufzeichnungen aus dem Jahr 1947 sind jetzt zum ersten Mal veröffentlicht worden (Traudl Junge: "Bis zur letzten Stunde". Hitlers Sekretärin erzählt ihr Leben. Unter Mitarbeit von Melissa Müller. Claassen Verlag, München 2002. 272 S., geb., 19,-
JOCHEN HIEBER
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Eine späte Entdeckung
Auf der diesjährigen Berlinale hat eine Dokumentation von André Heller und Othmar Schmiderer besonderes Aufsehen erregt. Eine alte Dame, die bis dahin nur Historikern Auskunft über ihre ungewöhnliche Biografie gegeben hatte, erzählte erstmals vor der Kamera und mit erstaunlicher Selbstreflexion von ihrem Leben als Privatsekretärin von Adolf Hitler in den Jahren 1942-45. Parallel zu diesem Film - und historisch betrachtet skandalös spät - präsentiert dieses Buch ihre bereits 1947 entstandenen Aufzeichnungen. Eingeleitet werden sie durch einen klugen Essay von Melissa Müller.
Im Machtzentrum des NS-Staates
Erzählt wird zunächst die Geschichte einer etwas naiven und vor allem unpolitischen jungen Frau, die mehr durch Zufall zum Probediktat bei Adolf Hitler geladen wird, um dann fast drei Jahre lang nicht mehr von seiner Seite zu weichen. Obersalzberg, Wolfsschanze und Reichskanzlei hießen die regelmäßigen Stationen des Trosses von Hitler. Was Traudl Junge aus der nächsten Nähe Hitlers berichtet, handelt selten von großer Politik. Vielmehr zeichnet sie das Bild eines hermetisch von der Außenwelt abgeschlossenen Hofstaates, dessen Innenleben von mitunter unerträglicher Biederkeit und Trivialität war - dem Lebem im "Toten Winkel", wie auch die Film-Dokumentation heißt.
Teekränzchen, Spielen mit den Schäferhunden und väterliche Ratschläge des "Führers" lassen an Hannah Arendts These von der Banalität des Bösen denken. Wirklich herausragend ist der Schlussteil des Buches, in dem die letzten Wochen in der Reichskanzlei beschrieben werden. Atmosphärisch dicht und erstaunlich präzise beschreibt Junge die dramatischen Ereignisse im Führerbunker, die fast unwirklich erscheinen. "Es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen zum Abschied kein schöneres Geschenk machen kann." Mit diesen Worten verabschiedete sich Hitler von Traudl Junge und reichte ihr eine Zyankali-Kapsel. (Henrik Flor)