Kaum eine andere Gestalt der deutschen Geschichte ist so häufig dämonisiert worden wie Otto von Bismarck. Nicht selten werden dem Reichsgründer sämtliche Fehlentwicklungen der jüngeren deutschen Geschichte pauschal zur Last gelegt. Eberhard Kolbs konzises Portrait, dicht an den Quellen orientiert, bringt Persönlichkeit und Wirken Bismarcks auf ein menschliches Maß. Neben die großen Leistungen und Verdienste treten in ausgewogenem Urteil die Schattenseiten des «Eisernen Kanzlers».
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.12.2009Ohne Stiefel
Fürst Otto von Bismarck
Die herausragende Gestalt der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts möchte Eberhard Kolb "auf menschliches Maß" bringen. Dazu benötigt der Kölner Emeritus und exzellente Bismarck-Kenner fünf kleine, aber feine Kapitel: "Junge Jahre eines altmärkischen Junkers" (von der Geburt in Schönhausen am 1. April 1815 bis 1847), "Vom Gutsherrrn zum Politiker" (bis 1851), "Als Diplomat in Frankfurt, Petersburg, Paris" (bis 1862), "Großpreuße und Reichsgründer" (bis 1871), "Konsolidierung und Friedenswahrung" (bis 1890) und "Nach dem Abschied von der Macht" (bis zum Tod in Friedrichsruh am 30. Juli 1898). Der Leser erfährt von der hohen Fistelstimme und der etwas stockenden, das treffende Wort suchenden Redeweise Bismarcks. Als junger Mann schwärmte er für Marie von Blanckenburg - Frau eines guten Freundes, die Ende 1846 schwer erkrankte und starb. Auf deren Hochzeitsfeier hatte Bismarck Johanna von Puttkammer kennengelernt, die er 1847 heiratete. Sie "identifizierte sich bedingungslos mit ihres Gatten Auffassungen, Entscheidungen und Vorgehensweisen; seine Freunde waren ihre Freunde, seine Feinde ihre Feinde".
Im Jahr 1881 sorgte der älteste Sohn für ein "spektakuläres Familiendrama". Der als Diplomat und Privatsekretär seines Vaters tätige Herbert von Bismarck drohte aus dem Ruder zu laufen: Denn er "liebte leidenschaftlich die schöne und mondäne, zehn Jahre ältere Fürstin Elisabeth von Carolath, die sich seinetwegen scheiden ließ. Weil die Verwandtschaft der katholischen Fürstin im Lager der Anti-Bismarck-Fronde stand, lehnte der Kanzler Herberts Ehewunsch kategorisch ab. Es kam zu erregten Szenen, in denen Bismarck sogar mit Selbstmord drohte." Der evangelische Herbert lenkte ein, "doch die existentielle Lebenskrise machte den Kanzlersohn zu einem verbitterten, innerlich unfrohen, oft schroff auftretenden Mann". Zum Trost wurde er 1886 - gerade 37 Jahre alt - Staatssekretär des Auswärtigen Amts, nahm aber 1890 seinen Abschied, als sich Kaiser Wilhelm II. in plumper Art von dem Reichsgründer und Reichskanzler seit 1871 trennte.
Neben den weithin anerkannten außenpolitischen Leistungen würdigt Kolb im Schlusskapitel auch das durch Sozialistengesetze und Kulturkampf verdüsterte innenpolitische Erbe: eine funktionierende bundesstaatliche Ordnung, ein moderner Verwaltungsstaat sowie erste Schritte auf dem Weg zum Wohlfahrtsstaat durch Einführung der Sozialversicherung. Nach Bismarcks Tod habe der Kult um seine Person gewaltige Ausmaße angenommen: "Verhängnisvoll war dabei, dass der feinnervige, auf Maß und Mäßigung bedachte Diplomat immer mehr hinter dem Bild des martialischen ,Eisernen Kanzlers' in Kürassierstiefeln verschwand und so die Ikone eines rabiaten Nationalismus wurde, dem er zu seinen Lebzeiten ferngestanden hatte." Nach dem Ersten Weltkrieg habe die politische Rechte hemmungslos den Bismarck-Mythos zur Delegitimierung des Staates von Weimar eingesetzt: "Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnte Schritt für Schritt der antidemokratische Bismarck-Mythos beiseite geräumt werden."
RAINER BLASIUS
Eberhard Kolb: Bismarck. Reihe Wissen. Verlag C.H. Beck, München 2009. 144 S., 7,90 [Euro].
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Fürst Otto von Bismarck
Die herausragende Gestalt der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts möchte Eberhard Kolb "auf menschliches Maß" bringen. Dazu benötigt der Kölner Emeritus und exzellente Bismarck-Kenner fünf kleine, aber feine Kapitel: "Junge Jahre eines altmärkischen Junkers" (von der Geburt in Schönhausen am 1. April 1815 bis 1847), "Vom Gutsherrrn zum Politiker" (bis 1851), "Als Diplomat in Frankfurt, Petersburg, Paris" (bis 1862), "Großpreuße und Reichsgründer" (bis 1871), "Konsolidierung und Friedenswahrung" (bis 1890) und "Nach dem Abschied von der Macht" (bis zum Tod in Friedrichsruh am 30. Juli 1898). Der Leser erfährt von der hohen Fistelstimme und der etwas stockenden, das treffende Wort suchenden Redeweise Bismarcks. Als junger Mann schwärmte er für Marie von Blanckenburg - Frau eines guten Freundes, die Ende 1846 schwer erkrankte und starb. Auf deren Hochzeitsfeier hatte Bismarck Johanna von Puttkammer kennengelernt, die er 1847 heiratete. Sie "identifizierte sich bedingungslos mit ihres Gatten Auffassungen, Entscheidungen und Vorgehensweisen; seine Freunde waren ihre Freunde, seine Feinde ihre Feinde".
Im Jahr 1881 sorgte der älteste Sohn für ein "spektakuläres Familiendrama". Der als Diplomat und Privatsekretär seines Vaters tätige Herbert von Bismarck drohte aus dem Ruder zu laufen: Denn er "liebte leidenschaftlich die schöne und mondäne, zehn Jahre ältere Fürstin Elisabeth von Carolath, die sich seinetwegen scheiden ließ. Weil die Verwandtschaft der katholischen Fürstin im Lager der Anti-Bismarck-Fronde stand, lehnte der Kanzler Herberts Ehewunsch kategorisch ab. Es kam zu erregten Szenen, in denen Bismarck sogar mit Selbstmord drohte." Der evangelische Herbert lenkte ein, "doch die existentielle Lebenskrise machte den Kanzlersohn zu einem verbitterten, innerlich unfrohen, oft schroff auftretenden Mann". Zum Trost wurde er 1886 - gerade 37 Jahre alt - Staatssekretär des Auswärtigen Amts, nahm aber 1890 seinen Abschied, als sich Kaiser Wilhelm II. in plumper Art von dem Reichsgründer und Reichskanzler seit 1871 trennte.
Neben den weithin anerkannten außenpolitischen Leistungen würdigt Kolb im Schlusskapitel auch das durch Sozialistengesetze und Kulturkampf verdüsterte innenpolitische Erbe: eine funktionierende bundesstaatliche Ordnung, ein moderner Verwaltungsstaat sowie erste Schritte auf dem Weg zum Wohlfahrtsstaat durch Einführung der Sozialversicherung. Nach Bismarcks Tod habe der Kult um seine Person gewaltige Ausmaße angenommen: "Verhängnisvoll war dabei, dass der feinnervige, auf Maß und Mäßigung bedachte Diplomat immer mehr hinter dem Bild des martialischen ,Eisernen Kanzlers' in Kürassierstiefeln verschwand und so die Ikone eines rabiaten Nationalismus wurde, dem er zu seinen Lebzeiten ferngestanden hatte." Nach dem Ersten Weltkrieg habe die politische Rechte hemmungslos den Bismarck-Mythos zur Delegitimierung des Staates von Weimar eingesetzt: "Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnte Schritt für Schritt der antidemokratische Bismarck-Mythos beiseite geräumt werden."
RAINER BLASIUS
Eberhard Kolb: Bismarck. Reihe Wissen. Verlag C.H. Beck, München 2009. 144 S., 7,90 [Euro].
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