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Auch 200 Jahre nach seiner Geburt ist Otto von Bismarck eine hochgradig umstrittene, von Mythen umwobene Gestalt. Christoph Nonn schaut hinter die Legenden und entdeckt einen Mann, dessen Zeit unserer heutigen verblüffend ähnlich ist. Kriegstreiber oder Friedenspolitiker, Modernisierungsverhinderer oder weißer Revolutionär, Nationalheld oder Dämon der Deutschen: Die Liste der Beinamen, die Bismarck gegeben worden sind, ist lang. Doch der "Reichsgründer" war weder ein Übermensch noch ein Monster. Er feierte spektakuläre Erfolge und erlebte die größten Pannen, er war ein jähzorniger Choleriker…mehr

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Produktbeschreibung
Auch 200 Jahre nach seiner Geburt ist Otto von Bismarck eine hochgradig umstrittene, von Mythen umwobene Gestalt. Christoph Nonn schaut hinter die Legenden und entdeckt einen Mann, dessen Zeit unserer heutigen verblüffend ähnlich ist. Kriegstreiber oder Friedenspolitiker, Modernisierungsverhinderer oder weißer Revolutionär, Nationalheld oder Dämon der Deutschen: Die Liste der Beinamen, die Bismarck gegeben worden sind, ist lang. Doch der "Reichsgründer" war weder ein Übermensch noch ein Monster. Er feierte spektakuläre Erfolge und erlebte die größten Pannen, er war ein jähzorniger Choleriker und ein liebevoller Ehemann, ein treuer Freund Wilhelms I. ebenso wie ein rücksichtsloser Vollblutpolitiker. Aus solchen scheinbaren Widersprüchen setzt dieses Buch eine neue Sicht auf den "Eisernen Kanzler" jenseits der Mythen zusammen und zeichnet das Bild eines pragmatischen preußischen Konservativen. Dabei wird der Preuße Bismarck zum ersten Mal konsequent in die europäische Geschichte des 19. Jahrhunderts eingeordnet, die durch wachsende internationale und globale Vernetzung geprägt war - wie unsere heutige Welt auch.

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Autorenporträt
Christoph Nonn ist Professor für Neueste Geschichte an der Universität Düsseldorf. Bei C.H.Beck ist von ihm erschienen: Geschichte Nordrhein-Westfalens (2009).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.02.2015

Kein Genie
Christoph Nonn sieht in Otto von Bismarck eine Hebamme historischer Ereignisse
War Bismarck ein Genie der Politik? Für Jonathan Steinberg, dem wir die bislang letzte der voluminösen Biografien des Mannes verdanken, war er das, ein „souveränes Selbst“, wenn auch nicht zum Vorteil seines Landes. Das sieht Christoph Nonn anders. Er, Professor für neueste Geschichte in Düsseldorf, stellt sich die Frage nach der Genialität auch, zitiert Hans-Ulrich Wehler, der, obgleich er nicht an das „Männer machen Geschichte“ glaubte, in Bismarck eine „politische Potenz sui generis“ erkannte, und kommt zuletzt doch zu dem Schluss: „Bismarck war kein Genie. Er war ein begabter Diplomat und als Innenpolitiker leidlich erfolgreich.“ Dass ohne ihn die deutsche Geschichte anders verlaufen wäre, müsse „außerordentlich fragwürdig erscheinen“. Aber ein „Monster“ in ihm zu sehen, lehnt er gleichfalls ab.
  Damit ist schon angedeutet, was sein Bismarck-Buch, mit 400 Seiten von mittlerer Ausgiebigkeit, charakterisiert. Er will seinen Gegenstand als einen bedingten beschreiben, ihn europäisieren und aus seiner Herkunft erklären. Bismarck wurde 1815 geboren, der Vater, ein gutmütiger, aber schwacher Mann, gehörte zum Landadel, die Mutter, kühl und dominant – ihr Sohn liebte sie nicht – entstammte dem bürgerlich-gelehrten Milieu. Bismarck blieb sein ganzes Leben dem Land verhaftet. Auch als Kanzler verbrachte er große Teile des Jahres, oft die Hälfte und mehr, auf seinen Gütern Varzin und Friedrichsruh. Die Stadt blieb ihm fremd. Industrie, Technik, Wissenschaft, das betraf ihn nicht, das gab nach seinem Urteil dem Leben, dem des einzelnen und dem der Gesellschaft, zu wenig Halt. Und so hat er ganz selbstverständlich die Interessen des flachen Landes und das heißt: der Landwirtschaft nach vorn gestellt. Eigennutz war gewiss dabei, aber auch Überzeugung. Als die Weltmarktpreise für Agrarprodukte fielen, trat er für hohe Zölle ein. Der Reichstag stimmte zu und die Abgeordneten hatten Gründe: Bis in die 1890er Jahre lebte die Mehrzahl der Deutschen auf dem Land. Auskömmliche Agrarpreise waren für sie und nicht nur den Großgrundbesitz von höchster Bedeutung.
  Bismarck schrieb der Landbevölkerung eine konservative Grundhaltung zu, das ließ ihn 1866 zum allgemeinen Wahlrecht greifen: der elementare Konservatismus der ärmeren Leute sollte die liberalen Neigungen der wohlhabenderen Städter balancieren. Doch Bismarck dachte auch außenpolitisch konservativ. Die Donaumonarchie und Russland waren seine bevorzugten Partner. Großbritannien mit seinem parlamentarischen System und eingewurzelten Liberalismus blieb ihm fremd, das republikanische Frankreich seit 1871 ohnehin. So, glaubte er, müsse auch Russland denken. Und zu diesem althergebrachten Denken gehört für Nonn, dass Bismarck die innenpolitischen Voraussetzungen der Außenpolitik zu gering veranschlagte. Seine Zollpolitik zum Schutz der heimischen Landwirtschaft musste Russland als Getreideexporteur schwer treffen, das hatte er nicht im Blick.
  Kein Genie, insofern im Hergebrachten verharrend, so muss man Nonn wohl verstehen. Und weiter: Kein Genie, insofern den europäischen Standard exekutierend. Das ist der interessanteste Gesichtspunkt des neuen Buches. Nonn wendet sich gegen die (auch nicht mehr taufrische) These vom deutschen Sonderweg. Die Reichseinigung 1871 war nichts Besonderes, stieß bei den Nachbarn auf wenig Erstaunen. Bei weitem nicht alle Europäer lebten in einem Nationalstaat, aber viele ersehnten es sich.
  Besonders interessant: Ist der Niedergang der liberalen Parteien seit Ende der 1870er Jahre ein Stück des deutschen Sonderwegs? Nonn weist darauf hin, dass in Großbritannien nach dem Reform Act von 1867 nur 40 Prozent der Männer – einkommensabhängig – das aktive Wahlrecht besaßen. Das privilegierte die liberale Partei. Ähnlich sah es in Italien aus. Gewiss richtig der Hinweis auf die konfessionelle Spaltung Deutschlands, die die Liberalen der beiden Konfessionen gegeneinander in Stellung brachte. Bedenkenswert auch, dass die Wirtschaftskrise der späten 1870er Jahre die bis dahin bestimmenden Kräfte in Misskredit brachte. Das waren in Deutschland die Liberalen, in Frankreich und Italien die Konservativen. Insofern beobachten wir Rückschlagseffekte, nicht unbedingt tief verwurzelte Überzeugungen.
  Der Blick über die Grenzen ist der größte Gewinn, den Nonns Leser haben. Dem Untertitel „Ein Preuße und sein Jahrhundert“ wird der Autor weniger gerecht. Zum einen muss man sich fragen, ob Bismarck bis zuletzt Preuße blieb oder nicht doch allmählich die Perspektive des Reiches einnahm. Vor allem aber wird „sein Jahrhundert“ nicht so recht ausgeleuchtet. Doch auch die Person mit ihren großen, den kleinlichen und den unheimlichen Zügen, der sich Jonathan Steinberg so hingebungsvoll gewidmet hat, bleibt blass. Was die Macht mit den Mächtigen anstellt (Bismarck selbst hatte da wenig Illusionen), das beschäftigt Nonn weniger. Dabei ist es sehr wohl eine Frage, ob die im europäischen Vergleich einzigartig dominante Rolle, die Bismarck spielte, die Deutschen politisch verdorben hat. Schon Leo von Caprivi, der Nachfolger im Reichskanzleramt, machte sich darüber Gedanken.
  Es scheint, als sei dem Biografen sein Sprechen vom europäischen Normalfall selbst irgendwann unheimlich geworden. Und so dreht er zuletzt mächtig auf: Er akzentuiert stark, wohl überstark die Staatsstreichgedanken Bismarcks und dessen Idee, das Parlament auszuschalten. Einen solch absolutistischen Staat gab es nur noch in Russland, und so kommt Nonn auf die zaristische Autokratie und die antisemitischen Pogrome. Von dort geht es zu Bismarcks Antisemitismus, hässlich, aber die zeitübliche Schäbigkeit wohl nicht groß übersteigend. Doch Nonn sieht die entscheidende Hemmung des Bismarckschen Antisemitismus in der Notwendigkeit, mit Kräften wie Zentrum und Nationalliberalen im Reichstag zusammenzuarbeiten, Gegnern des Antisemitismus. Hätten sich nicht mit dem von Bismarck erwogenen Ende des Parlamentarismus auch die Hemmungen des Antisemitismus erschöpft? Wäre nicht, von Bismarck verantwortet, in Deutschland die Bahn für Pogrome frei geworden? So kommt der Autor zuletzt doch in die düstersten Urteile, allerdings auf höchst spekulativem Weg.
  Bismarck, so Nonn, war kein Genie, „stets eine Hebamme historischer Ereignisse, nicht ihr Schöpfer“. Aber ist die Hebammenkunst nicht in der Politik das Größte – alles, was darüber hinausgreift, schon Weltinbrandsetzung? Kritische Geschichtsschreibung solle ermöglichen, „für Gegenwart und Zukunft zu lernen“. Aber was kann das heißen? Die Bismarcksche Zollpolitik mit der augenblicklichen „nationalegoistischen Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik“ zusammenzuschalten, den arabischen Frühling mit dem Kaiserreich (Bedeutung des Agrarsektors plus mangelnde Liberalisierung), das ist hart am Kannegießern. Nonn möchte nüchtern sein, aber auch auf Sensationen nicht verzichten, das gibt eine heikle Mischung.
STEPHAN SPEICHER
Christoph Nonn: Bismarck. Ein Preuße und sein Jahrhundert. Verlag C.H. Beck, München 2015. 400 Seiten, 24,95 Euro.
Auf spekulativem Weg gelangt
der Biograf zu düsteren Urteilen
Weder Monster noch Übermensch: Otto von Bismarck.
Foto: sz-photo/Scherl
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Auf Zuspitzungen und den Versuch, übergeordnete Tendenzen der Zeit mit dem Lebenslauf zu verbinden, trifft Carsten Kretschmann in Christoph Nonns Bismarck-Biografie. Zudem scheint ihm der Autor um Thesen und Urteile nicht verlegen. Gut findet Kretschmann, dass Nonn den großen Staatsmann in den europäischen Kontext stellt und seine Leistungen relativieren hilft. Im Vergleich mit Cavour in Italien etwa erscheint Bismarck nicht mehr ganz so spektakulär, erkennt der Rezensent. Wenn Nonn auf entschlossene Weise den Antisemitismus Bismarcks in den Blick nimmt, scheint ihm der Autor allerdings übers Ziel hinauszuschießen. Ebenso, wenn der Autor wirtschaftspolitische Parallelen zum Heute konstruiert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2015

Steuermann und Wellenreiter
Wissenschaftliche Früchte zu Otto von Bismarcks zweihundertstem Geburtstag

An Büchern über Bismarck herrscht auf den ersten Blick kein Mangel. In gewisser Weise steht die Figur des Reichsgründers dabei geradezu am Beginn einer Renaissance des biographischen Genres, die in der Geschichtswissenschaft lange Zeit als ausgeschlossen galt. Lothar Galls klassisch gewordene Biographie, ein Meisterwerk nüchterner Reflexion, das den "weißen Revolutionär" im Titel führt, rehabilitierte 1980 jedoch nicht nur die Auseinandersetzung mit historischen Persönlichkeiten. Zugleich entzog sie Bismarck jener politisch-ideologischen Instrumentalisierung, die sich seit dem 19. Jahrhundert unablässig zwischen Bewunderung und Verachtung, Apotheose und Verdammnis bewegt hatte. Wobei der Untergang des Deutschen Reichs im Zweiten Weltkrieg die Tendenz zur Dämonisierung noch beförderte.

Von solchen weltanschaulichen Großdebatten sind wir heute weiter entfernt denn je. Die Neuerscheinungen zu Bismarcks 200. Geburtstag, deren Zahl bezeichnend überschaubar ist, fragen denn auch weniger nach dem Genialischen beziehungsweise Dämonischen, sondern nach den Widersprüchen einer Persönlichkeit, in der unterschiedliche Rollenbilder nebeneinander existieren: Preuße und Reichsgründer, Christ und Kulturkämpfer, Landjunker und Shakespeare-Verehrer, Hüne und Hypochonder.

Wer ein stimmiges Bismarck-Porträt erwartet, das einzelne Nuancen betont, ohne die Hell-dunkel-Kontraste über Gebühr zu strapazieren, ist mit der Biographie von Hans-Christof Kraus hervorragend bedient. Er erzählt die Geschichte von Bismarcks Leben hübsch der Reihe nach, stets abgewogen und anschaulich: von der unglücklichen Kindheit und den wilden Studienjahren über den Eintritt in die Politik und die frühe diplomatische Karriere bis hin zur Berufung zum preußischen Ministerpräsidenten, der Reichsgründung und den innen- wie außenpolitischen Herausforderungen der 1870er und 1880er Jahre.

Dabei weiß Kraus nur zu gut, dass der Historiker weder zum Richter noch zum Henker taugt. Er kennt Bismarcks Schwächen, er weiß um seine Grenzen, etwa mit Blick auf die unnachgiebige Haltung gegenüber Katholiken und Sozialdemokraten. Er ist mit Bismarcks Rachsucht und Egoismus, gewissermaßen die Kehrseite seiner unbändigen Willenskraft, peinlich vertraut, und er zögert nicht, "politische Fehleinschätzungen" unumwunden zu benennen, etwa die Isolierung Frankreichs nach 1871, die die europäische Ordnung dauerhaft belastete und die Blockbildung vorantrieb. Aber er scheut sich, den Stab über Bismarck zu brechen. Nicht verurteilen will er den "Eisernen Kanzler", sondern ihn in ganz traditionellem Sinn verstehen, die Beweggründe seines Handelns entschlüsseln und das Handeln selbst an den Möglichkeiten und Bedingungen der Epoche messen. Vor diesem Hintergrund werden auch Bismarcks Leistungen deutlicher, etwa beim Aufbau des Sozialstaats, den Kraus als "einmalige Pionierleistung" bewertet, oder bei jener "aktiven europäischen Friedenspolitik", die sich ebenso durch taktische Finesse wie durch diplomatische Flickschusterei auszeichnete.

Es wird Leser geben, die ein solches Buch, ohne modisches Vokabular, ohne denunziatorische Aufgeregtheit, ohne pseudo-journalistischen Gegenwartsbezug, schlichtweg für altmodisch halten, für den Versuch, Bismarcks Leben und Werk mit dem methodischen Rüstzeug des Kaiserreichs zu rekonstruieren, für ein gleichsam neorankeanisches Glasperlenspiel. Die unaufgeregte Haltung, mit der Kraus seinem Helden begegnet, der distanzierte Blick, mit dem er Bismarcks politisches Handeln betrachtet, es weder verdammt noch verherrlicht, setzt sie bereits im voraus ins Unrecht. Wenn Kraus, in enger Tuchfühlung mit den Quellen, etwa schildert, wie sich Bismarck in den 1850er Jahren Schritt für Schritt von seinen hochkonservativen Anfängen entfernte, wie sein Denken pragmatischer und zugleich unbefangener wurde, wie die adlige Prinzipienreiterei zunehmend einer realpolitischen Betrachtungsweise wich, dann entsteht ein feinziseliertes Bild von Bismarcks Gedankenwelt. Differenzierung tut wohl.

Dem würde Christoph Nonn, der Bismarck in seiner Biographie ungleich stärker mit übergeordneten Tendenzen der Zeit zu verbinden sucht, gewiss nicht widersprechen. Allerdings ist Nonn nicht darauf bedacht, Zuspitzungen zu vermeiden, und um große Thesen ist er gleichfalls nicht verlegen. Wo Kraus gediegen zu Jacob Burckhardts "Weltgeschichtlichen Betrachtungen" greift, um das Phänomen historischer Größe zu erwägen, ist der Fall für ihn bereits abgeschlossen: "Bismarck war kein Genie. Er war ein begabter Diplomat und als Innenpolitiker leidlich erfolgreich." Pardon wird nicht gegeben. Was Nonns Biographie dennoch lesenswert macht, ist indes weniger seine Neigung zu eindeutigen Urteilen als der durchaus sympathische Ansatz, Bismarck, soweit es geht, zu relativieren, sein Denken und Handeln im europäischen Kontext zu betrachten, seine Politik mit der eines Disraeli in Großbritannien, eines Cavour in Italien zu vergleichen. Manch vermeintlich außergewöhnliche Leistung Bismarcks, etwa die Art und Weise, wie er den deutschen Nationalstaat zuwege brachte, erscheint in dieser Perspektive kaum spektakulär, eher als überfällige Annäherung an ein europäisches Modell denn als geniale Tat eines einzelnen Mannes. "Bismarck war stets eine Hebamme historischer Ereignisse, nicht ihr Schöpfer", umschreibt Nonn, in einem leicht schiefen Bild, das, was Bismarcks eigener Wahlspruch ungleich lapidarer, auch eleganter zum Ausdruck bringt: "Fert unda nec regitur", die Welle trägt, aber sie ist nicht beherrschbar. Bismarck selbst standen die Grenzen seiner Macht nur zu deutlich vor Augen. Auch Relativierung tut wohl.

An anderer Stelle freilich lässt Nonn alle Vorsicht fahren. Bismarcks latenter Antisemitismus ist gewiss kein schönes, wenn auch keineswegs unbekanntes Kapitel dieses Lebens. Und Nonn beschreibt es, was moralisch legitim ist, in den düstersten Farben, gleichsam die Rampe von Auschwitz vor Augen. Ob Bismarck aber am Ende tatsächlich einen Staatsstreich plante, um das Parlament auszuschalten, die antisemitische Bewegung gegen die Liberalen zu mobilisieren, und so beinahe eine "bürgerkriegsähnliche Situation" heraufbeschwor, "mit Hunderten, ja Tausenden von Todesopfern", darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Wenig überzeugend ist schließlich auch Nonns Versuch, manche Parallelen zur heutigen Situation herauszustellen. Bismarcks Schutzzollpolitik hat mit der angeblich "nationalegoistischen Wirtschaftspolitik", mit deren Hilfe die Bundesrepublik eine "einseitige Förderung der deutschen Exporte" bezwecke, kaum etwas gemein. Und ob prognostische Fähigkeiten der Geschichtswissenschaft ausreichen, um Lehren aus dem Kaiserreich insoweit auf den arabischen Frühling zu beziehen, als "Phasen eines schnellen Übergangs von der Agrar- in die Industriegesellschaft" geradezu gesetzmäßig "alles andere als optimale Bedingungen für eine politische Modernisierung" bilden, steht dahin.

Ganz in den Vordergrund rückt der Gegenwartsbezug hingegen in Tilman Mayers Sammelband, der Bismarck zwar als "Monolith" apostrophiert, insgesamt jedoch ein angenehm-vielgestaltiges Bild des Jubilars entwirft. Die einzelnen Aufsätze, zum Teil bereits an anderer Stelle veröffentlicht, reichen thematisch von Bismarcks Regierungsstil über die Verfassung des Kaiserreichs bis zur Wiedervereinigung 1989/90. Mit Bismarck, so Mayer, seien "beispielhaft Maßstäbe gesetzt worden, die heute, wo man sich eher im Klein-Klein gefällt, vielleicht schwer auszuhalten sind". Die Frage freilich, welche Maßstäbe das im Einzelnen sind und für wen sie gelten sollen, bleibt unbeantwortet und wird auch durch den Beitrag von Peter März, der die Regierungspraxis von Bismarck, Bülow, Adenauer und Kohl vergleicht, nicht greifbarer. Dessen ungeachtet vermag Hans Fenske die modernen Elemente in der Verfassung des Norddeutschen Bundes, auf die Bismarck persönlich Einfluss nahm, herauszustellen. Werner Plumpe unterstreicht die Folgerichtigkeit, mit der die Sozialpolitik seit den 1870er Jahren zu neuen Ufern aufbrach, und Michael Stürmer nutzt seinen Rückblick für einen Weckruf in Richtung Geopolitik. Bismarck, so bemerkt Kanzleramtschef Peter Altmaier im Geleitwort ein wenig burschikos, sei "ein Mann von heute, nicht von gestern". Wäre das wahr, bestünde Anlass zur Sorge. Warum wir beruhigt sein können, zeigen die wissenschaftlichen Früchte dieses Jubiläumsjahres zur Genüge. Man begeht stille Feste.

CARSTEN KRETSCHMANN

Hans-Christof Kraus: Bismarck. Größe - Grenzen - Leistungen. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2015. 330 S., 19,95 [Euro].

Christoph Nonn: Bismarck. Ein Preuße und sein Jahrhundert. C. H. Beck Verlag München 2015. 400 S., 24,95 [Euro].

Tilman Mayer (Herausgeber): Bismarck: Der Monolith. Reflexionen am Beginn des 21. Jahrhunderts. Osburg Verlag, Hamburg 2015. 365 S., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Die bedeutendste Bismarck-Biografie seit Jahren."
Der Spiegel, 28. März 2015

"Christoph Nonns Biografie entzaubert den Eisernen Kanzler."
Wolfgang Schneider, Die Welt, März 2015

"Christoph Nonns Buch weitet den Blick in europäische Dimensionen."
Christoph Jahr, Neue Zürcher Zeitung, 28. März 2015

"Nonn (...) kann so manches einseitige und überspitzte Urteil über Bismarcks Handeln zurechtstutzen."
Ulrike Bosse, NDR Info, 31. März 2015

"Die Bismarck-Biografie des Düsseldorfer Historikers Christoph Nonn ragt für MDR Figaro aus den vielen Neuerscheinungen heraus."
Stefan Nölke, MDR Figaro, 1. April 2015