Ende der 1960er Jahre entstand in Frankfurt das Black-Panther-Solidaritätskomitee. Aktivistinnen und Aktivisten der Black Panther Party brachten weiße westdeutsche Linke und in Deutschland stationierte afroamerikanische Soldaten zusammen. In Untergrundzeitungen forderten GIs eine black revolution, skandalisierten die rassistische Diskriminierung innerhalb der US-Armee und beanspruchten, die Black Panther Party in Deutschland zu vertreten. Die Analyse dieser Zeitungen und ihrer Rezeption gibt Aufschluss über das Verhältnis zwischen afroamerikanischen GIs und ihrer deutschen Unterstützerszene und zeichnet das Bild einer spannungsvollen Protestdynamik. Pablo Schmelzer dekonstruiert die vermeintlich passive Rolle außereuropäischer Akteure innerhalb der deutschen 68er-Bewegung. So ist seine Studie nicht weniger als eine Neujustierung der Konzeption des studentischen Internationalismus. Zwar war die transnationale Allianz politisch produktiv, die ambivalente Faszination der radikalen Linken für Afroamerika führte jedoch auch zu umfassenden Auseinandersetzungen um Themen wie Identität und kulturelle Aneignung. Der Kampf gegen Rassismus blieb letztlich auf die Vereinigten Staaten fokussiert, im Klassenkampf der westdeutschen radikalen Linken galt er als ein Nebenwiderspruch. Antirassismus mit blinden Flecken: Das sollte weitreichende Folgen haben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2021Auch in Zweibrücken rief der sozialrevolutionäre Kampf
Zwischen Kaserne und Campus: Pablo Schmelzer untersucht die Beziehungen der 68er-Bewegung zur Black Panther Party
In der gewiss nicht knappen und einfältigen Literatur über die 68er-Bewegung gilt ein Charakterzug als gewiss: Weil die Arbeiterklasse nicht mehr als revolutionäres Subjekt in Frage kam, sondern die Studenten sich eher vor ihr fürchten mussten, suchten sie sich ein neues. Sie fanden es in antikolonialen, bald "antiimperialistischen" Befreiungsbewegungen. Und die 68er verloren sich in megalomanen Vorstellungen eines weltweiten Befreiungskampfes, in dem die APO in der Metropole an entscheidender Stelle mitkämpfte.
Gleichzeitig ist ein Element dieses neuen sozialistischen Internationalismus unterbelichtet, nämlich die Beziehungen der westdeutschen Linken zur Black Panther Party. Immerhin waren in der Bundesrepublik 30 000 afroamerikanische GIs stationiert, die - im Dienst der imperialistischen Führungsmacht stehend - in ihrem Kampf gegen den Rassismus unterstützt oder dafür mobilisiert werden sollten. Deren Unzufriedenheit war groß, wie ein Soldat damals dem Spiegel verriet: "Wir, die Unwilligen, geführt von Unfähigen, führen unsinnige Aufgaben für das undankbare Militär aus."
Es ist das Anliegen von Pablo Schmelzer, Stipendiat am Hamburger Institut für Sozialforschung, die Halluzinationsthese - dass die Phantasmagorie der Weltrevolution das Handeln der 68er bestimmt habe - zu widerlegen und den blinden Fleck der 68er-Forschung zu beseitigen. Er weist darauf hin, dass es echte Kontakte zwischen weißen Studierenden und Aktivisten der Black Panther Party gab und nicht nur exotistische Projektionen. Und dass diese Kontakte von beiden Seiten gesucht und gestaltet wurden. Dabei arbeitet er gleichwohl heraus, dass in dieser "ungewöhnlichen Allianz" allerlei fragwürdige Konstruktionen der meist jungen Akteure im Spiel, oder besser: im Kampf, waren.
Die Analyse der komplizierten Gemengelage zwischen Klassenkampf und Rassismus, Antiimperialismus und Antiamerikanismus, die unter der flotten Parole "Black and White, unite and fight" verborgen liegt, stützt sich vor allem auf die Lektüre von zahlreichen Untergrundzeitschriften wie die Voice of the Lumpen, in denen GIs, die mit der Idee einer "black revolution" sympathisierten, sich politisch äußerten, vor allem gegen den Vietnamkrieg. Auch um Exotismus und Sexismus geht es ein wenig, wenn "Onkel Toms" auf "German Fräuleins" treffen. Schmelzer zeigt - wenig überraschend -, dass Rassismus als Nebenwiderspruch angesehen wurde und der Kampf gegen Rassismus auf die Vereinigten Staaten fokussiert blieb.
Ungewöhnlich ist die "rassismuskritische" Entscheidung des Autors, das N***-Wort selbst dann orthografisch zu verfremden, wenn er Quellen zitiert, und folgerichtig selbst dann, wenn es von Aktivisten subversiv und provokativ verwendet wurde. Das heutige akademische Bewusstsein belehrt offenbar sogar die Black Panther, die sich nachträglich in Panther of Color umbenennen sollten. Demnächst werden wir womöglich Bücher über die Reichspogromnacht lesen, in denen die SA mit den Worten zitiert wird: "J*** verrecke", eingeführt mit der Triggerwarnung: "Enthält gewalttätige Dinge."
Das Motiv Schmelzers, eine Kontaktgeschichte von Aktivisten zu schreiben, ist allerdings gerechtfertigt, wenngleich direkte Kontakte vor weltfremden Projektionen keineswegs schützen - in dem Buch werden zahlreiche Beispiele vorgeführt, in der Regel, um Vorurteile oder sogar Diskriminierungen der weißen Linken gegen die afroamerikanischen GI zu verdeutlichen. Es handelt sich sozusagen um Projektionen mittlerer Reichweite. Aber in der Tat ist es doch wichtig, die konkreten Erfahrungen der Akteure zu beleuchten, in ihre Lebenswelt zu reisen, um nicht bequem im Nachhinein festzustellen, wie dämlich, selbstgefällig und verbohrt diese 68er gewesen sind (auch wenn Veteranen, die diese konkreten Erfahrungen selbst machten, zu Recht genau auf jene Irrationalitäten der kleinen deutschen Kulturrevolution hingewiesen haben). Und Schmelzer hat sich das Verdienst erworben, sich auf ein unbekanntes Terrain zwischen Kaserne und Campus begeben zu haben, um bisher übersehene Erfahrungen zum Sprechen zu bringen.
Allein die "Free the Ramstein 2"-Geschichte ist sehr erhellend und zeigt, wie der Protest der Linken sich einerseits in die Provinz verlagert und andererseits internationale Züge erhält. In der Pfalz waren Ende 1970 zwei afroamerikanische Aktivisten nach einer Schießerei vor einer Kaserne inhaftiert worden, wobei sich die Ereignisse nicht genau rekonstruieren ließen. Vor allem wurden bei den Panthern keine Schusswaffen gefunden. Sie wurden trotzdem wegen Verschwörung zum Mord angeklagt. Von nun an war Zweibrücken ein wichtiger Ort auf der Demonstrationslandkarte für die Solidarität mit "sozialrevolutionären Kämpfen". Nicht nur Panther und Berliner, Frankfurter, Heidelberger Studenten, sondern gewöhnliche schwarze GIs belagerten das Gerichtsgebäude des Städtchens. Einer der "Ramstein 2" wurde schließlich freigesprochen, der andere erhielt eine Haftstrafe von vier Jahren.
Schmelzers Sprache allerdings durchkreuzt die guten Absichten, eine Erfahrungsgeschichte zu schreiben, die sich aus dem Alltag und der Lebenswelt der Akteure speist. Sie verdichtet sich in Aussagen wie, dass diskursiv erzeugte Narrative und narrativ entstandene Diskurse in Strategien und Reflexionen eingeschrieben sind, die Protestdynamiken synchronisieren und Aushandlungsprozesse zwischen transnationalen Räumen strukturieren. Das Wort "Diskurs/diskursiv" kommt auf den rund 200 Seiten Darstellung 54-mal vor, "narrativ" immerhin 22-mal und "Struktur" 15-mal. Wo lernen Studierende und Doktoranden dieses Forschungsdeutsch? Spätestens das Verlagslektorat hätte hier abrüsten und eine Sprache einfordern müssen, die jenen Menschen, "black and white", um die es in dem Buch geht, zumindest ein wenig nahekommt. JÖRG SPÄTER
Pablo Schmelzer: "Black and White, unite and fight". Die deutsche 68er-Bewegung und die Black Panther Party.
Hamburger Edition, Hamburg 2021. 248 S., Abb., geb., 30,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwischen Kaserne und Campus: Pablo Schmelzer untersucht die Beziehungen der 68er-Bewegung zur Black Panther Party
In der gewiss nicht knappen und einfältigen Literatur über die 68er-Bewegung gilt ein Charakterzug als gewiss: Weil die Arbeiterklasse nicht mehr als revolutionäres Subjekt in Frage kam, sondern die Studenten sich eher vor ihr fürchten mussten, suchten sie sich ein neues. Sie fanden es in antikolonialen, bald "antiimperialistischen" Befreiungsbewegungen. Und die 68er verloren sich in megalomanen Vorstellungen eines weltweiten Befreiungskampfes, in dem die APO in der Metropole an entscheidender Stelle mitkämpfte.
Gleichzeitig ist ein Element dieses neuen sozialistischen Internationalismus unterbelichtet, nämlich die Beziehungen der westdeutschen Linken zur Black Panther Party. Immerhin waren in der Bundesrepublik 30 000 afroamerikanische GIs stationiert, die - im Dienst der imperialistischen Führungsmacht stehend - in ihrem Kampf gegen den Rassismus unterstützt oder dafür mobilisiert werden sollten. Deren Unzufriedenheit war groß, wie ein Soldat damals dem Spiegel verriet: "Wir, die Unwilligen, geführt von Unfähigen, führen unsinnige Aufgaben für das undankbare Militär aus."
Es ist das Anliegen von Pablo Schmelzer, Stipendiat am Hamburger Institut für Sozialforschung, die Halluzinationsthese - dass die Phantasmagorie der Weltrevolution das Handeln der 68er bestimmt habe - zu widerlegen und den blinden Fleck der 68er-Forschung zu beseitigen. Er weist darauf hin, dass es echte Kontakte zwischen weißen Studierenden und Aktivisten der Black Panther Party gab und nicht nur exotistische Projektionen. Und dass diese Kontakte von beiden Seiten gesucht und gestaltet wurden. Dabei arbeitet er gleichwohl heraus, dass in dieser "ungewöhnlichen Allianz" allerlei fragwürdige Konstruktionen der meist jungen Akteure im Spiel, oder besser: im Kampf, waren.
Die Analyse der komplizierten Gemengelage zwischen Klassenkampf und Rassismus, Antiimperialismus und Antiamerikanismus, die unter der flotten Parole "Black and White, unite and fight" verborgen liegt, stützt sich vor allem auf die Lektüre von zahlreichen Untergrundzeitschriften wie die Voice of the Lumpen, in denen GIs, die mit der Idee einer "black revolution" sympathisierten, sich politisch äußerten, vor allem gegen den Vietnamkrieg. Auch um Exotismus und Sexismus geht es ein wenig, wenn "Onkel Toms" auf "German Fräuleins" treffen. Schmelzer zeigt - wenig überraschend -, dass Rassismus als Nebenwiderspruch angesehen wurde und der Kampf gegen Rassismus auf die Vereinigten Staaten fokussiert blieb.
Ungewöhnlich ist die "rassismuskritische" Entscheidung des Autors, das N***-Wort selbst dann orthografisch zu verfremden, wenn er Quellen zitiert, und folgerichtig selbst dann, wenn es von Aktivisten subversiv und provokativ verwendet wurde. Das heutige akademische Bewusstsein belehrt offenbar sogar die Black Panther, die sich nachträglich in Panther of Color umbenennen sollten. Demnächst werden wir womöglich Bücher über die Reichspogromnacht lesen, in denen die SA mit den Worten zitiert wird: "J*** verrecke", eingeführt mit der Triggerwarnung: "Enthält gewalttätige Dinge."
Das Motiv Schmelzers, eine Kontaktgeschichte von Aktivisten zu schreiben, ist allerdings gerechtfertigt, wenngleich direkte Kontakte vor weltfremden Projektionen keineswegs schützen - in dem Buch werden zahlreiche Beispiele vorgeführt, in der Regel, um Vorurteile oder sogar Diskriminierungen der weißen Linken gegen die afroamerikanischen GI zu verdeutlichen. Es handelt sich sozusagen um Projektionen mittlerer Reichweite. Aber in der Tat ist es doch wichtig, die konkreten Erfahrungen der Akteure zu beleuchten, in ihre Lebenswelt zu reisen, um nicht bequem im Nachhinein festzustellen, wie dämlich, selbstgefällig und verbohrt diese 68er gewesen sind (auch wenn Veteranen, die diese konkreten Erfahrungen selbst machten, zu Recht genau auf jene Irrationalitäten der kleinen deutschen Kulturrevolution hingewiesen haben). Und Schmelzer hat sich das Verdienst erworben, sich auf ein unbekanntes Terrain zwischen Kaserne und Campus begeben zu haben, um bisher übersehene Erfahrungen zum Sprechen zu bringen.
Allein die "Free the Ramstein 2"-Geschichte ist sehr erhellend und zeigt, wie der Protest der Linken sich einerseits in die Provinz verlagert und andererseits internationale Züge erhält. In der Pfalz waren Ende 1970 zwei afroamerikanische Aktivisten nach einer Schießerei vor einer Kaserne inhaftiert worden, wobei sich die Ereignisse nicht genau rekonstruieren ließen. Vor allem wurden bei den Panthern keine Schusswaffen gefunden. Sie wurden trotzdem wegen Verschwörung zum Mord angeklagt. Von nun an war Zweibrücken ein wichtiger Ort auf der Demonstrationslandkarte für die Solidarität mit "sozialrevolutionären Kämpfen". Nicht nur Panther und Berliner, Frankfurter, Heidelberger Studenten, sondern gewöhnliche schwarze GIs belagerten das Gerichtsgebäude des Städtchens. Einer der "Ramstein 2" wurde schließlich freigesprochen, der andere erhielt eine Haftstrafe von vier Jahren.
Schmelzers Sprache allerdings durchkreuzt die guten Absichten, eine Erfahrungsgeschichte zu schreiben, die sich aus dem Alltag und der Lebenswelt der Akteure speist. Sie verdichtet sich in Aussagen wie, dass diskursiv erzeugte Narrative und narrativ entstandene Diskurse in Strategien und Reflexionen eingeschrieben sind, die Protestdynamiken synchronisieren und Aushandlungsprozesse zwischen transnationalen Räumen strukturieren. Das Wort "Diskurs/diskursiv" kommt auf den rund 200 Seiten Darstellung 54-mal vor, "narrativ" immerhin 22-mal und "Struktur" 15-mal. Wo lernen Studierende und Doktoranden dieses Forschungsdeutsch? Spätestens das Verlagslektorat hätte hier abrüsten und eine Sprache einfordern müssen, die jenen Menschen, "black and white", um die es in dem Buch geht, zumindest ein wenig nahekommt. JÖRG SPÄTER
Pablo Schmelzer: "Black and White, unite and fight". Die deutsche 68er-Bewegung und die Black Panther Party.
Hamburger Edition, Hamburg 2021. 248 S., Abb., geb., 30,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Lesenswert findet Rezensent Werner Bührer das Buch des Sozialforschers Pablo Schmelzer über die von Differenzen geprägte Rezeption der Black Panthers und der afroamerikanischen GIs durch die bundesdeutsche Studentenbewegung. Die Spannungen in der Zusammenarbeit, die fragwürdigen Instrumentalisierungen (etwa der Kontakte zwischen Studentinnen und afroamerikanischen GIs oder des Rassismus) und die Gewaltbereitschaft erörtert der Autor laut Bührer aufschlussreich anhand von Quellen aus dem Hamburger Institut für Sozialforschung und internen Protokollen. Viel anregender Stoff über die Schattenseiten von '68, findet Bührer. Dem Autor gebührt Respekt, schon weil er die Akteure und ihre politischen Ansichten ernst nimmt, findet der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.01.2022Die Linken und die Black Panther
Pablo Schmelzer erforscht ein bislang wenig bekanntes Terrain: Die westdeutschen 1968er solidarisierten sich mit den Schwarzen und ihrem Kampf in den USA.
Doch das Verhältnis war geprägt von gegenseitigen Missverständnissen und Fehlinterpretationen
VON WERNER BÜHRER
Im Sommer 1967 reiste eine Delegation des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes nach London, um an einem Kongress über die „Dialektik der Befreiung“ teilzunehmen. Mit dabei war auch Bernward Vesper, Sohn des völkisch-nationalsozialistischen Dichters Will Vesper und damals noch mit Gudrun Ensslin zusammen. „Hier treffen Welten aufeinander“, fasste Vesper seine Eindrücke rückblickend zusammen: Auf der einen Seite Allen Ginsberg, pazifistischer Poet der Beat Generation, und auf der anderen Stokely Carmichael, radikal-militanter Repräsentant der Black-Power-Bewegung. Letzterer habe, jedenfalls nach Vespers Erinnerung, die Frage eines weißen Zuhörers, was er zum Kampf der Bewegung beitragen könne, mit der Aufforderung gekontert: „Go home, kill father and mother, hang up yourself!“
Diese Episode erwähnt Pablo Schmelzer, Stipendiat am Hamburger Institut für Sozialforschung, in seiner theoretisch reflektierten, spannenden Studie über die bislang wenig beachtete „Wahrnehmung“ der Black Panther Party und der afroamerikanischen GIs durch die solidarisierungswillige Studentenbewegung in der Bundesrepublik; für ihn ist es ein Indiz für den keineswegs spannungsfreien Verlauf der transnationalen Vernetzung. Und obwohl die Radikalisierung auf deutscher Seite nach dem tödlichen Schuss auf Benno Ohnesorg Fahrt aufnahm – auch in dieser Hinsicht lagen Welten zwischen der Black Panther Party und den rebellierenden Studenten und Studentinnen. Immerhin öffneten die „Panther“ einen „Imaginationsraum für einen potenziell auch gemeinsam mit weißen Studierenden zu führenden internationalen Klassenkampf“.
Gestützt vor allem auf Untergrundzeitungen – in der Bundesrepublik wurden diese Zeitungen „meist von afroamerikanischen GIs verfasst und von deutschen Studierenden gedruckt, vertrieben und auch rezipiert“ –, interne Protokolle von Treffen der „Unterstützerszene“, Quellen aus dem Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung sowie auf Unterlagen aus der Volltextdatenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ versucht Schmelzer, die nur knapp drei Jahre dauernde, „intensive Zusammenarbeit“ zwischen afroamerikanischen GIs und Studentenbewegung zu rekonstruieren. Und obwohl nur ein Teil der 30 000 in der Bundesrepublik stationierten afroamerikanischen Soldaten und nur eine Minderheit der westdeutschen Studierenden involviert waren, „produzierten ihre gemeinsamen Aktivitäten, die Teach-ins, Demonstrationen, Blockaden und die Etablierung eines Solidaritätsnetzwerks“ zusammen mit zahlreichen Untergrundzeitungen eine „nicht unbedeutende Gegenöffentlichkeit“.
Zunächst beleuchtet Schmelzer Grundlagen und politischen Output der „ungewöhnlichen Allianz“ im Kontext der Internationalisierungsstrategie der Black Panther Party und fragt, „welche Narrative die Beteiligten zur Verortung ihrer eigenen politischen Arbeit bemühten“. Im zweiten Teil des Buchs stehen „diskursive Transferprozesse“ im Vordergrund. Anhand eines Vergleichs der Untergrundzeitschriften und der schriftlichen Hinterlassenschaften der Unterstützerszene sollen Rückschlüsse auf die „wechselseitigen Selbst- und Fremdrepräsentationen“ und eventuelle gegenseitige Beeinflussungsversuche ermöglicht werden.
Die im afroamerikanischen GI-Milieu feststellbare „Verbalmilitanz“ hatte allerdings überwiegend mobilisierenden Charakter. Tatsächlich konstatiert Schmelzer eine „enorme Diskrepanz zwischen ausufernder Gewaltrhetorik und der relativen Abwesenheit realisierter Gewalthandlungen durch afroamerikanische GIs“. Im dritten und letzten Teil untersucht er zum einen die „performativen und habituellen Effekte“ der diskursiven Wechselbeziehungen, insbesondere wie diese sich „in Aneignungsversuchen von als afroamerikanisch markierten Codes und in habituellen Manövern des ‚Schwarz-werden-Wollens‘ niederschlugen“; zum anderen geht er der Frage nach, wie die deutschen Aktivisten und Aktivistinnen auf die „partielle Zurückweisung ihrer Solidarität“ reagierten. Kurzum: Die Solidaritätsarbeit wurde generell als „äußerst mühsam“ wahrgenommen.
In einem Leitfaden zum Verhalten etwa beim Verteilen von Flugblättern war beispielsweise zu lesen, dass „in politischen oder moralischen Begriffen formulierte Appelle“ bei den Empfängern, denen „solche Kategorien bestenfalls nichts bedeuten“, schlimmstenfalls als Zeichen privilegierter Lebensumstände, „zwangsläufig Abneigung hervorrufen“ müssten. Auch eine „unvermittelte Identifizierung“ mit der leidenden afroamerikanischen Bevölkerung sollte tunlichst vermieden werden. Ungeachtet des wiederholt formulierten Anspruchs, „gegenüber den GIs ‚echte Demut‘ zu zeigen“, erstaunt die „Überheblichkeit“, die aus den Handlungsanweisungen und Protokollen der Treffen der Unterstützergruppen spricht.
Das Buch bietet reichlich Stoff zum Nachdenken über die düsteren Seiten der 68er-Bewegung, etwa über die „Dehumanisierung politischer Gegner“ als „Pigs“ (Schweine), das Tragen langer Haare als „Versuch, als ‚White Negro‘ mit dem Objekt der Solidarität symbolisch zu verschmelzen“, eine „morbide Faszination“ durch Gewaltakte, die politische Instrumentalisierung der Kontakte von Studentinnen zu afroamerikanischen GIs oder die Relativierung des Rassismus als „Nebenwiderspruch des Kapitalismus“. Schmelzer gelingt es, mit seiner „Neukonzeptionierung“ des studentischen Internationalismus die konkreten Akteure und Akteurinnen mit ihren jeweiligen Deutungen und politischen Agenden ernst zu nehmen und als „immanenten Teil der Studentenbewegung sichtbar zu machen“.
Ein unbedingt lesenswertes und die Debatte um ’68 bereicherndes Buch.
Werner Bührer ist Zeithistoriker. Er lebt in München.
Es geht um die Verbindung
zwischen afroamerikanischen GIs
und deutschen Studenten
Rassismus war für viele damals
nur ein „Nebenwiderspruch
des Kapitalismus“
Pablo Schmelzer:
„Black and White, unite and fight“. Die deutsche 68er-Bewegung und die Black Panther Party. Hamburger Edition, Hamburg 2021. 240 Seiten, 30 Euro.
Nicht auf Augenhöhe: Der Wortführer der Studentenbewegung Rudi Dutschke (rechts) auf einer Demonstration in Berlin im Gespräch mit dem Black-Power-Aktivisten Dale A. Smith.
Foto: Thomas Hesterberg/SZ Photo
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Pablo Schmelzer erforscht ein bislang wenig bekanntes Terrain: Die westdeutschen 1968er solidarisierten sich mit den Schwarzen und ihrem Kampf in den USA.
Doch das Verhältnis war geprägt von gegenseitigen Missverständnissen und Fehlinterpretationen
VON WERNER BÜHRER
Im Sommer 1967 reiste eine Delegation des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes nach London, um an einem Kongress über die „Dialektik der Befreiung“ teilzunehmen. Mit dabei war auch Bernward Vesper, Sohn des völkisch-nationalsozialistischen Dichters Will Vesper und damals noch mit Gudrun Ensslin zusammen. „Hier treffen Welten aufeinander“, fasste Vesper seine Eindrücke rückblickend zusammen: Auf der einen Seite Allen Ginsberg, pazifistischer Poet der Beat Generation, und auf der anderen Stokely Carmichael, radikal-militanter Repräsentant der Black-Power-Bewegung. Letzterer habe, jedenfalls nach Vespers Erinnerung, die Frage eines weißen Zuhörers, was er zum Kampf der Bewegung beitragen könne, mit der Aufforderung gekontert: „Go home, kill father and mother, hang up yourself!“
Diese Episode erwähnt Pablo Schmelzer, Stipendiat am Hamburger Institut für Sozialforschung, in seiner theoretisch reflektierten, spannenden Studie über die bislang wenig beachtete „Wahrnehmung“ der Black Panther Party und der afroamerikanischen GIs durch die solidarisierungswillige Studentenbewegung in der Bundesrepublik; für ihn ist es ein Indiz für den keineswegs spannungsfreien Verlauf der transnationalen Vernetzung. Und obwohl die Radikalisierung auf deutscher Seite nach dem tödlichen Schuss auf Benno Ohnesorg Fahrt aufnahm – auch in dieser Hinsicht lagen Welten zwischen der Black Panther Party und den rebellierenden Studenten und Studentinnen. Immerhin öffneten die „Panther“ einen „Imaginationsraum für einen potenziell auch gemeinsam mit weißen Studierenden zu führenden internationalen Klassenkampf“.
Gestützt vor allem auf Untergrundzeitungen – in der Bundesrepublik wurden diese Zeitungen „meist von afroamerikanischen GIs verfasst und von deutschen Studierenden gedruckt, vertrieben und auch rezipiert“ –, interne Protokolle von Treffen der „Unterstützerszene“, Quellen aus dem Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung sowie auf Unterlagen aus der Volltextdatenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ versucht Schmelzer, die nur knapp drei Jahre dauernde, „intensive Zusammenarbeit“ zwischen afroamerikanischen GIs und Studentenbewegung zu rekonstruieren. Und obwohl nur ein Teil der 30 000 in der Bundesrepublik stationierten afroamerikanischen Soldaten und nur eine Minderheit der westdeutschen Studierenden involviert waren, „produzierten ihre gemeinsamen Aktivitäten, die Teach-ins, Demonstrationen, Blockaden und die Etablierung eines Solidaritätsnetzwerks“ zusammen mit zahlreichen Untergrundzeitungen eine „nicht unbedeutende Gegenöffentlichkeit“.
Zunächst beleuchtet Schmelzer Grundlagen und politischen Output der „ungewöhnlichen Allianz“ im Kontext der Internationalisierungsstrategie der Black Panther Party und fragt, „welche Narrative die Beteiligten zur Verortung ihrer eigenen politischen Arbeit bemühten“. Im zweiten Teil des Buchs stehen „diskursive Transferprozesse“ im Vordergrund. Anhand eines Vergleichs der Untergrundzeitschriften und der schriftlichen Hinterlassenschaften der Unterstützerszene sollen Rückschlüsse auf die „wechselseitigen Selbst- und Fremdrepräsentationen“ und eventuelle gegenseitige Beeinflussungsversuche ermöglicht werden.
Die im afroamerikanischen GI-Milieu feststellbare „Verbalmilitanz“ hatte allerdings überwiegend mobilisierenden Charakter. Tatsächlich konstatiert Schmelzer eine „enorme Diskrepanz zwischen ausufernder Gewaltrhetorik und der relativen Abwesenheit realisierter Gewalthandlungen durch afroamerikanische GIs“. Im dritten und letzten Teil untersucht er zum einen die „performativen und habituellen Effekte“ der diskursiven Wechselbeziehungen, insbesondere wie diese sich „in Aneignungsversuchen von als afroamerikanisch markierten Codes und in habituellen Manövern des ‚Schwarz-werden-Wollens‘ niederschlugen“; zum anderen geht er der Frage nach, wie die deutschen Aktivisten und Aktivistinnen auf die „partielle Zurückweisung ihrer Solidarität“ reagierten. Kurzum: Die Solidaritätsarbeit wurde generell als „äußerst mühsam“ wahrgenommen.
In einem Leitfaden zum Verhalten etwa beim Verteilen von Flugblättern war beispielsweise zu lesen, dass „in politischen oder moralischen Begriffen formulierte Appelle“ bei den Empfängern, denen „solche Kategorien bestenfalls nichts bedeuten“, schlimmstenfalls als Zeichen privilegierter Lebensumstände, „zwangsläufig Abneigung hervorrufen“ müssten. Auch eine „unvermittelte Identifizierung“ mit der leidenden afroamerikanischen Bevölkerung sollte tunlichst vermieden werden. Ungeachtet des wiederholt formulierten Anspruchs, „gegenüber den GIs ‚echte Demut‘ zu zeigen“, erstaunt die „Überheblichkeit“, die aus den Handlungsanweisungen und Protokollen der Treffen der Unterstützergruppen spricht.
Das Buch bietet reichlich Stoff zum Nachdenken über die düsteren Seiten der 68er-Bewegung, etwa über die „Dehumanisierung politischer Gegner“ als „Pigs“ (Schweine), das Tragen langer Haare als „Versuch, als ‚White Negro‘ mit dem Objekt der Solidarität symbolisch zu verschmelzen“, eine „morbide Faszination“ durch Gewaltakte, die politische Instrumentalisierung der Kontakte von Studentinnen zu afroamerikanischen GIs oder die Relativierung des Rassismus als „Nebenwiderspruch des Kapitalismus“. Schmelzer gelingt es, mit seiner „Neukonzeptionierung“ des studentischen Internationalismus die konkreten Akteure und Akteurinnen mit ihren jeweiligen Deutungen und politischen Agenden ernst zu nehmen und als „immanenten Teil der Studentenbewegung sichtbar zu machen“.
Ein unbedingt lesenswertes und die Debatte um ’68 bereicherndes Buch.
Werner Bührer ist Zeithistoriker. Er lebt in München.
Es geht um die Verbindung
zwischen afroamerikanischen GIs
und deutschen Studenten
Rassismus war für viele damals
nur ein „Nebenwiderspruch
des Kapitalismus“
Pablo Schmelzer:
„Black and White, unite and fight“. Die deutsche 68er-Bewegung und die Black Panther Party. Hamburger Edition, Hamburg 2021. 240 Seiten, 30 Euro.
Nicht auf Augenhöhe: Der Wortführer der Studentenbewegung Rudi Dutschke (rechts) auf einer Demonstration in Berlin im Gespräch mit dem Black-Power-Aktivisten Dale A. Smith.
Foto: Thomas Hesterberg/SZ Photo
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