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Die Armee, von unten betrachtet - bekannte
Beispiele und am Ende immer derselbe Vorschlag: Lasst es die Soldaten machen
Sechs Monate nach Amtsübernahme hat Boris Pistorius (SPD) zugeben müssen, dass er für die Bundeswehr nichts Wesentliches erreichen kann. Obgleich allgemein bekannt ist, dass die Streitkräfte schlecht organisiert und mangelhaft finanziert sind, hat der neue Verteidigungsminister sein Ziel verfehlt, eine substanzielle Etatsteigerung durchzusetzen. Pistorius' liebenswürdig zupackende Art wird in der Truppe geschätzt, und er hat einige aufsehenerregende Personalveränderungen veranlasst, etwa einen neuen Generalinspekteur ernannt. Doch beim finanziellen Fundament ist Pistorius dort, wo seine Vorgängerin Christine Lambrecht (SPD) aufgehört hat, minus Inflation.
In welchem Zustand die Streitkräfte sind, das hat Achim Wohlgethan bereits früher beschäftigt, seine lebhaften Berichte über Afghanistaneinsätze haben viele Leser gefunden. Auch sein erster Gesamtüberblick, "Schwarzbuch Bundeswehr", liegt seit 2011 vor. Die geopolitische Veränderung seit dem russischen Überfall auf die Ukraine hat auf die Bundeswehr massive Auswirkungen, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einer Zeitenwende. Doch Wohlgethan kann, wie andere auch, nachweisen, dass es damit bisher nicht weit her ist. Bestenfalls "in Zeitlupe" gehe es voran.
Die Bestandsaufnahme des früheren Fallschirmjägers fällt dementsprechend bitter, jedoch nicht überraschend aus: vom Sturmgewehr über den Hubschrauber bis zum U-Boot oder Schützenpanzer - alles Mangelwaren. Das wusste der Autor allerdings überwiegend auch schon bei seinem "Schwarzbuch". Wohlgethan wiederholt auf vielen Seiten seine damaligen Vorwürfe, etwa gegen den Hubschrauber NH90 oder die Ausrüstung der Infanteristen. Man weiß bei der Lektüre aber nicht, worüber man sich mehr ärgern soll: dass Wohlgethan über viele Passagen sich selbst kopiert oder dass die damaligen Zustände weiter aktuell sind. Trotz des starken Etataufwuchses nach der russischen Krimannexion und trotz des 100-Milliarden-Pakets Sonderschulden nach dem russischen Großangriff auf die Ukraine kommt die Truppe kaum voran. Wohlgethans zugespitztes Fazit: "Darum behaupte ich, der momentane Zustand der Bundeswehr verstößt gegen das Grundgesetz." Denn dort heiße es: "Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf." Bei Heer, Marine und Luftwaffe gelte aber "Auftrag nicht durchführbar". Man mag darüber streiten, ob eine solche Feststellung irgendwas hilft, aber Wohlgethan liebt das Plakative.
Dass die Bundeswehr eine "Blackbox" sei, wie der Titel nahelegt, stimmt nicht. Andere Armeen sind nach dem Kalten Krieg ebenso herabgewirtschaftet worden, etwa die französische oder auch die britische. Dort gehört es aber zum spätimperialen Selbstverständnis, die eigenen Streitkräfte nicht mit Kritik zu belästigen. In Deutschland weiß man viel, fast alles über die Probleme.
Der frühere Fallschirmjäger ist nach einem Ausflug in die private Personenschützerbranche jetzt "Mitarbeiter für Mitgliederwerbung im Außendienst" für den gewerkschaftsähnlichen Bundeswehrverband. Dabei kommt er viel rum, insbesondere im Heer. Seine Erfahrungsberichte aus Gesprächen mit Soldaten stammen überwiegend aus den Landstreitkräften, die anderen Teilstreitkräfte werden im Buch nur gestreift. Dennoch bietet "Blackbox Bundeswehr" erstaunlich wenig Neues oder Aktuelles. Es geht um die bürokratischen Bestellwege, die Nachwuchsprobleme, die Rüstungsindustrie. Die Bundeswehr habe mehr Offiziere als Mannschaften, fast jeder zweite Rekrut hört nach weniger als drei Wochen wieder auf, weil es weder Klamotten noch Schießtraining gibt. Gelegentlich offeriert das Buch einen Basisblick auf viele Problemfelder, etwa beim mit politischem Tamtam eingeführten "Freiwilligen Heimatschutz". Wohlgethan hält das für eine Vereinigung von Leuten, die es nicht zur eigentlichen Bundeswehr geschafft haben, oft auf Grund fehlender körperlicher Fitness. Sein vernichtendes Urteil, sicher auch nicht jedem gerecht werdend: "Es sind solche, die im Zivilleben schlechte Chancen haben, die 1500 Euro im Monat - so viel verdient ein Heimatschützer - zu bekommen."
Dazu kommen seine soldatisch-technischen Einschätzungen des Geräts: Der Puma-Schützenpanzer taugt nichts, ebenso der NH90-Hubschrauber und das F-35-Kampfflugzeug. Dass Wohlgethan abermals und en détail das Sturmgewehr G36 zerlegt, mag man einer gewissen Einfallslosigkeit zuschreiben, die das ganze Buch kennzeichnet. Die meisten Beispiele seiner "Blackbox" standen bereits in Berichten der Wehrbeauftragten.
Wohlgethans Antwort auf fast alle Probleme: Man sollte es die Soldaten lieber selber machen lassen, am besten Leute wie ihn. Externe Berater, Zivilisten im Ministerium, wüssten oft nicht, was sie tun, oder wirtschafteten in die eigene Tasche, das Ministerium agiere fernab der Truppe. Vorwürfe wie diese wabern durch jedes Mannschaftsheim. Manche treffen zu, andere lassen auf mangelnden Überblick oder fehlendes Detailwissen der uniformierten Klatschbasen schließen. So auch bei Wohlgethan, der nicht zwischen Heeresinspekteur und Generalinspekteur unterscheidet und Letzterem ein Zitat zuschreibt, das von Ersterem stammt: Wir sind blank. Über einen Untersuchungsausschuss zu Vetternwirtschaftsvorwürfen im Beraterwesen um Rüstungsstaatssekretärin Katrin Suder schreibt er zwar einerseits wahrheitsgemäß: "Dafür wurden keinerlei Beweise beigebracht." Um dann jedoch die Behauptungen ausführlich darzulegen. So wird aus dem Buch partiell bloß üble Nachrede.
Eines macht es aber auch deutlich: Das Verteidigungsministerium hat zwar eine riesige Öffentlichkeitsarbeit und beschäftigt dafür eine kleine Armee. Doch ist es auch unter Pistorius bislang nicht gelungen, für Parlament und Öffentlichkeit eine Bestandsaufnahme der Streitkräfte zu erarbeiten, in der klar wird: "Wo stehen wir, was wollen wir, wie kommen wir dorthin?" So überlässt die Bundeswehr das Feld dann eben Autoren wie Achim Wohlgethan und sieht dabei noch schlechter aus, als sie ist. PETER CARSTENS
Achim Wohlgethan, Martin Specht: Blackbox Bundeswehr. Die 100-Milliarden-Illusion - Was unsere Truppe jetzt wirklich braucht.
Econ Verlag, Berlin 2023. 320 S., 21,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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