Der blaue Engel
„Du bist die Einzige, die nachempfinden kann, was seine Kunst ihm abverlangt. Welche Qualen er durchleidet, welche Selbstzweifel ihn peinigen und zur völligen Selbstaufgabe zwingen.“ (S. 371) sagt ihre Mutter auf ihrem Sterbebett zu Blanche Monet und überträgt ihr damit die
Verantwortung für ihren Zieh- und Stiefvater Claude Monet, der zu diesem Zeitpunkt schon 70 Jahre alt ist…mehrDer blaue Engel
„Du bist die Einzige, die nachempfinden kann, was seine Kunst ihm abverlangt. Welche Qualen er durchleidet, welche Selbstzweifel ihn peinigen und zur völligen Selbstaufgabe zwingen.“ (S. 371) sagt ihre Mutter auf ihrem Sterbebett zu Blanche Monet und überträgt ihr damit die Verantwortung für ihren Zieh- und Stiefvater Claude Monet, der zu diesem Zeitpunkt schon 70 Jahre alt ist und seine berühmten 200 m2 großen Tafeln mit den Nymphéas (Seerosen) noch nicht gemalt hat. Blanche kennt ihn da schon 35 Jahre und gilt als sein Lieblingskind, auch wenn sie nicht seine leibliche Tochter ist, sondern von seiner zweiten Frau Alice genau wie Blanches Geschwister nach dem Bankrott ihres Vaters mit in die Beziehung gebracht wurde. Vom ersten Augenblick an war Blanche von Monets Bildern und ihm selbst beeindruckt, hat ihm jahrelang Pinsel und Farben zugereicht und allein durch genaues Beobachten das Malen gelernt. „Aus anfänglich enttäuschenden Farbklecksen hatte Monet ein Gemälde geschaffen, das lebte – das Wasser, das Licht, ja sogar der Wind, der durch die Bäume strich.“ (S. 25)
Claire Paulin hat es geschafft, mir nicht nur Blanche, sondern durch ihre Augen auch Claude Monet nahezubringen. Ihre Beziehung zu zueinander hat mich fasziniert, die beiden Leben war eng miteinander verbunden und er ihr absolutes künstlerisches Vorbild. „So oft hatte sie sich vorgestellt, wie es sich anfühlen würde, den ersten Pinselstrich auf eine frische Leinwand aufzutragen. … dann geschah etwas, worauf sie nicht vorbereitet war. Ihr Gefühle für das, was sie in vollkommener Schönheit vor sich sah, lenkten ihre Hand. Blanche fühlte die Farben, in die sie den Pinsel eintauchen musste …“ (S. 162) Angeblich sollen sich beide später manchmal nicht ganz sicher gewesen sein, wer eigentlich welches unsignierte Bild gemalt hat …
„Blanche Monet und das Leuchten der Seerosen“ erzählt, wie es zu diesem Mythos kam. Die Autorin schreibt extrem fesselnd und lässt den Leser sofort in Blanches Kosmos eintauchen, zeigt die schwierigen Umstände ihrer Kindheit und Jugend, beginnend mit der verschleppten und lang geheim gehaltenen Insolvenz ihres Vaters Ernst Hoschedé, das „anrüchige“ Verhältnis ihrer Mutter mit Monet, da diese damals mit ihren Kindern zu ihm und seiner ersten Ehefrau zog und bis zum Tod ihres Mannes in wilder Ehe mit ihm lebte, den finanziellen Druck und die Entbehrungen, denen sie alle bis zu Monets endgültigen Durchbruch ausgesetzt sind.
Außerdem geht sie auf die künstlerische Entwicklung der beiden ein, beschreibt Monets Umgestaltung von Haus und Garten in Giverny und ihre Bilder so plastisch, dass man sie vor seinem inneren Auge sehen kann.
Die Beziehungen innerhalb der Familie Monet sind sehr symbiotisch, auch wenn er sich als absoluter Patriarch sieht. Man ist immer füreinander da, die Kinder und Enkelkinder werden von allen zusammen aufgezogen und niemand wird im Stich gelassen, aber sein Wort ist Gesetz, auch bei der Partnerwahl der (Zieh-)Töchter – und als sich Blanche in einen Amerikaner verliebt, sagt er nein ... Trotzdem kümmert sie sich nach dem Tod ihrer Mutter fast bis zur völligen Selbstaufgabe um ihn, stellt ihre Leben und Schaffen hinter seinem zurück.
Mein Fazit: Ein spannendes Portrait einer mir bis dahin fast unbekannten Künstlerin, sehr mitreißend und extrem informativ geschrieben. Ich hoffe, dass es weitere Künstlerinnenbiografien von Claire Paulin geben wird.