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Der Krieg ist aus, und den jungen Engländern liegt, so scheint es, die Welt zu Füßen. Peter Morrison, Sohn eines reichen Landbesitzers, hat sich aus hehren Motiven für eine Offiziersausbildung im fernen Bangalore entschieden. In der Indischen Armee will er seinem Land und seinem König für einige Jahre dienen — und etwas von der Welt sehen. Auf dem Truppenschiff "Georgic" trifft er auf zukünftige Kameraden, die es ebenfalls in die legendäre exotische Kolonie zieht. Doch finden sie dort nicht mehr die alten Hierarchien, das lässige Luxusleben und das unbeschwerte Abenteuer vor. Vielmehr kündigt…mehr

Produktbeschreibung
Der Krieg ist aus, und den jungen Engländern liegt, so scheint es, die Welt zu Füßen. Peter Morrison, Sohn eines reichen Landbesitzers, hat sich aus hehren Motiven für eine Offiziersausbildung im fernen Bangalore entschieden. In der Indischen Armee will er seinem Land und seinem König für einige Jahre dienen — und etwas von der Welt sehen. Auf dem Truppenschiff "Georgic" trifft er auf zukünftige Kameraden, die es ebenfalls in die legendäre exotische Kolonie zieht. Doch finden sie dort nicht mehr die alten Hierarchien, das lässige Luxusleben und das unbeschwerte Abenteuer vor. Vielmehr kündigt sich überall das Ende der britischen Herrschaft und die Übergabe Indiens an die einheimische muslimische und hinduistische Bevölkerung an. Und so steht Peter und seinen Freunden an der Offiziersschule völlig überraschend ein Inder als Ausbilder gegenüber: der exzentrische und in jeder Hinsicht ungewöhnliche Hauptmann Gilzai Khan. Diesem gelingt es jedoch, die skeptischen Offiziersanwärter für sich zu gewinnen, so dass sie ihm selbst dann noch die Treue halten, als er bei der britischen Regierung in Delhi in Ungnade fällt und die Armee verlassen muss. Als eines Tages die Bahnstation von aufständischen Indern belagert wird und diese Aktion Gilzai Khans Handschrift trägt, steht Peter Morrison vor der schwierigsten Entscheidung seines Lebens. Simon Raven wirft in "Blast nun zum Rückzug" ein eigenwilliges Schlaglicht auf die Kolonialgeschichte und nimmt dabei genüsslich die absurden und unrühmlichen Seiten des Armeelebens und der britischen Oberschicht in den Blick.
Autorenporträt
Simon Raven (1927—2001) besuchte als Spross einer Strumpffabrikantenfamilie die elitäre Charterhouse School, von der er 1945 wegen homosexueller Handlungen relegiert wurde. Unter seinen Mitschülern waren u. a. James Prior (später Minister im Kabinett von Margaret Thatcher) sowie der spätere Herausgeber der "Times", William Rees-Mogg. Beide hat er in der Romanreihe "Almosen fürs Vergessen" literarisch verewigt. Nach seinem Militärdienst, den Raven als Offiziersanwärter in Indien ableistete, studierte er ab 1948 am King's College in Cambridge Altphilologie. Er wurde Vater eines Sohnes und heiratete widerwillig. In finanzielle Schwierigkeiten geraten, trat er erneut in die Armee ein, wurde in Deutschland und in Kenia stationiert, quittierte den Dienst aber schließlich, um eine unehrenhafte Entlassung wegen Wettschulden abzuwenden. Fortan widmete er sich der Schriftstellerei und arbeitete als Literaturkritiker. Der Verleger Anthony Blond nahm ihn 1958 unter der Bedingung, mindestens 50 Meilen von Londons Vergnügungsstätten entfernt zu wohnen, unter Vertrag — ein Arrangement, das sich drei Jahrzehnte bewährte. Ein ausschweifender Lebenswandel, kühne Meinungen, seine offen ausgelebte Bisexualität und die Tatsache, dass er das Material für seine Bücher aus dem unmittelbaren Freundeskreis gewann und mit freizügigen Sexszenen und scharfzüngigen Urteilen über die Gesellschaft kombinierte, verschafften ihm einen Ruf als Schandmaul unter den englischen Nachkriegsautoren. Gleichwohl wurde er von namhaften Kollegen wie etwa Anthony Powell nicht nur als Literaturkritiker, sondern auch als Literat geschätzt. Sein 10-bändiger Romanzyklus "Alms for Oblivion" (1964—1976) wird heute mit dem Werk von Lawrence Durrell, Graham Greene, Anthony Powell und Evelyn Waugh verglichen und Raven als "einer der brillantesten Romanciers seiner Generation" bewertet (Patrick Newley). Bekannt wurde Raven auch durch die Verfilmung von Trollopes "The Pallisers" (1974) und die Fernsehserie "Edward and Mrs. Simpson" (1978) sowie die Mitarbeit am Drehbuch für den James-Bond-Film "Im Geheimdienst Ihrer Majestät" (1969). Dem Vorwurf, ein Snob zu sein, begegnete er mit dem Hinweis, er schreibe "für Leute, die sind wie ich: gebildet, weltgewandt und skeptisch".
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nie hat Rezensent Elmar Schenkel so gespannt den Sturz des Empires in Indien verfolgt wie mit Simon Ravens Romanzyklus, dessen zweiter Teil nun in der laut Schenkel gelungenen Übersetzung von Sabine Franke auf Deutsch vorliegt. Wie Ravens Geschichte durch Zeiten und Orte mäandert, bereits bekannte Figuren weiter begleitet und lose Verbindungen zum ersten Teil hält, findet Schenkel fesselnd. Von kolonialer Hybris und dekadenter Untergangsstimmung erzählt der Autor laut Rezensent mit Kenntnis und Tempo. Achtung, Suchtpotenzial!, warnt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.06.2021

Am Horizont die Zeitenwende
Der dritte Band von Simon Ravens Romanzyklus „Almosen fürs Vergessen“ führt nach Indien
„Almosen fürs Vergessen“: Schon der Name des zehnteiligen urbritischen Romanzyklus von Simon Raven (1927 bis 2001), den Sabine Franke für den Elfenbein-Verlag seit dem Frühjahr 2020 übersetzt, behält seine Magie. Mit jedem Teil schillert er hintergründiger. „Blast nun zum Rückzug“, der dritte, pünktlich im Halbjahresrhythmus gelieferte Band, führt nach Indien, in die letzten Tage der britischen Kolonialherrschaft.
Wieder lässt er sich separat lesen, genau wie der in Deutschland spielende Vorgängerband (SZ vom 16. Dezember 2020). Die Handlung verläuft im Winter 1945/46 und begleitet drei englische Offiziersanwärter auf ihrem Weg an die Offiziersschule von Bangalore. Dort erwartet sie eine Überraschung: Ihr Ausbilder wird kein Engländer sein, sondern ein muslimischer Inder, klarer Vorschein des Epochenwechsels. Die letzten Briten und die ersten Einheimischen, bevor Indien und seine Armee selbständig werden, das ist die Konstellation in dem kleinen militärischen Kosmos, den der Roman mit Kennerschaft vieler, zuweilen krasser Alltagsdetails entwirft. Doch nicht nur das Ende des Empires wirft ein fahles Abschiedslicht über die Romanhandlung, sondern auch der Abwurf der ersten Atombomben über Japan kurz davor. Damit ist der Sinn allen herkömmlichen Kämpfertums infrage gestellt, wie den jungen Soldaten durchaus bewusst ist. Drei Offiziersanwärter und der sie erziehende charismatische indische Muslim sind die Hauptfiguren der tief melancholischen, mit den alten Ritterromanthemen von Treue und Verrat spielenden Handlung. Der Vordergrund ist dabei so saftig, wie man es bei Raven erwarten darf. Den burlesken, in allen Einzelheiten geschilderten Höhepunkt stellt ein Beischlafduell zwischen dem Ausbilder und einem der Offiziersanwärter dar, ein Stück virtuos beschriebener Sexualität, das in der europäischen Literatur kaum seinesgleichen hat, ein modernes Kamasutra, das als Hommage an den indischen Schauplatz gelesen werden kann. Dass die Homosozialität der militärischen Männerwelt auch Gelegenheit für die Raven so teure Homosexualität bietet, versteht sich fast von selbst. Sie erscheint hier geadelt als keusche Ritter-Knappe-Beziehung, hinter der auf einmal doch die grünen Wiesen des englischen Mutterlands aufschimmern.
Die tragische Figur der Handlung ist Gilzai Khan, der Ausbilder. Als säkularer Muslim sieht er seine Volksgruppe kurz vor der Teilung von Indien und Pakistan tödlicher Gefahr ausgesetzt, denn diese Teilung bringt auch das Phantasma eines ethnisch homogenen Hindustaates Indien hervor. Also sähe Khan den Abzug der Briten am liebsten noch herausgezögert, um ein Blutbad im Meer der nationalistischen Torheit zu vermeiden. Der überstürzte Rückzug der Kolonialherren erscheint wie Treuebruch gegenüber ihren Schutzbefohlenen. Darum bricht auch Khan die Treue und geht in den Widerstand.
Der Knoten schürzt sich, wie bei diesem großartigen Erzähler gewohnt, zu einem dramatischen Showdown: im Düsterlicht des abrupt einsetzenden, die Sonne verhüllenden Monsunregens. Am Ende liegen Leichen auf dem Schauplatz, als sei’s ein Stück von Shakespeare, und der Sound des Rückzugs klingt wie Bühnenmusik, feierlich und schreitend – wäre da nicht ein farcehaftes, intrigantes Nachspiel. Die Ambivalenz von Handlung und historischen Gewichten, die sie mobilisiert, ist staunenerregend und überraschend bis zum Ende.
GUSTAV SEIBT
Virtuos wird von einem
Beischlafduell erzählt, ein
modernes Kamasutra
Simon Raven: Blast nun zum Rückzug (Almosen fürs Vergessen, Band 3). Aus dem Englischen von Sabine Franke. Elfenbein-Verlag, Berlin 2021.
261 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.2021

Uns braucht dort keiner
Ein Roman bläst zum Rückzug aus Indien: Simon Ravens Psychogramm britischer Soldaten

Der Titel könnte aktueller nicht sein. Ein Weltreich bricht zusammen, eine Macht zieht sich zurück. Aber wie sieht dies eigentlich aus für die, die man mit Parolen und Propaganda in die fernen, gefährlichen Grenzbezirke des Imperiums geschickt hat - als "Vorposten des Fortschritts" (Joseph Conrad) - und die nun ihre Sachen gleich wieder packen müssen? Alle Handlungen sind von der Sinnfrage durchlöchert. So zu lesen in Simon Ravens Roman "Blast nun zum Rückzug", dem zweiten Teil des zehnbändigen Zyklus "Almosen fürs Vergessen" (der nun als dritte Übersetzung dieser zehn Bücher auf Deutsch erscheint).

Simon Raven ist einer der großen Außenseiter der englischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts, ähnlich wie Anthony Powell, und gleich diesem dem roman-fleuve verschworen, jenem mäandernden Gebilde, das sich durch die Jahrzehnte und Generationen schlängelt wie ein unbemerkter Fluss, mit vertrauten Bewohnern und überraschend auftauchenden Eindringlingen, einer fantastischen Flora und Fauna, die in ihrer Evolution sichtbar werden; Wasser gestaut oder stürzend. Am Ufer gleiten Ruinen und Brückenteile historischer und politischer Art vorbei. Das Panorama kann süchtig machen. Man ist auf der Suche nach den alten Bekannten aus früheren Teilen des Zyklus. Manchmal scheint das vergeblich, sie wollen sich nicht sehen lassen, es schieben sich andere Protagonisten ins Licht, bis dann aus dem Hintergrund wieder ein vertrautes Gesicht hervorschaut, das nun aber merkwürdig fremd geworden ist. Nicht das Bekannte erzeugt ja die Sucht, sondern eben dessen Verfremdung, denn an ihr erkennen wir unsere eigenen Verschiebungen und Verluste, unsere Falten und krummen Wege, kurz, die eigene Befremdlichkeit.

Balzac und Zola waren die ersten in dieser Kunst der historischen Moiré-Effekte, ihnen folgten Romain Rolland oder John Galsworthy. Solche Stammbaumepen sind zwar immer auch eine Suche nach der verlorenen Zeit, aber Raven konterkariert dieses eher sentimentale Bemühen schon im Zyklustitel "Almosen fürs Vergessen". Das Vergessen bildet das Flussbett dieser Romane: Vergessen von eigenen Vergehen, von Freundschaften und kolonialer Dummheit. Und so beginnt denn der Roman damit, dass englische Offiziersanwärter auf dem Schiff ein Verbrechen gegen einen ägyptischen Zauberkünstler begehen und über dieses schnell der Mantel des Vergessens gebreitet wird.

Die Tat selbst, wie vieles auf diesen Seiten, geschieht halb aus Wut und Rache, halb aus kolonialer Arroganz. Ein Vorgeschmack auf das, was die jungen Männer, die durch die schützende Hand der Oberen ungestraft bleiben, in Indien erwartet. Die Hauptfiguren entstammen der Mittel- und Oberschicht, sie haben oft eine Public School, ein Internat absolviert und kennen die Codes von Eton oder Oxford. Raven weiß, wovon er redet, denn er wurde vom Internat Charterhouse verstoßen. Wie es dort zuging, erfährt man übrigens in der Kriegsautobiographie "Goodbye to All That" (1929) von Robert Graves. Männer unter sich, einen ganzen Roman lang, das gärt, und Sexuelles kocht immer wieder auf, ob hetero- oder homosexuell. Da ist der vor sich hin masturbierende Murphy, der in seinen Vorgesetzten verliebte Barry, der kaltblütig agierende Peter Morrison, der sich mit einer indischen Prostituierten einlässt, die sich später an ihm rächen will, der aufmüpfige Alister und der Adlige Muscateer, der an Gelbsucht stirbt. Ob sie es bei der sich auflösenden Armee in Indien überhaupt noch zum Offizier bringen werden? Das ist hier die Frage, denn während sie ankommen, werden immer größere Truppenteile abgezogen.

Als Vorgesetzter wird ihnen nun der muslimische Hauptmann Gilzai Khan vor die Nase gesetzt, ein Zeichen der allmählich schwindenden eigenen Macht. Es sind noch zwei Jahre bis zur indischen Unabhängigkeit und bis zum grausamen Bürgerkrieg zwischen Muslimen und Hindus, aus dem Pakistan und Ostpakistan (heute Bangladesch) als neue Staaten hervorgehen werden. Der Rassismus und Klassensnobismus der Briten wird durch diesen Gilzai Khan mächtig herausgefordert. Doch er erzieht sie mit harter Hand und nimmt sie beim Wort. Allmählich werden sie sogar zu Freunden, während sich Barry mit ihm sexuell einlässt. Nach der Totenfeier für Muscateer fordert Khan Alister wegen einer Beleidigung heraus, es kommt zu einem üblen Wettkampf der beiden, bei dem Frauen zu Objekten degradiert werden - mehr sind sie in diesem Roman nie. Genau dieser Wettkampf lötet die Freundschaft zwischen den Männern. Zugleich werden wir Zeuge, mit welcher Kälte die Verwandten in England den Tod Muscateers aufnehmen.

Die Zeiten gehen drunter und drüber, in Auflösung ist nicht nur Indien, sondern der Kern des Empire selbst. Als Letzten, die im verfallenden Machtbereich angekommen sind, wird ihnen von den Vorgesetzten Verantwortung eingeschärft, damit der Rückzug kein Chaos bringt. Das ist allerdings schon zwischen Delhi und London entstanden; jederzeit kann die Lage außer Kontrolle geraten. Langeweile, Prügeleien, Drogen und Sexorgien verkünden die Botschaft: Die letzten Tage vor dem imperialen Weltuntergang sind angebrochen. Er kommt jedoch in anderer Form - als Gilzai Khan nämlich verschwindet. Er plant einen Anschlag auf die Briten, um sie, ja, im Lande zu behalten, ganz gegen deren Willen. Denn er als nicht-gläubiger Muslim weiß, was jetzt kommen wird: ein furchtbarer Bürgerkrieg zwischen Hindus und Muslimen.

An der Verhinderung des Anschlags und der Tötung Khans zerbricht die fragile Freundschaft der Beteiligten zwischen den Kulturen. Hier brechen, anders als bei dem leisen Bröckeln, das man aus E. M. Forsters "A Passage to India" (1924) kennt, die Brücken krachend ein. Sabine Franke hat dem Roman mit seinen schnellen Sprüngen und gewitzten Einlagen in einem ebensolchen Deutsch standgehalten. Wer ihn liest, lernt nicht nur viel über den Zustand Indiens im Jahr nach dem Krieg, sondern versteht auch besser das Wetterleuchten, das aufflammt, wenn Großmächte kollabieren.

ELMAR SCHENKEL

Simon Raven: "Blast nun zum Rückzug". Roman.

Aus dem Englischen von Sabine Franke. Elfenbein Verlag, Berlin 2021. 261 S., geb., 22,- [Euro].

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