Das Weltbild der Betriebswirtschaftslehre - das gilt bedingt in gewissem Maß auch für die Volkswirtschaftslehre - lässt sich in einer Kernaussage zusammenfassen: Gewinnmaximierung. Sie gilt als höchstes Ziel auf Erden, praktisch das gesamte Lehrgebäude baut auf diesem Prinzip auf. Produktionsprozesse, Einkauf, Marketing, Personalwesen, Management, Rechtsform, Investition, Finanzierung, Besteuerung - alle Teilbereiche der Betriebswirtschaftslehre werden dem untergeordnet. Manchmal wird diese axiomatische Grundbedingung subtiler benannt: Economic Value Added (EVA), wertorientierte Unternehmensführung, Shareholder Value, Return on Capital, aber das Ziel ist immer dasselbe: Gewinne bzw. Renditen zu maximieren. Christian Kreiß und Heinz Siebenbrock schildern in "Blenden, Wuchern, Lamentieren", welch gravierende Auswirkungen dieses Prinzip der Gewinnmaximierung auf die verschiedensten Bereiche unseres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens hat. Es fördert Konkurrenzdenken und egoistisches Verhalten und führt zu Umweltzerstörung, Sozialabbau und einer zunehmenden Verrohung der Gesellschaft. Doch die Autoren zeigen auch ermutigende Alternativen, wie jeder Einzelne dazu beitragen kann, die Probleme des menschenverachtenden Prinzips der Gewinnmaximierung zu überwinden und es durch menschengerechte Ziele zu ersetzen. Ein Umdenken ist möglich!
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2020Die Schuld der BWL
Die Autoren haben auch keine Alternative
Es gibt viele Gründe, die Betriebswirtschaftslehre zu kritisieren. Ihre Formelverliebtheit, ihr Mathematisierungswahn ist ein guter Grund. Die BWL will alles berechnen, allem einen rechenbaren Wert beimessen. Am Ende bemisst sie alles danach, ob es Gewinn bringt oder nicht. Hier setzt das Buch "Blenden Wuchern Lamentieren" an. Die Autoren - zwei Lehrende der Fachhochschulen Aalen und Bochum - erkennen zwar an, dass es zum Gewinn keine Alternative gibt. Aber die BWL lehre - vor allem auch in dem Standard-Lehrbuch "Wöhe", dessen Buchtitel die Autoren optisch nachgeahmt haben, die Gewinnmaximierung. Diese Dominanz der Gier sei verantwortlich für alle Schlechtigkeiten zumindest der Wirtschaft.
An kritikwürdigem Verhalten mangelt es wahrlich nicht. Ein regelmäßiger Blick in die Wirtschaftspresse reicht, um zu erkennen, dass in der Wirtschaft nicht nur Moralapostel unterwegs sind. Christian Kreiß und Heinz Siebenbrock listen die Verfehlungen in der Wirtschaft genüsslich auf. Sie schreiben über den Diesel-Skandal der Autoindustrie und die geringere Bezahlung der Frauen, über Dumpinglöhne für Zeitarbeit und exzessiv hohe Managergehälter, über Stress und die falschen Versprechen der Werbung, über den schon vom Hersteller im Vorhinein geplanten (schnellen) Verschleiß von Produkten und das Shareholder-Value-Konzept, wonach alles wirtschaftliche Streben auf den höchsten Gewinn auszurichten ist, der allein den Aktionären zusteht.
Im Shareholder-Value-Konzept sehen die Autoren zu Recht einen Angriffspunkt. Denn in diesem Modell kann die Gier nach Gewinnen und die Rücksichtslosigkeit einer nur am hohen Gewinn und am Aktienkurs orientierten Geschäftspolitik anschaulich dargestellt werden. Der Shareholder-Value-Ansatz geht auf die 1970 von Milton Friedman veröffentlichte Ansicht zurück, dass die Ausrichtung der Unternehmen am Gewinn zu einer gesamtwirtschaftlich optimalen Allokation des Kapitals führe. Seine Schüler Michael Jensen und William Meckling legten sechs Jahre später ihre "Theorie des Unternehmens" nach, in der sie den Kapitaleignern als Risikoträgern die zentrale Rolle im Unternehmen zuweisen mit dem Recht, dem Management Anweisungen zu erteilen. Wie der deutsche Betriebswirt Franz Wagner erst kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (19. Dezember) nachwies, wurde damit zum einen der Gier Tür und Tor geöffnet, und zum anderen wurden alle anderen Ziele eines Unternehmens der Gewinnmaximierung untergeordnet. Die BWL muss sich vorwerfen lassen, wie die Lemminge hinter diesem Modell hinterhergelaufen zu sein. Kritik an diesem Modell kam vor einem halben Jahr - aus der Praxis. 200 amerikanische Manager sagten sich von ihm los. Vielleicht dämmert es dann auch bald der akademischen BWL, dass für ein Unternehmen das Gewinnziel zwar dominant, aber nicht das alleinige ist. In konjunkturell schwierigen Zeiten kann es wichtiger sein, Fachkräfte zu halten, die man im Aufschwung nur schwer zurückgewinnen würde. Viele Unternehmer - und mehr als 90 Prozent aller Unternehmen werden von der Inhaberfamilie geführt - sehen es als ihr wichtigstes unternehmerisches Ziel an, den Kindern einmal ein größeres Vermögen zu hinterlassen, als sie selbst übernommen haben. Aber auch das geht nicht ohne Gewinne. Man muss nur nicht immer die maximalen Gewinne rausholen. Es ist daher falsch, wenn die Autoren zu dem Schluss kommen: "Das Streichen der Gewinnmaximierungs-Maxime in den Lehrbüchern reicht jedoch nicht aus. In einem zweiten Schritt muss das Gewinnmotiv als solches gelöscht werden. Gewinn darf niemals das Ziel oder der Zweck eines Unternehmens sein, sondern immer nur das Ergebnis ... Das alleinige Ziel, der alleinige Sinn von Unternehmen kann nur darin bestehen, die Bedürfnisse von Menschen zu befriedigen."
Natürlich muss ein Unternehmen die Bedürfnisse seiner Kunden befriedigen. Nur dafür ist der Kunde bereit, Geld zu zahlen, das zu einem Gewinn führt. Das Problem der BWL ist nicht ihre Gewinnorientierung, sondern die Verabsolutierung des Gewinnziels, das Maßlose. Der Gewinn hat den großen Vorteil, dass er zu berechnen ist und sich daher als Vergleichsmaßstab für Erfolg gut eignet. Jeder wird für einen maßvollen oder - wie die Autoren an einer Stelle fordern - "auskömmlichen" Gewinn plädieren. Nur wie definiert man maßvoll oder auskömmlich? "Gewinne zu machen ist so wichtig wie die Luft zum Atmen. Es wäre traurig, wenn wir nur auf der Welt wären, um Luft zu atmen, genauso wie es schlimm wäre, würden wir nur Unternehmen führen, um Gewinne zu machen", wird der ehemalige Chef der Deutschen Bank Hermann Josef Abs zitiert. Recht hat er. Aber er hatte offenbar einen eigenen inneren Kompass dafür, was angemessen ist, wie viel Gewinn eine Bank braucht. Er konnte es sich leisten, auch als angestellter Chef darüber selbst zu entscheiden. Es gibt gute Gründe dafür, zu wollen, dass verantwortungsbewusste Manager - ehrbare Kaufleute oder anständige Handwerker - solche Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen treffen. Es gibt eine - zunächst noch kleine - Entwicklung hin zu einer neuen Betriebswirtschaftslehre, die unter dem Namen Entrepreneurchip-BWL vor allem die irrationalen Elemente von Verantwortung und Entscheidungen herausstellt. Von solchen Ansätzen ist mehr zu erwarten als von der platten Forderung der Autoren, das Gewinnstreben als Handlungsmotiv zu streichen oder Werbung zu verbieten. Das Buch muss die BWL nicht erschüttern; anregen sollte es sie schon.
GEORG GIERSBERG
Christian Kreiß / Heinz Siebenbrock: Blenden Wuchern Lamentieren. Wie die Betriebswirtschaftslehre zur Verrohung der Gesellschaft beiträgt. Europa Verlag, Berlin-München 2019, 270 Seiten, 22 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Autoren haben auch keine Alternative
Es gibt viele Gründe, die Betriebswirtschaftslehre zu kritisieren. Ihre Formelverliebtheit, ihr Mathematisierungswahn ist ein guter Grund. Die BWL will alles berechnen, allem einen rechenbaren Wert beimessen. Am Ende bemisst sie alles danach, ob es Gewinn bringt oder nicht. Hier setzt das Buch "Blenden Wuchern Lamentieren" an. Die Autoren - zwei Lehrende der Fachhochschulen Aalen und Bochum - erkennen zwar an, dass es zum Gewinn keine Alternative gibt. Aber die BWL lehre - vor allem auch in dem Standard-Lehrbuch "Wöhe", dessen Buchtitel die Autoren optisch nachgeahmt haben, die Gewinnmaximierung. Diese Dominanz der Gier sei verantwortlich für alle Schlechtigkeiten zumindest der Wirtschaft.
An kritikwürdigem Verhalten mangelt es wahrlich nicht. Ein regelmäßiger Blick in die Wirtschaftspresse reicht, um zu erkennen, dass in der Wirtschaft nicht nur Moralapostel unterwegs sind. Christian Kreiß und Heinz Siebenbrock listen die Verfehlungen in der Wirtschaft genüsslich auf. Sie schreiben über den Diesel-Skandal der Autoindustrie und die geringere Bezahlung der Frauen, über Dumpinglöhne für Zeitarbeit und exzessiv hohe Managergehälter, über Stress und die falschen Versprechen der Werbung, über den schon vom Hersteller im Vorhinein geplanten (schnellen) Verschleiß von Produkten und das Shareholder-Value-Konzept, wonach alles wirtschaftliche Streben auf den höchsten Gewinn auszurichten ist, der allein den Aktionären zusteht.
Im Shareholder-Value-Konzept sehen die Autoren zu Recht einen Angriffspunkt. Denn in diesem Modell kann die Gier nach Gewinnen und die Rücksichtslosigkeit einer nur am hohen Gewinn und am Aktienkurs orientierten Geschäftspolitik anschaulich dargestellt werden. Der Shareholder-Value-Ansatz geht auf die 1970 von Milton Friedman veröffentlichte Ansicht zurück, dass die Ausrichtung der Unternehmen am Gewinn zu einer gesamtwirtschaftlich optimalen Allokation des Kapitals führe. Seine Schüler Michael Jensen und William Meckling legten sechs Jahre später ihre "Theorie des Unternehmens" nach, in der sie den Kapitaleignern als Risikoträgern die zentrale Rolle im Unternehmen zuweisen mit dem Recht, dem Management Anweisungen zu erteilen. Wie der deutsche Betriebswirt Franz Wagner erst kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (19. Dezember) nachwies, wurde damit zum einen der Gier Tür und Tor geöffnet, und zum anderen wurden alle anderen Ziele eines Unternehmens der Gewinnmaximierung untergeordnet. Die BWL muss sich vorwerfen lassen, wie die Lemminge hinter diesem Modell hinterhergelaufen zu sein. Kritik an diesem Modell kam vor einem halben Jahr - aus der Praxis. 200 amerikanische Manager sagten sich von ihm los. Vielleicht dämmert es dann auch bald der akademischen BWL, dass für ein Unternehmen das Gewinnziel zwar dominant, aber nicht das alleinige ist. In konjunkturell schwierigen Zeiten kann es wichtiger sein, Fachkräfte zu halten, die man im Aufschwung nur schwer zurückgewinnen würde. Viele Unternehmer - und mehr als 90 Prozent aller Unternehmen werden von der Inhaberfamilie geführt - sehen es als ihr wichtigstes unternehmerisches Ziel an, den Kindern einmal ein größeres Vermögen zu hinterlassen, als sie selbst übernommen haben. Aber auch das geht nicht ohne Gewinne. Man muss nur nicht immer die maximalen Gewinne rausholen. Es ist daher falsch, wenn die Autoren zu dem Schluss kommen: "Das Streichen der Gewinnmaximierungs-Maxime in den Lehrbüchern reicht jedoch nicht aus. In einem zweiten Schritt muss das Gewinnmotiv als solches gelöscht werden. Gewinn darf niemals das Ziel oder der Zweck eines Unternehmens sein, sondern immer nur das Ergebnis ... Das alleinige Ziel, der alleinige Sinn von Unternehmen kann nur darin bestehen, die Bedürfnisse von Menschen zu befriedigen."
Natürlich muss ein Unternehmen die Bedürfnisse seiner Kunden befriedigen. Nur dafür ist der Kunde bereit, Geld zu zahlen, das zu einem Gewinn führt. Das Problem der BWL ist nicht ihre Gewinnorientierung, sondern die Verabsolutierung des Gewinnziels, das Maßlose. Der Gewinn hat den großen Vorteil, dass er zu berechnen ist und sich daher als Vergleichsmaßstab für Erfolg gut eignet. Jeder wird für einen maßvollen oder - wie die Autoren an einer Stelle fordern - "auskömmlichen" Gewinn plädieren. Nur wie definiert man maßvoll oder auskömmlich? "Gewinne zu machen ist so wichtig wie die Luft zum Atmen. Es wäre traurig, wenn wir nur auf der Welt wären, um Luft zu atmen, genauso wie es schlimm wäre, würden wir nur Unternehmen führen, um Gewinne zu machen", wird der ehemalige Chef der Deutschen Bank Hermann Josef Abs zitiert. Recht hat er. Aber er hatte offenbar einen eigenen inneren Kompass dafür, was angemessen ist, wie viel Gewinn eine Bank braucht. Er konnte es sich leisten, auch als angestellter Chef darüber selbst zu entscheiden. Es gibt gute Gründe dafür, zu wollen, dass verantwortungsbewusste Manager - ehrbare Kaufleute oder anständige Handwerker - solche Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen treffen. Es gibt eine - zunächst noch kleine - Entwicklung hin zu einer neuen Betriebswirtschaftslehre, die unter dem Namen Entrepreneurchip-BWL vor allem die irrationalen Elemente von Verantwortung und Entscheidungen herausstellt. Von solchen Ansätzen ist mehr zu erwarten als von der platten Forderung der Autoren, das Gewinnstreben als Handlungsmotiv zu streichen oder Werbung zu verbieten. Das Buch muss die BWL nicht erschüttern; anregen sollte es sie schon.
GEORG GIERSBERG
Christian Kreiß / Heinz Siebenbrock: Blenden Wuchern Lamentieren. Wie die Betriebswirtschaftslehre zur Verrohung der Gesellschaft beiträgt. Europa Verlag, Berlin-München 2019, 270 Seiten, 22 Euro.
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