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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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Lisa Kreissler vermischt Provinzatmosphäre und nordische Mythologie zu einem rätselhaften Debüt
Städter um die dreißig, die in die Provinzlandschaften ihrer Kindheit zurückkehren, sind in deutschsprachigen Debütromanen keine Seltenheit. Aus der Konfrontation mit der Vergangenheit, die in der vertrauten Gegend, durch Menschen und Orte katalytisch befördert, wieder lebendig wird, lässt sich so mancher Erzählfunke schlagen. Auch "Blitzbirke" von Lisa Kreissler, Jahrgang 1983 und seit 2010 am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig studierend, gehört in das Sujet dieser Romane. Erzählt wird die Geschichte der jungen Theaterautorin Edda, die mit ihrem Malerfreund Hans aus Leipzig in das nach der nordischen Gottheit benannte fiktive Dorf Odinsgrund fährt, um ihre Familie zu besuchen. Der dreißigste Hochzeitstag der Eltern steht an. Der Vater ist beim Ausreiten vom Pferd gefallen und hat sich die Rippen gebrochen. Weitere Komplikationen sind absehbar.
In Eddas Heimat, einem "Autobahndorf", wie Hans konstatiert, wird man nicht nur mit öden Provinzlandschaften vertraut gemacht, gibt es nicht nur einen verschrobenen, unverheirateten Onkel namens Magic, eine Schwester, die nach der nordischen Göttin der Jagd den Namen Skadi trägt und, anders als Edda, im Dorf geblieben ist. Es gibt mit Pferd, Hund und Hühnern, die hier immerhin nicht blutig auf dem Hackklotz geschlachtet werden, auch die für das Dorfromansetting typische Menagerie. Es gibt missgebildete, fotosensible Nachbarskinder, die nur nachts das Haus verlassen und draußen ihr Unwesen treiben. Es gibt Kränkungen, die ausgesprochen wurden und von denen eine dem Roman mittelbar seinen bedeutungsträchtigen Titel liefert. Es wird auch einiges Düsteres enthüllt, alte psychische und alte und neue physische Verletzungen werden sichtbar: "Es könnte sich da draußen um eine Ibsen-Inszenierung handeln: eine Familie, ein Fremder, Köpfe, Geheimnisse." Es gibt jede Menge Staub, Sprachlosigkeit und einen Steinbruch, in dem der Roman sein offenes Ende findet.
Nichts als Klischees, könnte man meinen. Doch "Blitzbirke" weicht in mancher Hinsicht vom bekannten Strickmuster des skizzierten Sujets ab. Kreissler treibt die Handlung teilweise theatral in Wechselreden voran. "Man spricht nicht in der dritten Person über anwesende Leute", heißt es einmal im Roman, und diese Aussage ist übertragbar auf die Haltung der erzählenden Instanz, die Gespräche der Figuren häufig unkommentiert lässt. Was die Figuren einander nicht sagen, bleibt in der Schwebe. Diese Offenheit fordert, in Verbindung mit der durch die Figuren- und Ortsnamen Edda und Skadi und Odinsgrund nahegelegte, nicht einfach zu entschlüsselnde Bezugnahme auf die nordische Mythologie, Phantasie und Deutungsvermögen heftig heraus. Mit lautmalerischen Effekten und einer verbkräftigen, eigenwilligen Sprache, die Naturphänomene den Seelenlandschaften der Figuren zuordnet, die "Wetterleuchten explodieren" lässt und in der sich die Sonne "dickflüssig auf den Horizont ergießt", entpuppt sich "Blitzbirke" als vielversprechendes Debüt, das gut in das Programm des einer sprachbewussten und experimentierfreudigen Prosa sehr zugetanen Mairisch Verlags passt. Die Handlung ist oft mäandernd und zögerlich, aber die Spannung bleibt dennoch aufrechterhalten. Lisa Kreissler gelingt es, Eddas Geschichte bei allem Facettenreichtum und aller Bruchstückhaftigkeit einige Tiefenschärfe einzuschreiben.
BEATE TRÖGER.
Lisa Kreissler: "Blitzbirke". Roman.
Mairisch Verlag, Hamburg 2014, 192 S., geb., 18,- [Euro].
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