Jules und Edmond de Goncourt schrieben seit 1851 gemeinsam Tagebuch, so wie sie auch ihre Romane gemeinsam verfassten. Nach Jules Tod 1870 führte Edmond die Arbeit alleine fort.
Die Tagebücher sind ein kulturhistorisches Dokument allerersten Ranges, das einen tiefen Einblick in die gehobene
Pariser Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlaubt und dank seiner „würzigen“…mehrJules und Edmond de Goncourt schrieben seit 1851 gemeinsam Tagebuch, so wie sie auch ihre Romane gemeinsam verfassten. Nach Jules Tod 1870 führte Edmond die Arbeit alleine fort.
Die Tagebücher sind ein kulturhistorisches Dokument allerersten Ranges, das einen tiefen Einblick in die gehobene Pariser Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlaubt und dank seiner „würzigen“ Beschreibungen auch heute noch sehr unterhaltsam, ja passagenweise schockierend ist. Jules hatte ab 1887 Teile der Tagebücher veröffentlicht und darüber einen Teil seiner Freunde verloren. Es waren unerhörte Details über den Lebenswandel zahlreicher berühmter Persönlichkeiten ans Licht gekommen, die Charakterisierungen waren entlarvend, mitunter beleidigend und unter der Gürtellinie (wo sich die Goncourts besonders gerne aufhielten). Sie bewegten sich zwischen Großbürgertum und Halbwelt, frequentieren sowohl die Soireen in den Stadtpalästen als auch die Hinterzimmer von Theatern und Bordellen. Beides schildern sie mit schonungsloser Offenheit, allerdings lassen sie ihre eigenen Fehler tunlichst unerwähnt. Die Eloquenz, mit der sie über andere herziehen, ist dagegen legendär.
Es gibt unzählige Editionen ihrer Tagebücher, auch zahlreiche Ausgaben in deutscher Sprache. Die meisten bringen in chronologischer Reihenfolge Ausschnitte mit Szenen und Begegnungen, was angesichts des überwältigenden Personals die Übersicht erschwert. Die Übersetzung von Anita Albus ist meines Wissens nach die Einzige, die ausgewählte Einträge nach den handelnden Personen sortiert und damit sogar Entwicklungen nachvollziehen lässt, sowohl in den Biografien der Dargestellten als auch deren Wertung durch die Goncourts. Man darf sagen, dass noch jeder, den die Goncourts anfänglich schätzten, später in Ungnade fiel. Wer sie langweilte, wurde aussortiert.
Der hedonistische Lebensstil der Goncourts erinnert stark an Schilderungen des heutigen Jetsets, mit seiner Lasterhaftigkeit, Zügellosigkeit und sexuellen Fixierung. Überraschenderweise gab es das bereits vor 150 Jahren und man darf vermuten, dass es in begüterten Kreisen auch davor schon ähnlich zuging. In dieser schonungslosen Offenheit ist es allerdings nie dokumentiert worden.
Das Buch wurde unter dem gleichen Titel bereits 1989 in der Anderen Bibliothek herausgegeben. Die Übersetzung ist ausgezeichnet gelungen, lebendig und eloquent, allerdings ist die Kommentierung aus meiner Sicht etwas zu spärlich. Zahlreiche Begriffe, genannte Personen oder Örtlichkeiten sind einem durchschnittlichen Lesepublikum nicht geläufig, wären aber für das Verständnis hilfreich. Dennoch ist die Lektüre äußerst unterhaltsam und lässt so manchen Heroen des 19. Jahrhunderts auf seinem postumen Podest ein wenig rosten.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)