Eine Liebesgeschichte (oder Affäre) im Milieu von Rockmusik und Literatur. 1968 ist der Mythos der Protagonistin Fil. Joe, eine Frau mit Vorfahren aus Sibirien, Fils Nachbarin, und die LP "Sibirien, wie man es mir erzählt hat - allen Fischer*innen im Fluss der Liebe gewidmet" (Fils Lieblingsplatte des Sängers Manu Chao) spielen eine Rolle. Und die Sehnsucht nach Weite. Kann Sex ohne Liebe möglich sein, wenn man aus dem Alter der hormonellen Stürme heraus ist? Blu, ein Musiker, trinkt gerne. Er kommt aus der Voralpenprovinz, das hat eine Bedeutung, und er ist verheiratet mit einer Frau, die schon lange nicht mehr mit ihm zusammen ist, und doch spielt die "Heilige Maria" im Hintergrund immer eine Rolle. "Als erstes fallen seine Augen auf, sie haben tatsächlich etwas von einem großen sibirischen Sommerhimmel, glasklar und doch sehr blau. Auf eine gewisse Art tief und weit, transparent und kalt. Es geht schon beim ersten Blick in die Augen los mit der Verzauberung, die Blu auslöst." Als Fil und Blu sich zwanzig Jahre nach einem ersten Zusammentreffen wiederbegegnen, beginnt die Geschichte. Wie bei anderen Liebesgeschichten auch bleibt es ein Rätsel, wieso eine am anderen hängen bleibt, obwohl sich nach und nach zeigt, dass vieles ,nicht stimmt'. Und doch ,stimmt' es und reißt die Leser*innen mit in den "Fluss". Hanna Mittelstädt erzählt sowohl lakonisch als auch poetisch und anspielungsreich von Liebe, Sex, Begehren und Älterwerden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2021Große Freiheit ist passé
Hannah Mittelstädts "Blu" feiert die Alternativszene
Blu und Fil heißen die Hauptfiguren dieser Geschichte, einer "Lovestory" (so die von Hannah Mittelstädt gewählte Genrebezeichnung) mit realen Vorbildern aus dem Milieu von Kneipen, Hinterhöfen, Wohnküchen und manchmal auch Sälen, in denen der Mythos "Achtundsechzig" als verschwommener Begriff von Freiheit gedieh und so etwas wie Solidarität schuf. Die Geschichte kommt ganz locker daher: Jeder wird vorgestellt, inklusive der zeitweisen Lebensgefährten und Vorlieben. Doch allesamt bleiben die Figuren fast schemenhaft künstlich, selbst die einzige beständige Gefährtin in diesem Reigen: die Ehefrau von Blu, dem Bandleader. Von ihr erfährt man nur, dass sie die "Heilige Maria" genannt wird und die meist leere Kasse verwaltet. Nicht zu verwechseln mit Fil.
Blu und Fil waren sich einmal sehr nahe. Die Anziehungskraft ist erstaunlicherweise geblieben. Auch nach zwanzig Jahren Pause schlüpfen sie beim ersten Wiedersehen ganz selbstverständlich ins nächste Bett, zu schön sind die gemeinsamen Erinnerungen an Jugend und Leidenschaft. Vielleicht auch an die Musik von damals, die besser war als heute: Rock 'n' Roll und dessen schnell wechselnde Nachfolger. Von einer Lovestory ist allerdings bis auf einen Rest Vertrautheit nichts mehr zu spüren. Beider Liebe ist zerfallen, weil sie nur noch aus kurzer, meist einseitiger sexueller Ekstase besteht. Blu hat sie durch Alkohol ersetzt, der zu seinem alltäglichen Suchtproblem geworden ist. Von der großen Freiheit spricht niemand mehr.
Wiedersehen, Trennung und Flucht voreinander - Blu und Fil führen beide ein riskantes Leben. Unterwegs sein ohne Ziel ist jedoch nicht leicht. Blu scheut jede Bindung, Fil versucht zumindest, eine Basis zu finden. Da sie die Kulturszene in Hamburg, Berlin und anderswo kennt, vermittelt sie Blu immer wieder Auftritte, auch solche, die Hoffnungen wecken. Doch das Schweben als Lieblingszustand, niemals sich festzulegen - es wird schwieriger, wenn man in die Jahre kommt.
Hanna Mittelstädt, 1951 geboren, hat sich einen Namen als Verlegerin, Übersetzerin und Organisatorin von literarischen, auch szenischen Lesungen gemacht. Sie hat eine Vorliebe für Alternatives und ist in der feministischen Literatur zu Hause. Mit "Blu" versucht sie nun etwas Neues für sich und vielleicht auch für manchen Leser. Sie nennt es Lovestory, doch es ist eher die traurige Geschichte einer Illusion, einer verlorenen Liebe. MARIA FRISÉ.
Hanna Mittelstädt: "Blu". Lovestory. Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke, Tübingen 2021. 120 S., br., 12,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hannah Mittelstädts "Blu" feiert die Alternativszene
Blu und Fil heißen die Hauptfiguren dieser Geschichte, einer "Lovestory" (so die von Hannah Mittelstädt gewählte Genrebezeichnung) mit realen Vorbildern aus dem Milieu von Kneipen, Hinterhöfen, Wohnküchen und manchmal auch Sälen, in denen der Mythos "Achtundsechzig" als verschwommener Begriff von Freiheit gedieh und so etwas wie Solidarität schuf. Die Geschichte kommt ganz locker daher: Jeder wird vorgestellt, inklusive der zeitweisen Lebensgefährten und Vorlieben. Doch allesamt bleiben die Figuren fast schemenhaft künstlich, selbst die einzige beständige Gefährtin in diesem Reigen: die Ehefrau von Blu, dem Bandleader. Von ihr erfährt man nur, dass sie die "Heilige Maria" genannt wird und die meist leere Kasse verwaltet. Nicht zu verwechseln mit Fil.
Blu und Fil waren sich einmal sehr nahe. Die Anziehungskraft ist erstaunlicherweise geblieben. Auch nach zwanzig Jahren Pause schlüpfen sie beim ersten Wiedersehen ganz selbstverständlich ins nächste Bett, zu schön sind die gemeinsamen Erinnerungen an Jugend und Leidenschaft. Vielleicht auch an die Musik von damals, die besser war als heute: Rock 'n' Roll und dessen schnell wechselnde Nachfolger. Von einer Lovestory ist allerdings bis auf einen Rest Vertrautheit nichts mehr zu spüren. Beider Liebe ist zerfallen, weil sie nur noch aus kurzer, meist einseitiger sexueller Ekstase besteht. Blu hat sie durch Alkohol ersetzt, der zu seinem alltäglichen Suchtproblem geworden ist. Von der großen Freiheit spricht niemand mehr.
Wiedersehen, Trennung und Flucht voreinander - Blu und Fil führen beide ein riskantes Leben. Unterwegs sein ohne Ziel ist jedoch nicht leicht. Blu scheut jede Bindung, Fil versucht zumindest, eine Basis zu finden. Da sie die Kulturszene in Hamburg, Berlin und anderswo kennt, vermittelt sie Blu immer wieder Auftritte, auch solche, die Hoffnungen wecken. Doch das Schweben als Lieblingszustand, niemals sich festzulegen - es wird schwieriger, wenn man in die Jahre kommt.
Hanna Mittelstädt, 1951 geboren, hat sich einen Namen als Verlegerin, Übersetzerin und Organisatorin von literarischen, auch szenischen Lesungen gemacht. Sie hat eine Vorliebe für Alternatives und ist in der feministischen Literatur zu Hause. Mit "Blu" versucht sie nun etwas Neues für sich und vielleicht auch für manchen Leser. Sie nennt es Lovestory, doch es ist eher die traurige Geschichte einer Illusion, einer verlorenen Liebe. MARIA FRISÉ.
Hanna Mittelstädt: "Blu". Lovestory. Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke, Tübingen 2021. 120 S., br., 12,- Euro.
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