A New York Times Notable Book and National Bestseller
From one of our most powerful writers, a work of stunning frankness about losing a daughter.
Richly textured with memories from her own childhood and married life with her husband, John Gregory Dunne, and daughter, Quintana Roo, this new book by Joan Didion is an intensely personal and moving account of her thoughts, fears, and doubts regarding having children, illness and growing old.
As she reflects on her daughter's life and on her role as a parent, Didion grapples with the candid questions that all parents face, and contemplates her age, something she finds hard to acknowledge, much less accept. Blue Nights-the long, light evening hours that signal the summer solstice, "the opposite of the dying of the brightness, but also its warning"-like The Year of Magical Thinking before it, is an iconic book of incisive and electric honesty, haunting and profound. "Incantory....A beautiful condolance note to humanity about some of the painful realities of the human condition." --The Washington Post
From one of our most powerful writers, a work of stunning frankness about losing a daughter.
Richly textured with memories from her own childhood and married life with her husband, John Gregory Dunne, and daughter, Quintana Roo, this new book by Joan Didion is an intensely personal and moving account of her thoughts, fears, and doubts regarding having children, illness and growing old.
As she reflects on her daughter's life and on her role as a parent, Didion grapples with the candid questions that all parents face, and contemplates her age, something she finds hard to acknowledge, much less accept. Blue Nights-the long, light evening hours that signal the summer solstice, "the opposite of the dying of the brightness, but also its warning"-like The Year of Magical Thinking before it, is an iconic book of incisive and electric honesty, haunting and profound. "Incantory....A beautiful condolance note to humanity about some of the painful realities of the human condition." --The Washington Post
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.02.2012Totenwache einer Überlebenden
Joan Didion hat über Leben und Sterben ihrer Tochter ein radikales Buch geschrieben. "Blaue Stunden" geht dorthin, wo es weh tut: Es schildert die Ohnmacht des Verlusts, den Selbstzweifel einer Mutter, die Sinnlosigkeit von Erinnerung.
Schicksalsschläge wie der Verlust eines geliebten Menschen können tödlich sein. Als Hugo von Hofmannsthal zur Beerdigung seines Sohnes aufbrach, der sich mit nur sechsundzwanzig Jahren erschossen hatte, erreichte der Vater die Trauergesellschaft nie. Noch im Haus erlitt der Fünfundfünfzigjährige einen Schlaganfall, an dem er wenig später starb. Die amerikanische Schriftstellerin Joan Didion, die kurz hintereinander erst ihren Mann und dann ihre Tochter verlor, ist daher so etwas wie eine Überlebende. Sie, die den Tod ihr Leben lang erfolgreich verdrängt hatte, wie sie bekennt, fürchtete sich plötzlich nicht mehr davor, selbst zu sterben - sondern nur noch davor, nicht zu sterben.
Bricht der Tod in eine Familie ein, ist das der Augenblick, der das Leben trennt in ein Davor und ein Danach. Doch obwohl diese Erfahrung universell ist, bleiben Trauernde oft allein mit ihrem Leid. Kaum jemand spricht, kaum einer schreibt darüber. Dabei ist das Sterben in der Gesellschaft, ein seltsames Paradox, sichtbar wie nie - man denke nur an die Kollektivtrauer um Robert Enke, den Erfolg der morbiden Fernsehserie "Six Feet Under" oder das Interesse an der Selbstauskunft des todkranken Christoph Schlingensief. So öffentlich das Sterben geworden ist, Trauer bleibt privat.
Auch deshalb hat Joan Didions Buch "Das Jahr magischen Denkens" (2006) so viele Menschen bewegt. Darin schreibt sie in unverwechselbarer Mischung aus Erinnerung, Analyse und Trauerarbeit radikal offen und dabei doch diskret über den Tod ihres Mannes, mit dem sie fast vierzig Jahre zusammenlebte und -arbeitete. Entstanden war das Buch aus dem Bedürfnis, den Erschütterungen standzuhalten. Denn zur gleichen Zeit lag ihre einzige Tochter Quintana im Krankenhaus. Eine Grippe hatte einen septischen Schock ausgelöst. Mehr als ein Jahr verbrachte Quintana auf verschiedenen Intensivstationen, bevor sie nach mehreren Operationen im August 2005 mit nur neununddreißig Jahren starb. "Lässt für die Sterblichen größeres Leid sich erdenken, als sterben zu sehen die Kinder?", zitiert Joan Didion Euripides, um selbst noch einen schmerzlichen Schritt weiterzudenken: "Wenn wir von Sterblichkeit reden, reden wir von unseren Kindern."
Joan Didions besondere Begabung als Chronistin Amerikas lag seit ihren Anfängen in den Sechzigern bei der "Vogue" in ihrer einzigartigen Verschränkung aus Betrachtung und Reflexion, Sinnlichkeit und Klarsicht. So hält es die Siebenundsiebzigjährige auch in "Blaue Stunden": Weder Roman noch Autobiographie, noch reiner Essay, erfüllt das Buch nach Art eines literarischen Exerzitiums fast die Funktion, die früher die Totenwache hatte. "Blaue Stunden" nimmt den Leser mit auf eine Zeitreise ganz eigener Chronologie. Didion ergeht sich nicht etwa in peinigenden Details über das qualvolle Sterben ihrer Tochter. Hier schreibt eine Mutter, die keine mehr ist, die sich an ihr Kind erinnert, das nicht mehr lebt.
Quintana ist ein kleines Mädchen, als die Familie Didion-Dunne ins kalifornische Malibu zieht, in ein Haus am Pazifikstrand. Die vielbeschäftigten Eltern schreiben nicht mehr nur Romane und Zeitungskolumnen, sondern inzwischen auch Drehbücher. Man verkehrt mit den Berühmtheiten Hollywoods. Quintanas Kindheit ist das, was man privilegiert nennt. Im Schrank hängen Dutzende Designerkleidchen, bei Konzerten berühmter Rockbands sitzt sie auf der Bühne im Eck, auf Reisen nach Paris, Saint-Tropez oder New York steigt die Familie in den besten Hotels ab. Die Fünfjährige weiß, was sie tun muss, damit der Zimmerservice ihr den Kindercocktail Shirley Temple bringt.
Joan Didion kramt in Schubladen und schaut die alten Bilder an, auf der Suche nach einem Sinn, einer vielleicht heimlichen Bedeutung, die sich erst im Rückblick erschließen ließe - vergeblich. Aus dieser Vergeblichkeit speist sich Didions Hoffnungsverweigerung. Die Fotografien dokumentieren zwar glückliche Tage Anfang der Siebziger: Quintana mit flachsblondem Haar und karierter Uniform marschiert fröhlich zur Schule; der erste Milchzahn wackelt; auf Gartenpartys stehen Frauen in Chanel-Kostümen und rauchen David-Webb-Zigaretten. Doch da fällt Didion der Zettel mit "Mamas Sprüchen" ein, den ihre Tochter eines Tages in der Garage aufhängte: "Putz dir die Zähne, kämm deine Haare und sei still, ich arbeite." Die vergilbenden Dokumente lachender sonnengebräunter Menschen erweisen sich als unzuverlässige Zeugen.
Andere Geschichten, für die es keine Bilder außerhalb des Kopfes gibt, erzählen von Quintanas Anrufen in der Psychiatrie, weil sie wissen will, was sie tun muss, falls sie verrückt werden sollte. Da ist sie gerade fünf Jahre alt. Ein anderes Mal ruft sie, kaum älter, bei Twentieth Century Fox an. Sie habe sich erkundigen wollen, erklärt sie den verdutzten Eltern, was sie tun müsse, um ein Star zu werden. Das Kind, das so verzweifelt versucht, keines zu sein, weiß dafür, welche Buchläden welche Bestsellerlisten machen und was die Aufgabe eines Agenten ist. Den berühmten William Morris fragte Quintana nach einem Arbeitstreffen mit ihrer Mutter: "Aber wann geben Sie ihr das Geld?"
Dass sie die Tiefen und Untiefen im Wesen der Tochter nicht früher bemerkt habe, blitzartige Veränderungen, die später als Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert werden, wirft Joan Didion sich bis heute vor. Wäre dann womöglich alles anders gekommen? Solche unausgesprochenen Zweifel durchziehen das Buch. Vor allem aber grundiert es die Angst: die Angst, dass ihrer Tochter etwas zustoßen könnte. Seit Quintanas Geburt, schreibt Didion, habe es keinen angstfreien Augenblick mehr in ihrem Leben gegeben. Ob Schwimmbecken oder Hochspannungsdrähte, Fieber, für die es keine Erklärung gab, oder Fremde, die vor der Haustür auftauchten - nichts ließ sie als Mutter sicher sein. Dass Quintana nicht ihre leibliche Tochter war, machte die Sache nicht einfacher. Als das Kind 1966 zur Welt kam, trug es keinen Namen ums Handgelenk, sondern die Kennbuchstaben "K. I." - für "Keine Information".
Bis heute quält Didion, dass sie damals, dem Rat der Fachleute folgend, dem Kind die "Geschichte von der Wahlmöglichkeit" erzählte. Warum sie sich gerade für Quintana entschieden hatten. Was wäre gewesen, fragte das Mädchen immer wieder, wenn sie sich gegen sie entschieden hätten? Dass sich Adoption, wie Elternschaft überhaupt, "nur schwer richtig machen" lässt, das reflektiert Didion eindringlich. Schon der märchenhafte Name Quintana Roo, den sie und ihr Mann auf einer mexikanischen Landkarte entdeckt hatten, erwies sich als fatal: Denn er bezeichnete ein Gebiet, das noch kein Staat war, sondern Terra incognita. Hatten die naiven Eltern wirklich geglaubt, dass das Neugeborene auf der Kinderstation ein unbeschriebenes Blatt war, das sie nun prägen würden?
Die schroffe, fast rohe Offenheit, dieses Fehlen jeglicher Rhetorik, Larmoyanz und Rührseligkeit macht Didions schmalen Band zur eindringlichen Meditation über letzte Dinge. Jegliche Dramatisierung verbietet sie sich, und doch schnürt es einem beim Lesen oft die Kehle zu. Wer da zur gleichen Zeit Joyce Carol Oates' Fünfhundertseiten-Schmerzensepos "Meine Zeit der Trauer" über den Tod ihres Mannes liest, ist entsetzt. Denn im Vergleich zu Didions radikaler Wortkargheit kann man der Kanadierin kaum verzeihen, mit wie viel dramatischem Aufwand sie ihre Trauer im Rückblick inszeniert - zu einem Zeitpunkt wohlgemerkt, an dem sie längst wieder glücklich verheiratet ist.
Anders als Joyce Carol Oates lässt Joan Didion das Gerede von der Erinnerung völlig kalt: "Erinnerungen sind das, woran man sich nicht länger erinnern möchte." Immerhin. Als Quintanas Tod fast fünf Jahre zurückliegt, kann Joan Didion wenigstens wieder an ihre Tochter denken. Sie weint nicht mehr, wenn sie ihren Namen hört. Sie stellt sich nicht mehr vor, wie der Wagen gerufen wird, um sie ins Leichenschauhaus zu bringen. Und doch denkt sie immer nur an sie.
Es gibt nichts Schöneres als Eltern, die ein Kind bekommen. Es gibt nichts Schlimmeres als Eltern, die um ihr Kind trauern. Joan Didions Requiem auf ihre Tochter kann den namenlosen Schmerz nicht zum Verschwinden bringen, aber es gibt der Nichterfahrbarkeit des Todes eine eminent literarische Gestalt. Mehr ist nicht möglich.
SANDRA KEGEL.
Joan Didion: "Blaue Stunden".
Aus dem Englischen von Antje Rávic Strubel. Ullstein Verlag. Berlin 2012. 208 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Joan Didion hat über Leben und Sterben ihrer Tochter ein radikales Buch geschrieben. "Blaue Stunden" geht dorthin, wo es weh tut: Es schildert die Ohnmacht des Verlusts, den Selbstzweifel einer Mutter, die Sinnlosigkeit von Erinnerung.
Schicksalsschläge wie der Verlust eines geliebten Menschen können tödlich sein. Als Hugo von Hofmannsthal zur Beerdigung seines Sohnes aufbrach, der sich mit nur sechsundzwanzig Jahren erschossen hatte, erreichte der Vater die Trauergesellschaft nie. Noch im Haus erlitt der Fünfundfünfzigjährige einen Schlaganfall, an dem er wenig später starb. Die amerikanische Schriftstellerin Joan Didion, die kurz hintereinander erst ihren Mann und dann ihre Tochter verlor, ist daher so etwas wie eine Überlebende. Sie, die den Tod ihr Leben lang erfolgreich verdrängt hatte, wie sie bekennt, fürchtete sich plötzlich nicht mehr davor, selbst zu sterben - sondern nur noch davor, nicht zu sterben.
Bricht der Tod in eine Familie ein, ist das der Augenblick, der das Leben trennt in ein Davor und ein Danach. Doch obwohl diese Erfahrung universell ist, bleiben Trauernde oft allein mit ihrem Leid. Kaum jemand spricht, kaum einer schreibt darüber. Dabei ist das Sterben in der Gesellschaft, ein seltsames Paradox, sichtbar wie nie - man denke nur an die Kollektivtrauer um Robert Enke, den Erfolg der morbiden Fernsehserie "Six Feet Under" oder das Interesse an der Selbstauskunft des todkranken Christoph Schlingensief. So öffentlich das Sterben geworden ist, Trauer bleibt privat.
Auch deshalb hat Joan Didions Buch "Das Jahr magischen Denkens" (2006) so viele Menschen bewegt. Darin schreibt sie in unverwechselbarer Mischung aus Erinnerung, Analyse und Trauerarbeit radikal offen und dabei doch diskret über den Tod ihres Mannes, mit dem sie fast vierzig Jahre zusammenlebte und -arbeitete. Entstanden war das Buch aus dem Bedürfnis, den Erschütterungen standzuhalten. Denn zur gleichen Zeit lag ihre einzige Tochter Quintana im Krankenhaus. Eine Grippe hatte einen septischen Schock ausgelöst. Mehr als ein Jahr verbrachte Quintana auf verschiedenen Intensivstationen, bevor sie nach mehreren Operationen im August 2005 mit nur neununddreißig Jahren starb. "Lässt für die Sterblichen größeres Leid sich erdenken, als sterben zu sehen die Kinder?", zitiert Joan Didion Euripides, um selbst noch einen schmerzlichen Schritt weiterzudenken: "Wenn wir von Sterblichkeit reden, reden wir von unseren Kindern."
Joan Didions besondere Begabung als Chronistin Amerikas lag seit ihren Anfängen in den Sechzigern bei der "Vogue" in ihrer einzigartigen Verschränkung aus Betrachtung und Reflexion, Sinnlichkeit und Klarsicht. So hält es die Siebenundsiebzigjährige auch in "Blaue Stunden": Weder Roman noch Autobiographie, noch reiner Essay, erfüllt das Buch nach Art eines literarischen Exerzitiums fast die Funktion, die früher die Totenwache hatte. "Blaue Stunden" nimmt den Leser mit auf eine Zeitreise ganz eigener Chronologie. Didion ergeht sich nicht etwa in peinigenden Details über das qualvolle Sterben ihrer Tochter. Hier schreibt eine Mutter, die keine mehr ist, die sich an ihr Kind erinnert, das nicht mehr lebt.
Quintana ist ein kleines Mädchen, als die Familie Didion-Dunne ins kalifornische Malibu zieht, in ein Haus am Pazifikstrand. Die vielbeschäftigten Eltern schreiben nicht mehr nur Romane und Zeitungskolumnen, sondern inzwischen auch Drehbücher. Man verkehrt mit den Berühmtheiten Hollywoods. Quintanas Kindheit ist das, was man privilegiert nennt. Im Schrank hängen Dutzende Designerkleidchen, bei Konzerten berühmter Rockbands sitzt sie auf der Bühne im Eck, auf Reisen nach Paris, Saint-Tropez oder New York steigt die Familie in den besten Hotels ab. Die Fünfjährige weiß, was sie tun muss, damit der Zimmerservice ihr den Kindercocktail Shirley Temple bringt.
Joan Didion kramt in Schubladen und schaut die alten Bilder an, auf der Suche nach einem Sinn, einer vielleicht heimlichen Bedeutung, die sich erst im Rückblick erschließen ließe - vergeblich. Aus dieser Vergeblichkeit speist sich Didions Hoffnungsverweigerung. Die Fotografien dokumentieren zwar glückliche Tage Anfang der Siebziger: Quintana mit flachsblondem Haar und karierter Uniform marschiert fröhlich zur Schule; der erste Milchzahn wackelt; auf Gartenpartys stehen Frauen in Chanel-Kostümen und rauchen David-Webb-Zigaretten. Doch da fällt Didion der Zettel mit "Mamas Sprüchen" ein, den ihre Tochter eines Tages in der Garage aufhängte: "Putz dir die Zähne, kämm deine Haare und sei still, ich arbeite." Die vergilbenden Dokumente lachender sonnengebräunter Menschen erweisen sich als unzuverlässige Zeugen.
Andere Geschichten, für die es keine Bilder außerhalb des Kopfes gibt, erzählen von Quintanas Anrufen in der Psychiatrie, weil sie wissen will, was sie tun muss, falls sie verrückt werden sollte. Da ist sie gerade fünf Jahre alt. Ein anderes Mal ruft sie, kaum älter, bei Twentieth Century Fox an. Sie habe sich erkundigen wollen, erklärt sie den verdutzten Eltern, was sie tun müsse, um ein Star zu werden. Das Kind, das so verzweifelt versucht, keines zu sein, weiß dafür, welche Buchläden welche Bestsellerlisten machen und was die Aufgabe eines Agenten ist. Den berühmten William Morris fragte Quintana nach einem Arbeitstreffen mit ihrer Mutter: "Aber wann geben Sie ihr das Geld?"
Dass sie die Tiefen und Untiefen im Wesen der Tochter nicht früher bemerkt habe, blitzartige Veränderungen, die später als Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert werden, wirft Joan Didion sich bis heute vor. Wäre dann womöglich alles anders gekommen? Solche unausgesprochenen Zweifel durchziehen das Buch. Vor allem aber grundiert es die Angst: die Angst, dass ihrer Tochter etwas zustoßen könnte. Seit Quintanas Geburt, schreibt Didion, habe es keinen angstfreien Augenblick mehr in ihrem Leben gegeben. Ob Schwimmbecken oder Hochspannungsdrähte, Fieber, für die es keine Erklärung gab, oder Fremde, die vor der Haustür auftauchten - nichts ließ sie als Mutter sicher sein. Dass Quintana nicht ihre leibliche Tochter war, machte die Sache nicht einfacher. Als das Kind 1966 zur Welt kam, trug es keinen Namen ums Handgelenk, sondern die Kennbuchstaben "K. I." - für "Keine Information".
Bis heute quält Didion, dass sie damals, dem Rat der Fachleute folgend, dem Kind die "Geschichte von der Wahlmöglichkeit" erzählte. Warum sie sich gerade für Quintana entschieden hatten. Was wäre gewesen, fragte das Mädchen immer wieder, wenn sie sich gegen sie entschieden hätten? Dass sich Adoption, wie Elternschaft überhaupt, "nur schwer richtig machen" lässt, das reflektiert Didion eindringlich. Schon der märchenhafte Name Quintana Roo, den sie und ihr Mann auf einer mexikanischen Landkarte entdeckt hatten, erwies sich als fatal: Denn er bezeichnete ein Gebiet, das noch kein Staat war, sondern Terra incognita. Hatten die naiven Eltern wirklich geglaubt, dass das Neugeborene auf der Kinderstation ein unbeschriebenes Blatt war, das sie nun prägen würden?
Die schroffe, fast rohe Offenheit, dieses Fehlen jeglicher Rhetorik, Larmoyanz und Rührseligkeit macht Didions schmalen Band zur eindringlichen Meditation über letzte Dinge. Jegliche Dramatisierung verbietet sie sich, und doch schnürt es einem beim Lesen oft die Kehle zu. Wer da zur gleichen Zeit Joyce Carol Oates' Fünfhundertseiten-Schmerzensepos "Meine Zeit der Trauer" über den Tod ihres Mannes liest, ist entsetzt. Denn im Vergleich zu Didions radikaler Wortkargheit kann man der Kanadierin kaum verzeihen, mit wie viel dramatischem Aufwand sie ihre Trauer im Rückblick inszeniert - zu einem Zeitpunkt wohlgemerkt, an dem sie längst wieder glücklich verheiratet ist.
Anders als Joyce Carol Oates lässt Joan Didion das Gerede von der Erinnerung völlig kalt: "Erinnerungen sind das, woran man sich nicht länger erinnern möchte." Immerhin. Als Quintanas Tod fast fünf Jahre zurückliegt, kann Joan Didion wenigstens wieder an ihre Tochter denken. Sie weint nicht mehr, wenn sie ihren Namen hört. Sie stellt sich nicht mehr vor, wie der Wagen gerufen wird, um sie ins Leichenschauhaus zu bringen. Und doch denkt sie immer nur an sie.
Es gibt nichts Schöneres als Eltern, die ein Kind bekommen. Es gibt nichts Schlimmeres als Eltern, die um ihr Kind trauern. Joan Didions Requiem auf ihre Tochter kann den namenlosen Schmerz nicht zum Verschwinden bringen, aber es gibt der Nichterfahrbarkeit des Todes eine eminent literarische Gestalt. Mehr ist nicht möglich.
SANDRA KEGEL.
Joan Didion: "Blaue Stunden".
Aus dem Englischen von Antje Rávic Strubel. Ullstein Verlag. Berlin 2012. 208 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.03.2012Das Rad der Augenblicke
Großer Schmerz, leise Töne: In ihrem neuen Buch „Blaue Stunden“ umkreist die große
amerikanische Erzählerin Joan Didion den Tod ihrer Tochter Von Sibylle Cramer
Die Anfänge ihres Buchs verknüpft die amerikanische Autorin Joan Didion mit der kontemplativen Atmosphäre blauer Stunden, die bei heraufdämmerndem Abend und schwindendem Licht die dunkleren Tage des Jahres ankündigen und das Bewusstsein für den Verfall der Zeit, auch der eigenen schärfen. Aber die blauen Stunden sind mehr als ein Datum der Werkgeschichte. Die Intensität des Erlebnisses transitorischer Zeit geht in die epiphane Zeitstruktur des Erinnerungsprozesses ein. Kapitel für Kapitel sondert die Erzählerin prägende Erinnerungsmomente aus, die penibel datiert werden. Mit Hilfe von Uhr und Kalender entsteht eine Chronik loser Augenblicke, die das Leben der jung verstorbenen Tochter in seiner Zeitlichkeit und Zufälligkeit zeigen, auf das Rad der Augenblicke geflochten, im Schwankungsfeld zwischen Anwesenheit und Abwesenheit.
Den Anfang macht das Bild der strahlenden Braut in Schleier, deren Lebenswünsche sich an diesem 26. Juli 2003 in New York bis auf den einen erfüllen: ihre Blumenmädchen sind nicht barfuß. Das Fest ist der erzählerische Baustein, der als Ausgangs- und Höhepunkt des erinnerten Lebens der Erzählung ihr Gefälle gibt. Das nächste Datum meldet schon ihre Krankheit. In einer Ordnung, die der Prozess des Erinnerns, nicht der Lauf der Ereignisse steuert, folgen der Umzug der Familie in das Kindheitshaus Quintana Roos, der ihre Eltern den Namen einer Terra incognita auf der mexikanischen Landkarte geben; das Drama des ersten wackligen Milchzahns, der Roman, den die Dreizehnjährige schreibt; der 3. März 1966, als das Ehepaar die Nachricht von der Geburt seines Adoptivkindes erhält; das Schreibleben der Eltern, dem sich das Kind einfügen muss: „Putz dir die Zähne, kämm deine Haare und sei still, ich arbeite“; die Aufzeichnungen der Halbwüchsigen über ihre Lebensangst; jener Augenblick im Flugzeug, als Mutter und Kind merken, dass das Liebste im Hotel zurückblieb, der Stoffhase; zuletzt jener Samstagmorgen im Jahre 1998, als der Brief einer leiblichen Schwester Quintanas eintrifft, von deren Existenz sie nichts wusste, schließlich der Tod Quintanas am 26. August 2005 nach einer Gehirnblutung.
Die diskontinuierliche, immer wieder abbrechende und neu einsetzende Erzählung spiegelt ein bruchstückhafteres, flüchtigeres Leben als das chronologisch aufgefädelte der Lebensgeschichte und eine nacktere, farbigere, reichere Innerlichkeit. Dafür sorgt die Eigendynamik der Erinnerung. In vor- und zurücklaufenden Kreisgängen holt die Schreibende bedeutsame Details des vorgeführten Lebens zurück und hebt sie auf eine zweite reflexive Stufe des Erzählens. Allgegenwärtig im Buch ist die in ihrer frostigen Sachlichkeit unüberbietbare Auskunft der Ärzte, die Sterbende habe seit einer Stunde nicht mehr genug Sauerstoff durch das Beatmungsgerät bekommen. „Das Licht draußen wurde schon dunkler. Der Sommer ging schon zu Ende, und sie war noch immer oben auf der Intensivstation mit Aussicht auf den Fluss, und der Chirurg sagte, sie war in keinem guten Zustand, als man sie hierher gebracht hatte. Mit anderen Worten, sie lag im Sterben.“
Ihre Trauer formt die Schreibende zum Gedankengang. Kaum ein Kapitel, das angesichts zerrissener Lebensfäden seine Rekonstruktionsaufgabe nicht ohne den Umweg über Zeitungsartikel und soziologische, psychologische, medizinische Nachschlagewerke und Forschungsliteratur löst. Die fragende, suchende, überprüfende Methode im Umgang mit den Bestandteilen des biographischen Stoffs hebt die Kapitel über die besondere Lage Quintanas als Adoptivkind, ihre Verlustangst oder psychische Labilität auf eine objektive, exemplarische Ebene.
Als sich die Türen der New Yorker Kathedrale St. John the Divine, in deren Marmorwand die Autorin die Asche der Tochter neben der ihres Mannes beigesetzt hat, hinter der Letzten der Familie schließen, setzt sich ein hüllenloser Bekenntniston durch. Überwunden sind die Schwierigkeiten, „direkt“ zu schreiben, die sie im Gespräch mit dem Leser erörterte. Längst hat sie erkannt, dass sie unter dem Eindruck des Erlebten von Beginn an über die Vergänglichkeit gesprochen hat, dass ihr eigentliches Thema die menschliche Unfähigkeit ist, dem Altern und dem Tod ins Auge zu sehen. Die Rede über das Altern ist eine Rede über Zukunftslosigkeit, über die Reduktions- und Schwundformen des Lebens.
„Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben“, heißt es zu Beginn einer der großen Reportagen Joan Didions aus den 1970-er Jahren. Nun verliert sie den Sinn fürs Mögliche, verbringt ihre Tage zusehends in Wartezimmern, memoriert Medikamente, Symptome, Befunde, Daten, und erfindet sie, wenn es misslingt. Eine schwere Viruserkrankung stellt sich ein, ein Melanom muss operiert werden. Stundenlang erhält sie Infusionen eines Präparats, das die ans Alter verlorene Knochenmasse ersetzen soll. Längst jedoch hat sich die Angst zu sterben in die Angst verwandelt, nicht zu sterben. Noch aber gibt es etwas, was verlorengehen kann: die Erinnerung an ihr Kind.
Der poetische Gedenkstein für die Tote, den Joan Didion in eine Atmosphäre nüchterner Trauer hüllt, verdankt seine schlichte Schönheit im Deutschen der Übersetzerin Antje Rávic Strubel.
„Putz dir die Zähne,
kämm deine Haare und
sei still, ich arbeite“
Joan Didion
Blaue Stunden
Aus dem Englischen von Antje Rávic Strubel. Ullstein Verlag, Berlin 2012. 208 Seiten, 18 Euro.
„Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben“: die amerikanische Autorin Joan Didion. Foto: Dorothy Hong/Guardian News & Media Ltd.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Großer Schmerz, leise Töne: In ihrem neuen Buch „Blaue Stunden“ umkreist die große
amerikanische Erzählerin Joan Didion den Tod ihrer Tochter Von Sibylle Cramer
Die Anfänge ihres Buchs verknüpft die amerikanische Autorin Joan Didion mit der kontemplativen Atmosphäre blauer Stunden, die bei heraufdämmerndem Abend und schwindendem Licht die dunkleren Tage des Jahres ankündigen und das Bewusstsein für den Verfall der Zeit, auch der eigenen schärfen. Aber die blauen Stunden sind mehr als ein Datum der Werkgeschichte. Die Intensität des Erlebnisses transitorischer Zeit geht in die epiphane Zeitstruktur des Erinnerungsprozesses ein. Kapitel für Kapitel sondert die Erzählerin prägende Erinnerungsmomente aus, die penibel datiert werden. Mit Hilfe von Uhr und Kalender entsteht eine Chronik loser Augenblicke, die das Leben der jung verstorbenen Tochter in seiner Zeitlichkeit und Zufälligkeit zeigen, auf das Rad der Augenblicke geflochten, im Schwankungsfeld zwischen Anwesenheit und Abwesenheit.
Den Anfang macht das Bild der strahlenden Braut in Schleier, deren Lebenswünsche sich an diesem 26. Juli 2003 in New York bis auf den einen erfüllen: ihre Blumenmädchen sind nicht barfuß. Das Fest ist der erzählerische Baustein, der als Ausgangs- und Höhepunkt des erinnerten Lebens der Erzählung ihr Gefälle gibt. Das nächste Datum meldet schon ihre Krankheit. In einer Ordnung, die der Prozess des Erinnerns, nicht der Lauf der Ereignisse steuert, folgen der Umzug der Familie in das Kindheitshaus Quintana Roos, der ihre Eltern den Namen einer Terra incognita auf der mexikanischen Landkarte geben; das Drama des ersten wackligen Milchzahns, der Roman, den die Dreizehnjährige schreibt; der 3. März 1966, als das Ehepaar die Nachricht von der Geburt seines Adoptivkindes erhält; das Schreibleben der Eltern, dem sich das Kind einfügen muss: „Putz dir die Zähne, kämm deine Haare und sei still, ich arbeite“; die Aufzeichnungen der Halbwüchsigen über ihre Lebensangst; jener Augenblick im Flugzeug, als Mutter und Kind merken, dass das Liebste im Hotel zurückblieb, der Stoffhase; zuletzt jener Samstagmorgen im Jahre 1998, als der Brief einer leiblichen Schwester Quintanas eintrifft, von deren Existenz sie nichts wusste, schließlich der Tod Quintanas am 26. August 2005 nach einer Gehirnblutung.
Die diskontinuierliche, immer wieder abbrechende und neu einsetzende Erzählung spiegelt ein bruchstückhafteres, flüchtigeres Leben als das chronologisch aufgefädelte der Lebensgeschichte und eine nacktere, farbigere, reichere Innerlichkeit. Dafür sorgt die Eigendynamik der Erinnerung. In vor- und zurücklaufenden Kreisgängen holt die Schreibende bedeutsame Details des vorgeführten Lebens zurück und hebt sie auf eine zweite reflexive Stufe des Erzählens. Allgegenwärtig im Buch ist die in ihrer frostigen Sachlichkeit unüberbietbare Auskunft der Ärzte, die Sterbende habe seit einer Stunde nicht mehr genug Sauerstoff durch das Beatmungsgerät bekommen. „Das Licht draußen wurde schon dunkler. Der Sommer ging schon zu Ende, und sie war noch immer oben auf der Intensivstation mit Aussicht auf den Fluss, und der Chirurg sagte, sie war in keinem guten Zustand, als man sie hierher gebracht hatte. Mit anderen Worten, sie lag im Sterben.“
Ihre Trauer formt die Schreibende zum Gedankengang. Kaum ein Kapitel, das angesichts zerrissener Lebensfäden seine Rekonstruktionsaufgabe nicht ohne den Umweg über Zeitungsartikel und soziologische, psychologische, medizinische Nachschlagewerke und Forschungsliteratur löst. Die fragende, suchende, überprüfende Methode im Umgang mit den Bestandteilen des biographischen Stoffs hebt die Kapitel über die besondere Lage Quintanas als Adoptivkind, ihre Verlustangst oder psychische Labilität auf eine objektive, exemplarische Ebene.
Als sich die Türen der New Yorker Kathedrale St. John the Divine, in deren Marmorwand die Autorin die Asche der Tochter neben der ihres Mannes beigesetzt hat, hinter der Letzten der Familie schließen, setzt sich ein hüllenloser Bekenntniston durch. Überwunden sind die Schwierigkeiten, „direkt“ zu schreiben, die sie im Gespräch mit dem Leser erörterte. Längst hat sie erkannt, dass sie unter dem Eindruck des Erlebten von Beginn an über die Vergänglichkeit gesprochen hat, dass ihr eigentliches Thema die menschliche Unfähigkeit ist, dem Altern und dem Tod ins Auge zu sehen. Die Rede über das Altern ist eine Rede über Zukunftslosigkeit, über die Reduktions- und Schwundformen des Lebens.
„Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben“, heißt es zu Beginn einer der großen Reportagen Joan Didions aus den 1970-er Jahren. Nun verliert sie den Sinn fürs Mögliche, verbringt ihre Tage zusehends in Wartezimmern, memoriert Medikamente, Symptome, Befunde, Daten, und erfindet sie, wenn es misslingt. Eine schwere Viruserkrankung stellt sich ein, ein Melanom muss operiert werden. Stundenlang erhält sie Infusionen eines Präparats, das die ans Alter verlorene Knochenmasse ersetzen soll. Längst jedoch hat sich die Angst zu sterben in die Angst verwandelt, nicht zu sterben. Noch aber gibt es etwas, was verlorengehen kann: die Erinnerung an ihr Kind.
Der poetische Gedenkstein für die Tote, den Joan Didion in eine Atmosphäre nüchterner Trauer hüllt, verdankt seine schlichte Schönheit im Deutschen der Übersetzerin Antje Rávic Strubel.
„Putz dir die Zähne,
kämm deine Haare und
sei still, ich arbeite“
Joan Didion
Blaue Stunden
Aus dem Englischen von Antje Rávic Strubel. Ullstein Verlag, Berlin 2012. 208 Seiten, 18 Euro.
„Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben“: die amerikanische Autorin Joan Didion. Foto: Dorothy Hong/Guardian News & Media Ltd.
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