Mit einem Abschluss in Princeton und zwei Jahren Jurastudium hätte Darren Mathews leicht einen Platz in der Elite der afroamerikanischen Anwälte einnehmen können. Stattdessen folgte er dem Beispiel seines Onkels, um Texas Ranger zu werden. Auf Drängen eines Freundes im FBI fa¿hrt er nach Lark. Was zunächst wie ein doppeltes Hassverbrechen in einer winzigen Stadt in Texas aussieht, entpuppt sich als ein komplizierter Fall. Eines der Opfer ist Michael Wright, ein schwarzer Anwalt aus Chicago. Das andere Opfer Missy Dale, eine unglücklich verheiratete weiße Kellnerin, die zusammen mit Wright eine Redneck-Bar in Lark spät in der Nacht verlassen hat. Beide misshandelten Leichen werden im nahegelegenen Attoyac Bayou gefunden. Matthews, der wegen eines ähnlich gelagerten Falls suspendiert wurde, vermutet eine Verbindung zur gewalttätigen rassistischen Bande der Ayran Brotherhood of Texas, die sich durch Drogenschmuggel bereichert. Er trifft auf einen ihm feindlich eingestellten Sheriff, den rassistischen Ehemann der Toten und die äußerst launische Witwe des toten Anwalts, die extra einfliegt, um herauszufinden, was ihrem Ehemann zugestoßen ist.
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buecher-magazin.deIm Städtchen Lark in Ost-Texas wird ein Toter aus dem Bayou gezogen, ein afroamerikanischer Anwalt, der auf der Durchreise war. Ein paar Tage später findet man nur wenige 100 Meter entfernt die Leiche einer jungen weißen Frau im Fluss. Für Texas-Ranger Darren Mathews ist dies die falsche Reihenfolge, normalerweise ist es in dieser Gegend andersherum: erst das tote weiße Mädchen, dann ein toter Schwarzer. Mathews, selbst Afroamerikaner, beginnt zu ermitteln. Der Fall scheint relativ klar zu liegen, schließlich wurde der Anwalt zuletzt in einer Bar gesehen, die fest in der Hand der Arischen Bruderschaft von Texas ist. Doch was anfangs wie ein rassistisch motivierter Mord erscheint, entwickelt weitaus tiefere Dimensionen und zwingt am Ende Darren Mathews dazu, sich selbst zu hinterfragen."Bluebird, Bluebird" ist eine Bestandsaufnahme der USA unter Trump. Attica Locke zeigt die Spaltung des Landes in Nord und Süd, sie macht den Rassismus sichtbar, der tief in die Gesellschaft des Südens eingegraben ist. Zugleich ist der Roman eine Liebeserklärung an Texas, denn die Autorin ist hier geboren und fühlt sich - wie ihre Hauptfigur - dem Land zutiefst und in aller Ambivalenz verbunden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.03.2019Das ist auch mein Land
Wenn ein weißes Mädchen tot aufgefunden wird, interessiert ein toter Schwarzer keinen: In Attica Lockes beunruhigendem Roman "Bluebird, Bluebird" zeigt Amerika sein wahres Gesicht.
Wenn sich im Café Geneva's seit dem Tod von Jim Crow vor mehr als vierzig Jahren nicht viel verändert hat, dann liegt das vor allem daran, dass auch drum herum alles beim Alten ist. Es ist noch immer der einzige Rastplatz - Forellen, Teigtaschen mit Obstfüllung, Bourbon - für Schwarze, die sonst nirgendwo einkehren können. Denn das Geneva's liegt in Lark, einem fiktiven Städtchen im osttexanischen Shelby County, das an Louisiana grenzt und damit schon so gut wie zum Süden der Vereinigten Staaten gehört. Früher war der Ort eine Plantage, Läden wie das Kay's Kountry Kitchen mit ihren drei K sind hier auch im Jahr 2016 noch allgegenwärtig.
"Als Folge von Obama hatte Amerika sein wahres Gesicht gezeigt," schreibt Attica Locke in "Bluebird, Bluebird", und spätestens mit der Wahl Donald Trumps hat dieser Satz, hat ihr ganzes Werk eine neue Dringlichkeit bekommen. Es ist der vierte Roman der gebürtigen Texanerin, die zuletzt auch als Drehbuchautorin und Produzentin des Hip-Hop-Serienepos "Empire" arbeitete, ausgezeichnet mit dem Edgar. Ihr Lark liegt direkt am Highway 59, der Südtexas mit den Nordstaaten verbindet, deswegen kommen häufig Fremde durch. Wie der schwarze Anwalt aus Chicago, der kurz darauf ermordet im Bayou liegt. Als wäre das für eine Kleinstadt nicht aufreibend genug, liegt dort etwas später eine zweite Leiche. Diesmal von hier, eine Kellnerin. "Sie verschwenden keinen Gedanken mehr an den Mann", sagen die Leute im Geneva's voraus. "Nicht, wenn ein weißes Mädchen tot aufgefunden wird."
Besonders in den detaillierten Beschreibungen dieses Milieus und der Atmosphäre fühlt man sich in "Bluebird, Bluebird" an Dokumentarfilme jüngeren Datums erinnert, die den Alltag schwarzer Communities durch teilnehmende Beobachtung erfahrbar machen: Roberto Minervinis "What You Gonna Do When The World's One Fire?" oder RaMell Ross' "Hale County This Morning, This Evening". Lockes empathischer Blick auf ihre Figuren entwickelt eine vergleichbare Nähe zu ihren Protagonisten; sie zeigt, wie sehr alltäglicher und institutioneller Rassismus das Leben der Schwarzen in sämtlichen Daseinsbereichen bestimmt.
Die Leute im Geneva's sprechen in elliptischen Sätzen, abgehackt und abgekürzt, wie man eben miteinander redet, weil es aus gegenseitiger Vertrautheit nur das Nötigste zu sagen gilt. Oder weil ein paar fremde Ohren mithören. Die Ohren gehören Darren Mathews, der die Laufbahn als Texas Ranger einst der bequemeren Anwaltskarriere vorzog und sich nun in Lark umhört. Er ist dem ersten Mordopfer nicht unähnlich: ebenfalls Schwarzer mit texanischen Wurzeln, mit kriselnder Ehe und Alkoholproblem.
"Oh, bluebird, take this letter down south for me", heißt es im Song von John Lee Hooker, nach dem der Roman betitelt ist, und die sehnsüchtige Melancholie, die den Sänger darin mit dem Süden verbindet, spürt auch Mathews. Er schleppt nicht nur das persönlich empfundene Pflichtbewusstsein für die Aufklärung der Mordfälle mit sich herum, sondern auch den Ballast seiner eigenen Geschichte, die dem texanischen Boden tief eingeschrieben ist, den seine Vorfahren als Sklaven, später als Farmer bestellten und in dem sie begraben liegen. Den Gegenpol zu Mathews hat Locke mit der Witwe des Ermordeten geschaffen: einer Außenstehenden, für die diese enge Bindung an einen derart feindlichen Ort nur schwer nachvollziehbar ist. Sie unterscheidet sich durch ihren edlen Kaschmirmantel ebenso stark von den Bewohnern Larks wie durch die naive Unerschrockenheit, mit der sie anfangs selbst offensichtlichen Rassisten entgegentritt.
Die Gesellschaft, die Attica Locke zeichnet, ist nicht nur in Schwarz und Weiß gespalten. Die Risse verlaufen zugleich horizontal und vertikal: Stadt und Land, Norden und Süden, Arm und Reich, wir und die. "Das ist auch mein Grund und Boden, mein Staat, mein Land, und ich laufe nicht davon. Ich kann auch hier meinen Mann stehen. Meine Leute haben das hier aufgebaut, und wir gehen nirgendwohin", versucht Mathews der Witwe seinen Standpunkt zu erklären. Auch das ist Texas.
Attica Locke unterstreicht diese Legitimation, indem sie Gegenstände mit identitätspolitischer Symbolik auflädt: Die Gitarre etwa, eine 1955er Les Paul, die im Geneva's hängt. Aber vor allem Mathews' fünfzackiger Stern des Texas Rangers, von ihm geradezu fetischisiert als ultimativer Ausweis seiner Daseinsberechtigung selbst an Orten, an denen Schwarze üblicherweise gefragt werden, ob sie sich verlaufen hätten, bevor im schlimmsten Fall jemand eine Waffe zückt. Als er wegen eines den Lark-Morden ähnlich gelagerten Falles suspendiert wird, bekommt der Stern für ihn eine noch größere Bedeutung. "Ohne die Marke war er lediglich ein Schwarzer, der allein über einen Highway fuhr", heißt es einmal, und der Satz lässt zwei mögliche Konsequenzen zu, die sich auf eine beunruhigend existentielle Frage herunterbrechen lassen: Ist Mathews im Shelby County mit oder ohne Stern eher zum Abschuss freigegeben?
Dass es darauf keine einfachen Antworten geben kann, weiß Attica Locke. In ihrem Text türmen sich die Nebensätze, Details, Beobachtungen regelrecht auf und mit jeder erreichten Höhe wird eine neue, vormals verborgene Ebene sichtbar, fügt sie der Geschichte weitere Nuancen hinzu, die sämtliche Erwartungen und Schlüsse unterlaufen.
KATRIN DOERKSEN
Attica Locke:
"Bluebird, Bluebird".
Kriminalroman.
Aus dem Amerikanischen von Susanna Mende.
Polar Verlag, Hamburg 2019. 280 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn ein weißes Mädchen tot aufgefunden wird, interessiert ein toter Schwarzer keinen: In Attica Lockes beunruhigendem Roman "Bluebird, Bluebird" zeigt Amerika sein wahres Gesicht.
Wenn sich im Café Geneva's seit dem Tod von Jim Crow vor mehr als vierzig Jahren nicht viel verändert hat, dann liegt das vor allem daran, dass auch drum herum alles beim Alten ist. Es ist noch immer der einzige Rastplatz - Forellen, Teigtaschen mit Obstfüllung, Bourbon - für Schwarze, die sonst nirgendwo einkehren können. Denn das Geneva's liegt in Lark, einem fiktiven Städtchen im osttexanischen Shelby County, das an Louisiana grenzt und damit schon so gut wie zum Süden der Vereinigten Staaten gehört. Früher war der Ort eine Plantage, Läden wie das Kay's Kountry Kitchen mit ihren drei K sind hier auch im Jahr 2016 noch allgegenwärtig.
"Als Folge von Obama hatte Amerika sein wahres Gesicht gezeigt," schreibt Attica Locke in "Bluebird, Bluebird", und spätestens mit der Wahl Donald Trumps hat dieser Satz, hat ihr ganzes Werk eine neue Dringlichkeit bekommen. Es ist der vierte Roman der gebürtigen Texanerin, die zuletzt auch als Drehbuchautorin und Produzentin des Hip-Hop-Serienepos "Empire" arbeitete, ausgezeichnet mit dem Edgar. Ihr Lark liegt direkt am Highway 59, der Südtexas mit den Nordstaaten verbindet, deswegen kommen häufig Fremde durch. Wie der schwarze Anwalt aus Chicago, der kurz darauf ermordet im Bayou liegt. Als wäre das für eine Kleinstadt nicht aufreibend genug, liegt dort etwas später eine zweite Leiche. Diesmal von hier, eine Kellnerin. "Sie verschwenden keinen Gedanken mehr an den Mann", sagen die Leute im Geneva's voraus. "Nicht, wenn ein weißes Mädchen tot aufgefunden wird."
Besonders in den detaillierten Beschreibungen dieses Milieus und der Atmosphäre fühlt man sich in "Bluebird, Bluebird" an Dokumentarfilme jüngeren Datums erinnert, die den Alltag schwarzer Communities durch teilnehmende Beobachtung erfahrbar machen: Roberto Minervinis "What You Gonna Do When The World's One Fire?" oder RaMell Ross' "Hale County This Morning, This Evening". Lockes empathischer Blick auf ihre Figuren entwickelt eine vergleichbare Nähe zu ihren Protagonisten; sie zeigt, wie sehr alltäglicher und institutioneller Rassismus das Leben der Schwarzen in sämtlichen Daseinsbereichen bestimmt.
Die Leute im Geneva's sprechen in elliptischen Sätzen, abgehackt und abgekürzt, wie man eben miteinander redet, weil es aus gegenseitiger Vertrautheit nur das Nötigste zu sagen gilt. Oder weil ein paar fremde Ohren mithören. Die Ohren gehören Darren Mathews, der die Laufbahn als Texas Ranger einst der bequemeren Anwaltskarriere vorzog und sich nun in Lark umhört. Er ist dem ersten Mordopfer nicht unähnlich: ebenfalls Schwarzer mit texanischen Wurzeln, mit kriselnder Ehe und Alkoholproblem.
"Oh, bluebird, take this letter down south for me", heißt es im Song von John Lee Hooker, nach dem der Roman betitelt ist, und die sehnsüchtige Melancholie, die den Sänger darin mit dem Süden verbindet, spürt auch Mathews. Er schleppt nicht nur das persönlich empfundene Pflichtbewusstsein für die Aufklärung der Mordfälle mit sich herum, sondern auch den Ballast seiner eigenen Geschichte, die dem texanischen Boden tief eingeschrieben ist, den seine Vorfahren als Sklaven, später als Farmer bestellten und in dem sie begraben liegen. Den Gegenpol zu Mathews hat Locke mit der Witwe des Ermordeten geschaffen: einer Außenstehenden, für die diese enge Bindung an einen derart feindlichen Ort nur schwer nachvollziehbar ist. Sie unterscheidet sich durch ihren edlen Kaschmirmantel ebenso stark von den Bewohnern Larks wie durch die naive Unerschrockenheit, mit der sie anfangs selbst offensichtlichen Rassisten entgegentritt.
Die Gesellschaft, die Attica Locke zeichnet, ist nicht nur in Schwarz und Weiß gespalten. Die Risse verlaufen zugleich horizontal und vertikal: Stadt und Land, Norden und Süden, Arm und Reich, wir und die. "Das ist auch mein Grund und Boden, mein Staat, mein Land, und ich laufe nicht davon. Ich kann auch hier meinen Mann stehen. Meine Leute haben das hier aufgebaut, und wir gehen nirgendwohin", versucht Mathews der Witwe seinen Standpunkt zu erklären. Auch das ist Texas.
Attica Locke unterstreicht diese Legitimation, indem sie Gegenstände mit identitätspolitischer Symbolik auflädt: Die Gitarre etwa, eine 1955er Les Paul, die im Geneva's hängt. Aber vor allem Mathews' fünfzackiger Stern des Texas Rangers, von ihm geradezu fetischisiert als ultimativer Ausweis seiner Daseinsberechtigung selbst an Orten, an denen Schwarze üblicherweise gefragt werden, ob sie sich verlaufen hätten, bevor im schlimmsten Fall jemand eine Waffe zückt. Als er wegen eines den Lark-Morden ähnlich gelagerten Falles suspendiert wird, bekommt der Stern für ihn eine noch größere Bedeutung. "Ohne die Marke war er lediglich ein Schwarzer, der allein über einen Highway fuhr", heißt es einmal, und der Satz lässt zwei mögliche Konsequenzen zu, die sich auf eine beunruhigend existentielle Frage herunterbrechen lassen: Ist Mathews im Shelby County mit oder ohne Stern eher zum Abschuss freigegeben?
Dass es darauf keine einfachen Antworten geben kann, weiß Attica Locke. In ihrem Text türmen sich die Nebensätze, Details, Beobachtungen regelrecht auf und mit jeder erreichten Höhe wird eine neue, vormals verborgene Ebene sichtbar, fügt sie der Geschichte weitere Nuancen hinzu, die sämtliche Erwartungen und Schlüsse unterlaufen.
KATRIN DOERKSEN
Attica Locke:
"Bluebird, Bluebird".
Kriminalroman.
Aus dem Amerikanischen von Susanna Mende.
Polar Verlag, Hamburg 2019. 280 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Katrin Doerksen liest mit viel Empathie Attica Lockes Roman, in dem Texas fast schon aussieht wie Louisiana, wo sich auch vierzig Jahre "nach dem Tod von Jim Crow" so gut wie nichts verändert hat, wie die Rezensentin schaudert. Schwer zu sagen, ob es in dieser Gegend für den schwarzen Texas Ranger Darren Matthews mit oder ohne Stern gefährlicher ist, meint Doerksen, sehr beeindruckt davon ist, wie Locke den Rassismus und den Alltag schwarzer Communities "durch teilnehmende Beobachtung erfahrbar" mache. Stimmungsvolle Melancholie, identitätspolitische Symbolik und eine nuancierte Geschichte machen ihr die Lektüre obendrein zu einem Gewinn.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Wenn ein weißes Mädchen tot aufgefunden wird, interessiert ein toter Schwarzer keinen: In Attica Lockes beunruhigendem Krimi Bluebird, Bluebird zeigt Amerika sein wahres Gesicht.« Katrin Doerksen Frankfurter Allgemeine Zeitung